Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 07.09.2009
OVG Koblenz: beiladung, nebenintervention, beratung, bier, zivilprozess, verwaltungsprozess, streitverkündung, quelle, beschränkung, unterliegen
OVG
Koblenz
07.09.2009
6 B 10883/09.OVG
Verwaltungsprozessrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
…
- Kläger und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte: Kunz Rechtsanwälte, Mainzer Straße 108, 56068 Koblenz,
gegen
die Ortsgemeinde Vettelschoß, vertreten durch den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Linz am Rhein,
Marktplatz 14, 53545 Linz am Rhein,
- Beklagte und Beschwerdegegnerin -
wegen Erschließungsbeitrags
hier: Beiladung
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 7.
September 2009, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Mildner
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey
Richterin am Oberverwaltungsgericht Brink
beschlossen:
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 31. Juli 2009 werden die
Rechtsanwälte A, in dem Verfahren 4 K 755/09.KO gemäß § 65 Abs. 1 VwGO beigeladen, da ihre
rechtlichen Interessen durch die Entscheidung berührt werden.
Die Beiladung ist unanfechtbar (§ 65 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Gründe
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
Gemäß § 65 Abs. 1 VwGO kann eine – einfache – Beiladung Dritter ausgesprochen werden, wenn deren
rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden. Dies setzt nicht voraus, dass der
beizuladende Dritte durch die Entscheidung tatsächlich in seinen Rechten beeinträchtigt wird. Vielmehr
reicht es aus, wenn im Zeitpunkt der Beiladung die Möglichkeit besteht, die Entscheidung könne auf seine
rechtlichen Interessen einwirken. Es genügt mithin, dass sich eine Rechtsposition des Beizuladenden
durch das Unterliegen einer der Parteien verbessern oder verschlechtern könnte. Hierbei macht es keinen
Unterschied, ob diese Rechtsposition durch öffentliches oder bürgerliches Recht begründet wird (BVerwG,
NJW 1982, 951 [952]). Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall eine Beiladung der Rechtsanwälte A
gemäß § 65 Abs. 1 VwGO geboten.
Die von dem Kläger angestrebte Beiladung dient dem Zweck, die sonst auf die Hauptbeteiligten des
Verfahrens beschränkte Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 121 VwGO) auf die
Beizuladenden auszudehnen. Der Kläger will nämlich seine früheren Bevollmächtigten wegen von ihm
behaupteter Beratungsfehler aus dem seinerzeitigen anwaltlichen Beratungsverhältnis in Regress
nehmen. Eine solche Inanspruchnahme früherer anwaltlicher Bevollmächtigter wegen schlechter
Beratung kann grundsätzlich das Vorliegen rechtlicher Interessen im Sinne des § 65 Abs. 1 VwGO
rechtfertigen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 65 Rn. 10; Bier, in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, VwGO, 17. Ergänzungslieferung 2008, § 65 Rn. 13).
Als möglichen zu ersetzenden Schaden wegen eines anwaltlichen Beratungsfehlers erachtet der Kläger
u.a. den durch die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid von ihm geforderten Erschließungsbeitrag.
Er geht davon aus, bei ordnungsgemäßer Beratung durch seine früheren Bevollmächtigten insbesondere
im Rahmen des abgeschlossenen Umlegungsverfahrens wäre ungeachtet aktueller beitragsrechtlicher
Verpflichtungen eine Beitragszahlung vermeidbar gewesen. Im Hinblick hierauf besteht ein rechtliches
Interesse der Beizuladenden im Sinne des § 65 Abs. 1 VwGO, da sie je nach Ausgang des
verwaltungsgerichtlichen Streitverfahrens mit einer entsprechenden Schadenersatzforderung des Klägers
rechnen müssen. Insoweit hat der Verfahrensausgang daher Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen
zwischen dem Kläger und den Beizuladenden.
Würde nämlich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheids durch ein rechtskräftiges
klageabweisendes Urteil bestätigt, wäre wegen dessen Bindungswirkung ein nachfolgender
Schadensersatzprozess zwischen dem Kläger und den Beizuladenden präjudiziert. Die Beizuladenden
könnten sich gegenüber dem Kläger nicht darauf berufen, der Beitragsbescheid der Beklagten sei
rechtswidrig gewesen und dem Kläger allein hierdurch ein Schaden entstanden. In dieser Beschränkung
der Verteidigungsmöglichkeiten im nachfolgenden Zivilprozess als Folge der Bindungswirkung eines
rechtskräftigen klageabweisenden Urteils liegt eine Verletzung subjektiver Rechte der Beizuladenden
(vgl. BVerwG, NVwZ 1987, 970 [971]).
Würde hingegen der Kläger das von ihm verfolgte Prozessziel erreichen und der angefochtene Bescheid
also aufgehoben, verbesserte sich die Rechtsposition der Beizuladenden gegenüber dem Kläger. Denn
sie könnten aufgrund des anwaltlichen Beratungsvertrags jedenfalls insoweit nicht schadenersatzpflichtig
werden, als durch verwaltungsgerichtliches Urteil rechtskräftig entschieden wäre, dass der Kläger keinen
Erschließungsbeitrag zu zahlen braucht (BVerwG, NJW 1982, 951 [952]). Angesichts dessen ist davon
auszugehen, dass die Beizuladenden durch die Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in
ihren rechtlichen Interessen im Sinne von § 65 Abs. 1 VwGO berührt sein können.
Demgegenüber greift auch die Erwägung des Verwaltungsgerichts nicht durch, das bloße Interesse des
Klägers daran, im Falle eines für ihn ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Schadenersatzan-
spruch gegenüber den Beizuladenden geltend machen zu können (vgl. § 72 ZPO), werde mangels der
Zulässigkeit einer Streitverkündung im Verwaltungsprozess nicht geschützt. Dieser Einwand verkennt
nämlich die Funktion der Beiladung im Verwaltungsprozess. Mit ihr hat die Verwaltungsgerichtsordnung
nämlich ein Institut geschaffen, das gerade die Aufgaben u.a. der Nebenintervention und der Streit-
verkündung im Zivilprozess erfüllen soll (Eyermann/Schmidt, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 65 Rn. 1; Bier, in
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 65 Rn. 2).
Auch entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, eine
Nebenintervention gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 66 ff. ZPO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
für unzulässig zu erachten (Urteil vom 15. März 1988, Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 31 S. 3 [6],
und Beschluss vom 22. Dezember 2005, BeckRS 2006, 20302). Denn die Funktionen des
zivilprozessualen Instituts der Nebenintervention würden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
weitgehend von den Bestimmungen über die Beiladung wahrgenommen. Deren Regelungen
gewährleisteten eine Beteiligung solcher Dritter, die am Ausgang des Verfahrens ein rechtliches Interesse
hätten und würden ihnen zugleich ausreichende prozessuale Rechte geben. Diese Überlegungen treffen
aber in gleicher Weise auf das Institut der Streitverkündung zu, welches in seinen rechtlichen
Konsequenzen gemäß § 74 Abs. 3 i.V.m. § 68 ZPO ausdrücklich der Nebenintervention gleichgestellt ist
(OVG RP, Beschluss vom 3. Juli 2008 ‑ 3 B 10651/08.OVG ‑, veröffentl. in ESOVGRP sowie NVwZ‑RR
2008, 846). Auch dessen Funktion wird daher im Verwaltungsprozess durch das Institut der Beiladung
übernommen.
gez. Dr. Mildner gez. Dr. Frey gez. Brink