Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 15.04.2011

OVG Koblenz: arzneimittel, beihilfe, medikament, krankenversicherung, besondere härte, versorgung, fürsorgepflicht, bekanntmachung, verordnung, dokumentation

OVG
Koblenz
15.04.2011
10 A 11331/10.OVG
Beihilferecht
Verkündet am: 15.04.2011
gez. ………
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
………….
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigter: DGB Rechtsschutz GmbH, Büro Koblenz, Schlossstraße 37, 56068 Koblenz,
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Präsidenten der Wehrbereichsverwaltung West,
Wilhelm-Raabe-Straße 46, 40470 Düsseldorf,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
wegen Beihilfe
hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 16. März 2011, an der teilgenommen haben
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig
Richter am Oberverwaltungsgericht Möller
ehrenamtlicher Richter Sparkassenbetriebswirt Coßmann
ehrenamtlicher Richter Elektromeister Weitzel
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts
Koblenz vom 27. Oktober 2010 die Klage auch insoweit abgewiesen, als mit dem Bescheid der ….. vom
15. Juni 2009 und dem dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2010 die
Aufwendungen für das Medikament A…. 40 mg – 90 Tabletten – nur in Höhe von 90,06 € als beihilfefähig
anerkannt wurde.
Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Der Kläger steht als Beamter im Rang eines ……. im Dienste der Beklagten und ist beim Bundesamt D…..
in E….. beschäftigt. Unter dem 5. Mai 2009 beantragte er die Gewährung von Beihilfe unter anderem zu
den Aufwendungen für die ihm am 19. März 2009 ärztlich verordneten Medikamente B….. – in Höhe von
37,61 € - und A….. 40 mg - in Höhe von 135,51 € -.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2009 gewährte die ….. insoweit eine Beihilfe in Höhe von 40,53 €. Sie erkannte
die Aufwendungen für B….. nicht und die Aufwendungen für A….. nur in Höhe eines Betrages von 90,06 €
als beihilfefähig an. Von diesem Betrag zog sie einen Eigenanteil in Höhe von 9,01 € ab, woraus sich
unter Berücksichtigung des Beihilfebemessungssatzes von 50 % eine Beihilfe in Höhe von 40,53 €
errechnete.
Gegen die Versagung einer weitergehenden Beihilfe - in Höhe von 38,54 € - legte der Kläger Widerspruch
ein, der mit Widerspruchsbescheid der ….. vom 16. Februar 2010 zurückgewiesen wurde. Zur
Begründung wurde ausgeführt, das Medikament B….. sei als nicht verschreibungspflichtiges Medikament
nicht beihilfefähig; das Medikament A….. sei nur in Höhe des auf der Grundlage des § 22 Abs. 3 der
Bundesbeihilfeverordnung bestimmten Festbetrages beihilfefähig.
Darauf hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben und vorgetragen: Die Beihilfegewährung richte sich noch
nach den übergangsweise anwendbaren Beihilfevorschriften des Bundes. Danach könne er zu den
Aufwendungen für das Medikament B….. mit Rücksicht auf deren medizinische Notwendigkeit und
wirtschaftliche Angemessenheit und auf die Überschreitung des Gesamtbetrags der Eigenbehalte eine
Beihilfe beanspruchen. Ferner seien danach die Aufwendungen für das Medikament A….. in voller Höhe
beihilfefähig, da insoweit keine hinreichend vergleichbaren Wirkstoffe ohne Einschränkung der
Therapiemöglichkeit zur Verfügung stünden.
Der Kläger hat – sinngemäß – beantragt,
die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung der ergangenen Bescheide zu
verpflichten, ihm eine weitere Beihilfe in Höhe von 38,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem
jeweiligen aktuellen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab Rechtshängigkeit zu gewähren.
Die Beklagte hat
Klageabweisung
beantragt und im Wesentlichen ihre Darlegungen zur Begründung der Widerspruchsentscheidung
wiederholt und vertieft.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 27. Oktober 2010 unter entsprechender teilweiser
Aufhebung der ergangenen Bescheide dazu verpflichtet, dem Kläger eine weitere Beihilfe zu den
Aufwendungen für das Medikament A….. in Höhe von 22,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. März 2010 zu gewähren. Im Übrigen hat es die
Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Aufwendungen für das Medikament A…..
seien in voller Höhe beihilfefähig, da es dem Kläger schriftlich verordnet worden sei, die insoweit
entstandenen Aufwendungen notwendig und wirtschaftlich angemessen gewesen seien und die
Beihilfefähigkeit nicht auf den zur Anwendung gelangten Festbetrag beschränkt sei. Letzteres folge
daraus, dass die Einschränkung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Medikamente, wie sie in § 22
Abs. 3 der entgegen der Ansicht des Klägers hier bereits heranzuziehenden Bundesbeihilfeverordnung
vorgesehen sei, nicht in einer rechtswirksamen Art und Weise erfolgt sei, da die genannte Bestimmung die
Begrenzung der Beihilfefähigkeit einer Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern
überlasse; eine solche Begrenzung bedürfe aber in formeller Hinsicht einer ausdrücklichen
Rechtsgrundlage. Verwaltungsvorschriften könnten nur norminterpretierend die Beihilfevorschriften
konkretisieren und Zweifelsfälle im Sinne einer einfachen und gleichartigen Handhabung klären oder die
Ausübung vorhandener Ermessens- oder Beurteilungsspielräume lenken. Der Beihilfefähigkeit der
Aufwendungen für das Medikament B….. stehe dagegen die Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der
Bundesbeihilfeverordnung entgegen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil fristgemäß die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung
eingelegt. Sie tritt der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entgegen, dass für die Begrenzung der
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Medikamente auf Festbeträge keine ausreichende rechtliche
Grundlage vorhanden sei, und beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage auch insoweit abzuweisen, als der
Kläger eine weitere Beihilfe zu den Aufwendungen für das Medikament A….. begehrt.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für das
Medikament A…. für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten
zu den Prozessakten gereichten Schriftsätze sowie der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemachten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hätte die Klage auch insoweit abweisen müssen, als der Kläger die Gewährung
einer weiteren Beihilfe – in Höhe von 22,23 € - zu den Aufwendungen für das Medikament A….. 40 mg
begehrt.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Beihilfe für dieses Medikament in Höhe von 62,76 €. Für dieses
Medikament ist zulässigerweise und rechtswirksam die Beihilfefähigkeit auf den Betrag von 90,06 € - für
90 Tabletten - festgesetzt worden.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass für die Gewährung einer Beihilfe zu den
Aufwendungen in Krankheitsfällen die im Zeitpunkt der Entstehung der geltend gemachten
Aufwendungen gegebene Rechtslage maßgeblich ist (vgl. hierzu auch z.B. BVerwG, Urteil vom 28. Mai
2009 - 2 C 28.08 -, NVwZ-RR 2009, 730). Die Beihilfefähigkeit des erst unter dem 19. März 2009
verschriebenen Medikaments A….. beurteilt sich damit - entgegen der vom Kläger vor dem
Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung – nach der am 14. Februar 2009 in Kraft getretenen
Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung - BBhV -).
Mit dieser ist aber sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht in nicht zu beanstandender Weise
die Beihilfefähigkeit für das Medikament A….. 40 mg – 90 Tabletten – auf den Betrag von 90,06 €
festgesetzt worden.
Die Bestimmung von Festbeträgen für Arzneimittel als Obergrenze, wie sie in § 22 Abs. 3 BBhV geregelt
ist, entspricht namentlich – entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts – den Vorgaben des
Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 28. Mai 2009 – 2 C 28.08 – (a.a.O.), dass die Rechtslage
vor Erlass der Bundesbeihilfeverordnung – nach den nichtigen, aber für eine Übergangszeit weiterhin
anwendbaren Beihilfevorschriften des Bundes – betrifft. Diese dem verfassungsrechtlichen
Gesetzesvorbehalt nicht genügenden Vorschriften selbst sahen nicht die Möglichkeit vor, für die
Beihilfefähigkeit von Arzneimitteln Festbeträge – als Obergrenze – zu bestimmen; sie ergab sich vielmehr
nur aus einem Hinweis des Bundesministeriums des Innern zu einer Beihilfevorschrift (§ 6 Abs. 1 Nr. 2).
Gegen die in der Bundesbeihilfeverordnung getroffene Regelung bestehen auch nicht etwa die vom
Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 18. Februar 2009 – 2 C 23.08 – (NVwZ 2009, 847)
geäußerten Bedenken.
Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Bundesbeihilfeverordnung ist § 80 Abs. 4 des
Bundesbeamtengesetzes - BBG -. Danach konnten durch die Bundesbeihilfeverordnung auch
Festbeträge - als Obergrenze - für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel bestimmt
werden. So wird in Absatz 2 der Vorschrift zunächst klargestellt, dass beihilfefähig grundsätzlich nur
notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen sind. In Absatz 4 wird sodann das
Bundesministerium des Innern ermächtigt, im Einvernehmen mit weiteren Ministerien die Einzelheiten der
Beihilfegewährung durch Rechtsverordnung zu regeln. Dass zu diesen Einzelheiten der
Beihilfegewährung vor dem Hintergrund der für die Beihilfefähigkeit geforderten wirtschaftlichen
Angemessenheit der Aufwendungen gegebenenfalls auch die Bestimmung von Festbeträgen für
Arzneimittel gehört, kann mit Rücksicht darauf nicht zweifelhaft sein, dass Aufwendungen in
Krankheitsfällen der Höhe nach angemessen sind, wenn und soweit keine gleich wirksame
preisgünstigere Behandlung zur Verfügung steht (vgl. z.B. die oben bereits angeführten Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts); wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen erschließt, geht es bei der
Bestimmung dieser Festbeträge gerade hierum.
Mit der Bundesbeihilfeverordnung ist eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Bestimmung von
Festbeträgen für Arzneimittel geschaffen worden, die den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes – GG – genügt. Mit ihr wurde für den Regelfall - unter Zulassung von Ausnahmen aus
Gründen der Fürsorgepflicht im Einzelfall - unter Wahrung der Strukturprinzipien des Beihilferechts, aber
in Ausnutzung der im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung insoweit gewonnenen
sachverständigen Erkenntnisse, die Bestimmung von Festbeträgen für Medikamente auf eine gesetzliche
Grundlage gestellt, ohne dass das Bundesministerium des Innern in diesem Zusammenhang dazu
ermächtigt worden wäre, über eine norminterpretierende Konkretisierung der Beihilfevorschriften und die
Klärung von Zweifelsfällen im Sinne einer einfachen und gleichartigen Handhabung hinaus
eigenständige allgemeinverbindliche Entscheidungen in Bezug auf die Beihilfefähigkeit von
Aufwendungen für Medikamente zu Lasten des beihilfeberechtigten Personenkreises zu treffen.
Besondere Bedeutung kommt in diesem Rahmen der Bestimmung des § 7 BBhV zu, die in dem
angefochtenen Urteil keine Berücksichtigung gefunden hat.
Zunächst wird in § 6 Abs. 1 BBhV der seit jeher als fürsorgegemäß anerkannte beihilferechtliche
Grundsatz herausgestellt, dass beihilfefähig in aller Regel nur notwendige und wirtschaftlich
angemessene Aufwendungen sind. Wie oben bereits – unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts – festgestellt wurde, bedeutet die – grundsätzliche – Beschränkung der
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen auf das wirtschaftlich Angemessene, dass Aufwendungen in
Krankheitsfällen – regelmäßig – der Höhe nach angemessen sind, wenn und soweit keine gleich
wirksame preisgünstigere Behandlung zur Verfügung steht. Was in Sonderheit die Beihilfefähigkeit von
Aufwendungen für Medikamente anlangt, heißt das, dass diese Aufwendungen – grundsätzlich – der
Höhe nach angemessen sind, wenn und soweit keine gleich wirksamen preisgünstigeren Medikamente
auf dem Markt vorhanden sind. Hieraus - insbesondere aus dem „soweit“ - folgt nun aber, dass
dann, wenn ein Medikament erworben wird, das teurer ist als ein verfügbares gleich wirksames Mittel, die
Kosten – in aller Regel – nicht in vollem Umfang, sondern nur in Höhe des Kaufpreises für das billigere
Medikament beihilfefähig sind.
Von daher ist es aus beihilferechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn Regelungen getroffen werden,
die dies – für den Normalfall – sicherstellen sollen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass sich diese
Regelungen an demselben Zweck dienende Normen aus dem Rechtskreis der gesetzlichen Krankenver-
sicherung anlehnen und die dort insofern maßgeblichen in bewährter Weise gewonnenen sachkundigen
Erkenntnisse fruchtbar und auch für das Beihilferecht zur Grundlage gemacht werden. Das gilt jedenfalls,
solange zugleich Abweichungen aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall aus Gründen der den
Dienstherrn treffenden Fürsorgepflicht (§ 78 BBG) zugelassen sind. Letzteres schreibt die
Bundesbeihilfeverordnung in § 6 Abs. 1 Satz 2 vor: Danach sind Aufwendungen auch dann – abweichend
vom hier behandelten Grundsatz – beihilfefähig, soweit die Ablehnung der Beihilfe im Hinblick auf die
Fürsorgepflicht eine besondere Härte darstellen würde.
Zur Sicherstellung einer Beihilfegewährung allein zu den wirtschaftlich angemessenen Aufwendungen im
vorbezeichneten Sinne ordnet § 22 Abs. 3 BBhV in Bezug auf die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für
Medikamente an, dass das Bundesministerium des Innern in Verwaltungsvorschriften als Obergrenze für
die Beihilfefähigkeit Festbeträge im Sinne von § 35 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V –
bestimmt und dass dafür die in der genannten Vorschrift geregelten Grundsätze entsprechend gelten; des
Weiteren hat sich die Festlegung der Obergrenzen im dargelegten Sinne an den auf der Grundlage der
besagten Vorschrift getroffenen Entscheidungen und Bewertungen zu orientieren und die Fürsorgepflicht
zu berücksichtigen. Ergänzend sind hierzu ferner die Regelungen in § 7 BBhV mitzuberücksichtigen. Dort
heißt es in Satz 1, dass, soweit sich Inhalt und Ausgestaltung von Leistungen, zu denen Beihilfe gewährt
wird, an Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch anlehnen, die Beihilfefähigkeit der
Aufwendungen voraussetzt, dass für die Leistungen einschließlich der Arzneimittel nach dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die
medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit nachgewiesen sind sowie insbesondere ein
Arzneimittel zweckmäßig ist und keine andere wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit
vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist. Ferner wird in Satz 2 der
Vorschrift bestimmt, dass, wenn in der Bundesbeihilfeverordnung auf Vorschriften des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch verwiesen wird, die ihrerseits auf Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
nach § 91 SGB V, Entscheidungen oder Vereinbarungen der Spitzenverbände der gesetzlichen
Krankenkassen oder Satzungsbestimmungen von gesetzlichen Krankenkassen verweisen oder Bezug
nehmen, sich die Rechtsanwendung unter Berücksichtigung des Fürsorgegrundsatzes an den in diesen
Normen oder Entscheidungen niedergelegten Grundsätzen zu orientieren hat. Klargestellt ist dazu in Satz
3 der Bestimmung, dass dies insbesondere unter anderem für § 22 BBhV gilt.
Was die nach diesen Vorschriften bei der Bestimmung der Festbeträge, wie oben im Einzelnen dargestellt,
zu berücksichtigenden Grundsätze gemäß § 35 SGB V, auf dieser Grundlage getroffenen Entscheidungen
und Bewertungen und Grundsätze in den in § 7 Satz 2 BBhV angesprochenen Normen und Entschei-
dungen angeht, stellt sich die Rechtslage wie folgt dar:
Gemäß § 35 SGB V erfolgt die Festsetzung der Festbeträge für Arzneimittel – mit der für die Versicherten
ein wirksamer finanzieller Anreiz geschaffen werden soll, sich unter mehreren therapeutisch
gleichwertigen Arzneimitteln für die preisgünstigen Mittel zu entscheiden (Hauck/Noftz, SGB V, Stand März
2011, Rdnr. 30 zu § 35) – in einem zweistufigen Verfahren.
Auf der ersten Stufe bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Arzneimittel-Richtlinien
(Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung in der Fassung vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009 – BAnz 2009 Nr.
49 a -, geändert durch Bekanntmachung vom 18. Juni 2009 – BAnz Nr. 119 -), die Rechtsnormcharakter
haben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 17/95 -, MedR 1998, 230;
Hauck/Noftz, a.a.O., Rdnr. 5 zu § 92), für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt
werden können. In Absatz 1 sind hierzu die Arzneimittel bezeichnet, die in einer Gruppe zusammen-
gefasst werden können. Danach können Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (Stufe 1), mit
pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen (Stufe 2) und mit therapeutisch vergleichbarer
Wirkung (Stufe 3) zusammengefasst werden. Dabei sind die - aus unterschiedlichen galenischen
Zubereitungen resultierenden - unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel zu
berücksichtigen, sofern sie für die Therapie bedeutsam sind, und muss sichergestellt sein, dass
Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige
Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen. Diese Grundsätze sind nahezu wortgleich in die seitens
des Bundesministeriums des Innern erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur
Bundesbeihilfeverordnung vom 14. Februar 2009, geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 17.
Dezember 2009 - im Folgenden nur: Allgemeine Verwaltungsvorschrift -, die Verwaltungsvorschrift zu § 22
Abs. 3 (Textziffer 22.3.1), übernommen worden. Des Weiteren ermittelt der Gemeinsame
Bundesausschuss auch die für die Festbetragsfestsetzung benötigten geeigneten Vergleichsgrößen (§ 35
Abs. 1 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss ist gebildet von den Kassenärztlichen
Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der
Krankenkassen (§ 91 Abs. 1 SGB V). Er beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung
erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende zweckmäßige und wirtschaftliche
Versorgung der Versicherten (§ 92 Abs. 1 SGB V). Die Arzneimittel-Richtlinien haben Arzneimittel so
zusammenzustellen, dass dem Arzt die wirtschaftliche und zweckmäßige Auswahl der
Arzneimitteltherapie ermöglicht wird (§ 92 Abs. 2 SGB V). Vor der Entscheidung über die Arzneimittel-
Richtlinien ist unter anderem Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft
und Praxis Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 92 Abs. 3 a SGB V); das gilt namentlich auch für
die Bestimmung der Arzneimittelgruppen, für die Festbeträge festgesetzt werden können (§ 35 Abs. 2 SGB
V). Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss insoweit festgelegten Gruppen sowie die jeweiligen
Vergleichsgrößen ergeben sich aus der Anlage IX zu den Arzneimittel-Richtlinien (§ 42 der Richtlinien);
die Vergleichsgrößen werden nach Maßgabe des § 43 der Arzneimittel-Richtlinien aktualisiert.
Auf der zweiten Stufe werden die jeweiligen Festbeträge durch den Spitzenverband Bund der
Krankenkassen auf der Grundlage geeigneter Vergleichsgrößen festgesetzt (§ 35 Abs. 3 SGB V). Vor der
Festsetzung der Festbeträge ist wiederum unter anderem Sachverständigen der medizinischen und
pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 35 Abs. 3 i.V.m.
Abs. 2 SGB V). Bei der Bestimmung der Festbeträge ist der Spitzenverband an die
Festbetragsgruppenbildung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss gebunden (Hauck/Noftz, a.a.O.,
Rdnr. 80 zu § 35). Die Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet; sie haben
sich an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten. Der Festbetrag für Arzneimittel
soll den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls zwischen dem niedrigsten und dem
höchsten Preis einer Standardpackung nicht übersteigen; dabei müssen mindestens 1/5 aller
Verordnungen und mindestens 1/5 aller Packungen zum Festbetrag verfügbar sein. Die Festbeträge sind
mindestens einmal im Jahr zu überprüfen und in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage
anzupassen (§ 35 Abs. 5 SGB V). An die gesetzlichen Vorgaben zur Bestimmung der Höhe ist der
Spitzenverband gebunden; im Übrigen steht ihm bei der Benennung der Festbeträge ein
Beurteilungsspielraum zu (vgl. Hauck/Noftz, a.a.O., Rdnr. 93 zu § 35). Die Festsetzung der Festbeträge ist
ein gestaltender Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember
2002 - 1 BvL 28/95 -, BVerfGE 106, 275). Die Festbeträge sind im Bundesanzeiger bekanntzumachen (§
35 Abs. 7 SGB V). Schließlich erstellt und veröffentlicht der Spitzenverband Bund der Krankenkassen
Übersichten über sämtliche Festbeträge und die betreffenden Arzneimittel und übermittelt diese im Wege
der Datenübertragung dem Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information zur
abruffähigen Veröffentlichung im Internet; die Übersichten sind vierteljährlich zu aktualisieren (§ 35 Abs. 8
SGB V). Auf diese Übersicht wird in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 22 Abs. 3 (Textziffer
22.3.2) unter Angabe der Internetveröffentlichung durch das besagte Institut als Grundlage für die
Ermittlung des beihilfefähigen Festbetrags verwiesen. Zitiert wird insoweit allerdings noch § 35 a Abs. 5
SGB V; diese Vorschrift enthielt im Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift die
Regelung, wie sie heute in § 35 Abs. 8 SGB V niedergelegt ist.
Das Medikament A…., um das es im vorliegenden Verfahren geht, gehört zur Gruppe der sogenannten
Protonenpumpenhemmer und enthält den Wirkstoff E….. Am 15. Juni und 20. Juli 2004 beschloss der
Gemeinsame Bundesausschuss insgesamt vier – neue – Festbetragsgruppen, unter anderem die
Festbetragsgruppe Protonenpumpenhemmer – einschließlich des Wirkstoffs E….. – (BAnz S. 21085,
21086). Für diese Gruppen setzte sodann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit
Bekanntmachung vom 29. Oktober 2004 (BAnz S. 22602) die Festbeträge fest. Der Festbetrag für die
Protonenpumpenhemmer wurde in der Folgezeit gemäß § 35 Abs. 5 SGB V in geeigneten Zeitabständen
der veränderten Marktlage angepasst (vgl. hierzu beispielsweise die Bekanntmachung des
Spitzenverbandes vom 29. Juni 2010 – BAnz S. 2338). Die für das 1. Quartal 2009 geltende Übersicht
über sämtliche Festbeträge und die betreffenden Arzneimittel gemäß § 35 Abs. 8 SGB V weist unter
Nummer 7276 für das Medikament A….. 40 mg – 90 Tabletten – den Festpreis 90,06 € aus, wie er auch
der dem Kläger gewährten Beihilfe zugrunde gelegt wurde.
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen erschließt, konstituieren die in den §§ 7 und 22 Abs. 3
BBhV für die „beihilferechtliche“ Festbetragsbestimmung in Bezug genommenen Vorschriften des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch, Richtlinien, Entscheidungen und Bewertungen, deren Grundsätze insoweit
entsprechend gelten sollen bzw. an die sich die Festsetzung anzulehnen hat, ein komplexes Verfahren
zur Ermittlung von Festbeträgen für Medikamente, in das in ganz erheblichem Umfang besondere
Sachkunde sowohl in medizinischer als auch in pharmazeutischer – wissenschaftlicher und praktischer –
Hinsicht und nicht zuletzt auch in Bezug auf die Marktlage eingebunden ist. Dabei steht zudem nicht nur
die einmalige Festsetzung von Festbeträgen, sondern auch die – notwendige – ständige Anpassung und
Ergänzung der Festlegungen inmitten.
Wie oben bereits ausgeführt wurde, ist die Festsetzung von Festbeträgen – als Obergrenze – für die
Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Medikamente dem Beihilferecht keineswegs fremd, da die
Fürsorgepflicht den Dienstherrn keineswegs dazu verpflichtet, den Beamten von allen Behandlungskosten
freizustellen, und dementsprechend anerkannt ist, dass eine Beihilfe nur zu den wirtschaftlich
angemessenen Aufwendungen gewährt zu werden braucht – wie das die Festsetzung von Festbeträgen
für Arzneimittel bewirkt. Unter der Festsetzung von Festbeträgen darf dabei selbstverständlich nicht die
Qualität der medizinischen Versorgung der Beamten leiden.
Demselben Zweck dienen nun aber auch die in den §§ 7 und 22 Abs. 3 BBhV angesprochenen
Regularien, ohne dass insoweit strukturelle Unterschiede zwischen den Systemen der Beihilfe und der
gesetzlichen Krankenversicherung zum Tragen kämen. Insbesondere ist auch bei der Festsetzung von
Festbeträgen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zufolge der obigen Darlegungen
zwingend darauf Bedacht zu nehmen, dass eine ausreichende und in der Qualität gesicherte Versorgung
gewährleistet ist.
Von daher ist es mit Blick auf die Komplexität der Ermittlung von Festbeträgen für Arzneimittel, die diesen
Anforderungen – im Normalfall, wie er hier in Rede steht – in jeder Hinsicht gerecht werden, und die
hierzu benötigte besondere Sachkunde in gleich mehreren Bereichen nicht zu beanstanden, dass der
Beihilfeverordnungsgeber die für die Festbetragsfestsetzung im Rahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung geltenden Grundsätze und insoweit maßgeblichen von besonderer Sachkunde
geprägten Entscheidungen und Bewertungen mit unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad zur Grundlage
für die „beihilferechtliche“ Festbetragsfestsetzung erklärt hat. Da der Verordnungsgeber so nicht die
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel „starr“ an die Festbetragsfestsetzungen im Rahmen
der gesetzlichen Krankenversicherung gebunden hat, bestehen dieser Regelung gegenüber auch nicht
die in den oben bereits angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar
und 28. Mai 2009 geäußerten rechtlichen Bedenken an einer Übertragung der Entscheidungskompetenz
vom Dienstherrn auf die Selbstverwaltungsorgane der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Dienstherr
hat vielmehr lediglich aus diesem Rechtskreis Grundsätze und „Richtwerte“ für die „eigene“
Festbetragsfestsetzung übernommen – und damit vor allem die dort gewonnenen sachverständigen
Erkenntnisse auch für das Beihilferecht fruchtbar gemacht. Sonst hätte es für die Bestimmung von
Arzneimittelfestbeträgen im Beihilferecht eines Aufwandes, namentlich was die Gewinnung
sachverständiger Erkenntnisse betrifft, bedurft, der dem insoweit in der gesetzlichen Krankenversicherung
betriebenen Aufwand in etwa vergleichbar gewesen wäre. Darüber hinaus hätten dann auch noch die
Festbeträge fortlaufend durch „eigene“ Sachverständige unter Kontrolle gehalten werden müssen.
Andererseits ist aufgrund der angeordneten entsprechenden Geltung bestimmter Grundsätze der
Festbetragsfestsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung und der vorgeschriebenen Anlehnung
an bestimmte – öffentlich bekanntgemachte – Entscheidungen und Bewertungen in diesem
Zusammenhang – in Verbindung mit den grundlegenden Aussagen in § 7 Satz 1 BBhV – in der
Bundesbeihilfeverordnung selbst alles Wesentliche in Bezug auf die Festbetragsbestimmung in
Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums des Innern geregelt, wie sie in § 22 Abs. 3 BBhV
vorgesehen ist. Die dort insofern getätigten Aussagen stellen sich so letztendlich als bloße
norminterpretierende Konkretisierung der Beihilfevorschriften und Handreichung zur Gewährleistung
einheitlicher Maßstäbe bei der Gewährung von Beihilfen dar. Jedenfalls kann aufgrund der Regelungen in
§§ 7 und 22 Abs. 3 BBhV nicht davon ausgegangen werden, dass das Bundesministerium des Innern
auch dazu befugt sein soll, für andere Medikamente als in der gesetzlichen Krankenversicherung
Festbeträge oder für Arzneimittel, zu denen in der gesetzlichen Krankenversicherung Festbeträge
festgelegt wurden, niedrigere Festbeträge als daselbst zu bestimmen. So beschränkt sich denn auch die
Allgemeine Verwaltungsvorschrift unter den Textziffern 22.3.1 und 22.3.2 zur Bestimmung von
Festbeträgen für Arzneimittel darauf, die in § 35 Abs. 1 SGB V aufgeführten Grundsätze für die Bildung von
Festbetragsgruppen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zu wiederholen und im Übrigen auf die
vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information veröffentlichte Übersicht über
sämtliche Festbeträge und die betroffenen Arzneimittel zu verweisen. Dass das Bundesministerium des
Innern allerdings mit Blick auf die sowohl in § 7 als auch in § 22 Abs. 3 BBhV hervorgehobene
Berücksichtigung des Fürsorgegrundsatzes gemäß § 78 BBG zum Zwecke der Vermeidung besonderer
Härten, wie sie in § 6 Abs. 1 BBhV angesprochen ist, allgemeine Anweisungen zu möglichen
Abweichungen von den Festbetragsfestsetzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zugunsten
der Beihilfeberechtigten in die Verwaltungsvorschriften wird aufnehmen können, ist im hier behandelten
Zusammenhang unschädlich.
Nach alledem erweisen sich die in der Bundesbeihilfeverordnung getroffenen Regelungen zur
Begrenzung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Medikamente sowohl in formeller als auch in
materieller Hinsicht als rechtlich unbedenklich.
Damit ist auf die Berufung die Klage auch insoweit abzuweisen, als der Kläger die Gewährung einer
höheren Beihilfe für das Medikament A….. begehrt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Steppling
gez. Hennig
gez. Möller
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 22,23 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 3,
47 des Gerichtskostengesetzes - GKG -).
gez. Steppling
gez. Hennig
gez. Möller