Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 02.03.2011

OVG Koblenz: cannabis, aufschiebende wirkung, konzentration, konsum, fahreignung, erlass, abgrenzung, vollziehung, wahrscheinlichkeit, polizei

OVG
Koblenz
02.03.2011
10 B 11400/10.OVG
Fahrerlaubnisrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
……….
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Lappe und Partner, Pariser Straße 119, 55268 Nieder-Olm,
gegen
den Landkreis Alzey-Worms, vertreten durch den Landrat, Ernst-Ludwig-Straße 36, 55232 Alzey,
- Antragsgegner und Beschwerdegegner -
wegen Fahrerlaubnis
hier: aufschiebende Wirkung
hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
2. März 2011, an der teilgenommen haben
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Richter am Oberverwaltungsgericht Möller
Richterin am Oberverwaltungsgericht Brink
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 29.
November 2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- € festgesetzt.
G r ü n d e
Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Es ergeben sich aus den Gründen der Beschwerde keine rechtlichen Bedenken an der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts.
Was zunächst die Begründung des Interesses an einer sofortigen Vollziehung der
Fahrerlaubnisentziehung angeht, ist zu sehen, dass sich im Fahrerlaubnisrecht häufig die Gründe für den
Erlass der vom Gesetzgeber zwingend geforderten Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder
Fahreignung weitestgehend mit den Gründen für deren sofortige Durchsetzung decken, geht es doch um
die Abwendung der von zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeigneten Fahrerlaubnisinhabern im
Falle ihrer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ausgehenden erheblichen Gefahren für Leib und
Leben anderer Verkehrsteilnehmer. Eine „weitestgehende Übereinstimmung“ zwischen den Gründen für
die Fahrerlaubnisentziehung mangels Fahreignung und den Gründen für deren sofortige Durchsetzung
hat der Senat namentlich in den Fällen gesehen, in denen sich die Ungeeignetheit zur Teilnahme am
Straßenverkehr aus dem Konsum von Betäubungsmitteln – auch der gelegentlichen Einnahme von
Cannabis bei fehlendem Trennungsvermögen in Bezug auf Konsum und Fahren – herleitet, da es dann
regelmäßig darum geht, den von einem solchen zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeigneten
Fahrerlaubnisinhaber ausgehenden s t ä n d i g e n erheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer
möglichst umgehend und nicht erst nach dem Abschluss eines gegebenenfalls mehrere Jahre dauernden
gerichtlichen Verfahrens zu begegnen. Von daher genügt die in der Verfügung vom 18. Oktober 2010
gegebene Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung - noch
- dem Begründungserfordernis gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -. Es
wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn in der Begründung noch einmal gesondert zum Ausdruck
gebracht worden wäre, dass es hier eben um die Bekämpfung der von Fahrzeugführern mit
ungenügendem Trennungsvermögen zwischen Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme beständig
ausgehenden schwerwiegenden Gefahren geht.
Die angefochtene Fahrerlaubnisentziehung erweist sich auch unter Berücksichtigung des
Beschwerdevorbringens als offensichtlich rechtmäßig.
Der Antragsgegner ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller nicht nur – wie von ihm im
Übrigen nicht in Abrede gestellt wird – am Abend des 22. April 2010 unter verkehrssicherheitsrelevantem
Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hat, sondern dass er auch gelegentlich Cannabis konsumiert
bzw. bis dahin zumindest konsumiert hat.
Insofern kann letztlich dahingestellt bleiben, ob sich dies nach Maßgabe der schon vom
Verwaltungsgericht in Bezug genommenen und bislang auch vom Senat regelmäßig herangezogenen
sogenannten Daldrup-Tabelle (Blutalkohol 2000, 39) daraus ergibt, dass das dem Antragsteller „spontan“
- nur eine halbe Stunde nach seiner Verkehrsteilnahme - entnommene Blut eine höhere THC-COOH-Kon-
zentration als 10 ng/ml, nämlich eine solche von 94 ng/ml, aufwies (vgl. zu diesem „Richtwert“ auch z.B.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Mai 2006 - 1 S 14.06 -, Juris), oder ob erst bei einem
höheren – und hier nicht erreichten – Wert allein mit Rücksicht auf die THC-COOH-Konzentration von
einer gelegentlichen Cannabiseinnahme ausgegangen werden kann. Nach der Rechtsprechung des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 16. August 2006 - 11 CS 05.3394 -, Juris), des
Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (vgl. Beschluss vom 19. Dezember 2006 -1 M
142/06-, Juris) und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 24. September 2008,
NJW 2009, 1523) ist eine Abgrenzung zwischen einmaligem und gelegentlichem Konsum von Cannabis
allein anhand der THC-COOH-Konzentration auf der Grundlage des gegenwärtigen Stands der
Wissenschaft im Bereich bis zu 100 ng/ml nicht möglich.
Dahinstehen kann dies deshalb, weil nach der derzeitigen Erkenntnislage auch dann, wenn man die beim
Antragsteller festgestellte THC-COOH-Konzentration für sich allein nicht als Nachweis eines
gelegentlichen Cannabiskonsums seinerseits genügen lassen wollte, - gleichwohl - von einem solchen
Konsumverhalten des Antragstellers auszugehen wäre. Hieran kann nämlich kein vernünftiger Zweifel
bestehen, wenn neben der den bislang vom Senat zugrunde gelegten „Richtwert“ für einen
gelegentlichen Cannabisgenuss um ein Vielfaches übersteigenden THC-COOH-Konzentration im Blut
des Antragstellers weitere Umstände mit in den Blick genommen werden. Von daher wäre es auch dann,
wenn die beim Antragsteller festgestellte THC-COOH-Konzentration isoliert betrachtet keine gelegentliche
Cannabiseinnahme seinerseits zu belegen vermöchte, im vorliegenden Verfahren nicht zu beanstanden,
dass der Antragsgegner ohne weitere Sachverhaltsaufklärung, namentlich ohne Anordnung einer
ärztlichen Begutachtung des Antragstellers (vgl. hierzu die oben bereits angeführten Beschlüsse des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern und des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs), die Fahrerlaubnis entzogen hat.
Dass sich die gelegentliche Cannabiseinnahme eines als Verkehrsteilnehmer unter Cannabiseinfluss
auffällig gewordenen Fahrerlaubnisinhabers auch aus anderen Umständen als allein der THC-COOH-
Konzentration erschließen kann, bedarf keiner weiteren Vertiefung; so versteht es sich von selbst, dass
sich ein solches Konsummuster aus den eigenen Angaben des Betroffenen oder daraus ergeben kann,
dass er zuvor schon einmal als Cannabiskonsument in Erscheinung getreten war.
Entgegen der vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-
Vorpommern und dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof vertretenen Auffassung kann dem
Erklärungsverhalten des Fahrerlaubnisinhabers aber nicht bloß dann Bedeutung beigemessen werden,
wenn er einen gelegentlichen Cannabiskonsum einräumt. Das Erklärungsverhalten kann vielmehr auch
ansonsten von rechtlicher Relevanz sein, weil sich ihm – in Verbindung mit weiteren Gegebenheiten – mit
einer für die Überzeugungsbildung hinreichenden Gewissheit entnehmen lässt, dass der betreffende
Fahrerlaubnisinhaber bereits öfter als nur das eine Mal, auf das seine Verkehrsteilnahme unter
Cannabiseinfluss zurückzuführen war, Cannabis zu sich genommen hat. Dem steht die Tatsache nicht
entgegen, das die „Gelegentlichkeit“ der Cannabiseinnahme eine der Tatbestandsvoraussetzungen für
die – regelmäßige – Fahrungeeignetheit nach Maßgabe von Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur
Fahrerlaubnisverordnung – FeV – und den Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung auf dieser
Grundlage ist und es deshalb der anordnenden Behörde obliegt, darzulegen und erforderlichenfalls zu
beweisen, dass der betreffende Fahrerlaubnisinhaber nicht lediglich einmalig Cannabis konsumiert hat.
Das schließt es keineswegs aus, bestimmten Tatsachen mit Blick auf das Konsummuster indizielle
Bedeutung beizumessen und hieraus berechtigterweise den Schluss auf eine mehr als nur einmalige
Cannabisaufnahme ziehen zu können - mit der Folge der Entbehrlichkeit einer Begutachtung (vgl. § 11
Abs. 7 FeV).
Maßgebliche Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang zunächst der Umstand, dass, wie der Senat
bereits in seinem Beschluss vom 12. August 2010 – 10 B 10770/10.OVG - herausgestellt hat - und worauf
auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 29. Juli 2009, DAR 2009, 598),
der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urteil vom 21. Februar 2007, Blutalkohol 2007, 190)
und das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein (Beschluss vom 7. Juni 2005 - 4 MB 49/05 -, Juris)
hinweisen -, ein Zusammentreffen von erstmaligem - „experimentellem“ - Cannabiskonsum,
anschließender Verkehrsteilnahme unter verkehrssicherheitsrelevanter Einwirkung der bislang noch zu
keiner Zeit „ausprobierten“ Droge und dem entsprechenden Auffälligwerden im Rahmen einer
polizeilichen Verkehrskontrolle - trotz der nur geringen Dichte der Verkehrsüberwachung durch die Polizei
- kaum ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Zu letzterem hebt das Oberverwaltungsgericht Schleswig-
Holstein (a.a.O.) zutreffend hervor, dass fachspezifische Untersuchungen zur Verkehrsteilnahme unter
Alkohol ergeben haben, dass auf eine polizeilich festgestellte Trunkenheitsfahrt hunderte unaufgedeckt
gebliebene entfallen. Und was eine eventuelle Verkehrsteilnahme nach „experimentellem“
Cannabiskonsum angeht, weist das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (a.a.O.) richtigerweise
darauf hin, dass eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dagegen spricht, dass ein Fahrerlaubnisinhaber
gerade im Anschluss an einen „experimentellen“ Cannabiskonsum - bei noch weitgehender
Unerfahrenheit mit den Wirkungen dieses Betäubungsmittels - das Risiko auf sich nimmt, im öffentlichen
Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug zu führen.
Vor diesem Hintergrund der außerordentlichen Seltenheit einer Kombination von einmaligem
Cannabiskonsum, Führen eines Kraftfahrzeugs unter Cannabiseinfluss und Hineingeraten in eine
Polizeikontrolle muss - nicht zuletzt auch mit Rücksicht darauf, dass es hier nicht um die Ahndung
begangenen Unrechts, sondern um die Abwehr erheblicher Gefahren für die übrigen Verkehrsteilnehmer
geht – von dem verkehrsauffällig gewordenen Fahrerlaubnisinhaber erwartet werden können, dass er sich
ausdrücklich auf einen lediglich einmaligen Cannabiskonsum beruft und die Umstände dieser
probeweisen Drogeneinnahme substantiiert – unter genauer Schilderung der konkreten Einzelumstände
des Konsums – und glaubhaft, gegebenenfalls auch nachprüfbar, darlegt. Anders gewendet heißt dies,
dass die Tatsache eines Schweigens zur Frage der Häufigkeit des Cannabisgenusses, der lapidaren
Behauptung erst- und einmaligen Cannabiskonsums sowie der Abgabe einer offensichtlich falschen
Darstellung zu einem solchen Konsum die Annahme einer nicht nur vereinzelten – „experimentellen“ –
Cannabisaufnahme rechtfertigt. Das muss umso gelten, wenn dem Betroffenen – wie dem Antragsteller
zumindest nach der Einschaltung seines Prozessbevollmächtigten noch im Verwaltungsverfahren – die
rechtliche Bedeutsamkeit der Abgrenzung zwischen einmaligem und häufigerem Cannabiskonsum und
so nicht zuletzt eben auch die Unschädlichkeit der Einräumung eines bloß einmaligen Genusses bekannt
ist.
Hier hat sich der Antragsteller, nachdem er im Rahmen der Verkehrskontrolle und bei seiner polizeilichen
Vernehmung entgegen seiner Darstellung im Verwaltungs- und im vorliegenden Eilverfahren nicht etwa
einen einmaligen Cannabiskonsum eingeräumt, sondern Angaben verweigert bzw. geltend gemacht hat,
noch nie Betäubungsmittel konsumiert zu haben (vgl. Einsatzbericht vom 22. April 2010), gegenüber dem
Antragsgegner und dem Verwaltungsgericht sowie in der Beschwerde darauf zurückgezogen, er habe
seinerzeit vor dem Fahrtantritt zum ersten Mal Cannabis konsumiert gehabt und habe auch danach kein
Cannabis mehr zu sich genommen.
Abschließend sei noch hervorgehoben, dass die vom Antragsteller zu den Akten gereichten Laborbefunde
aus der Zeit nach dem Vorfall vom 22. April 2010 nichts dazu auszusagen vermögen, ob der Antragsteller
am 22. April 2010 erstmals Cannabis zu sich genommen hat oder ob er zuvor bereits dann und wann
Cannabis konsumiert hat.
Nach alledem erweist sich im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens auch unter Berücksichtigung des
Beschwerdevorbringens die vom Antragsgegner verfügte Fahrerlaubnisentziehung - als eine gebundene
Entscheidung - jedenfalls im Ergebnis als richtig und besteht von daher kein Anlass zu einer Abänderung
der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die Höhe des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 des
Gerichtskostengesetzes - GKG - i.V.m. Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
gez. Steppling
gez. Möller
gez. Brink