Urteil des OVG Saarland vom 09.03.2009

OVG Saarlouis: arzneimittel, beihilfe, behandlung, verordnung, therapie, form, versorgung, homöopathie, produktion, oberarzt

OVG Saarlouis Urteil vom 9.3.2009, 1 A 148/08
Beihilfe: Beihilfefähigkeit eines zur Behandlung einer Hyperhidrose verordneten
homöopathischen Mittels
Leitsätze
Bei dem homöopathischen Mittel "Avena sat." handelt es sich nicht um ein für die
Behandlung der Hyperhidrose wissenschaftlich allgemein anerkanntes Mittel.
Tenor
Unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. Oktober 2007
ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 3 K 391/06 - wird die Klage
abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Beihilfe für das homöopathische Mittel „Avena sat.“.
Der 1962 geborene Kläger, der in der Vergangenheit als Polizeibeamter an der
Fachhochschule für Verwaltung unterrichtete, leidet unter Hyperhidrose, d. h. unter
übermäßiger Schweißproduktion, insbesondere unter den Achseln. Zur Behandlung der
Hyperhidrose wurde ihm von der Naturheilpraxis L. (Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren)
am 15.6. und 29.6.2006 die Rezeptur Avena sat. ärztlich verordnet. Die Kosten hierfür
belaufen sich auf 81,94 EUR (= 2 x 40,97 EUR), so dass sich bei dem dem Kläger
zustehenden Bemessungssatz von 70 % eine Beihilfe von 50,36 EUR ergäbe (bei dem
Betrag von 81,94 EUR für zwei Rezepte sind nämlich gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1
Buchst. c BhVO jeweils 5,-- EUR pro Rezept, insgesamt also 10,-- EUR als Eigenanteil vorab
in Abzug zu bringen, so dass sich die Beihilfe von 70 % nach einem Betrag von 71,94 EUR
errechnet).
Mit Bescheid vom 10.8.2006 lehnte der Beklagte eine Beihilfegewährung mit der
Begründung ab, es handele sich nicht um ein Heilmittel im Sinne des Beihilferechts (Ziffer 3
der AV zu § 5 Abs. 1 Nr. 6 BhVO).
Der dagegen vom Kläger erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 7.9.2006
zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen:
Homöopathische Mittel, die nicht in der sogenannten „Roten Liste“ aufgeführt seien,
könnten nach Nr. 16.5 der Arzneimittel-Richtlinien für bestimmte Indikationsgebiete nur bei
schwerwiegenden Erkrankungen verordnet werden, sofern die Anwendung dieser
Arzneimittel für diese Indikationsgebiete nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in
der jeweiligen Therapierichtung angezeigt sei. Da es sich bei der Hyperhidrose des Klägers
nicht um eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne der Arzneimittel-Richtlinien handele,
sei das Mittel „Avena sat.“ nicht als Arzneimittel im beihilferechtlichen Sinne zu bewerten.
Mit der am 18.10.2006 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen:
Die Arzneimitteleigenschaft des Mittels „Avena sat.“ könne kaum in Abrede gestellt
werden. Es handele sich bei diesem homöopathischen Arzneimittel um ein Medikament,
das apothekenpflichtig sei. Ein vergleichbares Präparat sei unter dem Namen „Avena
Rihom Komplextropfen“ als rezeptpflichtiges Arzneimittel in Österreich auf dem
Arzneimittelmarkt. Des Weiteren sei zu beachten, dass nach den Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln
in der vertragsärztlichen Versorgung unter A Ziffer 3 festgehalten sei, dass der Versicherte
grundsätzlich einen Anspruch auf die Versorgung mit allen nach dem Arzneimittelgesetz
zugelassenen Arzneimitteln besitze. Unter D Ziffer 13 sei ausdrücklich erwähnt, dass die
Verordnung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtung (u.a.) Homöopathie nicht
ausgeschlossen sei. Bei ihrer Verordnung sei der besonderen Wirkungsweise dieser
Arzneimittel Rechnung zu tragen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei Ziffer 16.5
der Arzneimittel-Richtlinien im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Auf die Frage, ob eine
schwerwiegende Erkrankung vorliege, komme es nicht an. Im Übrigen stünde ihm ein
Anspruch auf Beihilfe unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu. Denn der
Beklagte habe zuvor mit den Bescheiden vom 4.4. und 9.6.2006 die Erstattungsfähigkeit
des Mittels „Avena sat.“ anerkannt.
Der Beklagte ist dem Klagebegehren unter Bezugnahme auf die Ausführungen im
Widerspruchsbescheid entgegengetreten.
Mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17.10.2007 ergangenem Urteil - 3 K 391/06 -
hat das Verwaltungsgericht unter Aufhebung der entgegenstehenden
Verwaltungsentscheidungen den Beklagten verpflichtet, dem Kläger zu den
streitgegenständlichen Aufwendungen eine Beihilfe in Höhe von 57,-- EUR zu gewähren. In
den Entscheidungsgründen heißt es im Wesentlichen:
Bei dem dem Kläger von einem Heilpraktiker verordneten Präparat „Avena sat.“ handele es
sich um ein Arzneimittel. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und
substantiiert dargelegt, dass er unter Hyperhidrose, d. h. unter übermäßiger
Schweißproduktion insbesondere unter den Achseln leide und dass die ihm verordnete
Rezeptur „Avena sat.“, bei der es sich um eine vom Apotheker hergestellte Mischung aus
verschiedenen Einzelbestandteilen handele, ein Verstopfen der Schweißdrüsen hindere. Des
Weiteren habe der Kläger die durch massives Schwitzen bedingten Beeinträchtigungen bei
der Ausübung seines Berufs (z. B. beim Unterrichten an der Fachhochschule X) ebenso
nachvollziehbar geschildert wie den Umstand, dass er seit Einnahme des Präparats „Avena
sat.“ in geringeren Zeitabständen als zuvor - nurmehr jährlich statt halbjährlich - auf eine
Behandlung mit Botulinumtoxin angewiesen sei. Daran, dass es sich bei der Hyperhidrose
um eine Krankheit handele, bestünden ebenso wenig Zweifel wie daran, dass die
Behandlung mit „Avena sat.“ der Linderung dieser Krankheit diene. Der beihilferechtliche
Arzneimittelbegriff sei daher erfüllt. Die Nichtaufnahme dieses Mittels in die „Rote Liste“
stehe der Arzneimitteleigenschaft nicht entgegen. Es existierten noch weitere
Arzneimittelverzeichnisse („Graue Liste“, Liste homöopathischer Arzneimittel). Eine
Eintragung sei lediglich ein Indiz für die Arzneimitteleigenschaft. Die Bandbreite eines
Mittels, d. h. seine Anwendbarkeit bei Krankheiten unterschiedlicher Art, stehe der
Arzneimitteleigenschaft nicht entgegen. Maßgeblich sei vielmehr, ob das Mittel dazu
bestimmt sei, durch Anwendung am oder im Körper eine Krankheit zu heilen oder zu
lindern. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, da das Präparat „Avena sat.“ der Linderung
der Hyperhidrose des Klägers diene.
Das Präparat „Avena sat.“ sei auch nicht von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Nach
Nr. 4.1 der Richtlinien zu § 5 Abs. 2a BhVO seien nicht beihilfefähig Mittel, die entweder
keine Arzneimittel seien oder deren Wirksamkeit aus therapeutischer Sicht nicht anerkannt
sei. Des Weiteren bestimme Nr. 4.1 der Richtlinien die entsprechende Anwendung von Nr.
17 (nunmehr: Nr. 20) der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien) des Gemeinsamen
Bundesausschusses in der jeweils geltenden Fassung. Auf Nr. 16.5 der Arzneimittel-
Richtlinien könne sich der Beklagte zur Begründung des Ausschlusses von der
Beihilfefähigkeit nicht berufen. Zum einen beziehe sich Nr. 4.1 der Richtlinien zu § 5 Abs. 2a
BhVO nach dem ausdrücklichen Wortlaut nur auf Nr. 17 (nunmehr Nr. 20) der Arzneimittel-
Richtlinien und sehe im Unterschied dazu eine entsprechende Anwendung von Nr. 16.5
nicht vor. Zum andern würde die Einschränkung in Nr. 16.5 - Verordnung von Arzneimitteln
der Homöopathie nur bei schwerwiegenden Erkrankungen - auch nur für die in den
Arzneimittel-Richtlinien in Abschnitt F im Einzelnen aufgeführten Indikationsgebiete gelten.
Welches dieser Indikationsgebiete hier betroffen sein solle, habe der Beklagte nicht
dargelegt.
Gegen das ihm am 30.10.2007 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 22.11.2007 Antrag
auf Zulassung der Berufung gestellt und diesen mit Schriftsatz vom 29.11.2007
begründet. Mit Beschluss vom 13.02.2008 - 1 A 456/07 - hat der Senat diesem Antrag
gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit dem Hinweis entsprochen, dass im
Berufungsverfahren insbesondere zu klären sei, ob es sich bei dem homöopathischen Mittel
„Avena sat.“ um ein beihilfefähiges Arzneimittel handele, dessen Wirksamkeit zur
Behandlung der beim Kläger diagnostizierten Hyperhidrose aus therapeutischer Sicht
anerkannt sei.
Mit Schriftsatz vom 26.2.2008 hat der Beklagte seine Berufung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Das angegriffene Urteil beruhe in erster Linie auf der Auffassung, bei dem verordneten
Präparat „Avena sat.“ handele es sich um ein wissenschaftlich allgemein anerkanntes
Arzneimittel, das die übermäßige Schweißproduktion unter den Achseln verhindern solle.
Diese Auffassung werde nicht geteilt. Auszugehen sei von einem engen Arzneimittelbegriff.
Es sei insoweit durchaus von Bedeutung, dass das Mittel „Avena sat.“ nicht in die
sogenannte „Rote Liste“ aufgenommen worden sei, in der alle europaweit zugelassenen
Arzneimittel enthalten seien. Die Beihilfestelle habe bei ihren Überlegungen stets zu prüfen,
ob ein Mittel angemessen und notwendig sei (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BhVO). Auch bei der
Versorgung mit Arzneimitteln gelte das Wirtschaftlichkeitsgebot mit der Folge, dass ein
Mittel, das nicht einmal die Kriterien der Qualität, der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit
erfülle, von der Beihilfefähigkeit ausgenommen sei. Der Dienstherr sei im Rahmen seiner
Fürsorge gegenüber dem Beamten keinesfalls verpflichtet, alle entstandenen Kosten zu
erstatten. Mittel, denen die Zulassung nach § 21 Arzneimittelgesetz fehle, seien nicht
erstattungsfähig. Die Beihilfeverordnung sehe nur in einem schweren, lebensbedrohlichen
Fall die Berücksichtigung eines solchen Mittels vor. Die Voraussetzungen hierfür seien nicht
gegeben.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor:
In Übereinstimmung mit den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sei vorliegend von
entscheidender Bedeutung, dass es sich bei dem Präparat „Avena sat.“ um ein
Arzneimittel im Sinne der Beihilfeverordnung handele. Nicht relevant sei im gegebenen Fall,
ob es sich dabei um ein wissenschaftlich allgemein anerkanntes Arzneimittel handele.
Insgesamt bezieht sich der Kläger auf die - aus seiner Sicht - zutreffenden Ausführungen im
erstinstanzlichen Urteil und verweist ergänzend auf den Schriftsatz vom 8.1.2008.
Mit dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.9.2008 ergangenen Beschluss hat
der Senat durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens bzw. einer sachverständigen
Stellungnahme eine Beweiserhebung zu der Frage angeordnet, ob die Behandlung der
beim Kläger diagnostizierten Hyperhidrose mit der Rezeptur „Avena sat.“ gemäß den
Rezepten der Naturheilpraxis L. vom 15.5. und 29.6.2006 als therapeutisch wirksam
anzuerkennen ist. Mit der Erstellung des Gutachtens bzw. der sachverständigen
Stellungnahme wurde gemäß Beschluss vom 8.10.2008 der Oberarzt Dr. med. R., Klinik
für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Universität des Saarlandes in Homburg,
beauftragt.
Wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf das Gutachten vom 15.1.2009
verwiesen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung
verzichtet.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes im Übrigen wird auf den Inhalt der
verfahrensbezogenen Gerichtsakten sowie der dazugehörigen Verwaltungsunterlagen (1
Heft) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die zulässige Berufung kann aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne
(weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).
Die Berufung des Beklagten ist begründet.
Die Verwaltungsentscheidungen vom 10.8.2006 und 7.9.2006, mit denen eine
Beihilfegewährung zu den am 15.5. und 29.6.2006 verordneten homöopathischen
Rezepturen „Avena sat.“ abgelehnt wurde, sind rechtmäßig. Deshalb muss die auf
Abänderung der genannten Verwaltungsentscheidungen und Verpflichtung des Beklagten
zur Gewährung einer Beihilfe gerichtete Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils abgewiesen werden.
Als Grundlage für einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu den Kosten des dem
Kläger ärztlich
Nach den vorgelegten Rezepten handelt es sich bei der
Naturheilpraxis L. um eine (ärztliche) Praxis für Allgemeinmedizin und
Naturheilverfahren. Unter der auf der dem Kläger ausgestellten
Bescheinigung vom 29.8.2006 befindlichen Unterschrift ist
aufgedruckt „Unterschrift des Arztes“.
verordneten homöopathischen Mittel „Avena sat.“ kommt vorrangig § 5 Abs. 1 Nr. 6 BhVO
in Betracht, wonach grundsätzlich (u.a.) die von einem Arzt oder Heilpraktiker aus Anlass
einer Krankheit schriftlich verordneten Arzneimittel beihilfefähig sind
vgl. zur vorläufigen Weitergeltung der BhVO u.a. BVerwG, Urteile
vom 17.6.2004 - 2 0/02 -, BVerwGE 121, 103 = NVwZ 2005, 713
= ZBR 2005, 42 = DÖD 2005, 133, und vom 28.10.2004 - 2 C
34.03 - NVwZ 2005, 710 = ZBR 2005, 169; Urteil des Senats vom
7.12.2007 - 1 A 321/07 -, NVwZ 2008, 443 = AS RP-SL 35, 322;
siehe aber auch BVerwG, Urteil vom 28.5.2008 - 2 C 24.07 -, LKRZ
2008, 275, wo es heißt: „Bei weiterer Untätigkeit des Gesetzgebers
über den Zeitraum der laufenden Legislaturperiode hinaus werden die
Verwaltungsgerichte im Einzelfall über Beihilfeansprüche auf der
Grundlage allein der Kriterien der Notwendigkeit und Angemessenheit
(§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BhV) zu entscheiden haben.“
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der beim
Kläger diagnostizierten Hyperhidrose um einen Krankheitsfall im Sinne des Beihilferechts
handelt
vgl. dazu überzeugend OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom
14.12.2007 - 6 A 5173/05 -, IÖD 2008, 128.
Fraglich ist indes, ob es sich bei dem homöopathischen Mittel „Avena sat.“ um ein für die
Behandlung der Hyperhidrose wissenschaftlich allgemein anerkanntes Mittel handelt,
dessen therapeutischer Nutzen unumstritten ist
vgl. dazu Nr. 4.1 der auf der Grundlage des § 5 Abs. 2a BhVO
ergangenen Richtlinien betreffend Beihilfefähigkeit der Aufwendungen
für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden und
Mittel.
Dagegen spricht der bereits vom Beklagten im Schriftsatz vom 29.11.2007 auf der
Grundlage einer Recherche im Internet beschriebene Indikationsbereich für die Anwendung
von „Avena sat.“. Danach soll dieses Präparat bei Potenzstörungen,
Erschöpfungszuständen, Appetitlosigkeit und Infektionskrankheiten helfen. Unter der
Eingabe „Homöopathie - Avena sativa“ erhält man bei Google (u.a.) die Information:
„Menschen, die Avena sativa brauchen, wirken häufig unruhig und hektisch. Das Mittel
Avena sativa wird vor allem zur Behandlung von Schwäche, Rekonvaleszenz und
Schlaflosigkeit eingesetzt.“
Bestätigt wird dieser (eingeschränkte) Anwendungsbereich von „Avena sat.“ im
homöopathischen Schrifttum
vgl. etwa „Das große Homöopathie-Handbuch“ von Dr. med. Markus
Wiesenauer und Dr. med. Suzann Kirschner-Brouns, Verlag Gräfe und
Unzer, München, 2007.
Darin heißt es unter der Mittelbeschreibung „Avena sativa“ (Seite 344):
„Leitsymptome: Der Avena-Patient kann sich schlecht konzentrieren
und leidet oftmals unter brennenden Kopfschmerzen, die sich vom
Scheitel über den ganzen Kopf ausbreiten.
Modalitäten: Beschwerden schlechter: nicht bekannt; Beschwerden
besser: nicht bekannt.
Homöopathische Anwendung: Das Mittel kann z. B. gut eingesetzt
werden bei Schlafstörungen, Nervosität und Schwäche sowie nach
erschöpfenden Erkrankungen, einem Drogen- oder Alkoholentzug.“
Bei den homöopathisch behandelbaren Beschwerden wird das „übermäßige Schwitzen
(Hyperhidrosis)“ als ein Symptom im Rahmen einer Schilddrüsenüberfunktion, von
Übergewicht, der Wechseljahre oder auch einer psychischen Erkrankung beschrieben,
wobei erwähnt wird, dass daneben auch eine genetisch bedingte Form existiert, die in der
Pubertät beginne und das ganze Leben lang anhalte. Nervosität und Aufregung könnten
dann Schwitzanfälle auslösen. Als Mittel, die helfen, sind aufgeführt: Acidum
hydrofluoricum, Acidum sulfuricum, Argentum nitricum, Jaborandi, Mercurius solubilis, Sepia
und Silicea
vgl. Seite 132 f. des erwähnten Handbuchs.
Das Mittel „Avena sat.“ wird im gegebenen Zusammenhang nicht erwähnt.
Aufgrund der durchgeführten Beweiserhebung ist der Senat jedenfalls davon überzeugt,
dass es sich bei dem homöopathischen Mittel „Avena sat.“ nicht um ein für die Behandlung
der Hyperhidrose wissenschaftlich allgemein anerkanntes Mittel handelt, dessen
unmittelbarer therapeutischer Nutzen nachweisbar ist.
Der vom Senat beauftragte Gutachter des Universitätsklinikums des Saarlandes, Klinik für
Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Oberarzt Dr. R., hat in seiner gutachterlichen
Stellungnahme vom 15.1.2009 bestätigt, dass der Rezeptur mit Avena sativa, Passiflorae
und Zincum (wie sie in den ärztlichen Verordnungen verschrieben worden ist) keine direkte
therapeutische Wirksamkeit auf eine Hyperhidrose zugesprochen werden kann. Zur
Begründung hat der Sachverständige im Einzelnen ausgeführt:
„Die Diagnose Hyperhidrose bezeichnet ein Übermaß an Schwitzen,
welches über die Erfordernisse der Wärmeregulation hinausgeht. Sie
tritt am häufigsten umschrieben in bestimmten Hautregionen
(lokalisierte Form; z.B. Achselhöhle, Handflächen, Fußsohlen, Stirn),
selten am gesamten Körper auf (generalisierte Form). Unterschieden
werden eine primäre von einer sekundären Hyperhidrose.
Die primäre Hyperhidrose ist idiopathisch, d.h. es liegt keine zugrunde
liegende Erkrankung vor. Die Diagnose wird anhand anamnestischer
Angaben und klinischer Untersuchungen (Jod-Stärke-Probe,
Gravimetrie) gestellt und in Schweregrade eingeteilt. Die primäre
Hyperhidrose ist überwiegend lokalisiert.
Die sekundäre Hyperhidrose stellt ein Symptom einer
Grunderkrankung oder Nebenwirkung einer Medikamenteneinnahme
dar und ist in der Regel generalisiert. Als Grunderkrankungen
kommen in Betracht: Infektionskrankheiten, Tumoren (insbesondere
Lymphome), hormonelle Erkrankungen (z.B.
Schilddrüsenüberfunktion) neurologische Erkrankungen. Auch
besondere Lebensumstände, wie das Klimakterium oder psychische
Belastungssituationen können eine sekundäre Hyperhidrose auslösen.
Nähere Angaben, ob es sich bei der Hyperhidrose des Klägers um
eine primäre oder sekundäre Form handelt, liegen uns nicht vor.
Die Therapie der primären Hyperhidrose wird unterteilt in lokale
Maßnahmen (Antiperspiranzien, Leitungswasser-Iontophorese,
Botulinumtoxin), systemische Therapien (Anticholinergika) und
operative Verfahren (Exzsion oder Kurretage von Schweißdrüsen).
Weder in der derzeit gültigen Leitlinie „Definition und Therapie der
primären Hyperhidrose“ der Deutschen Dermatologischen
Gesellschaft (s. Literatur), noch in der medizinisch-wissenschaftlichen
Literatur (Pubmed, Scopus) finden sich Hinweise für die Wirksamkeit
einer oralen homöopathischen Therapie mit einem oder mehreren
Inhaltsstoffen der o.g. Rezeptur.
Bei der sekundären Hyperhidrose steht die Therapie der
Grunderkrankung im Vordergrund. Mit Ausnahme der sekundären
Hyperhidrose im Rahmen psychischer Belastungssituationen finden
sich ebenfalls im Rahmen der Literaturrecherche keine Hinweise für
die Wirksamkeit der o.g. Rezeptur.
Den Inhaltsstoffen Avena sativa (Hafer), Passiflora (Passionsblume)
und Zincum valerianicum (Zinkisovalerianat) wird in der
homöopathischen Literatur eine beruhigende, schlaffördernde,
angstlösende Wirkung zugeschrieben (z.B. W. Boericke: Handbuch
der homöopathischen Materia medica: „Avena sativa besitzt eine
besondere Wirkung auf Gehirn und Nervensystem, indem es deren
Ernährung günstig beeinflusst. Nervöse Erschöpfung, sexuelle
Schwäche und Morphiumsucht erfordern dieses Mittel in ziemlich
materieller Dosierung. Ist das beste Tonikum für Entkräftung nach
erschöpfenden Krankheiten (...) Schlaflosigkeit, nervöse Zustände).
Sofern der Kläger eine psychogene sekundäre Hyperhidrose zum
Zeitpunkt der Verordnung aufgewiesen hat - dies wäre kritisch zu
hinterfragen - kann somit eine mögliche indirekte Wirkung der
Rezeptur nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Nach
schulmedizinischen Kriterien einer evidenzbasierenden Medizin ist
jedoch weder eine direkte, noch indirekte Wirkung einer
homöopathischen Rezeptur mit Avena sativa, Passiflora und Zincum
valerianicum auf eine bestehende Hyperhidrose wissenschaftlich
belegbar.“
Da der Kläger nach den von ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht gemachten Angaben immer noch, wenn auch in geringeren
Zeitabständen als zuvor, auf eine Behandlung mit Botulinumtoxin angewiesen ist, ist davon
auszugehen, dass er unter einer primären Hyperhidrose leidet, da nach den in sich
schlüssigen Darlegungen im Gutachten vom 15.1.2009 nur bei dieser Form der
Hyperhidrose (u.a.) eine lokale Therapiemaßnahme (u.a.) mit Botulinumtoxin indiziert ist.
Nach der eindeutigen, auf der Grundlage der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur
getroffenen Feststellung des Gutachters finden sich in Bezug auf die Therapie der primären
Hyperhidrose keine Hinweise für die Wirksamkeit einer oralen homöopathischen Therapie
mit einem oder mehreren Inhaltsstoffen der dem Kläger verordneten Rezeptur.
Die Stellungnahme des Klägers (Schriftsatz vom 18.2.2009) zu dem vom Senat
eingeholten Gutachten enthält keine neuen Gesichtspunkte. Insbesondere ist es nicht
richtig, dass eine Beihilfefähigkeit für wissenschaftlich nicht allgemein erkannte Arzneimittel
nach saarländischem Beihilferecht gegeben ist. Das folgt - wie bereits dargelegt - aus Nr.
4.1 der auf der Grundlage des § 5 Abs. 2 a BhVO ergangenen Richtlinien „betreffend
Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte
Behandlungsmethoden und Mittel“. Dem Begriff der Arzneimitteleigenschaft kommt in
diesem Zusammenhang keine Relevanz zu.
Ein Anspruch des Klägers ergibt sich schließlich auch nicht aus Gründen des
Vertrauensschutzes. Auch wenn der Beklagte zuvor mit den Bescheiden vom 4.4. und
9.6.2006 die Erstattungsfähigkeit des Mittels „Avena sat.“ anerkannt hat, liegt darin noch
keine Selbstbindung für nachfolgende Beihilfeanträge des Klägers. Aus der einfachen
kommentarlosen Gewährung von Beihilfe kann nicht schutzwürdig auf eine Fortsetzung
dieser Anerkennungspraxis geschlossen werden. Die Bewilligung der Beihilfe gilt nur für die
gewährte Beihilfe und nicht für künftige Aufwendungen
vgl. u.a. OVG Hamburg, Urteil vom 24.9.2004 - 1 Bf 47/01 -, IÖD
2005, 54, und Juris Tz. 55.
Bei jedem neuen Beihilfeantrag muss die Festsetzungsstelle prüfen, ob die rechtlichen
Voraussetzungen für eine Beihilfegewährung gegeben sind. Hat sie das Vorliegen dieser
Voraussetzungen zuvor fehlerhaft bejaht, kann sich innerhalb der gesetzlichen Frist
allerdings die Frage einer Rücknahme rechtswidriger Bescheide stellen (vgl. § 48 VwVfG).
Nach allem ist auf die Berufung des Beklagten das erstinstanzliche Urteil abzuändern und
die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708
Nr. 10 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß §§ 127 BRRG, 132 Abs. 2
VwGO sind nicht erfüllt.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 57,-- EUR festgesetzt (§§ 63 Abs. 2,
52 Abs. 3, 47 Abs. 1 GKG).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.