Urteil des OVG Saarland vom 22.10.2009

OVG Saarlouis: bundesamt für justiz, abschiebung, emrk, rückführung, härte, integration, algerien, geldstrafe, ehepartner, klinik

OVG Saarlouis Beschluß vom 22.10.2009, 2 B 445/09
Verfassungsmäßigkeit des AufenthG 2004 § 104 a Abs 3 S 1; keine Ermessensprüfung bei
AufenthG 2004 § 104a Abs 3 S 2; Ausnahmefall zur Ausreisepflicht aufgrund der
Straffälligkeit eines Familienmitgliedes; Rückführung selbstmordgefährdeter Ausländer
Leitsätze
Die vom VGH Mannheim im Rahmen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das
Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss vom 24.6.2009 - 13 S 519/09 -, DÖV 2009,
727 = InfAuslR 2009, 350) angenommene Verfassungswidrigkeit des § 104a Abs. 3 Satz
1 AufenthG teilt der Senat, der sich mit dieser Problematik in seinem Urteil vom
15.10.2009 - 2 A 329/09 - befasst hat, nicht.
Der Ausländerbehörde ist im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines die Zurechnung
gegenüber dem in häuslicher Gemeinschaft mit einem Vorbestraften lebenden Ehepartner
ausschließenden Härtefalls nach § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG kein Ermessen eröffnet.
Bei der Konkretisierung des unbestimmten und daher ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffs
der "besonderen Härte" kommt eine solche nur dann in Betracht, wenn im konkreten
Einzelfall ganz besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die mit der
Befolgung der Ausreisepflicht für den Ehegatten verbundenen Konsequenzen ihn erheblich
ungleich härter treffen als andere Ausländer in vergleichbarer Situation oder wenn
beispielsweise die abgeurteilte Straftat im Sinne § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG
gegenüber dem Ehepartner selbst begangen worden ist, weil dann die Zurechnung
gegenüber dem Opfer erfolgen würde.
Zu den von der Ausländerbehörde zu treffenden Vorkehrungen einer medizinischen
Betreuung und Begleitung des Abschiebevorgangs für die beabsichtigte Rückführung einer
selbstmordgefährdeten Ausländerin.
Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines in Deutschland geborenen und
aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter
"faktischer Inländer" kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen
"gelungenen" Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der
Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Insoweit ist für
minderjährige Kinder keine isolierte Betrachtung vorzunehmen.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 24. August 2009 – 10 L 675/09 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die aus Blida in Algerien stammenden Antragsteller zu 1) und 2) sind Eheleute, reisten im
November 1992 gemeinsam mit dem 1987 geborenen Sohn O. A. in die Bundesrepublik
ein und beantragten im Ergebnis erfolglos die Anerkennung als Asylberechtigte. (vgl. den
alle 3 betreffenden Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 2.12.1993 – C 1538141-221 –, durch den die Anträge als offensichtlich
unbegründet abgelehnt wurden, und den die dagegen gerichtete Klage abweisenden
Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 2.9.1994 – 2 K 11/94.A –) Im Februar
1994 wurden sie mit dem 1993 in Neunkirchen geborenen Antragsteller zu 3) nach
Algerien abgeschoben.
Nach einer erneuten Einreise November 1994 gestellte Asylanträge der Antragsteller zu 1)
und 2) und des Sohnes O. wurden im Juni 1995 ebenfalls abschlägig beschieden. (vgl. den
Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 28.6.1995 – C 1914696-221 –) Ein Asylgesuch
des Antragstellers zu 3) wurde ebenfalls abgelehnt. (vgl. den Ablehnungsbescheid vom
28.6.1995 – C 1914759-321 –) Rechtsbehelfe blieben auch insoweit ohne Erfolg. (vgl. VG
des Saarlandes, Urteile vom 23.4.1998 – 2 K 156/95.A und 2 K 157/95.A – und OVG des
Saarlandes, Beschluss vom 12.8.1999 – 1 Q 91/98 – (Nichtzulassung der Berufung))
1997 wurde die Antragstellerin zu 4) in Völklingen geboren. Asylantrag wurde für sie
zunächst nicht gestellt.
Im Dezember 1998 wurde der Antragsteller zu 2) wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit
einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen belegt.
In der Folge bemühten sich die Antragsteller vergeblich um die Erteilung von
Aufenthaltserlaubnissen nach der seinerzeit maßgeblichen Bleiberechtsregelung vom
November 1999 für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt (Härtefallregelung).
Ein darauf gestütztes Gesuch um Abschiebungsschutz wurde vom Verwaltungsgericht im
November 2000 unter Verweis auf die von der Behörde „nach erneuter Prüfung“
eingewandte Nichterfüllung des Stichtages dieser Härtefallregelung (1.7.1993) wegen der
zwischenzeitlichen Abschiebung im Jahre 1994 und einer sich daraus ergebenden
Maßgeblichkeit des Datums der zweiten Einreise am 7.11.1994 für die Ermittlung der
Aufenthaltsdauer zurückgewiesen. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 27.11.2000 –
2 F 34/00 –) Eine Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
(vgl. hierzu den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19.9.2001 – 2 BvR
1553/01 –)
Eine in der Folge geplante Abschiebung konnte wegen Nichtvorliegens von Pässen nicht
vollzogen werden. Den Antragstellern von der zuständigen Auslandsvertretung im Jahr
2000 erteilte Reisepässe waren von ihnen nicht vorgelegt worden. (vgl. dazu das
Schreiben der Ausländerbehörde vom 16.4.2003 an des algerische Generalkonsulat in
Bonn, in dem um die Ausstellung sog. Laissez-Passer für die Antragsteller ersucht wurde,
Blatt 335 der Ausländerakten des Antragstellers zu 2))
Durch Strafbefehl vom 5.4.2002 wurden die Antragsteller zu 1) und 2) wegen eines
gemeinschaftlichen Betruges zu Lasten des Sozialamts und entsprechend unberechtigten
Bezugs von Sozialleistungen im Zeitraum Februar 1999 bis Oktober 2001 in Höhe von
insgesamt 5.375,- DM zu Geldstrafen von je 40 Tagessätzen verurteilt.
Ein im August 2004 unternommener Versuch der erneuten Abschiebung der Antragsteller
scheiterte, da die Antragstellerin zu 2) sich nach dem Eintreffen der Polizei in der Wohnung
über 16 Stunden in der Küche verschanzte und mit Selbstmord durch Messerstiche in
Halsschlagader und Leber drohte. Daraufhin wurde sie vorübergehend in ein
psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. (vgl. den Beschluss des Amtsgerichts Saarlouis
vom 5.8.2004 – 2 XIV 1790 L – und den unter gleichem Aktenzeichen ergangenen
Aufhebungsbeschluss vom 9.8.2004)
Im Oktober 2004 erhielt der Antragsteller zu 2) erneut eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen
wegen Beleidigung.
Mit Urteil vom 17.3.2005 wurde der Antragsteller zu 2) mit einer Geldstrafe von 40
Tagessätzen wiederum wegen Betrugs zu Lasten des Sozialamts belegt.
Ebenfalls im März 2005 wurde dann für die Antragstellerin zu 4) ein Asylantrag gestellt, der
im August 2005 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. (vgl. den
Ablehnungsbescheid des Bundesamts vom 4.8.2005 – 5159014-221 –)
Ein im Januar 2006 unter Hinweis auf ihre psychische Erkrankung gestellter erneuter
Abschiebungsschutzantrag der Antragstellerin zu 1) hatte keinen Erfolg. (vgl. VG des
Saarlandes, Beschluss vom 1.3.2006 – 6 F 4/06 – und OVG des Saarlandes, Beschluss
vom 31.5.2006 – 2 W 6/06 –)
Im Januar 2007 suchten die Antragsteller um eine Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen
nach der im Dezember 2006 auf der Grundlage eines Beschlusses der
Innenministerkonferenz vom November dieses Jahres erlassenen ministeriellen
Altfallregelung (Bleiberechtserlass) nach. (vgl. den Erlass des Ministeriums für Inneres,
Familie, Frauen und Sport vom 20.12.2006 – B 5 5510/1 Altfall -, betreffend das
„Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige
ausländische Staatsangehörige“) Im Oktober stellten sie einen entsprechenden Antrag
unter Bezugnahme auf die im August 2007 in Kraft getretene gesetzliche Altfallregelung (§
104a AufenthG).
Im Juli 2008 beantragte der Antragsteller zu 2) beim Bundesamt für Justiz –
Bundeszentralregisterbehörde – die vorzeitige Tilgung seiner Verurteilungen vom Oktober
2004 und vom März 2005. Der Antrag wurde im Januar 2009 abgelehnt.
Im März 2009 wurde ein weiteres gerichtliches Abschiebungsschutzersuchen der
Antragsteller vom Verwaltungsgericht zurückgewiesen. (vgl. VG des Saarlandes, Beschluss
vom 30.3.2009 – 5 L 1111/08 –) In der Begründung ist ausgeführt, dass weder auf der
Grundlage des § 104a AufenthG noch nach § 25 Abs. 5 AufenthG von einem
sicherungsbedürftigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgegangen
werden könne.
Am 1.7.2009 erhoben die Antragsteller Klage auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.
Das Verfahren wird beim Verwaltungsgericht unter der Geschäftsnummer 10 K 579/09
geführt.
Nachdem der Antragsgegner unter dem 29.7.2009 sämtliche Anträge der Antragsteller
auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen abgelehnt hatte, haben die Antragsteller Anfang
August 2009 das vorliegende Eilrechtsschutzverfahren eingeleitet, mit dem sie zum
wiederholten Mal beantragen, den Antragsgegner zu verpflichten, von
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ihnen gegenüber Abstand zu nehmen. Zur
Begründung haben sie geltend gemacht, im Falle der Antragstellerin zu 1) werde im
Hauptsacheverfahren ein Gutachten einzuholen und auf dessen Grundlage „voraussichtlich
ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis festzustellen sein“. Sie befinde sich seit
geraumer Zeit in nervenärztlicher Behandlung. Vom 9.4.2009 bis zum 11.5.2009 sei sie
stationär in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie St. N. Hospital in W. behandelt
worden. Einem Attest dieser Klinik vom 14.4.2009 lasse sich entnehmen, dass sich die
Antragstellerin zu 1) derzeit in einem äußerst labilen psychischen Zustand mit Suizidgefahr
bei drohender Abschiebung befinde. Derzeit bestehe dringende Behandlungsbedürftigkeit.
Von einer Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei nicht auszugehen. Danach sei eine
teilstationäre Weiterbehandlung in der Klinik der S. GmbH (S...berg) erfolgt. Ambulant
werde die Behandlung derzeit fortgeführt von Herrn R. Eine zwangsweise Rückführung
nach Algerien werde mit einer massiven, gegebenenfalls lebensbedrohlichen
Verschlechterung des Gesundheitszustands einhergehen. Die Maßnahme sei in hohem
Maße unverhältnismäßig. Das gelte insbesondere für eine vorgesehene „Ruhigstellung“ mit
hoch dosierter Medikation. Eine vom Antragsgegner in seinem Ablehnungsbescheid vom
29.7.2009 in Bezug genommene Stellungnahme des Gesundheitsamts beim damaligen
Stadtverband sei nahezu vier Jahre alt und nicht mehr aktuell. Hinsichtlich des inzwischen
16 Jahre alten Antragstellers zu 3), der in Deutschland geboren und aufgewachsen und für
den Algerien ein völlig unbekanntes Land sei, der einen Hauptschulabschluss erworben
habe und seit mehr als drei Jahren bei der SV E. Fußball spiele, ergebe sich ein Bleiberecht
aus § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK. Nach einem Schreiben seines
Trainers liege eine gelungene Integration und Sozialisation vor. Dass seine Eltern öffentliche
Hilfen zum Lebensunterhalt bezögen, dürfe nicht zu seinen Lasten gehen.
Der Antragsgegner hat auf die Begründung seines Ablehnungsbescheids vom 29.7.2009
Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 24.8.2009 hat das Verwaltungsgericht auch diesen
Anordnungsantrag zurückgewiesen. In der Begründung heißt es nach genereller
Bezugnahme auf den Ablehnungsbescheid, ein inländisches Vollstreckungshindernis ergebe
sich insbesondere nicht mit Blick auf die Erkrankung der Antragstellerin zu 1) und die
Ausführungen in dem Attest vom 14.4.2009. In dem späteren Bericht vom 11.5.2009 der
Klinik sei von „bestehender Suizidgefahr bei drohender Abschiebung“ nicht mehr die Rede.
Zum anderen sei geklärt, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Suizidgefahr
der Abschiebung nicht entgegenstehe. Die Ausländerbehörde müsse bei konkret im Raum
stehenden Selbstmordabsichten eine lückenlose ärztliche Begleitung des gesamten
Abschiebevorgangs sicherstellen. Gegebenenfalls müsse die deutsche Auslandsvertretung
im Zielstaat die Übernahme vor Ort durch einen Arzt sicherstellen. Bei Beginn einer
derartigen Abschiebemaßnahme müsse der anwesende Arzt unter Umständen nach
Konsultation eines Facharztes über die Reisefähigkeit entscheiden. Falls erforderlich sei in
Absprache mit dem behandelnden Arzt ein Vorrat an Medikamenten mitzugeben. Bei
diesen Vorkehrungen sei nicht zu erwarten, dass sich der Gesundheitszustand der
Antragstellerin zu 1) durch die Ausreise deutlich verschlechtern werde. Ungeachtet einer
persönlichen Integration des Antragstellers zu 3) könne ferner nicht von einem Anspruch
nach § 25 Abs. 5 AufenthG ausgegangen werden. Insoweit sei in wirtschaftlicher Hinsicht
auf die Verhältnisse der unterhaltspflichtigen Eltern abzustellen, denen insoweit auch bei
Berücksichtigung des Art. 8 EMRK kein Bleiberecht zustehe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom
24.8.2009 – 10 L 675/09 – muss erfolglos bleiben. Das Verwaltungsgericht hat dem
Begehren, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO)
zu verpflichten, ihnen gegenüber vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
Abstand zu nehmen, zu Recht nicht entsprochen. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO
den gerichtlichen Prüfungsumfang abschließend bestimmende Vorbringen in der
Beschwerdebegründung vom 16.9.2009 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Das gilt zunächst, soweit sich die Antragsteller gegen die Anwendung der
Zurechnungsregel nach § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG wenden, nach der auch mit einem
Straftäter im Sinne des Ausschlussgrundes des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG in
häuslicher Gemeinschaft lebende Familienmitglieder nicht in den Genuss der Altfallregelung
kommen. Die von den Antragstellern unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des
VGH Mannheim an das Bundesverfassungsgericht (vgl. dazu den Vorlagebeschluss zum
Bundesverfassungsgericht des VGH Mannheim vom 24.6.2009 – 13 S 519/09 –, DÖV
2009, 727 = InfAuslR 2009, 350) geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der Vorschrift,
die im Übrigen nicht die Annahme einer Teilnichtigkeit isoliert nur des § 104a Abs. 3 Satz 1
AufenthG rechtfertigen und daher dem Begehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG insgesamt den Boden entziehen würde, teilt der
Senat, der sich mit dieser Problematik in seinem Urteil vom 15.10.2009 – 2 A 329/09 –
befasst hat, nicht. (vgl. dazu im Einzelnen OVG des Saarlandes, Urteil vom 15.10.2009 –
2 A 329/09 –, mit Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung, OVG Lüneburg,
Beschluss vom 17.11.2008 – 10 LA 260/08 –, NVwZ-RR 2009, 497, OVG Magdeburg,
Beschluss vom 4.5.2009 – 2 O 45/09 –, juris, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
18.1.2008 – 2 S 6.08 –, juris) Dass das von den Antragstellern in dem Zusammenhang in
Bezug genommene OVG Bremen (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 11.2.2009 – 1 S
498/08 –, InfAuslR 2009, 181) in Anlegung des – eingangs ausdrücklich herausgestellten –
eingeschränkten Maßstabs hinreichender Erfolgsaussicht (§§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO)
den dortigen Klägern unter Verweis auf eine Überprüfung der Frage im
„Hauptsacheverfahren“ Prozesskostenhilfe bewilligt hat, rechtfertigt mit Blick auf die
genannte Berufungsentscheidung des Senats keine andere Beurteilung.
Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht,
soweit die Antragsteller in dem Zusammenhang ferner geltend machen, der vom
Verwaltungsgericht vollumfänglich in Bezug genommene Ablehnungsbescheid des
Antragsgegners vom 29.7.2009 sei insofern ermessensfehlerhaft ergangen, als im
Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer besonderen Härte nach dem diese Zurechnung
für Ehegatten gegebenenfalls ausschließenden § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG die
zwingend gebotene „Ermessensabwägung“ mit Blick auf die Erkrankung der Antragstellerin
zu 1) „offensichtlich unterblieben“ sei. Dies ist schon im Ansatz nicht nachzuvollziehen, da
die Vorschrift bestimmte tatbestandliche Voraussetzungen – neben der eigenen Erfüllung
der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch den Ehegatten
insbesondere das Vorliegen einer besonderen Härte – benennt, bei deren Vorliegen Satz 1
„nicht gilt“. Der Ausländerbehörde ist mithin in diesem Zusammenhang überhaupt kein
Ermessen eröffnet. Bei der Konkretisierung des unbestimmten und daher
ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffs der „besonderen Härte“ kommt eine solche nur dann
in Betracht, wenn im konkreten Einzelfall ganz besondere Umstände vorliegen, aus denen
sich ergibt, dass die mit der Befolgung der Ausreisepflicht für den Ehegatten verbundenen
Konsequenzen ihn erheblich ungleich härter treffen als andere Ausländer in vergleichbarer
Situation oder wenn beispielsweise die abgeurteilte Straftat im Sinne § 104a Abs. 1 Satz 1
Nr. 6 AufenthG gegenüber dem Ehepartner selbst begangen worden ist, weil dann die
Zurechnung gegenüber dem Opfer erfolgen würde. Eine Härte ergibt sich nicht
„automatisch“ mit Blick auf die psychische Erkrankung der Antragstellerin zu 1). (vgl. auch
hierzu OVG des Saarlandes, Urteil vom 15.10.2009 – 2 A 329/09 –, ebenfalls zum
Vorliegen einer psychischen Erkrankung (Traumatisierung) bei der Ehefrau als
Zurechnungsadressatin im Sinne des § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG) Davon dürften
letztlich auch die Antragsteller ausgehen, wenn sie in diesem Zusammenhang (nur) eine
ordnungsgemäße „Ermessensentscheidung“ reklamieren. Der Antragsgegner hat in
seinem Bescheid in der von ihnen in der Beschwerdebegründung wörtlich wiedergegebenen
Passage (Seite 6, Mitte) die Frage eines Härtefalles ausdrücklich thematisiert und
ausgeführt, dass ein solcher regelmäßig nur bei Vorliegen von Umständen, die die
Annahme eines dauerhaften Abschiebungsverbots rechtfertigen, angenommen werden
könne, und zutreffend eine „Besonderheit“ des Falles der Antragstellerin zu 1) gegenüber
vergleichbar vergleichbar betroffenen Ehefrauen verneint.
Im Ergebnis nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Antragsteller – wohl mit Blick auf
eine dauerhafte unverschuldete Ausreiseunmöglichkeit der Antragstellerin zu 1) – im Sinne
der Anspruchsvoraussetzungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG geltend machen, der
Antragsgegner sei gehalten gewesen, ein „aktuelles ärztliches, ggf.
psychologisches/psychotherapeutisches Gutachten betreffend die Reiseunfähigkeit
einzuholen“, statt insoweit auf eine 4 Jahre alte Stellungnahme des Gesundheitsamts zu
verweisen. Der Antragsgegner hat in seiner Entscheidung (Seite 4) ausdrücklich auf die
diesbezüglichen Ausführungen des Senats in seinem sich ausführlich mit dieser Thematik
befassenden Beschluss vom Mai 2006 (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom
31.5.2006 – 2 W 6/06 –, n.v.) Bezug genommen. Darin wird ausdrücklich auf das
Erfordernis der entsprechenden fachärztlichen Begutachtung der Reisefähigkeit der
Antragstellerin in dem insoweit maßgebenden Zeitpunkt der Durchführung der
Abschiebemaßnahme und auf die gebotene Vorgehensweise zur Vermeidung suizidaler
Handlungen im Rahmen des Abschiebevorgangs insbesondere nach den beim
Abschiebeversuch im August 2004 gemachten negativen Erfahrungen hingewiesen. Das
bedarf hier keiner Wiederholung. Wie bereits das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen
Beschluss ausgeführt hat, wird der hinzuzuziehende Arzt gegebenenfalls nach Einholung
weiteren fachärztlichen Rates und mit Blick auf die zu Gebote stehenden
Begleitmaßnahmen – also im Verständnis der Antragsteller so aktuell wie möglich – zu
beurteilen haben, ob am Maßstab drohender erheblicher Gesundheitsgefährdungen die
Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 1) gegeben ist oder nicht. Im letztgenannten Fall muss
die Abschiebung unterbleiben. Dass gegebenenfalls erforderliche fachärztliche
Unterstützung zu dem betreffenden Zeitpunkt verfügbar ist, hat der Antragsgegner
sicherzustellen. Insoweit wird dann auch zu beurteilen sein, ob die entgegen der Ansicht
der Antragsteller nicht von vorneherein als „unverhältnismäßig und menschenunwürdig“
anzusehende Verabreichung von Beruhigungsmitteln medizinisch veranlasst ist. Die
Beantwortung sich dabei stellender Fragen nach den Grenzen der medizinischen Ethik
obliegen dem hinzugezogenen Arzt. Auch das ist bereits Gegenstand der genannten
Aussetzungsentscheidung des Senats gewesen und muss hier nicht in Einzelheiten
wiederholt werden.
Soweit die Antragsteller in dem Zusammenhang erneut auf ärztliche Atteste vom April und
Mai 2009 Bezug nehmen, die bereits in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Berücksichtigung gefunden haben, ergibt sich nichts anderes. In dem ersten (vgl. das zur
Vorlage bei der Ausländerbehörde erstellte Attest des St. N. Hospitals W. – Fachklinik für
Vorlage bei der Ausländerbehörde erstellte Attest des St. N. Hospitals W. – Fachklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie – vom 14.4.2009, Blatt 32 der Gerichtsakte) ist zwar von
einem „äußerst labilen Zustand mit bestehender Suizidgefahr“, sich daraus ergebender
Behandlungsbedürftigkeit und einer „Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne“ die Rede. Dabei
handelt es sich um eine Momentaufnahme, die den Zustand der Antragstellerin zu 1)
während einer damaligen vollstationären Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus in W. beschreibt. Das verdeutlicht der insoweit vom Verwaltungsgericht
angesprochene, an den Hausarzt (Facharzt) adressierte vorläufige Behandlungsbericht
dieses Krankenhauses vom 11.5.2009. Dieser wurde nach Abschluss dieser stationären
Behandlung erstellt und enthält lediglich noch Hinweise auf eine „zum depressiven Pol
verschobene Stimmung“. Die ebenfalls in der Beschwerdebegründung erwähnte
„Bescheinigung“ der Kliniken S...berg (A-Stadt) von Ende Mai 2009, (vgl. die Bescheinigung
zur Vorlage bei der Ausländerbehörde der Psychiatrisch-Psychotherapeutischen Tagesklinik
der S. S. H. GmbH (Kliniken S…berg) vom 27.5.2009, Blatt 35 der Gerichtsakte) in der es
heißt, dass eine Reisefähigkeit nicht bestehe, betrifft ebenfalls einen Monate
zurückliegenden teilstationären Aufenthalt in diesem Krankenhaus und enthält keine
verbindliche Aussage für den gegenwärtigen Zeitpunkt. Insoweit obliegt es, insbesondere
nach der Vorgeschichte im konkreten Fall, dem Antragsgegner im Rahmen der
Hinzuziehung eines Arztes für eine medizinisch begleitete Rückführung, diesem die
Unterlagen rechtzeitig zugänglich zu machen. Das notwendige eigene Urteil zum Zeitpunkt
der vorgesehenen Rückführung wird dieser mit den oben genannten alternativen
Konsequenzen zu treffen haben. Aus den erwähnten Krankenhausberichten lässt sich
jedenfalls aktuell nicht (mehr) zwingend auf eine generelle Reiseunfähigkeit der
Antragstellerin zu 1) schließen, die es rechtfertigen würde, gegenwärtig
Abschiebemaßnahmen ihr gegenüber generell von vorneherein zu untersagen. Neue
Unterlagen wurden im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegt.
Auch soweit mit der Beschwerde – speziell bezogen auf den 1993 in Neunkirchen
geborenen und ganz überwiegend in Deutschland aufgewachsenen Antragsteller zu 3) – ein
Bleiberecht auf der Grundlage des Art. 8 EMRK (§ 25 Abs. 5 AufenthG) geltend gemacht
wird, unterliegt die Richtigkeit der ein solches verneinenden Entscheidung des
Verwaltungsgerichts keinen durchgreifenden Bedenken. Die von den Antragstellern
geforderte isolierte Betrachtung des minderjährigen, in Deutschland geborenen und
aufgewachsenen Antragstellers zu 3) kommt in dem Zusammenhang nach ständiger
Rechtsprechung des Senats nicht in Betracht. (vgl. auch hierzu bereits OVG des
Saarlandes, Beschluss vom 8.8.2008 – 2 B 265/08 –, SKZ 2009, 130, Leitsatz Nr. 58)
Eine schützenswerte Rechtsposition selbst eines in Deutschland geborenen und
aufgewachsenen Ausländers auf der Grundlage des Art. 8 EMRK als so genannter
„faktischer Inländer“ kommt allenfalls in Betracht, wenn von seiner abgeschlossenen
„gelungenen“ Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland, die nach der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
Grundvoraussetzung für die Annahme eines rechtlichen Abschiebungshindernisses auf der
Grundlage des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist, ausgegangen werden kann. Nicht ausreichend ist es
hingegen, dass sich der Betreffende über einen langen Zeitraum im Inland aufgehalten hat.
(vgl. dazu zuletzt OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 9.4.2009 – 2 B 318/09 –, und
vom 24.6.2009 – 2 B 348/09 –) Eine „gelungene“ soziale und wirtschaftliche Integration
der Antragsteller zu 1) und 2) und damit auch der minderjährigen Kinder kann ungeachtet
der nun vorgetragenen Bemühungen um eine Beschäftigung nicht angenommen und
insbesondere nicht aus den für Juli beziehungsweise August 2009 angegebenen
Beschäftigungsverhältnisse bei Reinigungsfirmen hergeleitet werden. Die Antragsteller
haben während ihres nun insgesamt fast 16 Jahre währenden Aufenthalts in Deutschland
öffentliche Hilfen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch genommen.
Aus den genannten Gründen ist die die Beschwerde zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 ZPO. Die
Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47
GKG 2004, wobei eine Halbierung des für jeden Antragsteller in Ansatz zu bringenden
Auffangstreitwerts gerechtfertigt erscheint.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar.