Urteil des OVG Saarland vom 03.02.2006

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OVG Saarlouis Urteil vom 3.2.2006, 3 R 7/05
Abgrenzung Lebensmittel/Arzneimittel; Weihrauchextrakt
Leitsätze
1. Lebensmittel sind nach der Definition des Gemeinschaftsrechts und nunmehr auch des
deutschen Rechts Stoffe, die vom Menschen aufgenommen werden; dazu genügen auch
Aromastoffe.
2. Arzneimittel in der Form von Funktionsarzneimitteln sind nach Gemeinschaftsrecht und
deutschem Recht Stoffe, die die Körperfunktionen positiv oder negativ beeinflussen und
damit Auswirkungen auf die Gesundheit haben können.
3. Erfüllt ein Stoff sowohl die Lebensmitteldefinition als auch die Arzneimitteldefinition, hat
das Arzneimittelrecht wegen der typischerweise größeren Gesundheitsgefahren für die
rechtliche Behandlung nach Gemeinschaftsrecht und nunmehr auch deutschem Recht
Vorrang.
4. Ein Weihrauchextrakt mit aromatischen Wirkungen und der Beeinflussung von
Entzündungsprozessen ist als zulassungspflichtiges Arzneimittel zu behandeln.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin bringt ihr Produkt „W.“ - im Folgenden nur als Produkt bezeichnet - als
Nahrungsergänzungsmittel und damit als Lebensmittel in Deutschland mit entsprechender
Packungskennzeichnung in den Verkehr. Es handelt sich dabei um indischen
Weihrauchextrakt. Die Klägerin bezieht ihr Produkt nach eigenen Angaben aus Österreich,
wo es als Lebensmittel im Verkehr ist, und der österreichische Lieferant bezieht es aus
Indien.
Mit dem streitigen Untersagungsbescheid vom 23.1.2002 erließ der Beklagte nach
Anhörung der Klägerin ein Verkehrsverbot für ihr Produkt auf der Grundlage des § 69 I
AMG. Zur Begründung berief sich der Beklagte darauf, Fertigpräparate aus
Weihrauchextrakt seien in Indien als Arzneimittel zugelassen und die Verkehrsauffassung
sei durch das Fertigarzneimittel aus Indien geprägt mit der Konsequenz, dass ein
zulassungspflichtiges Arzneimittel ohne Zulassung vorliege.
Gegen den am 25.1.2002 bekannt gegebenen Untersagungsbescheid hat die Klägerin am
29.1.2002 Klage erhoben.
Die Klägerin hat den Rechtsstandpunkt vertreten, ihr Produkt sei sowohl nach der
Einordnung gemäß dem materiell geltenden Lebensmittelrecht ein Lebensmittel als auch
auf Grund des freien europäischen Marktes als Importprodukt verkehrsfähig, das sowohl
der Importerleichterung des § 47 a LMBG als importiertes Lebensmittel unterliege als auch
der verbindlichen Zolltarifauskunft der EG vom 16.9.2002 mit der Einstufung ebenfalls als
Lebensmittel.
Bei materieller Betrachtung liege ein Ernährungszweck im Sinne eines
Nahrungsergänzungsmittels vor. Nach der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG
sei für Nahrungsergänzungsmittel eine breite Palette von Nährstoffen und anderen Zutaten
einschließlich Ballaststoffen, Pflanzen und Kräuterextrakten - und damit auch aus der
Weihrauchpflanze - zugelassen und die dosierte Form beispielsweise in Tabletten normativ
vorgesehen. Dagegen liege ein Arzneimittel im Sinne des europäischen Arzneimittelbegriffs
nicht vor. Insbesondere fehle es für ein Funktionsarzneimittel an der pharmakologischen
Wirkung in der vorgeschriebenen Dosierung von 400 mg täglich. Der Beklagte habe eine
pharmakologische Wirkung nicht erwiesen, sie, die Klägerin, habe dagegen mit den
Gutachten Bertram und Reuss den Gegenbeweis geführt, dass eine pharmakologische
Wirkung auszuschließen sei. Zumindest fehle es an einem überwiegenden arzneilichen
Zweck.
Unabhängig von der materiellen Zusammensetzung sei der Weihrauchextrakt als
Lebensmittelimport aus dem EU-Land Österreich gemäß § 47 a LMBG ein verkehrsfähiges
Erzeugnis. Aufgrund der verbindlichen Zolltarifauskunft der Gemeinschaft vom 16.9.2002
mit der Einstufung als Lebensmittelzubereitung stehe weiter fest, dass ihr Produkt überall
in der EU als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden könne, was auch in Österreich
und England der Fall sei. Die Frage der Verkehrsfähigkeit aufgrund der verbindlichen
Zolltarifauskunft sei erforderlichenfalls dem EuGH vorzulegen.
Die Klägerin hat beantragt (VG-Akte Bl. 167),
den Untersagungsbescheid des Beklagten vom 23.1.2002 aufzuheben,
hilfsweise,
dem Europäischen Gerichtshof dieses Verfahren mit der folgenden Frage vorzulegen:
„Wenn ein Produkt nach einer verbindlichen Zolltarifauskunft für die Europäische
Gemeinschaft als Lebensmittel eingestuft worden ist und darüber hinaus in den EU-
Mitgliedstaaten Großbritannien und Österreich rechtmäßig im Verkehr ist, darf dann ein
Vertriebsverbot von der zuständigen Behörde der Bundesrepublik Deutschland
ausgesprochen werden, wenn diese nicht nachweist, dass das Produkt konkret gegen
Vorschriften des Gesundheitsschutzes verstößt, sondern die Behörde das Vertriebsverbot
mit der Ansicht begründet, dass der Inhalt grundsätzlich als Arzneimittel anzusehen ist,
obwohl eine pharmakologische Wirkung erst bei einer Dosierung nachgewiesen werden
konnte, die die empfohlene Tagesverzehrmenge des beanstandeten Produktes um das 3-
fache übersteigt. Unstreitig wird das Produkt nach der Packungskennzeichnung als
„Nahrungsergänzungsmittel“ in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr gebracht,
hilfsweise,
die Akte mit der folgenden Frage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen: „Kann eine
Landesbehörde in der Bundesrepublik Deutschland ein Produkt, das in den EU-
Mitgliedstaaten Österreich und England als verkehrsfähiges Lebensmittel im Verkehr ist,
eine verbindliche Zolltarifauskunft der Europäischen Gemeinschaft die Lebensmittel-
Eigenschaft bestätigt hat, mit dem Hinweis, dass dort keine arzneilichen Angaben auf der
Packung enthalten sind, noch als Arzneimittel einstufen, auch wenn die Behörde eine
pharmakologische Wirkung in der angegebenen Tagesdosierung nicht nachweisen kann.“
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten. Das Produkt stamme aus
der traditionellen indischen Ayurveda-Medizin. Ein Ernährungszweck sei nicht nachzuweisen.
Stattdessen sei ein Arzneimittelzweck gegeben. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen
Unterlagen liege ein Funktionsarzneimittel mit Auswirkungen auf Entzündungsprozesse
auch in niedriger Dosis vor. Als Arzneimittel sei Weihrauchextrakt den Verbrauchern
insbesondere aus dem Internet bekannt. Die Importerleichterung nach § 47 a LMBG sei hier
nicht einschlägig. Auch die Zolltarifauskunft beschränke sich ausschließlich auf den Zolltarif,
um den es hier nicht gehe.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20.5.2003 - 3 K 47/02 - die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es sich den Rechtsstandpunkt des Beklagten unter Bezugnahme zu
Eigen gemacht. Maßgebend sei die überwiegende Zweckbestimmung nach der
Verkehrsauffassung. Das Produkt sei nach Aufmachung, Verpackung und Vertrieb wie ein
Arzneimittel aufgemacht und werde auch in der Apotheke vertrieben. Die Klägerin mache
für ihr Produkt zwar selbst keine Werbung, indessen werde von anderer Seite für ein
Konkurrenzprodukt im Internet Werbung als Arzneimittel betrieben. Nach den
Verbrauchererwartungen werde das Produkt also als Arzneimittel gekauft. Die
Importerleichterung des § 47 a LMBG sei auf Arzneimittel nicht anwendbar und die
Zolltarifauskunft binde nicht die Gesundheitsbehörden der deutschen Bundesländer.
Angesichts dieser klaren Rechtslage bedürfe es keiner Vorlage an den EuGH, zu der das
Verwaltungsgericht ohnedies nicht verpflichtet sei. Nach allem sei die Klage abzuweisen.
Gegen das am 10.6.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4.7.2003 Antrag auf
Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Zulassungsbeschluss vom
16.1.2004 (Berufungsakte Bl. 108) mit Blick auf schwierige Fragen des
Gemeinschaftsrechts unter der seinerzeitigen Geschäftsnummer 3 R 1/04 stattgegeben
hat. Mit Blick auf eine bevorstehende EuGH-Entscheidung zur Abgrenzung von Arzneimitteln
und Lebensmitteln hat der Senat das Verfahren vorübergehend durch Beschluss vom
16.4.2004 ausgesetzt (Berufungsakte Bl. 164). Nach dem Ergehen der EuGH-
Entscheidung vom 9.6.2005 - C-211/03 - (Lactobact-Urteil) haben beide Beteiligten das
Urteil für ihren Rechtsstandpunkt in Anspruch genommen und halten im fortgesetzten
Rechtsstreit 3 R 7/05 an ihrer Rechtsauffassung fest.
Die Klägerin trägt vor: Das Lactobact-Urteil des EuGH stütze ihre Rechtsansicht. Im Bereich
der allgemeinen Lebensmittel und der Arzneimittel sei nach dem EuGH-Urteil eine
Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts noch nicht vorgenommen worden (Rz. 56).
Dagegen sei es zu einer europaweiten Harmonisierung bei der hier einschlägigen
Untergruppe der Lebensmittel, der Nahrungsergänzungsmittel, gekommen (Rz. 70 ff.).
Nachdem der EuGH (Rz. 44) dargelegt habe, dass in Zweifelsfällen bei vollständigen
Feststellungen die Arzneimittelrichtlinie gelte, habe er sodann (Rz. 70 ff.) darauf
hingewiesen, dass im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel eine weitgehende
Harmonisierung eingetreten sei; bei den Nahrungsergänzungsmitteln blieben den
Mitgliedstaaten nur begrenzte Möglichkeiten, das Inverkehrbringen solcher
Nahrungsergänzungsmittel zu beschränken, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat wie
hier in Österreich und in Großbritannien rechtmäßig im Verkehr seien. Solche
Verkehrsbeschränkungen setzten voraus, dass der Beklagte konkrete Gesundheitsgefahren
für die Bevölkerung nachweise, was nicht geschehen sei.
Ihr Produkt sei bei materieller Betrachtung nach dem fortgeschrittenen Gemeinschaftsrecht
als Lebensmittel und als Nahrungsergänzungsmittel einzustufen. Art. 2 der
gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung 178/2002 sei weiter gefasst und stelle
nicht mehr auf den Ernährungs- oder Genusszweck des Produkts ab. Ein
Nahrungsergänzungsmittel im Sinne des weitgehend harmonisierten Gemeinschaftsrechts
liege hier vor. Nach dem Erwägungsgrund 3 gehe es um die Erhaltung einer guten
Gesundheit und nach dem Erwägungsgrund 6 handele es sich um eine breite Palette von
Stoffen einschließlich Kräuterextrakten. Art. 2 a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie
erfordere nicht notwendig Nährstoffe, sondern lasse sonstige Stoffe mit
ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung genügen. Dies sei hier zu bejahen.
Aus dem vorgelegten Zusatzgutachten Reuss ergebe sich, dass Weihrauch ein gesundes,
natürliches Gewürz darstelle mit der ernährungsspezifischen Wirkung, die Lebensmittel
bekömmlicher zu machen. Weihrauchextrakt wirke sich auch positiv auf den Lipoprotein-
Haushalt und den Cholesterin-Haushalt aus. Er sei nicht nur in Österreich und
Großbritannien, sondern auch in Deutschland abgesehen von dem Produkt der Klägerin als
Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt. Nach dem zentralen
Bestellsystem der deutschen Apotheken, der Lauer-Taxe, seien 11 verschiedene
Weihrauchprodukte anderer Firmen als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt. Insofern
sei Weihrauch bei dem Verbraucher als Nahrungsergänzungsmittel bekannt.
Demgegenüber müsse die Internetwerbung für die Arzneiwirkung anderer
Weihrauchprodukte nach der vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigen BGH-
Rechtsprechung außer Betracht bleiben (BGH, Urteil vom 11.7.2002 - I ZR 273/99 -).
Darüber hinaus sei die Einfuhr von Weihrauchprodukten als Arzneimitteln aus der Schweiz
oder Indien unzulässig, da es dort an einer staatlichen, mit der deutschen
Arzneimittelzulassung vergleichbaren Zulassung fehle. In Indien sei Weihrauchextrakt ein
Lebensmittel und unterliege der Lebensmittelüberwachung. Nach allem sei ihr Produkt ein
Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, das nicht durch das Nadelöhr der
Arzneimittelüberwachung müsse.
Entgegen der Annahme des Beklagten sei das Vorliegen eines Arzneimittels
auszuschließen. Sowohl der EuGH als auch der BGH unterschieden beim europäischen
Arzneimittelbegriff zwischen einem Präsentationsarzneimittel und einem
Funktionsarzneimittel. Ein Präsentationsarzneimittel liege nach der Rechtsprechung des
BGH nur dann vor, wenn es so auf den Verkaufspackungen, nicht lediglich in
Werbeangaben in Medien, präsentiert werde. Dies sei eindeutig nicht der Fall. Die
Verpackung enthalte eine deutliche Präsentation als Nahrungsergänzungsmittel, eine
Verzehrempfehlung und neuerdings den Hinweis, die täglich empfohlene
Verzehrempfehlung nicht zu überschreiten.
Ebenso wenig sei ihr Produkt ein Funktionsarzneimittel. Stoffe könnten wie das Vitamin C je
nach Dosis eine Doppelfunktion als Lebensmittel und Arzneimittel haben. Dann komme es
allein auf die Dosis an. Maßgebend für die Beurteilung sei die Empfehlung, nur ein Mal
täglich eine Tablette einzunehmen. Eine Mehrfacheinnahme - wie vom Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte angenommen - nur zur Begründung pharmakologischer
Eigenschaften sei eine nicht wissenschaftliche Unterstellung. Ausgehend von der
maßgebenden Dosis habe der Beklagte mit allen vorgelegten Unterlagen den Beweis einer
pharmakologischen Wirkung nicht erbracht, dagegen habe sie den Gegenbeweis durch die
Gutachten Bertram und Reuss geführt. Soweit der Beklagte sich mit seinen Unterlagen auf
die Ayurvedische Medizin aus Indien berufe, liege darin nach neuerer Erkenntnis eher eine
Empfehlung für eine gesunde Lebensweise im Sinne einer Nahrungsergänzung als die
Behandlung von Krankheiten. Auch die vom Beklagten vorgetragene Bemühung der
deutschen Firma P. um eine europäische Zulassung als Arzneimittel sei bisher wegen
fehlender Nachweise gescheitert. Eine pharmakologische Wirkung in der vorgeschriebenen
Dosis lasse sich nach allem nicht begründen. Der Beklagte habe den Beweis dafür nicht
erbracht. Deshalb führten die stofflichen Eigenschaften ihres Produkts dazu, dass allein ein
Nahrungsergänzungsmittel vorliege und mangels konkreter Gesundheitsgefahren keine
Verbotsgrundlage bestehe.
Wesentlich sei weiter, dass ein EG-Lebensmittelimport vorliege. Der freie Handelsverkehr
innerhalb der Gemeinschaft sei nach dem EG-Vertrag geschützt und die Auffassung des
Beklagten führe zu unzulässigen Handelshindernissen bei dem Import von Lebensmitteln.
Das Produkt werde unmittelbar aus Österreich eingeführt und sei dort rechtmäßig als
Lebensmittel im Verkehr. Auf der Grundlage des § 47 a LMBG sei das Produkt aus der
Sicht von Österreich einzuordnen und sei damit ein verkehrsfähiges Lebensmittel und kein
Arzneimittel. Bezogen auf die Gemeinschaft insgesamt bedeute darüber hinaus die
vorgelegte Zolltarifauskunft vom 16.9.2002 mit der Einordnung als
Lebensmittelzubereitung den Verkehrsfähigkeitsnachweis für die gesamte Gemeinschaft.
Nach allem sei das Vertriebsverbot aufzuheben; hilfsweise komme eine Vorlage der Sache
an den EuGH in Betracht.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 20.5.2003 - 3
K 47/02 - den Untersagungsbescheid des Beklagten vom 23.1.2002 aufzuheben.
Die Klägerin regt hilfsweise an,
dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage vorzulegen:
„Kann eine Landesbehörde in der Bundesrepublik Deutschland ein Produkt, das in den EU-
Mitgliedstaaten Österreich und England als verkehrsfähiges Lebensmittel im Verkehr ist,
dem eine verbindliche Zolltarifauskunft der Europäischen Gemeinschaft die Lebensmittel-
Eigenschaft bestätigt hat, mit dem Hinweis, dass dort keine arzneilichen Angaben auf der
Packung enthalten sind, noch als Arzneimittel einstufen, auch wenn die Behörde eine
pharmakologische Wirkung in der angegebenen Tagesdosierung nicht nachweisen kann.“
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, das Lactobact-Urteil des EuGH vom 9.6.2005 stütze
seinen Standpunkt. Aus dem Tenor des EuGH-Urteils ergebe sich, dass die Einstufung als
Arzneimittel oder als Nahrungsmittel unabhängig von der Einstufung in anderen EU-
Mitgliedstaaten erfolge und in Zweifelsfällen die Arzneimittelrichtlinie einschlägig sei.
Der Beklagte ist der Auffassung, es liege kein Lebensmittel und kein
Nahrungsergänzungsmittel vor. Die Nahrungseigenschaft sei nicht nachvollziehbar
begründet. Allenfalls liege ein Zweifelsfall vor, der damit als Arzneimittel zu behandeln sei.
Der Arzneimittelbegriff werde durch das Produkt der Klägerin erfüllt. Zwar präsentiere die
Klägerin ihr Produkt nicht als Arzneimittel, so dass ein Präsentationsarzneimittel
ausscheide. Dagegen liege wegen der pharmakologischen Wirkung ein
Funktionsarzneimittel vor. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Unterlagen nehme
indischer Weihrauchextrakt Einfluss auf Entzündungsprozesse im Körper. Bei der
Einstufung als Arzneimittel sei nach Auffassung des Bundesinstituts die Möglichkeit einer
Mehrfacheinnahme der Tagesdosis zu berücksichtigen. Therapeutische Wirkungen seien
bereits in einer Tagesdosis von 900 mg möglich und könnten durch Mehrfacheinnahme
erreicht werden. Darüber hinaus ergebe sich aus den Forschungsergebnissen von Prof. Dr.
Ammon, dass bei niedriger Dosierung eine Stimulierung der Leukotriensynthese eintreten
könne.
Die Einstufung als Arzneimittel ergebe sich auch daraus, dass die europäische Behörde
EMEA am 21.10.2002 für die Behandlung von Ödemen bei Gehirntumoren indischem
Weihrauchextrakt zugunsten der deutschen Firma P. den Orphan-Drug-Status zuerkannt
habe. Nur bei einer Einstufung als Arzneimittel und nicht als Lebensmittel könne ein
Präparat einen solchen Status erhalten. Dagegen sei die von der Klägerin vorgelegte
Zolltarifauskunft vom 16.9.2002 nicht entscheidungserheblich, da sie sich nach Sinn und
Zweck auf die Zollkalkulation beschränke.
Nach allem sei das Weihrauchpräparat der Klägerin ein Funktionsarzneimittel, das
zulassungsbedürftig sei, aber keine Zulassung als Arzneimittel habe. Mithin sei der
Untersagungsbescheid rechtmäßig.
Zur Ergänzung des Sachverhalts insbesondere mit Blick auf die vorgelegten Unterlagen
wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten (2 Hefter) Bezug genommen, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.
Der Streit der Beteiligten betrifft die richtige rechtliche Einordnung des Produkts der
Klägerin, der W., das sie von Österreich nach Deutschland einführt. Handelt es sich
inhaltlich um ein Lebensmittel in Form eines Nahrungsergänzungsmittels oder um einen
rechtlich maßgebenden Lebensmittelimport, wie die Klägerin annimmt, unterliegt es
unstreitig grundsätzlich dem freien Warenverkehr und mithin nicht dem vom Beklagten
ausgesprochenen Verkehrsverbot nach § 69 AMG. Handelt es sich dagegen rechtlich um
ein Fertigarzneimittel, fehlt ihm die erforderliche Zulassung, da es unstreitig weder in
Deutschland noch sonst im Bereich der Europäischen Union eine Verkehrsgenehmigung als
Arzneimittel hat.
Angesichts der fortgeschrittenen EG-Harmonisierung des Arzneimittelrechts und des
Lebensmittelrechts ist zunächst klarzustellen, wer die Qualifizierungszuständigkeit bei der
grenzüberschreitenden Verbringung eines Produkts innerhalb der EG hat. Abgesehen von
der hier nicht gegebenen Ausnahme einer gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsgenehmigung
nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vom 22.7.1993 für das Produkt verbleibt die
Qualifizierung den nationalen Behörden und Gerichten. Auf eine Vorlage des OVG Münster
hin mit dem Ziel einer EG-weiten Qualifizierung eines Produkts durch den EuGH hat der
EuGH nach seinem Rechtsverständnis das Europarecht auszulegen, ist aber nicht befugt,
über den Sachverhalt zu entscheiden und die Einstufung von Produkten als Arzneimittel
oder Lebensmittel gemeinschaftsweit selbst vorzunehmen.
EuGH, Urteil vom 9.6.2005 – u.a. C – 211/03 -, betreffend die Einfuhr streitiger
Nahrungsergänzungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland auf eine Vorlage des
OVG Münster, im Folgenden als Lactobact-Urteil bezeichnet.
Zuständig für die Entscheidung, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als Lebensmittel im
Sinne des Gemeinschaftsrechts einzustufen ist, sind nach der Rechtsprechung des EuGH
die nationalen Behörden.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 30; ebenso schon EuGH, Urteil vom 16.4.1991 – Upjohn – Rz
35.
Die Einfuhr eines Produkts berührt zwar sowohl den Ausfuhrmitgliedstaat als auch den
Einfuhrmitgliedstaat. Bei streitiger Zulässigkeit der Marktverwertung nach Einfuhr
entscheidet indessen der jeweilige Einfuhrmitgliedstaat über die Einstufung als Arzneimittel
oder Lebensmittel ohne Bindung an die Auffassung des Ausfuhrmitgliedstaats.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 56; ebenso EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -,
betreffend Vitaminpräparate, Rz 53.
Die nationalen Behörden des Einfuhrmitgliedstaates, hier der Beklagte, haben mithin die
Einstufung des streitigen Produkts mit Wirkung nur für ihren Staat vorzunehmen. Die
Kontrolle der richtigen Einstufung ist sodann Sache der nationalen Gerichte.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 96 und 97; ebenso EuGH, Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -,
Delattre-Urteil, Rz 35.
Mithin hat der Senat in dem vorliegenden Berufungsverfahren über die Einstufung des
streitigen Produkts in Deutschland ohne Vorlage an den EuGH selbst zu entscheiden.
Die Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
ein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts besteht.
Bader u.a., VwGO, 3. Auflage 2005, § 113 Rdnr. 34.
Der hier streitige Untersagungsbescheid vom 23.1.2002 auf der Grundlage von § 69 I Nr.
1 AMG verbietet das Inverkehrbringen des streitigen Produkts ab Bekanntgabe
(25.1.2002) auf Dauer. Dauerverwaltungsakte sind häufig – so auch hier – als sich ständig
aktualisierende Verwaltungsakte anzusehen, für die sodann verändertes neues Recht
ebenfalls zu beachten ist.
Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 113 Rdnr. 43; Bader u.a., VwGO, 3. Auflage
2005, § 113 Rdnr. 34.
Der Senat legt seiner Entscheidung das im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende
neue Recht zugrunde und geht auf älteres Recht seit 25.1.2002 (Bescheidbekanntgabe)
zusätzlich ein.
Die Klägerin begehrt die Einstufung ihres Produkts als Lebensmittel.
Nach dem ab 7.9.2005 geltenden deutschen Recht werden Lebensmittel in § 2 des
Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches – LFGB – vom
1.9.2005 (BGBl. I S. 2618) wie folgt definiert:
Lebensmittel sind Lebensmittel im Sinne des Artikels 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.
Mit Blick auf älteres Recht galt zwar bis zum 6.9.2005 formell noch die
Lebensmitteldefinition des § 1 I LMBG in der Fassung vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296) mit
folgendem Wortlaut:
Lebensmittel im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe, die dazu bestimmt sind, in
unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand von Menschen verzehrt zu
werden; ausgenommen sind Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen
Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden.
Diese Definitionsvorschrift musste aber bereits seit 21.2.2002 wegen des
Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts unangewendet bleiben. Die Verordnung
(EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002, in Kraft getreten nach Artikel 65 am 21.2.2002, ist
nach Artikel 65 der Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem
Mitgliedstaat. Einer Umsetzung bedurfte es mithin nicht. Das Gemeinschaftsrecht hat
gegenüber dem nationalen Recht einen Anwendungsvorrang.
Vgl. mit näherer Begründung sowohl aus dem Gemeinschaftsrecht als auch aus dem
deutschen Recht mit Blick auf Artikel 23 GG Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 10
EGV Rdnrn. 27 bis 29.
Für die Lebensmitteldefinition ist mithin auszugehen von der Gesamtdefinition (positive und
negative Abgrenzung) nach Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 – im Folgenden
Lebensmittelverordnung -, die insoweit nicht abgeändert worden ist durch die
Änderungsverordnung (EG) Nr. 1642/2003 vom 22.7.2003. Die europäische
Lebensmitteldefinition enthält in Artikel 2 I eine Positivdefinition und in Artikel 2 III eine
Negativdefinition, auf die nacheinander einzugehen ist. Die Positivdefinition in Artikel 2 I
Lebensmittelverordnung lautet:
Im Sinne dieser Verordnung sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu
bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass
sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen
aufgenommen werden.
Wie die Klägerin zu Recht hervorhebt, stellt die europäische Definition nicht mehr wie die
deutsche Definition ausdrücklich auf den Ernährungs- oder Genusszweck ab. Sie ist von
dem europäischen Verordnungsgeber bewusst weit gefasst. Dies ergibt sich ausdrücklich
aus dem Erwägungsgrund 11 der Lebensmittelverordnung, wonach die Definition für ein
hinreichend umfassendes einheitliches Konzept der Lebensmittelsicherheit weit gefasst
werden müsse.
Das Produkt der Klägerin fällt nach der Auffassung des Senats bei der von Amts wegen
vorzunehmenden Prüfung unter die weite europäische Positivdefinition eines Lebensmittels.
Normativ vorausgesetzt sind zunächst einmal „Stoffe“. Das Produkt der Klägerin enthält
ausweislich der in Fotokopie vorgelegten Faltschachtel sowohl nach dem jetzigen Stand von
2005 als auch dem von 2002 als einzigen Inhaltsstoff 400 mg indischen
Weihrauchtrockenextrakt pro Tablette. Weiterhin ist der Stoff dazu bestimmt, in
verarbeitetem Zustand – als Trockenextrakt und mit den Bindemitteln einer Tablette – von
Menschen aufgenommen zu werden. Dies ist der Fall, denn nach der Verzehrempfehlung
soll täglich eine Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit verzehrt werden.
Zugunsten der Klägerin ist damit die weite europäische Positivdefinition der Lebensmittel
erfüllt.
Weiter geht der Senat noch mit Blick auf den Zeitabschnitt Januar/Februar 2002 auf den
Streit der Beteiligten um die engere deutsche Positivdefinition ein, die nach § 1 I des
Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes – LMBG – vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2296)
noch zusätzlich einen Ernährungs- oder Genusszweck verlangt. Die Klägerin hat den
Genusszweck einleuchtend mit drei Gutachten begründet, wonach Weihrauch seit
Jahrtausenden verwendet wird, einen bitterlichen, eigenartigen Geschmack hat, sich für
Gewürzzwecke eignet und ein gesundes, natürliches Gewürz darstellt.
Gutachten von Prof. Dr. Bertram vom 22.2.2001, Behördenakte Bl. 50, im Folgenden
zitiert als Gutachten Bertram, dort S. 1 und S. 4; ebenso das Erstgutachten des Dipl.-
Chemikers Reuss vom 10.1.2001, Behördenakte Blatt 3, im Folgenden zitiert als
Gutachten Reuss, dort S. 1 zu Aromaeffekten und S. 3 zur Gewürzfunktion, sowie
eingehender zu Genusszweck und ernährungsspezifischer Wirkung das weitere Gutachten
des Dipl.-Chemikers Reuss vom 15.6.2003, in der Berufungsakte 3 R 7/05, im Folgenden
zitiert als Zusatzgutachten Reuss.
Der Beklagte hat dem in einer relativ engen Betrachtungsweise entgegengehalten, der
Weihrauch werde nach der Anwendungsvorschrift nicht als Gewürz gestreut und erfülle
insofern nicht den Lebensmittelbegriff. Das überzeugt nicht, denn die deutsche
Lebensmitteldefinition stellt in § 1 I LMBG auf den Verzehr selbst und nicht auf besondere
Formen des Verzehrs wie etwa die Anwendung von Gewürzen nur als Streumittel ab. In
der Kommentierung zur deutschen Lebensmitteldefinition ist anerkannt, dass Stoffe, die
einen spezifischen Geruchs- oder Geschmackswert aufweisen wie Gewürze oder
Aromastoffe, jedenfalls dem Lebensmittelbegriff unterliegen.
Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Band II, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 42, zum
bisherigen deutschen Recht.
Mithin liegt nachweislich ein Aromastoff vor, der auch nach der engeren deutschen
Positivdefinition als Lebensmittel anzusehen ist. Für die weitere europäische Positivdefinition
genügt wie bereits dargelegt bereits die Bestimmung zur Aufnahme durch Menschen.
Genussmittel und Aromastoffe sind von der europäischen Definition ohne Weiteres
umfasst, was sich zusätzlich noch durch die besondere Bestimmung des Artikel 2 II
Lebensmittelverordnung ergibt, wonach Kaugummi – und damit ein Genussmittel -
ausdrücklich zu den Lebensmitteln gerechnet wird.
Vgl. zur deutschen Lebensmitteldefinition Zipfel/Rathke § 1 LMBG Rdnr. 31, wonach
Kaugummi wegen des Genusszwecks ein Lebensmittel darstellt.
Nach allem erfüllt das Produkt der Klägerin nach der Auffassung des Senats die
europäische Positivdefinition eines Lebensmittels, die bereits seit 21.2.2002 gilt, und zuvor
(25.1.-20.2.2002) die deutsche Positivdefinition.
Rein vorsorglich geht der Senat noch auf den Streit der Beteiligten um die derzeitige
europäische Zusatzeinstufung als Nahrungsergänzungsmittel ein. Bereits die dosierte
Abgabe des Produkts in Tablettenform spricht dafür, dass zusätzlich zu der allgemeinen
Lebensmitteldefinition derzeit auch die Positivdefinition eines Nahrungsergänzungsmittels
erfüllt ist. Nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG
vom 10.6.2002 lautet die europäische Positivdefinition wie folgt:
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Nahrungsergänzungsmittel“
Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen und die aus
Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit
ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den
Verkehr gebracht werden, d.h. in Form von z.B. Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und
anderen ähnlichen Darreichungsformen (es folgen weitere Darreichungsformen).
Damit ist im Jahr 2002 erstmals eine gemeinschaftsrechtliche Regelung der
Nahrungsergänzungsmittel erfolgt. Die deutsche Umsetzung ist durch die
Nahrungsergänzungsmittelverordnung vom 24.5.2004 mit Wirkung vom 28.5.2004
erfolgt, die in § 1 eine inhaltsgleiche Definition enthält. Der EuGH hat die
Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie nach dem zutreffenden Hinweis der Klägerin
dahingehend gewürdigt, dass sie eine gewisse Harmonisierung der nationalen
Rechtsvorschriften für die dort definierten Nahrungsergänzungsmittel vornimmt.
EuGH, Lactobact-Urteil Rz 70.
Nahrungsergänzungsmittel müssen sowohl nach der europäischen Definition als nach der
umgesetzten inhaltsgleichen deutschen Definition zunächst einmal Lebensmittel sein.
Insofern ist nach den bisherigen Darlegungen des Senats – allein – die positive
Lebensmitteldefinition erfüllt. Weiter kommt es auf den Nahrungsergänzungszweck an.
Darauf weist die Faltschachtel des Produkts der Klägerin ausdrücklich hin; insofern
bestehen keine Bedenken. Die Frage, ob Weihrauch ein Nährstoff oder ein sonstiger Stoff
ist, ist zwischen den Beteiligten streitig. Ein Nährstoff liegt zwar nicht vor, da das Produkt
keine der nach Artikel 4 I in Verbindung mit Anhang I der
Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie aufgeführten Vitamine und Mineralstoffe enthält und
dies in gleicher Weise für das umgesetzte Recht nach § 3 I und Anlage 1 der deutschen
Nahrungsmittelergänzungsverordnung gilt. Mit sonstigen Stoffen ist nach dem
Erwägungsgrund 6 der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie eine breite Palette von Stoffen
gemeint, die auch Kräuterextrakte einschließt und damit erkennbar auch Aromastoffe. Ein
Aromastoff liegt wie dargelegt vor.
Weiterhin müssen nach der Definition die sonstigen Stoffe eine ernährungsspezifische oder
physiologische Wirkung haben. Mit dem Ausdruck physiologisch sind sprachlich die
Lebensvorgänge im Organismus gemeint.
Duden, Das Fremdwörterbuch, 7. Auflage 2001, Stichwort Physiologie; ebenso im Sinne
der Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen Hunnius, Pharmazeutisches
Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwort Physiologie.
Demgegenüber bezieht sich die ernährungsspezifische Wirkung speziell auf die
Lebensvorgänge bei der Ernährung. Dazu mag die von der Klägerin aufgestellte
Behauptung der Auswirkungen etwa auf den Cholesterin-Haushalt gehören.
Entscheidungserheblich ist das nicht. Ernährungsspezifische Bedeutung kann bereits ein
Stoff mit bitterem Geschmack – wie hier - haben.
Vgl. Zipfel/Rathke, § 1 LMBG Rdnr. 37, dort im Zusammenhang mit der Verwendung von
bitterem Chinin aus ernährungsphysiologischen Gründen.
Die Klägerin hat nunmehr mit der Vorlage des Zusatzgutachtens Reuss einleuchtend
nachgewiesen, dass Weihrauchextrakt aus ernährungsspezifischer Sicht die Lebensmittel
bekömmlicher macht und die Freisetzung von Verdauungssekreten vorbereitet.
Zusatzgutachten Reuss vom 15.6.2003, in der Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 97.
Mindestens liegt aber als physiologische Wirkung die Geschmackswirkung eines
Aromastoffs vor. Das genügt der Richtlinie.
Weiter muss nach Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie und § 1 I
Nr. 3 der deutschen Nahrungsergänzungsmittelverordnung ein Produkt in dosierter Form,
insbesondere in Form von Tabletten vorliegen. Dies trifft auf das Produkt der Klägerin zu.
Nach dem vom Senat gefundenen Zwischenergebnis erfüllt das streitige Produkt der
Klägerin entgegen der Meinung des Beklagten von Anfang an und auch jetzt die
europäische und deutsche Positivdefinition eines Lebensmittels und die europäische
Positivdefinition eines Nahrungsergänzungsmittels seit Erlass der
Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie.
Nach der Positivdefinition ist die Negativdefinition zu beachten.
Die als Verordnung unmittelbar verbindliche europäische Lebensmittelverordnung enthält
neben der positiven Definition der Lebensmittel in Artikel 2 Abs. 3 auch eine
Negativdefinition. Artikel 2 Abs. 3 lit. d lautete:
Nicht zu „Lebensmitteln“ gehören: Arzneimittel im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG (21)
und 92/73/EWG (22) des Rates.
Durch Artikel 128 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83 EG vom 6.11.2001 sind alle
Bezugnahmen auf die bereits aufgehobenen älteren Arzneimittelrichtlinien durch die
Bezugnahme auf die Humanarzneimittelrichtlinie ersetzt. Nicht zu den Lebensmitteln
gehören mithin nach der Norm seit 2001 Arzneimittel im Sinne der
Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83 EG.
Wesentlich ist für die weitere Subsumtion, dass die Negativdefinition allein auf
Gemeinschaftsrecht verweist, die Umsetzung des Arzneimittelbegriffs aus den Richtlinien in
nationales Recht mithin nach der Verordnung für die Negativabgrenzung außer Betracht
bleiben muss.
Die dargelegte europäische Negativabgrenzung zu einem Arzneimittel ist systemgleich für
Lebensmittel im Allgemeinen und für die Untergruppe der Nahrungsergänzungsmittel. Die
Klägerin meint zwar (Schriftsatz vom 6.10.2005), die Untergruppe der
Nahrungsergänzungsmittel sei wegen der besonderen Harmonisierung anders zu beurteilen
als die übrigen Lebensmittel und bezieht dies möglicherweise auch auf die Abgrenzung zu
Arzneimitteln. Die Abgrenzung ist aber für Lebensmittel im Allgemeinen und
Nahrungsergänzungsmittel systemgleich. Dies ergibt sich sowohl aus dem Normvergleich
als auch der Rechtsprechung des EuGH. Die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie
2002/46/EG führt die Negativabgrenzung in Artikel 1 II wie folgt durch:
Diese Richtlinie gilt nicht für Arzneimittel, die in der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines
Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel definiert sind.
Eine „synchrone“ Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln und allgemeinen
Lebensmitteln einerseits gegenüber Arzneimitteln andererseits wird vom Richtliniengeber
zusätzlich dadurch erreicht, dass er in Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie
Nahrungsergänzungsmittel ausdrücklich als Lebensmittel mit näher gekennzeichneten
Eigenschaften definiert, mithin bereits die Lebensmitteldefinition in Artikel 2 der
europäischen Lebensmittelverordnung erfüllt sein muss.
Die normativ angelegte synchrone Abgrenzung wird auch deutlich in dem Lactobact-Urteil
des EuGH vom 9.6.2005. In dem Vorabentscheidungsverfahren ging es in dem
Ausgangsverfahren des OVG Münster um Produkte, die von den Niederlanden nach
Deutschland eingeführt und dort als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht
werden sollten (Lactobact-Urteil Rz. 20). Der EuGH hat in diesem Urteil (Rz. 41 und 42) die
beiden Abgrenzungsregelungen in Artikel 2 Abs. 3 Buchstabe d der Lebensmittelverordnung
und Artikel 1 Abs. 2 der Nahrungsergänzungsrichtlinie synchron behandelt und als
inhaltsgleich angesehen. Für die weitere gemeinschaftsrechtliche Prüfung kommt es ohne
Differenzierung zwischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln mithin nur darauf
an, ob das Produkt der Klägerin gleichzeitig ein Arzneimittel nach dem europäischen
Arzneimittelbegriff ist.
Der Senat prüft nunmehr das Vorliegen eines Arzneimittels. Maßgebend ist dafür das
Gemeinschaftsrecht.
Normativ war der europäische Arzneimittelbegriff von vornherein (seit 1965) doppelt
angelegt und ist es auch jetzt. Arzneimittel sind sowohl Präsentationsarzneimittel als auch
Funktionsarzneimittel.
Vgl. für die ursprüngliche Rechtslage Artikel 1 Nr. 2 Abs. 1 und 2 der
Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965; sodann Artikel 1 Nr. 2 Abs. 1 und
2 der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001; nunmehr in der
geänderten Fassung von Artikel 1 der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004
nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 30.10.2005.
Die beiden Arzneimitteldefinitionen sollen sich nach der Rechtsprechung des EuGH
ergänzen.
Urteil des EuGH Upjohn vom 16.4.1991 – C 112/89 -, Rz. 15 bis 18.
Mit der Definition des Präsentationsarzneimittels, das lediglich als Arzneimittel bezeichnet
ist, sollen nicht nur Arzneimittel erfasst werden, die tatsächlich therapeutische oder
medizinische Wirkung haben, sondern auch die Erzeugnisse, die nicht ausreichend wirksam
sind. Die zweite Definition der Funktionsarzneimittel betrifft Erzeugnisse, die zur
Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt sind und
somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben können. Durch die zweite
Definition sollen auch Stoffe erfasst werden, die Heilungswirkung haben, aber nicht als
Arzneimittel bezeichnet werden. Auf die formelle Zulassung kommt es nach beiden
Definitionen nicht an.
Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das Produkt der Klägerin kein
Präsentationsarzneimittel ist. Bereits auf der im Jahr 2002 verwendeten Faltschachtel
(Fotokopie VG-Akte Bl. 93) wird das Mittel als Nahrungsergänzung bezeichnet mit einer
Verzehrempfehlung. Auf der neuen 2005 verwendeten Faltschachtel (Fotokopie
Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 51) wird das Produkt als Nahrungsergänzungsmittel
bezeichnet und sie enthält den Hinweis, es sei kein vollständiges Lebensmittel und daher
nicht als einzige Nahrungsquelle geeignet. Wesentlich für die Subsumtion ist noch, dass die
Faltschachtel keinerlei Hinweis auf pharmazeutische Forschung enthält oder auf von Ärzten
entwickelte Methoden oder Zeugnisse bestimmter Ärzte zugunsten der Eigenschaften des
Produkts.
Zu diesen Kriterien eines Präsentationsarzneimittels vgl. das Delattre-Urteil des EuGH vom
21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 41.
Auch der Beklagte meint, die Klägerin habe eine Präsentation als Arzneimittel vermieden.
Mithin ist der Ausschluss eines Präsentationsarzneimittels übereinstimmend mit der
Meinung der Beteiligten unproblematisch.
Schwieriger ist die Streitfrage zwischen den Beteiligten zu entscheiden, ob inhaltlich ein
Funktionsarzneimittel vorliegt. Die Klägerin verneint dies für die maßgebende Tagesdosis
von 400 mg Weihrauch, der Beklagte bejaht die Eigenschaft als Funktionsarzneimittel.
Beide haben dafür wissenschaftliche Unterlagen und Gutachten vorgelegt.
Vorweg ist klarzustellen, dass der Inhaltsstoff Weihrauch unstreitig weder in der EG noch in
einem Staat der EG über eine Marktgenehmigung als Arzneimittel verfügt und damit auch
nicht im Ausfuhrland Österreich (vgl. insbesondere Schriftsatz der Klägerin vom 6.10.2005,
S. 4/5, Gerichtsakte 3 R 7/05, Bl. 49/50). Die fehlende Zulassung steht aber der
Einstufung als Funktionsarzneimittel von vornherein nicht entgegen, denn nach der
Rechtsprechung des EuGH müssen Funktionsarzneimittel nicht als Arzneimittel bezeichnet
sein.
EuGH im Upjohn-Urteil vom 16.4.1991, Rz. 18.
Da sie in einer solchen Aufmachung nicht zugelassen werden könnten, ist die Zulassung
schon deshalb kein Definitionselement des Funktionsarzneimittels.
Zum begrifflichen Verständnis des europäischen Funktionsarzneimittels geht der Senat auf
die Normentwicklung ein.
Die ursprüngliche Definition in Artikel 1 Nr. 2 Abs. 2 der Arzneispezialitätenrichtlinie
65/65/EWG vom 26.1.1965 lautete:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am
menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur
Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen
Körperfunktionen angewandt zu werden.
Innerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des streitigen Untersagungsbescheides vom
23.1.2002 galt zunächst die Arzneimitteldefinition nach Artikel 1 Nr. 2 Abs. 2 der
Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 in der ursprünglichen Fassung mit
folgendem Wortlaut:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am
menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung,
Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu
werden, gelten ebenfalls als Arzneimittel.
Dem entspricht im Übrigen die ab 2002 geltende Umsetzung in § 2 I Nr. 5 AMG in der
Fassung vom 20.6.2002 (BGBl. I. S. 2076) mit folgendem Wortlaut:
Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch
Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die Beschaffenheit, den
Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.
Nunmehr wird das europäische Funktionsarzneimittel nach Artikel 1 Nr. 2 Buchstabe b der
Humanarzneimittelrichtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom
31.3.2004 wie folgt definiert:
Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper
verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die
menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische
oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
eine medizinische Diagnose zu erstellen.
Die letztgenannte aktuelle Definition des Funktionsarzneimittels erschließt sich wegen der
zahlreichen medizinischen Fachausdrücke auch bei Hinzuziehung von Fachlexika nicht ohne
weiteres, wird aber durch die dargelegte Normgeschichte und die insbesondere noch
darzulegende Rechtsprechung des EuGH insgesamt verständlicher. Die Definition soll
zunächst wissenschaftsbezogen und alsdann an Hand der Rechtsprechung des EuGH
verständlich gemacht werden.
Nach der aktuellen Definition muss ein Funktionsarzneimittel physiologische Funktionen
wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen. Das Wort Physiologie bezeichnet die
Wissenschaft von den normalen Lebensvorgängen.
Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage 2003, Stichwort Physiologie; Hunnius, Pharmazeutisches
Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwort Physiologie.
Bei der Physiologie geht es wissenschaftsbezogen insbesondere um die physikalischen
Funktionen des Organismus.
Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, Stichwort Physiologie.
Die bereits zitierte ursprüngliche Definition in der Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG
hatte dafür den allgemein verständlichen Ausdruck Körperfunktionen verwendet, der die
Bedeutung auch in der aktuellen Fassung zutreffend wiedergibt. Auch der EuGH verwendet
in einem neueren Urteil von 2004 noch den Ausdruck Körperfunktionen mit Blick auf
Funktionsarzneimittel.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58.
Nach der neuesten Definitionsfassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG wird die Art der
Beeinflussung noch präzisiert. Es muss sich um eine pharmakologische, immunologische
oder metabolische Wirkung handeln. Bei der Immunologie geht es um die Erkennungs- und
Abwehrmechanismen des Organismus gegenüber körperfremden Substanzen und
metabolisch bedeutet den Stoffwechsel betreffend.
Beide Definitionen aus Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004,
Stichwörter Immunologie und metabolisch.
Fallbezogen von Bedeutung ist nur die pharmakologische Wirkung eines Stoffes. Aus
wissenschaftlicher Sicht ist unter Pharmakologie die Lehre von den Wechselwirkungen
zwischen Arzneistoffen und Organismus zu verstehen einschließlich dem Untergebiet
Toxikologie.
Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwort Pharmakologie.
Die Pharmakologie betrifft ambivalent sowohl die Heilwirkung als auch die Giftwirkung eines
Stoffes. Auch die Klägerin bezieht in ihrem Schriftsatz vom 6.12.2005 die toxische
Dosierung in die pharmakologische Wirkung ein. Aus wissenschaftlicher Sicht bedeutet ein
Pharmakon einen körperfremden oder körpereigenen Stoff, der nach Aufnahme im Körper
oder an dessen Oberfläche erwünschte oder schädliche Wirkungen hervorruft.
Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwort Pharmakon.
Aus der Sicht der Pharmakologie wirken viele Pharmaka dosisabhängig entweder als
Arzneimittel oder als Gift.
Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Auflage 2004, Stichwort Pharmakon.
Quantitativ wird das in der Dosis-Wirkungs-Kurve erfasst.
Hunnius, Stichwort Dosis-Wirkungs-Kurve.
Bei diesem wissenschaftlichen Verständnis umfasst das Funktionsarzneimittel mit seiner
pharmakologischen Wirkung nicht nur den Bereich einer positiven, therapeutischen
Beeinflussung der Körperfunktionen, sondern auch den Bereich einer negativen, schädlichen
Beeinflussung der Körperfunktionen. Kurz gesagt umfasst ein Funktionsarzneimittel positive
und negative Auswirkungen auf die Gesundheit.
Das dargelegte wissenschaftsbezogene Verständnis der Definition entspricht auch dem
praktischen Verständnis der europäischen Definition nach der Rechtsprechung des EuGH.
Der EuGH hat in einer neueren Entscheidung vom 29.4.2004 – C – 387/99 – betreffend
Vitaminpräparate, Rz. 58, eine allgemein verständliche Definition des europäischen
Funktionsarzneimittels gegeben:
Für die Einstufung eines Erzeugnisses als Arzneimittel nach der Funktion müssen sich die
Behörden daher vergewissern, dass es zur Wiederherstellung, Besserung oder
Beeinflussung der Körperfunktionen bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die
Gesundheit im Allgemeinen haben kann.
Aus demselben Urteil des EuGH vom 29.4.2004 ergibt sich auch, dass er die
Auswirkungen auf die Gesundheit ambivalent, als sowohl positiv als auch negativ versteht,
da er im Rz. 56 die positive Wirkung der Vitamine zu therapeutischen Zwecken und in Rz.
60 die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Gesundheit einschließlich etwaiger
Schädlichkeitsgrade anspricht.
Die ambivalenten heilenden oder schädigenden Gesundheitswirkungen machen wie
dargelegt die Besonderheit eines Pharmakons aus. Auf der Normebene hat erst die
Änderungsrichtlinie 2004/27/EG die pharmakologische Wirkung ausdrücklich in die Definition
des Funktionsarzneimittels aufgenommen. Damit hat der Richtliniengeber aber kein
Neuland betreten, sondern die bisherige Rechtsprechung des EuGH übernommen, der in
ständiger Rechtsprechung auf die pharmakologischen Eigenschaften des abzugrenzenden
Produkts abstellt.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 – betreffend Vitaminpräparate Rz. 62; Upjohn
Urteil vom 16.4.1991 – C – 112/89 -, Rz. 23, 24; Delattre-Urteile vom 21.3.1991 – C –
369/88 -, Rz. 26.
Die pharmakologischen Eigenschaften des Produkts werden damit als wesentlicher
Gesichtspunkt für die Abgrenzung betrachtet. In der Rechtsprechung des EuGH drücken die
pharmakologischen Eigenschaften zusammenfassend das aus, was mit der Beeinflussung
der Körperfunktionen und somit Auswirkungen auf die Gesundheit konkreter umrissen ist.
Deutlich wird der Zusammenhang insbesondere in dem Urteil Upjohn vom 16.4.1991 – C –
112/89 -, Rz. 17-24, in dem zunächst die Beeinflussung der Körperfunktionen mit
Auswirkungen auf die Gesundheit dargelegt wird (Rz. 17), im Folgenden die Beeinflussung
der Körperfunktionen näher erläutert wird (Rz. 19-22) und im unmittelbaren Anschluss
daran (Rz. 23 und 24) zusammenfassend entschieden wird, dass das nationale Gericht auf
die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses abstellen muss.
Übereinstimmend mit der bisherigen Rechtsprechung definiert der EuGH in seinem
Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 52, den Rechtsprechungsbegriff der
pharmakologischen Eigenschaften wirkungsbezogen wie folgt:
Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, auf dessen
Grundlage die mitgliedstaatlichen Behörden ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten
dieses Erzeugnisses zu beurteilen haben, ob es im Sinne des Artikels 1 Nr. 2 Abs. 2 der
Richtlinie 2001/83 dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer
ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der
menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden.
Die dargelegte Definition der pharmakologischen Eigenschaften klingt etwas kompliziert,
fasst aber nur die bisherige Rechtsprechung zusammen, wonach der Begriff der
pharmakologischen Eigenschaften konkret die Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zur
Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen
Funktionen (Körperfunktionen) bedeutet. Die pharmakologischen Eigenschaften
entsprechen also den pharmakologischen Wirkungen im Sinne des neuen Rechts.
Nach dem dargelegten Gesamtzusammenhang ist der bisherige Rechtsprechungsbegriff
der pharmakologischen Eigenschaften von dem Richtliniengeber in der Änderungsrichtlinie
2004/27/EG in Form einer pharmakologischen Wirkung in den Normtext aufgenommen
worden. Die im Jahr 2004 geänderte Definition des Funktionsarzneimittels führt mithin nicht
zu einer substanziellen Rechtsänderung.
In der Substanz der europäischen Arzneimitteldefinition geht es nach wie vor darum, ob ein
Produkt zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der Körperfunktionen
bestimmt ist und somit Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen haben kann.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, betreffend Vitaminpräparate, Rz. 58.
Klar zu unterscheiden von der Auslegung der europäischen Normen, die der EuGH
vorgenommen hat, ist die Rechtsanwendung. Im Lactobactfall des EuGH zielte die
Vorlagefrage 1 a des OVG Münster, vgl. in der Wiedergabe des EuGH Urteil vom 9.6.2005
– C – 211/03 -, Rz. 25, unmittelbar auf die Feststellung, ob das Produkt Lactobact
Lebensmittel oder Arzneimittel ist mit gegebenenfalls Verbindlichkeit für alle
Mitgliedstaaten. Der EuGH hat in dem Lactobact-Urteil (Rz. 96) mit Blick auf die klare
Aufgabentrennung zwischen nationalen Gerichten und Gerichtshof klargestellt, dass er im
Vorlageverfahren nicht befugt ist über den Sachverhalt zu entscheiden und dass es
vielmehr Sache des vorlegenden Gerichts ist, die Einstufung selbst vorzunehmen (Rz. 97).
Ungeachtet dessen hat der EuGH in dem Lactobact-Urteil sowie schon zuvor
Rechtsanwendungshinweise gegeben, die sich im Sinne einer Vollständigkeitsanforderung
zusammenfassen lassen. Bei der Beurteilung eines Erzeugnisses müssen die Behörden
(Lactobact-Urteil Rz. 51), alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung,
seine pharmakologischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der
Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner
Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine
Verwendung mit sich bringen kann, berücksichtigen.
Zur Klarstellung weist der Senat aber darauf hin, dass die Berücksichtigung sämtlicher
Merkmale nicht deren Gleichrangigkeit bedeutet. Während die Wirkungen des Produkts auf
die Körperfunktionen und damit die Gesundheitsauswirkungen als pharmakologische
Eigenschaften schon definitionsgemäß wesentliche Bedeutung haben, hat der EuGH im
Lauf seiner Rechtsprechung die Bedeutung der anderen Merkmale zu Hilfsmerkmalen
herabgestuft. So hat er entschieden, dass etwa die äußere Form des Produkts kein allein
ausschlaggebendes Indiz ist und die Modalitäten des Gebrauchs ein nicht an sich
ausschlaggebender Umstand sind.
Vgl. zum Ersteren Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 38 und zum
Letzteren Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 31.
Weiterhin hat eine unterschiedliche Verbreitung und Verbraucherbekanntheit des Produkts
als Arzneimittel oder Lebensmittel in verschiedenen Mitgliedstaaten keine unmittelbar
ausschlaggebende Wirkung, da der EuGH die unterschiedliche Einstufung von Erzeugnissen
als Arzneimittel oder Lebensmittel in verschiedenen Mitgliedstaaten als rechtlich zulässig
betrachtet.
EuGH im Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 56.
Nach der BGH-Rechtsprechung haben für die Produkteinstufung nach dem
gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff Werbeangaben in Zeitschriften verglichen mit
den pharmakologischen Wirkungen keine ausschlaggebende Bedeutung.
BGH, Urteil vom 11.7.2002 – I ZR 273/99 -, Juris-Ausdruck Rz. 23.
Der BGH gewichtet die pharmakologische Wirkung der Präparate deutlich stärker als die
Verbraucherkenntnisse aus den Medien, was auch dem Sinn der EuGH-Rechtsprechung
entspricht. Der EuGH schließt nicht aus, dass ein Produkt im Verkehr im Allgemeinen als
Lebensmittel angesehen wird, aber dennoch ein Arzneimittel im Sinne des europäischen
Rechts ist.
EuGH, Urteil Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 21.
Die allgemeine Verkehrsauffassung ist also nicht ausschlaggebend.
Damit sind die Grundlagen der Einstufung eines Produkts als europäisches
Funktionsarzneimittel geklärt.
Auf der dargelegten Grundlage bedarf es einer konkreten Prüfung, ob das Produkt der
Klägerin ein Funktionsarzneimittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts ist.
Der Senat nimmt diese Prüfung von Amts wegen vor, worauf die Beteiligten in der
mündlichen Verhandlung hingewiesen worden sind. Dabei sind die von den Beteiligten
vorgelegten wissenschaftlichen Unterlagen und Gutachten gleichrangig heranzuziehen.
Nach der vom EuGH geforderten Berücksichtigung aller Merkmale des Produkts ist
zunächst die Zusammensetzung zu betrachten. Ausweislich der fotokopierten
Faltschachteln von 2002 und 2005 (VG-Akte Bl. 93/94 und OVG-Akte 3 R 7/05 Bl. 51)
besteht das Mittel abgesehen von hier nicht interessierenden Tablettenhilfsstoffen nur aus
einem Inhaltsstoff, nämlich indischem Weihrauchtrockenextrakt von 400 mg pro Tablette;
die Verzehrempfehlung lautet:
Täglich 1 Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit verzehren.
Die neue Faltschachtel von 2005 enthält zusätzlich den Hinweis, dass die täglich
empfohlene Verzehrempfehlung nicht überschritten werden soll. Aus der
Verzehrempfehlung ergibt sich zugleich, dass der Inhaltsstoff im menschlichen Körper
verwendet werden soll.
Sodann sind im Sinne des EuGH Prüfungsschwerpunkt die pharmakologischen
Eigenschaften des Inhaltsstoffs Weihrauch. Es kommt darauf an, ob Weihrauchextrakt
physiologische Funktionen beeinflusst, und zwar durch eine pharmakologische Wirkung. Wie
bereits dargelegt bedeutet die Prüfung einfacher ausgedrückt, ob Weihrauchextrakt
Körperfunktionen beeinflusst mit positiven oder negativen Auswirkungen auf die
Gesundheit.
Nach den dem Senat vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Gutachten
zum Wirkstoff Weihrauch handelte es sich ursprünglich um ein traditionelles Mittel in Indien.
Vgl. umfassend die auf Anregung der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker
(AMK) durchgeführte Veröffentlichung von Privatdozent Safayhi und Prof. Dr. Ammon,
Pharmakologische Aspekte von Weihrauch und Boswelliasäuren, im Folgenden zitiert als
Safayhi/Ammon, in: Sonderdruck der Pharmazeutischen Zeitung Nr. 39, 142. Jahrgang
1997, S. 1 ff., dort S. 1 und S. 2; weiter Ammon Kurzbericht, Salai-Guggal – (Indischer
Weihrauch), Gummiharz aus Boswellia serrata, in: Deutsches Ärzteblatt 95, Januar 1998,
S. A-30 ff, im folgenden zitiert als Kurzbericht Ammon, dort S. A-30; zur traditionellen
therapeutischen Verwendung in Asien und zur Herstellung des Therapeutikums in Indien;
vgl. das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. Bertram vom 22.2.2001 zur
pharmakologischen Wirkung von Weihrauch, im Folgenden zitiert als Gutachten Bertram,
dort S. 1 und S. 2.
Der Klägerin ist zuzustimmen, dass die Zuordnung eines Produkts zur traditionellen
Ayurveda-Medizin ganzheitlich auch im Sinne einer gesunden Lebensweise mit geeigneten
Lebensmitteln zu verstehen sein kann und für sich genommen nicht eine pharmakologische
Wirkung nach modernen Wissenschaftsmaßstäben indiziert, vgl. zum ganzheitlichen
Konzept der Ayurveda (Wissen vom Leben) Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage 2003,
Stichwort Ayurveda.
Die pharmakologischen Wirkungen der Hauptinhaltsstoffe von Weihrauch wurden indes in
jüngster Zeit wissenschaftlich erforscht, und zwar in Untersuchungen ab 1986.
Gutachten Bertram, S. 1, und Jahreszahl bei Safayhi/Ammon, S. 2.
Das Hauptergebnis der bisherigen Forschung liegt nach der Angabe von Fachlexika sowie
nach den von beiden Beteiligten vorgelegten wissenschaftlichen Unterlagen und Gutachten
darin, dass Weihrauchextrakt mit seinem Gehalt an Boswelliasäuren Entzündungsprozesse
beeinflusst.
Safayhi/Ammon, mit ausführlicher Darlegung der Entzündungsmodelle, S. 2 – S. 5;
Kurzbericht Ammon, S. A-30; Gutachten Bertram, S. 2, wobei die Bezeichnung
antiphlogistische Wirkungen entzündungshemmende Wirkungen bedeutet; Roche Lexikon
Medizin, 5. Aufl. 2003, Stichwort Boswellia serrata, mit Hinweis auf die nachgewiesene
Wirkung bei den Entzündungskrankheiten Colitis ulcerosa und Enteritis regionalis (Crohn-
Krankheit) sowie unterstützend bei Polyarthritis; zurückhaltender im Sinne zugeschriebener
Wirkungen bei Entzündungskrankheiten Hunnius, Pharmazeutisches Wörterbuch, 9. Aufl.
2004, Stichwort Boswellia serata unter Weiterverweisung auf das Stichwort Boswellia
bhaw-dajiana; zurückhaltend ebenfalls das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Reuss, S.
1, wonach Weihrauch nach vorliegenden wissenschaftlichen Publikationen eine arzneiliche
Wirkung haben soll und es (S. 2) für entzündliche Erkrankungen einen therapeutisch
beanspruchten Anwendungsbereich gibt, positiv Bertsche/Schulz, Kurzbewertung, 2002,
Berufungsakte 3 R 7/05 Bl. 71 R.; ebenso Gupta u.a., 2001, Zusammenfassung einer
Forschungsarbeit zur Colitis, Berufungsakte 3 R 7/05, Bl. 75.
Die bei chronischen Entzündungen ablaufenden soweit hier einschlägigen Körperprozesse
sind bei Safayhi/Ammon S. 2 und 3, als Kausalketten im Sinne eines Entzündungsmodells
zusammengefasst. Danach ist die 5 – Lipoxygenase das Schlüsselenzym der
Leukotrienbiosynthese. Die Produkte der 5 – Lipoxygenase, die Leukotriene, sind
hochwirksame Mediatoren (Förderer) chronischer Entzündungen. Pharmazeutisch gesucht
zur Entzündungsbekämpfung werden mithin Inhibitoren (Hemmstoffe), die bereits das
Schlüsselenzym, die 5 – Lipoxygenase, hemmen. Solche Hemmstoffe sind zwar in der
Forschung bekannt, haben aber regelmäßig reduzierende oder oxidierende Eigenschaften
und wirken sich deshalb toxisch aus. Pharmazeutisch gesucht werden deshalb Inhibitoren
der chronischen Entzündungen mit besserer Verträglichkeit. Die Boswelliasäuren –
chemisch Triterpene - als Inhaltsstoffe des Weihrauchs erweisen sich nach den
Forschungsergebnissen als nicht reduzierende oder oxidierende und insofern einmalige
Hemmstoffe der Leukotriensynthese und damit chronischer Entzündungen
(Safayhi/Ammon S. 4 mit einem Diagramm). Der bei Safayhi/Ammon eingehend dargelegte
Wirkungsmechanismus der Leukotrienhemmung wird in anderen wissenschaftlichen
Veröffentlichungen und im Gutachten Bertram der Klägerin kurz dargestellt oder erwähnt.
Kurzbericht Ammon, a.a.O., S. A-31; Kurzbewertung Bertsche/Schulz, S. 1; das von der
Klägerin vorgelegte Gutachten Bertram, S. 2/3; zurückhaltend Hunnius, Pharmazeutisches
Wörterbuch, Stichwort Boswellia serrata unter Weiterverweisung auf Boswellya bhaw-
dajiana, positiv Bertsche/Schulz, S. 1; Gupta u.a., Zusammenfassung S. 1.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Boswelliasäuren, allerdings in wesentlich höheren
Konzentrationen, auch zur Behandlung von Hirnödemen bei Tumoren eingesetzt werden.
Safayhi/Ammon, S. 7, dort zu einer täglichen Dosis von 3600 mg, Bertsche/Schulz, S. 2:
mindestens 3600 mg.
Begrenzt auf die Behandlung von Ödemen bei Gehirntumoren und damit auf diesen hoch
dosierten Anwendungsbereich ist der vorgelegte Bescheid der Europäischen Kommission
vom 21.10.2002 (Berufungsakte Bl. 69 R) ergangen, der Weihrauchextrakt als
potenzielles Arzneimittel für diese seltene Krankheit ausweist; auf die Rechtswirkung dieses
Bescheides ist noch einzugehen.
Vorliegend ist wesentlich, dass Weihrauchextrakt abgesehen von diesem seltenen
Anwendungsbereich ganz allgemein Entzündungen beeinflusst.
Der dargelegte Wirkungsmechanismus bei Entzündungen bedeutet im Sinne der Definition
des EuGH, dass die Körperfunktionen beeinflusst werden, und zwar mit Auswirkungen auf
die Gesundheit. Chronische Entzündungen werden mit positiver Gesundheitswirkung
gehemmt. Bei dem Eingriff in die bei Entzündungen ablaufenden Körperprozesse handelt es
sich um eine pharmakologische Wirkung hier im Sinne einer positiven therapeutischen
Einwirkung. Eine pharmakologische Wirkung von Weihrauch wird in der Veröffentlichung von
Safayhi/Ammon (S. 8) ausdrücklich bejaht. Auch das von der Klägerin selbst vorgelegte
Gutachten Bertram gibt an, dass die pharmakologischen Wirkungen der Hauptinhaltsstoffe
von Weihrauch erst in jüngster Zeit systematisch beforscht wurden (S. 1), weist auf
antientzündliche Wirkungen hin und gibt dazu den wahrscheinlichen Wirkmechanismus an
(S. 2).
Damit ist aber nach den vorliegenden Forschungsergebnissen die Wirkung von
Weihrauchextrakt auf Entzündungsprozesse noch nicht erschöpft. Weihrauchextrakt kann
auch den umgekehrten Effekt haben, dass er – nunmehr in niedriger Konzentration –
Entzündungsprozesse fördert. Die pharmakologische Wirkung soll vom Sinn her - dem
Gesundheitsschutz des Verbrauchers - die ambivalenten Gesundheitswirkungen insgesamt
erfassen. Insofern greift die Argumentation der Klägerin zu kurz, die negative
Gesundheitsauswirkungen nur bei Überdosierung, nicht bei Unterdosierung in den Blick
nimmt. Ergeben wie hier beim Weihrauchextrakt Forschungsergebnisse eine negative
Gesundheitsauswirkung ausnahmsweise bei Unterdosierung, muss sie zum
Gesundheitsschutz auch rechtlich als pharmakologische Wirkung beachtet werden.
Das „Umkippen“ der Wirkung erklärt sich aus der chemischen Vielfalt von
Weihrauchextrakt. Es gibt keinen einheitlichen Wirkstoff Boswelliasäure, sondern
unterschiedliche Boswelliasäuren mit unterschiedlichen pharmazeutischen Wirkungen.
Bertsche/Schulz, S. 1; konkreter zu den unterschiedlichen Boswelliasäuren und ihren
Wirkungen vgl. bei Safayhi/Ammon, S. 4, die Tabelle 1; zum Gehalt von indischem
Weihrauch an pentazyklischen (fünfringigen) Triterpensäuren und tetrazyklischen
(vierringigen) Triterpensäuren Gutachten Bertram, S. 2.
Wesentlich ist das Zusammenwirken der Inhaltsstoffe, die auch antagonistisch (im Sinne
der Gegenwirkung) wirken können.
Safayhi/Ammon S. 5 und S. 8, Bertsche/Schulz, S. 1.
Eine hinreichend starke Gegenwirkung bedeutet konkret, dass Weihrauchextrakt dann die
Leukotriensynthese und damit den chronischen Entzündungsprozess verstärkt. Gerade für
einen solchen Umkehreffekt liegen Forschungsergebnisse vor.
Schlusswort Ammon als Ergänzung des Kurzberichts in: Deutsches Ärzteblatt 95, Oktober
1998, S. A-2482, im Folgenden zitiert als Schlusswort Ammon; ebenso als
Forschungsergebnis berücksichtigt in dem von der Klägerin selbst vorgelegten Gutachten
Bertram vom 22.2.2001, S. 3; Bertsche/Schulz, S. 1.
Verantwortlich gemacht für den Umkehreffekt werden die Tirucallsäuren.
So als positive Feststellung Bertsche/Schulz, S. 1; als Möglichkeit Gutachten Bertram, S. 3.
Konsequenterweise sehen Bertsche/Schulz die im Weihrauchextrakt enthaltenen
Tirucallsäuren als pharmakologisch wirksame Substanzen an.
Bertsche/Schulz, S. 1.
Die Tirucallsäuren wirken bereits bei niedriger Dosierung des Stoffgemischs, die
Boswelliasäuren erst bei höherer Dosierung.
In dem zitierten Schlusswort von Ammon (S. A-2482) wird nochmals hervorgehoben, dass
Weihrauchextrakte nicht eine einzelne Wirksubstanz enthalten, sondern ein Gemisch von
Wirksubstanzen mit nicht einheitlichem Wirkungsmechanismus. Sodann ist ausgeführt,
dass die richtige Dosierung eine wesentliche Rolle spielt. Das räumt auch die Klägerin ein.
Danach heißt es wörtlich:
Bei niedriger Dosierung eines Extraktes kann es sogar zu einer Stimulierung der
Leukotriensynthese kommen.
Wie bereits dargelegt bedeutet die Stimulierung der Leukotriensynthese auch eine
Verstärkung der chronischen Entzündungsprozesse und damit eine pharmakologisch
negative Wirkung. Das von der Klägerin selbst vorgelegte Gutachten Bertram, S. 3,
bestätigt dieses Forschungsergebnis, dass in niedriger Dosierung die Bildung von 5 –
Lipoxygenaseprodukten erhöht sein kann und fügt hinzu, diesem Befund müsse weiter
nachgegangen werden. Die im Gutachten Bertram genannten 5 – Lipoxygenaseprodukte
sind gerade die Leukotriene und fördern als Mediatoren chronische Entzündungen.
Ausführlich zu der gesamten Kausalkette Safayhi/Ammon, S. 3, und kurz
zusammengefasst Gutachten Bertram, S. 2.
Das einleuchtend mit der antagonistischen Wirkung und damit mit der Wirkung einzelner
Wirkstoffe des Stoffgemischs Weihrauch – Tirucallsäuren - erklärte Forschungsergebnis
muss bei den pharmakologischen Wirkungen von Weihrauch beachtet werden.
Die vom Senat aus Verständnisgründen zunächst nur qualitativ dargelegte
pharmakologische Wirkung bedarf mit Blick darauf, dass das Produkt der Klägerin eine
Tagesdosis von 400 mg Weihrauch in Form einer Tablette empfiehlt, nun auch einer
quantitativen Darlegung. Von dieser empfohlenen Menge – die nach der neuen
Packungsangabe auch nicht überschritten werden soll – ist vernünftigerweise auszugehen.
Die von dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in seiner Stellungnahme
vom 29.9.2005 erwähnte Möglichkeit einer Mehrfacheinnahme würde im Grunde jede
Dosierungsvorschrift bei anerkannten Arzneimitteln entwerten und überzeugt schon
deshalb nicht. Die Kritik der Klägerin an dieser Stellungnahme trifft zu.
Nach den vorliegenden Forschungsergebnissen ist das quantitative Spektrum
pharmakologischer Wirkungen (positiv und negativ) des Weihrauchs relativ weit. Nach
übereinstimmenden Feststellungen von Safayhi/Ammon, S. 7, und dem Bertramgutachten,
S. 3, werden insbesondere Tumorpatienten mit der hohen Tagesdosis von 3600 mg
Weihrauch-Trockenextrakt in wissenschaftlichen Studien behandelt. In diesem hoch
dosierten Bereich ist auch der positive Bescheid der Europäischen Kommission vom
21.10.2002 zur Ausweisung als Forschungsarzneimittel ergangen. Die Grenze guter
Verträglichkeit von Weihrauchextrakt liegt in der Regel bei 1200 mg pro Tag, während
hohe Dosen von 3600 mg pro Tag zu Nebenwirkungen führen können.
Safayhi/Ammon, S. 7, zu relativ seltenen Nebenwirkungen Bertsche/Schulz, S. 2.
Für die im vorliegenden Rechtsstreit erhebliche Hauptwirkung von Weihrauch, die
antientzündliche Wirkung, wird nach den im Wesentlichen übereinstimmenden
Veröffentlichungen und Gutachten eine Tagesdosis von ungefähr 800 bis 1600 mg
verabreicht.
So Gutachten Reuss vom 10.1.2001, S. 2, mit Blick auf die publizierten Studien; ähnlich
Safayhi/Ammon mit der Tagesdosis von 800 bis 2000 mg in einer Pilotstudie (S. 5) und der
Verabreichung von 1050 mg bei Colitis ulcerosa (S. 7); das Gutachten Bertram kommt
allerdings unter Einschluss der sehr hohen Dosierungen bei Tumorpatienten (S. 3) zu einer
höheren pharmakologischen Dosis zwischen insgesamt 900 und 3600 mg am Tag (S. 4);
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 29.9.2005: ab 900 mg;
Bertsche/Schulz, S. 1 und 2: 900 mg bei Asthma, mindestens 3600 mg bei Ödemen.
Eine positive Wirkung auf Entzündungen ist nach dem Forschungsstand, wie er dem Senat
aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich ist, mithin ungefähr bei einer Tagesdosis von
800 bis 1600 mg gegeben.
Von der regelmäßigen pharmakologischen Tagesdosis von 800 bis 1600 mg ist der tiefer
liegende untere Dosisbereich bei Weihrauch zu unterscheiden. Den unteren Dosisbereich
siedelt das Gutachten Bertram bei einer Tagesdosis unter 500 mg an, wie sie hier vorliegt.
Gutachten Bertram vom 22.2.2001, S. 1 (unterer Dosisbereich) im Zusammenhang mit
S. 4 (Tagesdosis unter 500 mg).
Da die Untergrenze des positiven therapeutischen Einsatzes von Weihrauchextrakt nach
den vorliegenden Veröffentlichungen und Gutachten wie dargelegt bei 800 bis 900 mg
Tagesdosis liegt, ist die Hälfte der Untergrenze (ca. 450 mg) sicherlich als niedrige
Dosierung anzusehen.
Gerade bei einer niedrigen Dosierung von Weihrauchextrakt kommen nach den
dargelegten Forschungsergebnissen aber die antagonistischen Wirkungen des
Stoffgemischs aus Boswelliasäuren und Tirucallsäuren zur Geltung. Das
Forschungsergebnis der Stimulierung der Leukotriensynthese und damit der Verstärkung
von Entzündungsprozessen betrifft den Fall der niedrigen Dosierung des
Weihrauchextraktes.
Übereinstimmend Schlusswort Ammon, S. A-2482, Gutachten Bertram, S. 3, und
Bertsche/Schulz, S. 1 und 2.
Die dem Gericht vorliegenden Forschungsunterlagen und Gutachten enthalten keine
Gegenfeststellung, die dieser antagonistischen Wirkung konkret widerspricht.
Konsequenterweise kommen Bertsche/Schulz (S. 1) zu dem Ergebnis, dass die im
Weihrauchextrakt enthaltenen Tirucallsäuren als Verursacher des Umkehreffekts in
niedriger Konzentration des Weihrauchextrakts pharmakologisch wirksame Substanzen
sind.
Diese Konsequenz ziehen die von der Klägerin selbst vorgelegten Gutachten zwar nicht. Die
von der Klägerin vorgelegten Gutachten Bertram und Reuss kommen nur deshalb zum
Ausschluss einer pharmakologischen Wirkung in niedriger Dosis, weil sie die maßgebende
pharmakologische Wirkung auf die therapeutische Wirkung einengen.
Das Gutachten Reuss (S. 2) nimmt von vornherein nur den therapeutisch beanspruchten
Anwendungsbereich in den Blick und schließt die therapeutisch verstandene
pharmakologische Wirkung bei einer niedrigen Dosis von 30 % beziehungsweise 50 % der
üblichen Dosis aus. Nichts anderes gilt für das Gutachten Bertram (S. 4). Die Bewertung
der Dosisbereiche wird mit Blick auf den ausdrücklich angeführten therapeutischen Erfolg
vorgenommen, und insoweit einer Tagesdosis unter 500 mg keine pharmakologische
Wirkung mehr beigemessen. Nur bei dieser aus dem Gutachtentext ersichtlichen
Auslegung bleibt das Gutachten widerspruchsfrei, denn der Gutachter Bertram hat bei der
Betrachtung des Wirkmechanismus durchaus gesehen (S. 3), dass bei niedrigerer
Dosierung die Bildung von Entzündungsverstärkern erhöht sein kann.
Nach allem ist ersichtlich, dass beide von der Klägerin vorgelegten Gutachten Bertram und
Reuss nur den therapeutisch beanspruchten Anwendungsbereich bei niedriger Dosierung
ausschließen. Eine positive Wirkung fehlt nach den Gutachten in diesem Bereich und eine
negative Wirkung wird ausgeblendet.
Entscheidend sind aber die Forschungsergebnisse über einen Umkehreffekt bei niedriger
Dosis. Die Hauptwirkung auf Entzündungsprozesse kehrt sich um. Diese
Forschungsergebnisse werden in den vorliegenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen
und Gutachten an keiner Stelle konkret angegriffen. Die Forschungsergebnisse sind auch
mit Blick auf den dargelegten antagonistischen Effekt des Stoffgemischs für das Gericht
einleuchtend nachvollziehbar und überzeugend. Die Tirucallsäuren wirken bereits bei
niedriger Dosierung des Stoffgemischs, die Boswelliasäuren erst bei höherer Dosierung.
Mithin besteht zwischen den Gutachten und den wissenschaftlichen Veröffentlichungen
insgesamt kein konkreter fachlicher Widerspruch, der die Einholung eines Obergutachtens
durch den Senat bei der von Amts wegen durchgeführten Prüfung aufdrängen würde.
Nach der dargelegten Würdigung hat das Wirkstoffgemisch Weihrauch bei einer
Gesamtbetrachtung der positiven und negativen pharmakologischen Wirkungen ein weites
Spektrum der pharmakologisch wirksamen Tagesdosis.
Eine hohe Tagesdosis von etwa 3600 mg entspricht der Ödembehandlung von
Tumorpatienten und ist Gegenstand einer europäischen Ausweisung als
Forschungsarzneimittel.
Die positive pharmakologische Wirkung im Sinne einer Therapie von Entzündungen besteht
in einem Dosisbereich etwa zwischen 800 und 1600 mg Tagesdosis.
Bei einer niedrigen Tagesdosis von 400 bis 500 mg gibt es unwidersprochene
Forschungsergebnisse im Sinne einer Verstärkung von Entzündungen insbesondere durch
Tirucallsäuren und damit einer negativen pharmakologischen Wirkung. Eine
Gesundheitsgefahr ist hier dem Grunde nach zu bejahen. Mit Blick auch auf die
antagonistischen Wirkungen kommt auch die wissenschaftliche Veröffentlichung
Safayhi/Ammon (S. 8) zu dem Ergebnis, von einer freizügigen Abgabe von Weihrauch sei
abzuraten. Bertsche/Schulz warnen mit Blick auf den Umkehreffekt vor nicht ausreichend
hoher Dosierung und befürworten sogar die Hochdosierung von 3600 mg.
Bertsche/Schulz, S. 2.
Daran gemessen fällt die tägliche Einnahme von 400 mg Weihrauchextrakt erkennbar in
den zu vermeidenden niedrigen Dosisbereich.
Nach allem ist eine Beeinflussung von Körperfunktionen mit pharmakologischer Wirkung
und damit positiven oder negativen Auswirkungen auf die Gesundheit für Weihrauchextrakt
nicht nur in hohen, sondern auch in niedrigen Tagesdosen wie hier von 400 mg aufgrund
der Forschungsergebnisse zu bejahen.
Gesundheitsgefahren sind bei einem Funktionsarzneimittel in jedem Fall zu berücksichtigen.
EuGH, Urteil vom 9.6.2005 - C-211/03 -, Rz. 53, dort als eigenständiger Faktor
hervorgehoben.
Die bereits dargelegte gemeinschaftsrechtliche Definition des Funktionsarzneimittels in der
Arzneimittelrichtlinie ist erfüllt, da eine Beeinflussung physiologischer Funktionen durch
pharmakologische Wirkungen nach dem Forschungsstand zu bejahen ist. Weihrauch hat die
pharmakologische Wirkung, dass er die Körperfunktionen bei Entzündungsprozessen mit
Auswirkungen auf die Gesundheit beeinflusst.
Mit der Betrachtung der pharmakologischen Eigenschaften des Wirkstoffs in dem streitigen
Produkt der Klägerin ist die Subsumtion erst im Schwerpunkt abgeschlossen.
Wie dargelegt bedarf es nach der Rechtsprechung des EuGH für die Einstufung eines
Produkts der Berücksichtigung aller seiner Merkmale. Dazu gehören über die geprüfte
Zusammensetzung, die pharmakologischen Eigenschaften und die Risiken hinaus noch die
Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung und die Bekanntheit bei den
Verbrauchern.
EuGH im Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 51.
Mithin sind noch diese Hilfsmerkmale nachfolgend zu berücksichtigen.
Zu beginnen ist mit den Modalitäten des Gebrauchs. Nach der Anweisung auf der
Faltschachtel ist täglich eine Tablette nach dem Essen mit etwas Flüssigkeit zu verzehren.
Darin liegt einerseits die für Arzneimittel übliche Einnahme, andererseits werden nach
Artikel 2 Buchstabe a der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG
Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls in dosierter Form unter anderem in Tablettenform
eingenommen. Das Merkmal ist also nicht trennscharf. Auch der EuGH hat dem Umstand,
dass ein streitiges Erzeugnis nach der Gebrauchsanweisung in Wasser oder Joghurt
verrührt werden sollte, keine an sich ausschlaggebende Bedeutung beigemessen.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 31.
Als nächster Gesichtspunkt ist die Verbreitung des weihrauchhaltigen Produkts der Klägerin
in den Blick zu nehmen. Die Klägerin importiert ihr Produkt aus Österreich und bringt es als
Nahrungsergänzungsmittel auf den deutschen Markt. Werbung für ihr Produkt wie für ein
Arzneimittel betreibt sie nach der insoweit unwidersprochenen Klagebegründung (Akte des
Verwaltungsgerichts Bl. 15) nicht. Das namensgleiche Produkt wird in Österreich selbst
ebenfalls als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht, indessen nicht von der
Klägerin, sondern von der Firma G. Die Firma G hat das namensgleiche Produkt in
Österreich als Verzehrprodukt angemeldet (Akte des Verwaltungsgerichts Bl. 27) und
betreibt in Österreich nach dem belegten Vortrag des Beklagten Werbung für die
entzündungshemmende Wirkung der namensgleichen Weihrauchtabletten ebenfalls mit
dem Inhalt von 400 mg Weihrauch.
Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 17.10.2002, S. 2 (Akte des Verwaltungsgerichts
Bl. 111) und Auszug aus der Homepage der österreichischen Firma (Akte des
Verwaltungsgerichts Bl. 113).
Weiterhin ist das namensgleiche Produkt nach dem belegten Vortrag der Klägerin in
Großbritannien als Nahrungsmittel im freien Verkehr.
Bescheinigung des britischen Agrarministers vom 9.8.2001, Akte des Verwaltungsgerichts
Bl. 28.
Ergänzend ist noch die Verbreitung von nicht namensgleichen Konkurrenzprodukten mit
dem identischen Inhaltsstoff Weihrauch in den Blick zu nehmen. Insoweit hat die Klägerin
nachgewiesen, dass auf dem deutschen Apothekenmarkt ausweislich des zentralen
Bestellsystems der Lauer-Taxe insgesamt 11 nicht namensgleiche Weihrauchprodukte als
Nahrungsergänzungsmittel bestellt werden können.
Schriftsatz vom 11.8.2005, S. 3/4, OVG Akte 3 R 7/05 Bl. 20/21 mit Anlage K 22, OVG
Akte Bl. 23 ff..
Bei einer Würdigung der Verbreitung des namensgleichen Produkts der Klägerin muss
gesehen werden, dass das Produkt in drei Staaten der EU – Österreich, Deutschland und
Großbritannien - als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt ist. In Österreich wird es –
allerdings nicht von der Klägerin – von der vertreibenden Firma als entzündungshemmend
und damit wie ein Arzneimittel beworben.
Zur rechtlichen Qualifizierung vgl. das Urteil des EuGH Ter Voort vom 28.10.1992 – C –
219/91 – Rz. 27, wonach eine Veröffentlichung des Herstellers oder Verkäufers mit der
Bezeichnung therapeutischer Wirkungen als entscheidendes Indiz für die Absicht des
Herstellers oder Verkäufers anzusehen ist, das Erzeugnis als Präsentationsarzneimittel in
den Verkehr zu bringen.
Eine Verkehrsgenehmigung auf EU-Ebene hat hoch dosierter Weihrauchextrakt als Mittel
gegen Gehirnödeme noch nicht, wohl aber den Status eines Forschungsarzneimittels.
Den vom Beklagten vorgetragenen Import von Weihrauchextrakt als Fertigarzneimittel aus
der Schweiz und aus Indien hält die Klägerin für unzulässig, da es im Fall der Schweiz an
einer landesweiten Arzneimittelzulassung und im Fall Indiens an einer mit deutschem Recht
vergleichbaren Zulassung fehle, vielmehr Weihrauchextrakt in Indien ein Lebensmittel sei
und der Lebensmittelüberwachung unterliege. Dieser Vortrag kann zugunsten der Klägerin
als richtig unterstellt werden.
In diesem Fall spricht der Gesichtspunkt der Verbreitung eher für die Einordnung als
Lebensmittel. Er hat aber verglichen mit den festgestellten pharmakologischen Wirkungen
des Produkts keine für sich entscheidende Bedeutung.
Sodann ist als weiteres Merkmal noch wie dargelegt die Bekanntheit des Produkts bei den
Verbrauchern zu würdigen.
Die Klägerin nimmt an, ihr Weihrauchprodukt sei insbesondere mit Blick auf das deutsche
Apothekensortiment mit zahlreichen weiteren Weihrauchprodukten als
Nahrungsergänzungsmittel dem informierten deutschen Verbraucher als Lebensmittel
bekannt. Demgegenüber nimmt der Beklagte an, dem informierten deutschen Verbraucher
sei abgesehen von der speziellen Arzneimittelwerbung im Internet für das namensgleiche
Produkt in Österreich auch ansonsten durch das Internet die Arzneimitteleigenschaft
bekannt, was die Klägerin mit rechtlichen Gesichtspunkten zur Unmaßgeblichkeit von
Medienwerbung bekämpft.
Bei der Würdigung der konkreten Verbraucherkenntnisse schließt sich der Senat weder
dem Standpunkt der Klägerin noch dem des Beklagten an. Überzeugender erscheint
vielmehr das von der Klägerin vorgelegte Gutachten Reuss vom 10.1.2001 (S. 2), wonach
die Verkehrsauffassung als mögliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln
und Arzneimitteln im Fall Weihrauch ohne wesentliche Bedeutung ist. Der Gutachter
begründet dies damit, dass eine arzneiliche Wirkung beim durchschnittlich informierten
deutschen Verbraucher kaum bekannt ist. Eine Bekanntheit von Weihrauch als
Nahrungsmittel nimmt der Gutachter aber ersichtlich ebenfalls nicht an, weil anderenfalls
die Verkehrsauffassung entgegen seiner Fachmeinung zu einem eindeutigen Ergebnis
führte. Die richtige Einordnung von Weihrauch, der eher als Kultmittel bekannt ist, wird
einen durchschnittlich informierten Verbraucher kaum berühren. Konkrete
Verbraucherkenntnisse über die Lebensmittel- oder Arzneimitteleigenschaft können also
nicht erwartet werden.
Der Gesichtspunkt der Verbraucherkenntnisse ist jedenfalls gegenüber den festgestellten
pharmakologischen Eigenschaften nicht ausschlaggebend.
Zu den beiden zuletzt genannten Gesichtspunkten der Verbreitung und der
Verbraucherkenntnisse führt der Senat noch eine Hilfserwägung durch. Im günstigsten Fall
könnte die gerichtliche Würdigung dieser Gesichtspunkte zu dem Ergebnis führen, dass ein
Weihrauchprodukt im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird. Selbst diese
allgemeine Ansicht würde es aber nicht hindern, dass ein solches Produkt dennoch nach
dem europäischen Arzneimittelbegriff als Arzneimittel einzuordnen ist.
So das Urteil des EuGH Ter Voort vom 28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 21, für aus
Südamerika eingeführte Kräutertees.
Damit kann der Prüfungsabschnitt über die Einstufung des Produkts der Klägerin als
Arzneimittel abgeschlossen werden.
Nach der Überzeugung des Senats ist das weihrauchhaltige Produkt der Klägerin unter
Berücksichtigung aller seiner Merkmale, insbesondere seiner Zusammensetzung, seiner
pharmakologischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft
feststellen lassen – der Modalitäten seines Gebrauchs, des Umfangs seiner Verbreitung,
seiner Bekanntheit bei den Verbrauchern und der Risiken nach dem maßgebenden
Gemeinschaftsrecht als Funktionsarzneimittel im Sinne sowohl der ursprünglichen
Arzneimittelrichtlinie 2001/83/EG als auch der dargelegten Änderungsfassung durch die
Arzneimittelrichtlinie 2004/27/EG anzusehen.
Damit führen die bisherigen Prüfungsschritte des Urteils zu dem Doppelergebnis, dass das
Produkt der Klägerin mit 400 mg Weihrauchextrakt Tagesdosis nach den europäischen
Definitionen sowohl ein Aromastoff und damit ein Lebensmittel ist als auch ein
Funktionsarzneimittel mit Blick auf seine antagonistische Wirkung auf
Entzündungsprozesse. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts unterliegt das Produkt
mithin nach vollständiger Subsumtion einerseits der Lebensmittelverordnung 178/2002
und zusätzlich der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG, andererseits auch der
Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG in der ursprünglichen Form und gleichermaßen in
der Fassung der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG.
Dieses Doppelergebnis auf der europäischen Rechtsebene bedarf aber einer juristischen
Auflösung wegen seiner widersprüchlichen Konsequenzen.
Ein Lebensmittel fällt unstreitig grundsätzlich unter den freien Handelsverkehr der
Mitgliedstaaten (vgl. zum Grundsatz Artikel 28 EGV). Anderes gilt für Arzneimittel.
Ausnahmen vom Grundsatz der Handelsfreiheit bestehen nach Artikel 30 EGV
insbesondere zum Gesundheitsschutz, worunter das Arzneimittelrecht fällt.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 30 Rdnr. 8.
Nach Artikel 6 I der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG bedarf ein Arzneimittel
grundsätzlich abgesehen von dem nicht einschlägigen Fall einer unmittelbaren
europäischen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung Nr. 2309/93 in jedem
Mitgliedstaat einzeln einer Zulassung. Umgesetzt ist diese Regelung im deutschen Recht in
§ 21 AMG. Unstreitig hat das Produkt der Klägerin weder in der EG noch in einem EG-Staat
eine Zulassung als Arzneimittel. Deshalb bedarf das festgestellte Doppelergebnis einer
Auflösung.
Nach dem dargelegten Zwischenergebnis bedarf es auf Gemeinschaftsebene einer
Entscheidungsregel, ob beim Zusammentreffen beider Definitionen das Arzneimittelrecht
oder das Lebensmittelrecht Vorrang hat.
Zusammengefasst kommt der Senat zu der Entscheidung, dass nach dem aktuellen Recht
bei der Produktbehandlung das Arzneimittelrecht vor dem Lebensmittelrecht Vorrang
aufgrund ausdrücklicher normativer Regelung hat. Für die vorausgehenden Zeitabschnitte
ergibt sich dasselbe Ergebnis aus der Beachtung der Rechtsprechung des EuGH, der in
ständiger Rechtsprechung bereits seit 1992 eine Art „Strenge-Regel“ aufgestellt hat,
wonach das strengere Arzneimittelrecht in der Anwendung Vorrang vor weniger strengen
Regelungen anderer Rechtsgebiete hat. Dies ist nunmehr im Einzelnen auszuführen.
Beginnend mit dem neuesten Zeitabschnitt ab 30.10.2005 ist der Anwendungsvorrang
des Arzneimittelrechts bereits nach deutschem Recht normativ eindeutig bestimmt. Das
deutsche Recht verweist in § 2 III Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes – AMG – in der Fassung
des Gesetzes vom 13.12.2001 (BGBl. I S. 3586) sowie in der jetzigen Fassung vom
12.12.2005 (BGBl. I S. 3394) zur Abgrenzung auf den Lebensmittelbegriff nach dem
deutschen Lebensmittelgesetz. § 2 II LFGB in der Fassung vom 1.9.2005 (BGBl. I S.
2618), gültig ab 7.9.2005, verweist für die Lebensmitteldefinition seinerseits unmittelbar
auf Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Die europäische Lebensmittelverordnung
178/2002 verweist in ihrer Negativabgrenzung in Art. 2 Abs. 3 d wiederum auf die
Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG. Die Humanarzneimittelrichtlinie enthält in der
Fassung der Änderungsrichtlinie vom 31.3.2004 mit einer Umsetzungsfrist bis 30.10.2005
in Art. 2 Abs. 2 ausdrücklich eine Vorrangregel des Arzneimittelrechts mit folgendem Inhalt:
In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften
sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines
Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt
ist, gilt diese Richtlinie.
Mit dieser Richtlinie ist die Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG gemeint, was mithin
zum Vorrang des Arzneimittelrechts führt. Der EuGH hat die klar formulierte Vorrangregel
auch in diesem Sinn verstanden.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 44.
Nach dem aktuell geltenden Gemeinschaftsrecht ist auf das Produkt der Klägerin mithin nur
das Arzneimittelrecht anzuwenden. Das aktuelle deutsche Recht verweist darauf.
Für das vorausgehende Recht innerhalb der zeitlichen Reichweite des
Dauerverwaltungsaktes vom 23.1.2002 geht der Senat aus Gründen der Übersichtlichkeit
auf die Zeitabschnitte zunächst nach dem wie dargelegt maßgeblichen
Gemeinschaftsrecht und erst dann nach dem deutschen Recht ein.
Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts war im vorausgehenden Zeitabschnitt vom
31.3.2004 bis zum 29.10.2005 die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 mit
der normativen Vorrangregel des Arzneimittelrechts zwar bereits erlassen, indessen war
die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen. Richtlinien setzen zwar ein zweistufiges
Rechtsetzungsverfahren mit Erlass auf Gemeinschaftsebene und Umsetzung in nationales
Recht voraus.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 249 EGV Rdnr. 8.
Richtlinien sind aber auch als Auslegungsmaßstab heranzuziehen.
Geiger, EUV/EGV, Artikel 249 EGV Rdnr. 12.
Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung, und zwar gerade für die Vorrangregel in der hier
vorliegenden Änderungsrichtlinie 2004/27/EG, entschieden, dass eine Richtlinie schon vor
Ablauf der Umsetzungsfrist als Auslegungsmaßstab heranzuziehen ist.
Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 44.
Auch für diesen Zeitraum galt als Auslegungsergebnis der Rechtsprechung des EuGH ein
normativer Vorrang des Arzneimittelrechts.
Auf Gemeinschaftsebene galt in dem davor liegenden Zeitraum vom 6.11.2001 (mithin vor
Erlass des Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002) bis zum 30.3.2004 die
Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG noch ohne eine normative Vorrangregelung. Die
Abgrenzung des gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriffs gegenüber den
Konkurrenzbegriffen bedurfte mithin richterlicher Auslegung. Eine solche ständige
Rechtsprechung des EuGH liegt vor, die von den Jahren 1991 bis 2005 reicht und damit
den Entscheidungszeitraum (Januar 2002 bis Februar 2006) erfasst. Dies ist jetzt
darzulegen.
Der Grundgedanke dieser Rechtsprechung ist einfach. Er besteht darin, dass das strengere
Arzneimittelrecht wegen der besonderen Gefahren Anwendungsvorrang vor weniger
strengem Recht anderer Gebiete besitzt. Erstmals hat der EuGH diesen Gedanken im
Urteil Delattre vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 21, zur Abgrenzung von Arzneimitteln
gegenüber seinerzeit Kosmetika (Schlankheitsmitteln) geäußert. Zur Begründung hat er
(Rz. 21) ausgeführt:
Diese Schlussfolgerung ist im Übrigen die Einzige, die dem mit beiden Richtlinien verfolgten
Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht, da die rechtliche Regelung für
Arzneispezialitäten in Anbetracht der besonderen Gefahren, die diese Erzeugnisse für die
öffentliche Gesundheit mit sich bringen können und die im Allgemeinen von kosmetischen
Mitteln nicht ausgehen, strenger ist als die für kosmetische Mittel.
Im nachfolgenden Jahr 1992 hat der EuGH in seinem Urteil Ter Voort vom 28.10.1992 – C
– 219/91 -, Rz. 19, diese „Strenge-Regel“ auf die hier einschlägige Abgrenzung von
Arzneimittelrecht gegenüber Lebensmittelrecht übertragen. Zur Begründung hat er
ausgeführt (Rz. 19), ein Produkt sei selbst dann als Arzneimittel anzusehen und der
entsprechenden Regelung zu unterwerfen, wenn es in den Anwendungsbereich einer
anderen weniger strengen Gemeinschaftsregelung falle.
Sodann hat der EuGH aktuell in seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz.
43, nochmals seine Rechtsprechung bestätigt, dass die für Arzneimittel geltenden
Bestimmungen auf ein Erzeugnis anzuwenden sind, das sowohl die Voraussetzungen eines
Lebensmittels als auch eines Arzneimittels erfülle. Zur Begründung hat er sich (Rz. 43)
ausdrücklich auf sein Ter Voort-Urteil C – 219/91 – berufen, dort insbesondere auf die Rz.
19 verwiesen und damit wie dargelegt den Grundsatz, dass ein Produkt auch dann als
Arzneimittel anzusehen ist, wenn es dem Anwendungsbereich einer weniger strengen
Regelung unterfällt. Zwischen 1991 und jetzt hat der EuGH mithin in ständiger
Rechtsprechung die „Strenge-Regel“ seiner Abgrenzung zwischen Arzneimittelrecht und
weniger strengem Recht zugrunde gelegt.
Die dargelegte normative Vorrangregel der Richtlinie 2004/27/EG entspricht mithin
inhaltlich der ständigen Rechtsprechung des EuGH. Dementsprechend hat sich der EuGH in
seinem Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 - sowohl vergangenheitsbezogen auf
seine ständige bisherige Rechtsprechung (Rz. 43) als auch zukunftsbezogen auf die neue
Richtlinie 2004/27/EG (Rz. 44) berufen. Das Ergebnis der ständigen Rechtsprechung des
EuGH ist mithin der Vorrang des Arzneimittelrechts bei der Abgrenzung gegenüber dem
Lebensmittelrecht. Dies steht für den Zeitraum von 1992 bis jetzt fest. Bezogen auf den
hier entscheidungserheblichen Zeitraum vom 25.1.2002 (Bekanntgabe des
Dauerverwaltungsakts vom 23.1.2002) bis jetzt (Februar 2006) ist die Abgrenzungsfrage
auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts mithin immer gleich zu beantworten. Maßgebend
für die rechtliche Behandlung ist das strengere Arzneimittelrecht gegenüber dem weniger
strengen Lebensmittelrecht.
Für die vorsorglich vorzunehmende Abgrenzungsprüfung nach dem deutschen Recht sind
andere Zeitabschnitte zu bilden. Unproblematisch ist der bereits behandelte aktuelle
Zeitabschnitt ab dem 7.9.2005. Ab diesem Zeitpunkt verweist wie dargelegt § 2 II LFGB in
der Fassung vom 1.9.2005 (BGBl. I S. 2618) für die Lebensmitteldefinition ausdrücklich auf
Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, und damit auch auf die in Artikel 2 Abs. 3 der
gemeinschaftsrechtlichen Verordnung vorgenommene Abgrenzung zu Lebensmitteln, für
die die EuGH-Rechtsprechung maßgebend ist. Die einheitliche Geltung des
Gemeinschaftsrechts für die Abgrenzung ist vom deutschen Gesetzgeber sichergestellt, da
auch § 2 III Nr. 1 AMG für die Abgrenzung auf die Lebensmitteldefinition verweist mit der
Konsequenz, dass nach der ausdrücklichen Anordnung des deutschen Gesetzgebers für die
Abgrenzung der beiden Rechtsgebiete einheitlich das Gemeinschaftsrecht gilt.
Für den vorausgehenden Zeitabschnitt vom 21.2.2002 bis zum 6.9.2005 hat der
deutsche Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich für Rechtsklarheit gesorgt. Die
Rechtsklarheit ergibt sich aber aus dem gemeinschaftlichen Verordnungsrecht. Die
gemeinschaftsrechtliche Abgrenzung von Lebensmitteln und Arzneimitteln in Artikel 2 der
Lebensmittelverordnung galt bereits in diesem Zeitabschnitt. Die Lebensmittelverordnung
(EG) Nr. 178/2002 vom 28.1.2002 trat nach Artikel 65 am 21.2.2002 in Kraft. Sie ist
nach Artikel 65 in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Anders als bei Richtlinien bedarf es keines zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens, vielmehr
gilt die Verordnung unmittelbar in jedem Mitgliedstaat ohne Transformation.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 249 EGV, Rdnrn. 6 und 8.
Der deutsche Gesetzgeber hatte aber in diesem Zeitraum der verbindlichen Regelung noch
nicht formell Rechnung getragen. Vielmehr war in § 1 LMBG in der Fassung vom 9.9.1997
(BGBl. I S. 2296), gültig vom 1.8.1997 bis 6.9.2005, eine formell abweichende Regelung
bestimmt. Produkte waren nach § 1 I LMBG nur dann keine Lebensmitteln, wenn sie
überwiegend zu anderen Zwecken als dem der Ernährung oder des Genusses bestimmt
waren. Das ältere deutsche Recht legte die Auslegung nahe, dass ein Lebensmittel auch
dann vorlag, wenn sich kein überwiegender Verwendungszweck feststellen ließ.
So noch die Kommentierung von Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2005, § 1
LMBG Rdnr. 35 und die ältere BGH-Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 6.2.1976 – I ZR
125/74 -.
Die deutsche Regelung ließ sich mithin in nahe liegender Auslegung als Vorrang des weniger
strengen Lebensmittelrechts vor dem strengeren Arzneimittelrecht verstehen.
Bei diesem Ergebnis kann es aber nicht verbleiben. Das Gemeinschaftsrecht hat
grundsätzlich Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 10 EGV Rdnr. 31.
Gerichte und Behörden haben den Vorrang des Gemeinschaftsrechts ohne weiteres zu
beachten, und innerstaatliche Vorlageverfahren etwa an ein Verfassungsgericht müssen
außer Betracht bleiben.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 10 EGV Rdnr. 31.
Mithin musste die inhaltlich anders gefasste Abgrenzung des deutschen Rechts zwischen
Arzneimitteln und Lebensmitteln gegenüber der bindenden europäischen Verordnung außer
Betracht bleiben. Vielmehr galt nach der bereits dargelegten Rechtsprechung des EuGH die
„Strenge-Regel“, wonach für die Produktbehandlung das strengere Arzneimittelrecht vor
weniger strengem Recht in der Anwendung Vorrang hat. Auch für diesen Zeitabschnitt
verbleibt es mithin bei dem gefundenen Ergebnis.
In einem vorausgehenden kurzen Zeitabschnitt des Dauerverwaltungsakts knapp einen
Monat zwischen seiner Bekanntgabe am 25.1.2002 bis zum 20.2.2002 galt auf der
Gemeinschaftsrechtsebene allerdings noch nicht die Lebensmittelverordnung (EG) Nr.
178/2002 vom 28.1.2002, in Kraft ab 21.2.2002. Der Anwendungsvorrang der
gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung muss mithin für diesen kurzen
Zeitabschnitt außer Betracht bleiben.
Auch für diese Zeit blieb der Vorrang des Arzneimittelrechts unverändert. Maßgebend ist
hier nicht der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, sondern der Grundsatz der
europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.
Im Zeitraum Januar/Februar 2002 stellte sich die Vorrangfrage vom Arzneimittelrecht her,
das im Gegensatz zum seinerzeitigen Lebensmittelrecht schon gemeinschaftsrechtlich
normiert war. Wie bereits dargelegt war das gemeinschaftliche Arzneimittelrecht bereits
seit 1965 fortlaufend durch Richtlinien kodifiziert, die in nationales Recht umzusetzen
waren.
Arzneispezialitätenrichtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965, sodann als Nachfolgerichtlinie die
Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG sowie deren Änderungsrichtlinie 2004/27/EG.
Das deutsche Arzneimittelgesetz war also bereits in der in diesem Zeitabschnitt
(Januar/Februar 2002) maßgebenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 13.12.2001
(BGBl. I S. 3586) Umsetzung des europäischen Richtlinienrechts. Zur Abgrenzung von
Arzneimitteln und Lebensmitteln verwies § 2 III Nr. 1 AMG 2001 auf § 1 LMBG und damit
die bereits dargelegte Regelung, wonach nur eine überwiegende Bestimmung zu anderen
Zwecken als dem der Ernährung oder des Genusses maßgebend ist. Auch unabhängig von
der Direktwirkung von Richtlinien zu Gunsten Einzelner, vgl. EuGH, Urteil vom 26.9.2000 –
C- 443/98 -, Rz. 50; Urteil vom 4.12.1997 – C – 97/96 -, NJW 1998, 129, ist umgesetztes
nationales Recht nach der EuGH-Rechtsprechung so auszulegen, dass das mit der Richtlinie
verfolgte Ziel erreicht werden kann. EuGH, Urteil vom 11.7.2002 – C – 62/00 -, Rz. 41.
Eine solche europarechtskonforme Auslegung des § 1 LMBG 1997 ist aber möglich und
deshalb auch geboten. Zwar ist die Auslegung nahe liegend, dass die überwiegende
Zweckbestimmung rein faktisch im Sinne der allgemeinen Verkehrsauffassung zu
verstehen ist.
So Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand März 2005, § 1 LMBG Rdnr. 34.
Zwingend ist diese Auslegung aber nicht. Die überwiegende Zweckbestimmung kann statt
faktisch auch normativ verstanden werden. Die überwiegende Zweckbestimmung ergibt
sich dann normativ nach dem strengeren Recht; das strengere Recht prägt die
Zweckbestimmung. Das Ziel der einschlägigen Arzneimittelrichtlinie ist nach der
Rechtsprechung des EuGH gerade der Schutz vor den besonderen Gefahren, die
Arzneimittel mit sich bringen.
EuGH, Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 21, und Ter Voort-Urteil vom
28.10.1992 – C – 219/91 -, Rz. 19.
Das umgesetzte deutsche Arzneimittelrecht ist mithin europarechtskonform so
auszulegen, dass das dargelegte Ziel der Arzneimittelrichtlinie mit Blick auf den Vorrang
des strengeren Rechts erreicht wird. Mithin ist die deutsche Abgrenzungsregelung in den §§
2 AMG 2001 und 1 LMBG 1997 europarechtskonform auch in dem hier interessierenden
Zeitabschnitt vom 25.1.2002 bis zum 20.2.2002 im Sinne einer normativen
überwiegenden Zweckbestimmung durch das strengere Arzneimittelrecht auszulegen.
Dieser Gesichtspunkt gilt im Übrigen auch für die nachfolgende Zeit, für die aber der
Anwendungsvorrang der gemeinschaftsrechtlichen Lebensmittelverordnung hinzukommt.
Mithin ist die Geltung der europäischen Arzneimittelabgrenzung für den gesamten in
Anspruch genommenen Zeitraum des angegriffenen Dauerverwaltungsakts seit 25.1.2002
bis jetzt zu beachten.
Für den Zeitraum des Dauerverwaltungsakts ist nach dem Ergebnis der Prüfung des
europäischen und des deutschen Rechts einheitlich von dem Vorrang des
Arzneimittelrechts gegenüber dem Lebensmittelrecht bei der Produktbehandlung
auszugehen.
Die von der Klägerin gegen den Vorrang vorgebrachten Gründe überzeugen nicht.
Soweit die Klägerin eine vollständige Subsumierung als Voraussetzung der Vorrangregelung
ansieht, hat der Senat sie vorgenommen.
Soweit die Klägerin meint, für Nahrungsergänzungsmittel gelte eine günstigere
Behandlung, trifft dies nicht zu. Sie hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der
neuen Rechtsprechung des EuGH auf dem Gebiet der Nahrungsergänzungsmittel die
Richtlinie 2002/46 eine gewisse Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften
vorgenommen hat.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 70.
Nahrungsergänzungsmittel, die den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen, dürfen in der
Gemeinschaft grundsätzlich frei in den Verkehr gebracht werden.
EuGH, Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C- 211/03 -, Rz. 71.
Die der Klägerin günstige Folge tritt aber nur ein, wenn die Voraussetzungen der
Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie überhaupt erfüllt sind. Dies ist aber nicht der Fall, weil
die Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie 2002/46/EG ausdrücklich nicht für Arzneimittel gilt
(Artikel 1 Abs. 2 der Nahrungsergänzungsmittelrichtlinie) und darüber hinaus
Nahrungsergänzungsmittel nach Artikel 2 der Richtlinie 2002/46/EG bereits Lebensmittel
sein müssen, mithin auch für Nahrungsergänzungsmittel die allgemeine
Abgrenzungsvorschrift von Artikel 2 der Lebensmittelverordnung (EG) Nr. 178/2002 gilt.
Dementsprechend führt der EuGH wie dargelegt in seinem Lactobact-Urteil (Rz. 41 und
42) eine synchrone Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln
einerseits und Arzneimitteln andererseits durch. Für eine anderweitige Abgrenzung mit
einer günstigeren Behandlung von Nahrungsergänzungsmitteln ist mithin aus Gründen des
Gemeinschaftsrechts kein Raum.
Weiterhin beruft sich die Klägerin zu ihren Gunsten auf eine spezielle deutsche
Liberalisierungsvorschrift für die Einfuhr von Lebensmitteln aus EU-Staaten im deutschen
Lebensmittelrecht. Ausgehend zunächst von dem neuesten Rechtsstand der
Einfuhrliberalisierung begünstigt § 54 LFGB mit Geltung ab dem 7.9.2005
Lebensmittelimporte aus anderen EU-Staaten. Danach dürfen Lebensmittel, kosmetische
Mittel oder Bedarfsgegenstände, die entweder in einem anderen Mitgliedstaat der
Europäischen Union hergestellt oder rechtmäßig in den Verkehr gebracht werden oder aus
einem Drittstaat stammen und sich in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union
rechtmäßig im Verkehr befinden, auch dann in das Inland verbracht und in Verkehr
gebracht werden, wenn sie den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften
für Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände nicht entsprechen. Eine
Ausnahme von der Liberalisierung besteht insbesondere dann, wenn gemäß § 54 I LFGB in
Verbindung mit § 54 II zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen, über
die durch Allgemeinverfügungen entschieden wird. Die verbleibenden Unterschiede des
nationalen Lebensmittelrechts der Mitgliedstaaten stehen mithin dem Import eines
Lebensmittels grundsätzlich nicht entgegen.
Diese Liberalisierungsregelung trifft aber nach dem geltenden Recht ausdrücklich nur für
Lebensmittel, kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände zu, von vorneherein nicht für
Arzneimittel. Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 54 LFGB und aus dem
systematischen Zusammenhang innerhalb der Gesamtregelung des Lebensmittelrechts,
nicht des Arzneimittelrechts.
Nichts anderes gilt innerhalb der Zeitdauer des Dauerverwaltungsakts für die im
Wesentlichen inhaltsgleiche Vorgängerreglung des § 47 a LMBG in den insoweit
übereinstimmenden vorausgehenden Fassungen vom 29.10.2001 (BGBl. I S. 2785) sowie
vom 6.8.2002 (BGBl. I S. 3082). Die Liberalisierung von Importen aus anderen
Mitgliedstaaten bezieht sich nach dem übereinstimmenden Wortlaut auf „Erzeugnisse im
Sinne dieses Gesetzes“. Maßgebend ist also die deutsche Einordnung des Produkts. Durch
eine Klammerdefinition ist in § 35 LMBG klargestellt, dass Erzeugnisse im Sinne dieses
Gesetzes Lebensmittel, Zusatzstoffe, mit Lebensmittel verwechselbare Erzeugnisse,
Tabakerzeugnisse, kosmetische Mittel und Bedarfsgegenstände sind. Arzneimittel gehören
nicht dazu. Die Klägerin kommt nur insofern zu einem anderen Ergebnis, als sie behauptet,
ihr Nahrungsergänzungsmittel könne mit einem Arzneimittel verwechselt werden. Insoweit
stellt aber § 8 LMBG klar, dass die Ausdehnung des Lebensmittelrechts auf verwechselbare
Erzeugnisse gerade nicht für zulassungspflichtige Arzneimittel gilt.
Zur generellen einschlägigen Zulassungspflicht von Fertigarzneimitteln § 21 AMG mit hier
nicht gegebenen Ausnahmen insbesondere einer gemeinschaftsrechtlichen
Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 und einer Anwendung zur
klinischen Prüfung.
Die Vorschrift zielt erkennbar darauf ab, dass die Zulassungspflicht von Arzneimitteln als
Marktschranke nicht etwa in dem ungünstigen Fall, dass importierte Arzneimittel
verwechslungsfähig aufgemacht sind, entfällt. Dies wäre auch offensichtlich
gefahrenbezogen sachwidrig. Nach den dargelegten Vorschriften gilt die Liberalisierung
nach Wortlaut und Sinn nicht für Arzneimittel, und zwar insbesondere auch nicht für mit
Lebensmitteln verwechslungsfähig aufgemachte Arzneimittel.
Das Gemeinschaftsrecht bietet sowohl nach den in Betracht kommenden Normen als auch
nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH keinen Anlass zu einer weiter gehenden
Auslegung dieser lebensmittelrechtlichen Liberalisierungsregelung.
Wie dargelegt fällt ein Lebensmittel zwar grundsätzlich unter den freien Handelsverkehr der
Mitgliedstaaten (Artikel 28 EGV). Anderes gilt für Arzneimittel, denn Ausnahmen vom
Grundsatz der Handelsfreiheit bestehen nach Artikel 30 EGV insbesondere zum
Gesundheitsschutz, worunter das Arzneimittelrecht fällt.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 30 Rdnr. 8.
Nach Artikel 6 I der Humanarzneimittelrichtlinie 2001/83/EG bedarf ein Arzneimittel
grundsätzlich abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall einer unmittelbaren
europäischen Verkehrsgenehmigung nach der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vom
22.7.1993 in jedem Mitgliedstaat einzeln einer Zulassung. Diese Rechtslage nach dem
Gemeinschaftsrecht führt allerdings dazu, dass ein Produkt im Exportstaat (hier
Österreich) als Lebensmittel und im Importstaat (hier Deutschland) als Arzneimittel
eingeordnet werden kann. Gerade diese Divergenz ist nach der ständigen bis heute
geltenden Rechtsprechung des EuGH mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
EuGH, Delattre-Urteil vom 21.3.1991 – C – 369/88 -, Rz. 27; EuGH, Urteil vom 29.4.2004
– C – 387/99 – Rz. 52 und 53, betreffend Vitaminpräparate; EuGH, Lactobact-Urteil vom
9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 56.
In seinem Lactobact-Urteil (Rz. 56) hat der EuGH seine ständige Rechtsprechung wie folgt
zusammengefasst:
Dass ein Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel eingestuft ist, hindert
somit nicht daran, ihm im Einfuhrmitgliedstaat die Eigenschaft eines Arzneimittels
zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweist.
Die Tatsache, dass das Produkt der Klägerin in Österreich rechtmäßig als Lebensmittel und
Nahrungsergänzungsmittel im Verkehr ist, führt mithin nicht zu einer Bindung des
Einfuhrstaates an österreichisches Recht. Dem nach dem Gemeinschaftsrecht
bestehenden Vorrang des strengeren Arzneimittelrechts vor dem weniger strengen
Lebensmittelrecht muss in Deutschland selbstständig, ohne Bindung an die
Rechtsauffassung in Österreich, Geltung verschafft werden.
Nach allem führt die deutsche Liberalisierungsregelung nicht zur Anerkennung der
österreichischen Produkteinordnung und ist deshalb nicht entscheidungserheblich.
Im Folgenden hat der Senat noch die beiden von den Beteiligten vorgelegten europäischen
Verwaltungsakte zu würdigen, die eine Einstufung von Weihrauchextrakt in demselben Jahr
– 2002 – als Arzneimittel beziehungsweise als Lebensmittel betreffen.
Zusammengefasst sind beide Verwaltungsakte nicht unmittelbar einschlägig für den
vorliegenden Verwaltungsrechtsstreit über ein Marktverbot und geben keinen Anlass, von
der vom EuGH aufgestellten „Strenge-Regel“ abzuweichen.
Der Beklagte hat einen Bescheid der Europäischen Kommission vom 21.10.2002
vorgelegt, den die EMEA, die Europäische Agentur für Arzneimittel, am 11.12.2002
veröffentlicht hat (Berufungsakte 3 R 7/05, Blatt 69 R). Der Beklagte hat dazu
vorgetragen, der Weihrauchextrakt aus Boswellia serrata habe damit den Orphan-drug-
Status erhalten (Berufungsakte Blatt 66). Mit dieser Bezeichnung hat es Folgendes auf
sich. Die in dem Bescheid der EG-Kommission auch genannte Rechtsgrundlage ist die
Verordnung (EG) Nr. 141/2000 vom 16.12.1999 über Arzneimittel für seltene Leiden. Sinn
und Regelungszusammenhang der Verordnung sind in dem Erwägungsgrund 1
zusammengefasst. Danach treten bestimmte Leiden EU-weit so selten auf, dass die
Entwicklungskosten von Arzneimitteln durch den zu erwartenden Umsatz nicht mehr
gedeckt werden. Die pharmazeutische Industrie wäre in diesen Fällen nicht bereit, das
Arzneimittel unter normalen Marktbedingungen zu entwickeln. Diese Arzneimittel werden
im englischen Sprachraum als „Orphan medicinal products“, das heißt als Waisenkinder
unter den Arzneimitteln bezeichnet. Vor diesem Hintergrund bezweckt die Verordnung
nach dem Erwägungsgrund 4, durch die Einführung eines Gemeinschaftsverfahrens
potenzielle Arzneimittel als Arzneimittel für seltene Leiden auszuweisen. Die Förderung
erfolgt durch Forschungshilfe bei der Entwicklung (Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung) und
durch ein späteres Marktexklusivitätsrecht (Artikel 8 der Verordnung). Der Antrag auf
Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden kann grundsätzlich in jedem
Entwicklungsstadium des Arzneimittels gestellt werden, indessen nur vor dem Antrag auf
Verkehrsgenehmigung (Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung). Zusammengefasst bedeutet
der Bescheid mithin eine Ausweisung von Weihrauchextrakt als Forschungsarzneimittel für
die Behandlung der seltenen Krankheit der Gehirnödeme bei Gehirntumor; eine
Verkehrsgenehmigung als Arzneimittel bedeutet der Bescheid nicht, wie im letzten Absatz
ausdrücklich hervorgehoben ist. Der Bescheid betrifft also keine Marktzulassung.
Der Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden liegt nach Artikel 2 a der
Humanarzneimittelbegriff nach der Richtlinie 65/65/EWG zugrunde, wobei diese
Bezugnahme nunmehr durch eine Bezugnahme auf die Humanarzneimittelrichtlinie
2001/83/EG ersetzt ist (Artikel 128 der Humanarzneimittelrichtlinie). Da die
Ödembehandlung bei Tumoren nach den dem Senat vorliegenden wissenschaftlichen
Unterlagen ausschließlich den hoch dosierten Bereich von Weihrauchextrakt betrifft,
Safayhi-Ammon, Seite 7; Gutachten Bertram, Seite 3; Bertsche/Schulz, Seite 2
steht damit in diesem Bereich gemeinschaftsrechtlich die Einordnung als Arzneimittel fest.
Zwingend ist dies für die hier maßgebende niedrige Dosis von Weihrauch nicht. Einen
Doppelcharakter nach der Dosis hat der EuGH bei Vitaminen anerkannt, die in ganz
geringer Menge für die tägliche Ernährung unbedingt erforderlich sind, in starken Dosen
aber zu therapeutischen Zwecken bei bestimmten Krankheiten verwendet werden.
EuGH, Urteil vom 29.4.2004 – C – 387/99 -, Rz. 56.
Deshalb bedeutet die im Jahr 2002 erfolgte Ausweisung von indischem Weihrauchextrakt
als Forschungsarzneimittel für seltene Krankheiten ein - nicht zwingendes - Indiz für die
gemeinschaftsrechtliche Einstufung von Weihrauchextrakt insgesamt als Arzneimittel. Der
Gegenschluss der Klägerin, die angestrebte Marktzulassung sei bereits gescheitert,
überzeugt nicht, da die Zulassungsreife einschließlich Standardisierung eines Stoffgemischs
schwer erreichbar und langwierig sein kann.
Ebenso wie der Beklagte hat die Klägerin im Rechtsstreit einen Verwaltungsakt der
Europäischen Gemeinschaft vorgelegt, den sie zu ihren Gunsten verwerten will (Akte des
Verwaltungsgerichts Bl. 75). Dabei handelt es sich um die verbindliche Zolltarifauskunft
vom 16.9.2002. Der Bescheid ist im Namen der Europäischen Gemeinschaft erlassen, die
erteilende Zollbehörde ist das Bundesministerium für Finanzen in Wien. Als Berechtigter ist
angegeben die österreichische Firma G.. Gegenstand des Bescheides ist das
namensidentische Produkt der Klägerin. Inhaltlich betrifft der Bescheid die Einreihung in die
Zollnomenklatur als Lebensmittel und zur Begründung ist angegeben, aufgrund des Fehlens
einer Ankündigung zur Verwendung bei spezifischen Krankheiten, Leiden oder deren
Symptome, sowie der exakten Dosierungsvorschrift, liege keine näher gekennzeichnete
Arzneiware vor.
Die Klägerin hat aus dieser verbindlichen Zolltarifauskunft von Anfang an den Schluss
gezogen,
Schriftsatz vom 7.10.2002, VG-Akte Bl. 78
das streitige Produkt dürfe in der gesamten Europäischen Union aufgrund der verbindlichen
Zolltarifauskunft als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Die Verkehrsfähigkeit
des von ihr vertriebenen Produktes in Deutschland ergebe sich damit schon aus der
amtlichen Bestätigung der Europäischen Union. Zur Bekräftigung ihres Vortrags hat sie
erstinstanzlich zwei verschiedene Vorlageanträge an den EuGH angeregt (Akte des
Verwaltungsgerichts Bl. 91 und Bl. 133), die jeweils die Auswirkungen der verbindlichen
Zolltarifauskunft auf die Zulässigkeit der Vermarktung betreffen. Zweitinstanzlich hat sie
ausweislich des Protokolls eine entsprechende Vorlage an den EuGH hilfsweise angeregt.
Das Begehren der Klägerin entspricht offenkundig nicht dem Gemeinschaftsrecht, das eine
Auslegung im Sinne der Klägerin nicht zulässt. Es entspricht auch nicht der dargelegten
Rechtsprechung des EuGH zur selbstständigen Sachverhaltsbeurteilung der nationalen
Behörden und Gerichte im Vermarktungsstreit.
Dafür ist zunächst auf die Rechtsgrundlage der verbindlichen Zolltarifauskunft einzugehen.
Wie im Bescheid auch ausdrücklich angegeben, beruht die Zolltarifauskunft auf Art. 12 der
– insoweit nicht geänderten - Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 vom 12.10.1992 zur
Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – Zollkodexverordnung -. Nach dem
Erwägungsgrund 1 geht es bei der Verordnung um die Kodifizierung der bisherigen
Zollvorschriften der Gemeinschaft als Zollunion. Betroffen von dem Zollrecht ist nach Art. 1
der Verordnung der Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und Drittländern. Nach Art.
2 gilt das gemeinschaftliche Zollrecht einheitlich im gesamten Zollgebiet der Gemeinschaft.
Richtig ist damit der Standpunkt der Klägerin, dass die Zollverwaltungsakte die gesamte
Gemeinschaft betreffen. Sodann werden nach Art. 12 Abs. 1 der Zollkodexverordnung auf
schriftlichen Antrag von den Zollbehörden verbindliche Zolltarifauskünfte erteilt. Verbindliche
Zolltarifauskünfte sind nach der Definitionsvorschrift des Art. 4 Nr. 5 der
Zollkodexverordnung hoheitliche Maßnahmen auf dem Gebiet des Zollrechts.
Die Klägerin begehrt eine Vorlage des Sachverhalts zur Entscheidung an den EuGH. Sie hält
es nach ihrem Rechtsstandpunkt für eine klärungsbedürftige Auslegungsfrage, wie weit die
Verbindlichkeit der Zolltarifauskunft reicht. Sie meint, die Verbindlichkeit betreffe nicht nur
den Zolltarif, sondern auch die anschließende Vermarktung. In Wirklichkeit ist aber die
Verbindlichkeitsfrage in Art. 12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung ohne Auslegungsspielraum
wie folgt geregelt:
Die verbindliche Zolltarifauskunft bindet die Zollbehörden gegenüber dem Berechtigten nur
hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung der Waren.
Das Wort „nur“ lässt keinen Auslegungsspielraum dahingehend zu, die Bindungswirkung
erstrecke sich über die zolltarifliche Einreihung der Waren hinaus auch auf die
anschließende Vermarktung und die Anwendung des Gesundheitsrechts. Ist mithin die
Einschränkung der Verbindlichkeit auf das Zollrecht derart offenkundig, dass für einen
vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, scheidet eine Vorlagepflicht an den EuGH nach Art.
234 EGV selbst nach den Maßstäben für ein letztinstanzliches Gericht – die hier nicht erfüllt
sind – aus.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Art. 234 EGV Rdnr. 16.
Im Übrigen hat das nationale Gericht über die Entscheidungserheblichkeit einer
Vorlagefrage selbst zu befinden.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Art. 234 EGV Rdnr. 12.
Darüber hinaus hat das nationale Gericht über die Vorlage von Amts wegen, unabhängig
von der Auffassung der Beteiligten zu entscheiden.
Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Art. 234 Rdnr. 11.
Entsprechende Anträge der Beteiligten bedeuten prozessual mithin nur die Anregung zu
einer Vorlageentscheidung.
Von Amts wegen scheidet eine Vorlage schon deshalb aus, weil Art. 12 Abs. 2 der
Zollkodexverordnung auch unabhängig von dem streitigen objektiven Anwendungsbereich
auch nach den subjektiven Merkmalen nicht entscheidungserheblich ist.
Vorliegend sind die subjektiven Voraussetzungen der Verbindlichkeitsbestimmung des Art.
12 Abs. 2 der Zollkodexverordnung nicht gegeben. Die verbindliche Zolltarifauskunft bindet
nach der Verordnung nur die Zollbehörden gegenüber dem Berechtigten. Zollbehörde ist
nach Art. 4 Nr. 3 der Zollkodexverordnung eine für die Anwendung des Zollrechts
zuständige Behörde. Der Beklagte als oberste Gesundheitsbehörde ist ebenso wenig eine
Zollbehörde im Sinne der Gemeinschaftsvorschrift wie die Klägerin Berechtigte des
Bescheides ist, da in dem Bescheid als Berechtigte ausdrücklich die österreichische Firma
G. genannt ist. Mithin verbleibt es dabei, dass die Vorschrift des Art. 12 II der
Zollkodexverordnung auf den vorliegenden Fall zweifelsfrei subjektiv nicht anwendbar ist.
Unabhängig von der normativen Rechtslage entspricht es auch nicht der einschlägigen
Rechtsprechung des EuGH zu gesundheitsbezogenen Marktverboten gegenüber
importierten Produkten, dass das Gesundheitsrecht bindend an das Zollrecht gekoppelt
wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH haben die nationalen Behörden und zu
deren Kontrolle die nationalen Gerichte bei der Frage der rechtlichen Zulässigkeit der
Vermarktung in ihrem Staat auch bei importierten Erzeugnissen selbst die
Qualifizierungszuständigkeit für den Einzelfall, ob ein Erzeugnis als Arzneimittel oder als
Lebensmittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts einzustufen ist.
EuGH Lactobact-Urteil vom 9.6.2005 – C – 211/03 -, Rz. 30 für die Zuständigkeit der
nationalen Behörden und Rz. 97 für die Zuständigkeit des nationalen Gerichts; ebenso
schon EuGH, Ter-Voort-Urteil vom 28.10.1992 – C – 219/91 – betreffend die Zulässigkeit
der Vermarktung von Kräutertee aus Südamerika, dort zur fallbezogenen
Einstufungszuständigkeit der nationalen Gerichte Rz. 32; EuGH Delattre-Urteil vom
21.3.1991 – C – 369/88 -, dort Rz. 35 zur Einstufungszuständigkeit der nationalen
Behörden unter Kontrolle der nationalen Gerichte.
In einem entschiedenen Fall – dem Ter-Voort-Urteil des EuGH von 1992 – betraf die
Einstufung die Vermarktung von aus Südamerika eingeführten Produkten. Nach der
seinerzeit schon bestehenden Zollunion unterlagen diese Produkte einer Außenzollerhebung
und damit einer Zolltarifeinordnung. Die seinerzeitige Vorlagefrage (Rz. 13), ob ein
Erzeugnis, das im Allgemeinen als Lebensmittel angesehen wird, als Arzneimittel eingestuft
werden kann, hätte vom Rechtsstandpunkt der Klägerin damit beantwortet werden
müssen, dass die Antwort aus dem Zollrecht folge. Stattdessen lautet die Antwort des
EuGH (Rz. 21), dass ein Arzneimittel selbst dann vorliegen kann, wenn es im Allgemeinen
als Lebensmittel angesehen wird, und (Rz. 32) es Sache der nationalen Gerichte ist, unter
Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Falles die Einordnung vorzunehmen. Auch
der Grundgedanke in dem Ter-Voort-Urteil des EuGH, dass (Rz. 19) im Gesundheitsrecht
die strengere Gemeinschaftsregelung anzuwenden ist, verträgt sich nicht damit, dass die
der Einnahmeerzielung dienende Zolltarifregelung stattdessen einschlägig sein soll. Damit
könnten die Gesundheitsgefahren nicht hinlänglich berücksichtigt werden. Mithin scheidet
eine Vorlage an den EuGH auch deshalb aus, weil die Rechtsansicht der Klägerin zur
Bindung der Vermarktung an das Zollrecht der vorliegenden Rechtsprechung des EuGH
widerspricht.
Der Bescheid ist für den vorliegenden Vermarktungsprozess offensichtlich
rechtsunerheblich.
Unabhängig von der fehlenden Bindungswirkung kann auch die Begründung der
Zolltarifauskunft für den vorliegenden Fall nicht fruchtbar gemacht werden. Begründet ist
die Ablehnung einer Arzneiware mit dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Ankündigung zur
Verwendung bei spezifischen Krankheiten und einer entsprechenden exakten
krankheitsbezogenen Dosierungsvorschrift. Mit dieser Überlegung lässt sich aber allein ein
Präsentationsarzneimittel ausschließen, was ohnedies unstreitig ist. Dagegen enthält die
Begründung keinerlei Gesichtspunkte zu einem Funktionsarzneimittel, da die
pharmakologische Wirkung von vornherein nicht behandelt wird. Für den Hauptstreit der
Beteiligten über das Vorliegen eines Funktionsarzneimittels lässt sich aus der Begründung
des Bescheides nichts gewinnen.
Nach dem Prüfungsergebnis des Senats haben die von den Beteiligten vorgelegten
Bescheide nach dem Gemeinschaftsrecht für den vorliegenden Fall keine Bindungswirkung
und führen zu keinem anderen Ergebnis.
Mithin hat es bei einer selbstständigen sachverhaltsbezogenen Einstufung des Produkts der
Klägerin für die Vermarktung durch die nationalen Behörden und die nationalen Gerichte
ohne Vorlagepflicht an den EuGH zu verbleiben.
Nach allem ist der Senat davon überzeugt, dass das Produkt der Klägerin ein
Funktionsarzneimittel ist und damit dem strengen Zulassungsrecht für Fertigarzneimittel
unterliegt. Der Klägerin ist zwar Recht zu geben, dass in dieser Rechtsanwendung ein
Hemmnis für den freien Warenverkehr liegt. Das Produkt muss also nach der plastischen
Formulierung der Klägerin durch das „Nadelöhr“ des Arzneimittelrechts. Der Grund dafür
liegt aber letztlich in der eindeutigen Weichenstellung des EuGH zu Gunsten des strengeren
Gesundheitsrechts. Der EuGH hat dem nunmehr im Gemeinschaftsrecht kodifizierten
Gedanken Bedeutung beigemessen, dass die besonderen Gesundheitsgefahren gerade von
Arzneimitteln im Zweifel die Anwendung des strengeren Gesundheitsrechts gegenüber
dem weniger strengen Lebensmittelrecht erfordern. Diese Gefahrabwägung führt letztlich
zu dem Ergebnis, dass hier wegen der festgestellten – negativen - pharmakologischen
Wirkung des Produkts in der empfohlenen niedrigen Dosis ein Funktionsarzneimittel vorliegt.
Die Prüfung des Senats führt mithin zu dem Gesamtergebnis, dass gemeinschaftsrechtlich
und nach deutschem Recht für die gesamte Geltungszeit des Dauerverwaltungsakts vom
23.1.2002 rechtlich maßgebend ein Funktionsarzneimittel vorliegt, das als
Fertigarzneimittel für den Verbraucher gemäß § 21 AMG einer Zulassung bedarf, die aber
unstreitig weder nach Gemeinschaftsrecht noch nach deutschem Recht vorhanden ist.
Damit liegt aber zur Überzeugung des Senats der Untersagungstatbestand des § 69 I Nr. 1
AMG in den insoweit übereinstimmenden Fassungen vom 11.12.1998 (BGBl. I Bl. 3586),
vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 2031), vom 29.8.2005 (BGBl. I S. 2555) sowie der
Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394) vor. Die im Gesetz eingeräumte
Ermessensausübung ist von der Klägerin nicht problematisiert worden. Ein Ermessensfehler
wäre allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn die für das Arzneimittel erforderliche
Zulassung ausschließlich aus formellen Gründen fehlte, materiell aber die therapeutische
Wirksamkeit mit vertretbaren Nebenwirkungen bereits feststünde. Schon die nicht geklärte
therapeutische Wirksamkeit würde die Ermessensausübung im Sinne einer Untersagung
rechtfertigen. Erst recht gilt das hier, da nach den vorliegenden Forschungsergebnissen für
niedrig dosierten Weihrauchextrakt zwar keine positiven pharmakologischen Wirkungen,
wohl aber negative pharmakologische Wirkungen in Form der Förderung von
Entzündungsprozessen wissenschaftlich festgestellt sind. Bei dieser Sachlage ist allein die
Untersagung ermessensgerecht.
Nach allem ist der angefochtene Dauerverwaltungsakt vom 23.1.2002 rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Mithin ist ihre Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf
den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10 ZPO und die Nichtzulassung der Revision auf § 132 II
VwGO.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht
angefochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem
Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Hausadresse: Kaiser-Wilhelm-Straße 15, 66740
Saarlouis/Postanschrift: 66724 Saarlouis) einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil
bezeichnen.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen.
Die Begründung ist ebenfalls bei dem Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
(Hausadresse: Kaiser-Wilhelm-Straße 15, 66740 Saarlouis/Postanschrift: 66724 Saarlouis)
einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen
Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von
der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann,
bezeichnet werden.
Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder
einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes
mit Befähigung zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen
des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst,
Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen
Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Die streitige Vermarktung des Produkts der Klägerin auf dem deutschen Markt ist
bedeutungsangemessen jahresbezogen gemäß den §§ 52 I, 63 II GKG unter
Mitberücksichtigung der Nummern 4, 25.1 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8.7.2004 mit 40.000,-- Euro zu bewerten (vgl. auch
die Streitwertfestsetzung im Urteil des OVG Münster vom 10.11.2005 – 13 A 463/03 –
ebenfalls auf 40.000,-- Euro für ein vergleichbares Produkt).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.