Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 23.09.2004
OVG Koblenz: einstellung der bauarbeiten, gebäude, aufenthalt, genehmigung, grundstück, hauptsache, bier, beendigung, beratung, nachbar
OVG
Koblenz
23.09.2004
8 B 11561/04.OVG
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Baunachbarrechts
hier: Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO
hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
23. September 2004, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Bier
Richterin am Oberverwaltungsgericht Spelberg
Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der
Weinstraße vom 3. August 2004 ‑ berichtigt durch Beschluss vom 4. August 2004 - wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht unter
Abänderung seines Beschlusses vom 12. Juli 2004 ‑ 3 L 1701/04.NW - den Antrag, der Antragsgegnerin
die Einstellung der Bauarbeiten auf dem Grundstück der Beigeladenen aufzugeben, nunmehr abgelehnt.
Zunächst war unter Berichtigung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht das Rubrum zu ändern, und
die Beteiligten waren entsprechend ihrer prozessualen Stellung in dem von den Antragstellern
angestrengten Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 a VwGO zu
bezeichnen. Es entspricht ständiger Praxis des Oberverwaltungsgerichts (s. Beschluss des 1. Senats vom
6. Juli 1987 ‑ AS 21, 246 - und Beschluss des 12. Senats vom 18. Februar 1987 ‑ 12 B 16/98 ‑) und auch
des beschließenden Senats, im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO an der bisherigen
Beteiligtenstellung festzuhalten (so auch BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 1982, BVerwGE 64, 47 - 355
-; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, Rn. 373 zu § 80). Dies dient nicht
nur einer übersichtlicheren Aktenführung, sondern vermeidet auch, dass Beteiligte im Abänderungs-
verfahren unterschiedlich bezeichnet werden, je nachdem, ob das Abänderungsverfahren durch das
Gericht von Amts wegen (§ 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO) oder auf Antrag des Antragsgegners oder
Beigeladenen im Ausgangsverfahren (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwOG) durchgeführt wird.
Der Antrag der Beigeladenen auf Abänderung des Beschlusses vom 12. Juli 2004 ‑ 3 L 1701/04.NW - ist
zulässig, insbesondere fehlt es ihnen nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Denn das Abänderungsverfahren
nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO setzt nicht voraus, dass das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits
unanfechtbar abgeschlossen ist (wie hier Schoch, a.a.O., Rn. 376 m.w.N. und Kopp/Schenke, Kommentar
zur VwGO, 13. Aufl., Rn. 190, 198 zu § 80; a.A. Schmidt in Eyermann, Kommentar zur VwGO, Rn. 103 zu §
80). Der Wortlaut der Bestimmung gibt für eine derartige Voraussetzung nichts her. Auch die Ent-
stehungsgeschichte belegt, dass der Rechtsbehelf nach § 80 Abs. 7 VwGO unabhängig von einer
Beschwerdemöglichkeit besteht. Zwar wurde er ursprünglich in § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO i.d.F. vom
21. Januar 1960 (BGBl. I S. 17) offensichtlich ‑ auch - als Korrektiv dafür eingeführt, dass gemäß § 80
Abs. 6 Satz 1 VwGO stattgebende Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO unanfechtbar waren. Jedoch
blieb die Möglichkeit des Abänderungsantrags unabhängig von den späteren Änderungen der
Regelungen über die Beschwerde bestehen. Weder die Einführung der unbeschränkten Beschwerde
gegen Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO noch die Zwischenschaltung eines
Beschwerdezulassungsantrages gemäß §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 VwGO i.d.F. des Gesetzes vom 1.
November 1996 (BGBl. I S. 1626) noch die Neufassung durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts-
mittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987), das jetzt in § 146 Abs. 4
VwGO die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren nach §§ 80, 80 a und
123 wieder unmittelbar zulässt, waren für den Gesetzgeber Anlass, die Regelung über das Abänderungs-
verfahren in § 80 Abs. 7 VwGO zu ändern. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich bei Beschwerde und
Abänderung um zwei nebeneinander stehende Rechtsbehelfe handelt.
Auch im Übrigen überzeugt es nicht, ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Abänderungsverfahren dann zu
verneinen, wenn die für ein solches Verfahren vorausgesetzte Veränderung der Umstände während der
Beschwerdefrist eingetreten ist und mit der Beschwerde geltend gemacht werden kann. Denn die
Beschwerde ist keineswegs geeignet, gegenüber dem Abänderungsantrag zu einer leichteren und
schnelleren Änderung der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Entscheidung zu führen.
Neben den dafür vom Verwaltungsgericht bereits angeführten Gründen fällt entscheidend ins Gewicht,
dass über einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO stets das Gericht der Hauptsache entscheidet, dem der
Streitstoff präsent ist. Dagegen kann das Verwaltungsgericht, auch wenn es Gericht der Hauptsache ist, im
Beschwerdeverfahren nicht auf die vorgetragene Veränderung der maßgeblichen Umstände reagieren,
da gemäß § 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO eine Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe nicht mehr
ergeht. Die Frage, ob veränderte Umstände i.S.v. § 80 Abs. 7 VwGO vorliegen und zu einer anderen
Beurteilung führen, ist aber sehr viel leichter von dem Verwaltungsgericht, das den Beschluss nach § 80
Abs. 7 VwGO gefasst hat und als Gericht der Hauptsache mit dem Prozessstoff vertraut ist, zu beantworten.
Aus diesem Grunde kann den Beigeladenen das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Abänderungsantrag
nicht abgesprochen werden, obwohl sie die nun geltend gemachten Umstände auch mit der Beschwerde
hätten vorbringen können.
Diese Umstände, nämlich die Änderung der Baupläne der Beigeladenen und die daraufhin erteilte
Änderungsgenehmigung, rechtfertigen auch eine Abänderung des Beschlusses vom 12. Juli 2004. Das
genehmigte Vorhaben verstößt nicht mehr zu Lasten der Antragsteller gegen nachbarschützende
Bestimmungen. Soweit die Antragsteller vortragen, die Schließung von zwei Türöffnungen führe nicht
dazu, dass es sich bei der Grenzbebauung nun um ein Nebengebäude handele, da es fast gleich groß
wie das Hauptgebäude sei, verkennen sie, dass es für die Frage, ob ein Gebäude an die Grenze gebaut
werden darf, nicht darauf ankommt, ob es ein Nebengebäude ist. Vielmehr sind gemäß § 8 Abs. 9 LBauO
Gebäude eines bestimmten Nutzungszwecks und einer bestimmten Größe an den Grundstücksgrenzen
zulässig, gleichgültig, ob auf dem Grundstück im Übrigen ein Hauptgebäude steht. Auch soweit nach § 23
Abs. 5 BauNVO, falls im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, bauliche Anlagen außerhalb der
überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden können, gilt dies nicht nur für Nebenanlagen,
sondern gemäß § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO auch für bauliche Anlagen gemäß § 8 Abs. 9 LBauO.
Die an der Grenze stehende bauliche Anlage, nämlich das mit einem Pultdach versehene eingeschossige
Gebäude, ist ein solches nach § 8 Abs. 9 Nr. 3 LBauO. Die in dieser Bestimmung genannten Höchstmaße
bezüglich Höhe und Länge werden unstreitig eingehalten. Es handelt sich auch um ein Gebäude ohne
Aufenthaltsräume. Gemäß § 2 Abs. 5 LBauO sind Aufenthaltsräume Räume, die zum nicht nur
vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Dabei kommt es entscheidend
auf die objektive Eignung anhand nachvollziehbarer Kriterien wie Lage des Raumes, Größe und
Beschaffenheit an (s. Jeromin, LBauO Rh.-Pf., Rn. 76 zu § 2). Lässt sich die objektive Bestimmung aus
den Bauunterlagen nicht zweifelsfrei ermitteln, so kann auf die subjektive Bestimmung durch den
Bauherrn abgestellt werden.
Der mit „Fahrrad“ bezeichnete Raum in dem grenzständigen Gebäude ist bereits von seiner Größe her
ebenso wenig wie der mit der Nutzungsart „Pflanzen, Geräte“ bezeichnete Raum zum dauernden
Aufenthalt von Menschen geeignet. Dagegen lässt die Größe des Lagerraums durchaus einen nicht nur
vorübergehenden Aufenthalt von Menschen zu, allerdings fehlt es diesem lediglich durch Lichtkuppeln
belichteten Raum wohl an einer Entlüftungsmöglichkeit. Gegen seine Eignung und objektive Bestimmung
als Aufenthaltsraum spricht zudem der Umstand, dass er nicht direkt vom Freien oder aus sonstigen Auf-
enthaltsräumen erreicht werden kann, sondern der Zugang allein durch den Fahrradabstellraum möglich
ist. Dieses objektive Kriterium führt zusammen mit der eindeutigen subjektiven Zweckbestimmung dazu,
dass der Raum kein Aufenthaltsraum i.S.v. §§ 2 Abs. 5, 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO ist. Soweit die
Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass bislang die zunächst geplanten Tür-
öffnungen noch nicht geschlossen sind, ist zu entgegnen, dass die entsprechende Genehmigung erst am
22. Juli 2004 erteilt wurde und die Fertigstellung entsprechend der genehmigten Pläne bis zur
Beendigung der Gesamtbaumaßnahme noch erfolgen kann. Es wird Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde
sein, darüber zu wachen, dass die bauliche Anlage entsprechend der Genehmigung errichtet und genutzt
wird.
Die Genehmigung in der geänderten Fassung verstößt auch nicht gegen das im Tatbestandsmerkmal
„Einfügen“ des § 34 BauGB enthaltene Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme. Die geplante
Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen fällt nämlich in Bezug auf die Stellung des
beanstandeten Gebäudes nicht aus dem in der Umgebung vorhandenen Rahmen und führt auch nicht zu
unzumutbaren Beeinträchtigungen der Antragsteller in der Nutzung ihres Grundstücks. Der in den
Verwaltungsakten befindliche Lageplan zeigt, dass die Wohnhäuser auf den umliegenden Grundstücken
jeweils bis zu 3 m an die seitliche Nachbargrenze reichen und darüber hinaus zahlreiche bauliche
Anlagen (Garagen oder Ähnliches) direkt an der betreffenden Grundstücksgrenze stehen. Dieser
Bauweise entspricht auch das Gebäude an der Grenze zwischen den Grundstücken der Antragsteller und
der Beigeladenen. Denn bei dem Baugrundstück der Beigeladenen handelt es sich um ein
Eckgrundstück, das nur über Straßengrenzen und seitliche Grundstücksgrenzen, dagegen nicht über
rückwärtige Grundstücksgrenzen verfügt (s. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., Rn. 4 zu § 22; OVG Rh.-
Pf., Urteil vom 10. Oktober 1985, AS 20, 90 und Urteil vom 21. Juni 1965, AS 9, 316). Die geringe
Traufhöhe des grenzständigen Nebengebäudes von 2,65 m sowie die geringe Fristhöhe (4,63 m) des
einen Grenzabstand von mindestens 3 m beachtenden Wohngebäudes schließen im Übrigen eine
unzumutbare Beeinträchtigung für die Nutzung des Grundstücks der Antragsteller aus.
Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG n.F.
gez. Dr. Bier gez. Spelberg gez. Schauß