Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 12.05.2009

OVG Koblenz: lwg, grundstück, bach, gewässer, anschluss, aufwand, körperschaft, satzung, stamm, verfügung

OVG
Koblenz
12.05.2009
6 A 11160/08.OVG
Abgabenrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Säzler & Gerhard, Hauptstr. 361, 55743 Idar-Oberstein,
gegen
die Verbandsgemeinde Birkenfeld, vertreten durch den Bürgermeister, Auf dem Römer 17, 55765
Birkenfeld,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Meiborg Rechtsanwälte, Hindenburgplatz 3, 55118 Mainz,
wegen Abwasserbeseitigungsbeitrags
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 12. Mai 2009, an der teilgenommen haben
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey
Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
ehrenamtlicher Richter Pensionär Kehl
ehrenamtliche Richterin Geschäftsführerin Mannheim
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 7. Juli 2008 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Beklagten wird nachgelassen, eine Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich als Eigentümer des Grundstücks Flur 6, Flurstück 39, in der Gemeinde N… gegen
die Festsetzung einer Vorausleistung auf den einmaligen Beitrag zur erstmaligen Herstellung der
öffentlichen Einrichtung der Beklagten zur Beseitigung des Niederschlagswassers. Mit dem Bescheid der
Beklagten vom 29. März 2007 wurde der Kläger zu einer Vorausleistung in Höhe von 6.526,50 €
herangezogen.
Das Grundstück des Klägers, auf dem ein Wohnhaus sowie mehrere Nebengebäude errichtet sind, liegt
unmittelbar an der Ortsdurchfahrt der Landesstraße … . Der in dieser Straße verlegte
Niederschlagswasser‑Teilkanal mündet auf der dem Grundstück des Klägers gegenüberliegenden
Straßenseite in den B…bach. Dieses Gewässer unterquert die L …, verläuft im Anschluss verrohrt unter
dem Grundstück des Klägers und mündet schließlich nach einer weiteren kurzen Teilstrecke in den H…
bach. Die Dachentwässerung des Wohnhauses des Klägers wird zum Teil unmittelbar in den B…bach
eingeleitet, und zwar auf dem Grundstück des Klägers. Im Übrigen versickert das Niederschlagswasser
von den Dachflächen auf dem insgesamt mehr als 5.000 qm großen Grundstück, welches in südlicher
Richtung zum H…bach hin abfällt. Ein Teil des auf der Hoffläche auftreffenden Regenwassers kann
aufgrund des leichten Gefälles zur seitlichen Grundstücksgrenze, ein anderer Teil in Richtung zur L … hin
abfließen, wo der Kläger an der Grundstücksgrenze zur Straße eine Auffangrinne eingebaut hat.
Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen nimmt der Senat gemäß
§ 130b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑ auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils
Bezug, dessen tatsächliche Feststellung er sich zu eigen macht.
Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger Anfechtungsklage gegen den
Vorausleistungsbescheid erhoben. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Wesentlichen mit der
Begründung stattgegeben, die Kosten der Niederschlagsentwässerung seien nicht beitragsfähig, da die
Aufwendungen zur Errichtung eines Niederschlagswasser‑Entsorgungskanals nicht als erforderlich
angesehen werden könnten. Niederschlagswasser solle nach den Bestimmungen des
Landeswassergesetzes nur in dafür zugelassene Anlagen eingeleitet werden, soweit es nicht bei
demjenigen, bei dem es anfalle, mit vertretbarem Aufwand verwertet oder versickert werden könne.
Dementsprechend hätten die beseitigungspflichtigen Körperschaften nur die notwendigen
Abwasseranlagen zu errichten und ggf. zu erweitern. Zwar bestehe insoweit ein Einschätzungsspielraum
der Beklagten. Diese habe jedoch nicht nachzuweisen vermocht, dass in dem fraglichen örtlichen Bereich
das anfallende Niederschlagswasser nicht versickert werden könne. Ohne eine konkrete Untersuchung
der Bodenverhältnisse auf eine Versickerungsmöglichkeit der Grundstücke, die die Beklagte jedoch nicht
durchgeführt habe, könne die Notwendigkeit eines Niederschlagswasser‑Beseitigungskanals nicht belegt
werden. Da die Beklagte im Verlauf der L … mehrere jeweils separate Niederschlagswasser‑Teilkanäle
errichtet habe, müsse für jeden dieser Kanäle die Erforderlichkeit gegeben sein. Zudem sei weder die
Möglichkeit einer Verwertung des Niederschlagswassers noch dessen unmittelbare Ableitung in ein
oberirdisches Gewässer geprüft worden. Dazu habe aber gerade hinsichtlich des Grundstücks des
Klägers, welches nach Süden hin zum H…bach abfalle, Veranlassung bestanden.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt die Beklagte insbesondere vor, bisher
seien innerhalb der Ortsdurchfahrt der L … lediglich provisorische Regenwasserkanäle vorhanden
gewesen. Im Zuge der Erneuerung der Landesstraße sei eine Niederschlagsentwässerung geplant und
umgesetzt worden. Diese trage sowohl dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte innerhalb des
Bebauungszusammenhangs für die Fahrbahnentwässerung zuständig sei, als auch der Notwendigkeit,
insbesondere die nördlich der L … liegenden Grundstücke, die teilweise in erheblichem Umfang bebaut
bzw. befestigt seien, zu entwässern. Zwar bedürften große Teile der südlich der L … gelegenen
Grundstücke, zumal wenn sie ein deutliches Gefälle nach Süden zum H…bach hin aufwiesen, einer
Niederschlagswasserbeseitigung an sich nicht. Sie könnten aber insbesondere ihre Dachflächen und die
straßennahen Einfahrten bzw. Hofbefestigungen in einen der Niederschlagswasser‑Teilkanäle
entwässern und würden dadurch von dieser Einrichtung bevorteilt. Im Übrigen verbiete der Grundsatz der
Solidargemeinschaft, lediglich die nördlichen Anlieger der L … an den Kosten der
Niederschlagswasserbeseitigung zu beteiligen, die südlich der Straße gelegenen jedoch zu verschonen.
Die Erforderlichkeit einer Niederschlagswasser-Beseitigungseinrichtung sei – anders als das
Verwaltungsgericht angenommen habe – schon dann gegeben, wenn nur ein Grundstück sie mangels
Versickerungs- bzw. Verwertungsmöglichkeit in Anspruch nehmen müsse. Dabei sei auf die bereits
verwirklichten und die darüber hinaus zulässigen Versiegelungen abzustellen. Auch jene
Grundstückseigentümer, die große Teile ihrer Grundstücksfläche zur Versickerung des
Niederschlagswassers einsetzen oder dieses unmittelbar in den H…bach einleiten könnten, hätten ein
satzungsrechtliches Benutzungsrecht. Soweit das Benutzungsrecht der Allgemeinen
Entwässerungssatzung das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen
abfließende und zum Fortleiten gesammelte Wasser (Niederschlagswasser) nur erfasse, soweit dieses
nach den Vorgaben des § 51 Abs. 2 Ziffer 2 Landeswassergesetz – LWG - nicht am Ort des Anfalls ver-
wertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit in anderer Weise beseitigt werden könne,
mache der Verweis auf § 51 Abs. 2 Nr. 2 LWG deutlich, dass diese Einschränkung lediglich für den Fall
gelte, dass eine zugelassene öffentliche Abwasseranlage zur Beseitigung des Niederschlagswassers
nicht zur Verfügung stehe.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt sein Vorbringen, das auf seinem Grundstück
anfallende Niederschlagswasser entweder unmittelbar in ein Gewässer einleiten oder aber auf den zum
H…bach abfallenden Flächen versickern lassen zu können.
Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten ergeben sich aus den
zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätzen sowie den von der Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorgänge. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen
Vorausleistungsbescheid vom 29. März 2007 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom
1. Oktober 2007 im Ergebnis zutreffend aufgehoben. Durch diese Heranziehung zu Vorausleistungen wird
der Kläger in seinen Rechten verletzt.
Die Heranziehung des Klägers kann nicht auf § 7 Abs. 5 Satz 1 Kommunalabgabengesetz ‑ KAG ‑ i.V.m.
§ 8 Abs. 1 der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Entgelten für die öffentliche
Abwasserbeseitigungsanlage vom 25. Januar 1996 i.d.F. vom 22. Oktober 2001 ‑ ESA ‑ gestützt werden.
Nach diesen Vorschriften können ab Beginn einer Maßnahme Vorausleistungen auf einmalige Beiträge
bis zur voraussichtlichen Höhe des Beitrags festgesetzt werden. Dies setzt voraus, dass eine
Beitragspflicht ‑ prognostisch betrachtet ‑ überhaupt entstehen kann. Davon ist nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG
allerdings nicht auszugehen, wenn ein Grundstückseigentümer durch die Möglichkeit der
Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung voraussichtlich keinen beitragsrechtlich relevanten Vorteil
hat. Ein solcher Vorteil kann einem Grundstückseigentümer nur durch eine öffentliche Einrichtung
vermittelt werden, die in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht den Anschluss des Grundstücks an
die Einrichtung auf Dauer ermöglicht. Eine (Entwässerungs‑)Beitragspflicht entsteht nicht schon dann,
wenn entlang dem betreffenden Grundstück eine Entwässerungsleitung verlegt ist, an die das Grundstück
tatsächlich angeschlossen werden kann. Vielmehr muss darüber hinaus die Möglichkeit gegeben sein,
das auf dem Grundstück aufkommende Abwasser in einer Weise abzuleiten, wie sie in der der
Entwässerungseinrichtung zugrunde liegenden (ordnungsgemäßen) Planung vorgesehen ist (OVG R-P,
12 A 12381/92.OVG, ESOVGRP). Ob dies hier der Fall ist, braucht nicht entschieden zu werden (1.). Denn
es fehlt an der darüber hinaus erforderlichen rechtlich dauerhaft gesicherten Möglichkeit der
Inanspruchnahme der Entwässerungseinrichtung zur Beseitigung des auf dem Grundstück des Klägers
anfallenden Niederschlagswassers (2.).
1.
Von einer ordnungsgemäßen Planung in dem vorgenannten Sinn kann nur gesprochen werden, wenn die
Einrichtung selbst und die von der Beklagten vorgesehene Ableitungsmöglichkeit mit den
wasserrechtlichen Vorschriften vereinbar sind (vgl. OVG R-P, 12 A 12381/92.OVG, ESOVGRP). Daran
bestehen im vorliegenden Zusammenhang insoweit Zweifel, als die abwasserbeseitigungspflichtigen
Körperschaften gemäß § 52 Abs. 5 Satz 1 Landeswassergesetz - LWG – (nur) die notwendigen
Abwasseranlagen unter Beachtung des Planungsleitsatzes des § 2 Abs. 2 LWG (vgl. OVG R-P, 8 A
11981/03.OVG, ESOVGRP) zu errichten, zu erweitern oder anzupassen haben. Die Erforderlichkeit von
Einrichtungen für die Beseitigung von Niederschlagswasser muss unter Geltung dieser Bestimmungen
(auch) danach beurteilt werden, ob das Niederschlagswasser nicht bei demjenigen, bei dem es anfällt, mit
vertretbarem Aufwand verwertet oder versickert werden kann, und die Möglichkeit nicht besteht, es mit
vertretbarem Aufwand in ein oberirdisches Gewässer mittelbar oder unmittelbar abfließen zu lassen.
Bei der nach Maßgabe des § 52 Abs. 5 Satz 1 LWG vorzunehmenden Prüfung der Notwendigkeit der
Niederschlagswasserbeseitigung, die der im Streit befindlichen Vorausleistungserhebung zugrunde liegt,
ist nicht auf die Abwasserbeseitigungseinrichtung der Beklagten insgesamt oder auf die Gesamtheit der
zur Niederschlagswasserbeseitigung geplanten bzw. errichteten Einrichtungsteile abzustellen. Vielmehr
ist in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden nur nach der Erforderlichkeit des
Niederschlagswasser‑Teilkanals zu fragen, in den das Grundstück des Klägers entwässern könnte. Denn
dieser Teilkanal bildet nur in rechtlicher Hinsicht einen unselbständigen Bestandteil der
Gesamtentwässerungseinrichtung der Beklagten. In technischer Hinsicht ist er von den übrigen
Niederschlagswasser‑Teilkanälen und erst recht von den anderen Komponenten der
Gesamtentwässerungseinrichtung der Beklagten unabhängig. Er stellt gerade keinen Teil eines
abwassertechnischen Gesamtsystems dar, wie dies beispielsweise bei Grundstücksanschlüssen,
Straßenleitungen, Sammlern, Pumpwerken und Kläranlagen in der Schmutzwasserbeseitigung
regelmäßig der Fall ist. Demgegenüber sammelt der vor dem Grundstück des Klägers errichtete
Niederschlagswasser‑Teilkanal das von einigen wenigen Grundstücken einzuleitende
Niederschlagswasser sowie das Straßenoberflächenwasser in dem fraglichen Bereich der L … und leitet
es – ohne dass es in irgendeiner Weise behandelt worden ist - in Höhe des Grundstücks des Klägers
unmittelbar in den B…bach ein. Der B…bach selbst ist kein Bestandteil der öffentlichen
Niederschlagswasser‑Beseitigungseinrichtung der Beklagten. Ob der Niederschlagswasser‑Teilkanal, der
bis zum Grundstück des Klägers reicht, im wasserrechtlichen Sinne als erforderlich angesehen werden
durfte, bedarf jedoch keiner weiteren Erörterung. Denn es fehlt an der rechtlich dauerhaft gesicherten
Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtung durch den Kläger, wie sich aus den nachfolgenden
Ausführungen ergibt.
2.
Die Regelung des § 3 Abs. 2 der Satzung der Beklagten über die Entwässerung und den Anschluss an
die öffentliche Abwasseranlage ‑ AES ‑ vom 22. Oktober 2001 normiert ein Benutzungsrecht nur für
Abwasser. Es ist bereits fraglich, ob das auf dem Grundstück des Klägers anfallende Nieder-
schlagswasser als Abwasser im Sinne des § 3 Abs. 2 AES betrachtet werden kann (a). Jedenfalls stellt es
kein Abwasser im Sinne des maßgeblichen höherrangigen Rechts dar, mit dem der satzungsrechtliche
Abwasserbegriff vereinbar sein muss (b).
a)
Nach § 3 Abs. 2 AES ist jeder Grundstückseigentümer berechtigt, in die betriebsfertigen Abwasseranlagen
oder Teile davon nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, der AES und der technischen
Vorschriften für den Bau und Betrieb von Grundstücksentwässerungsanlagen das auf seinem Grundstück
anfallende Abwasser einzuleiten (Benutzungsrecht). Was unter Abwasser in diesem Sinne zu verstehen
ist, ergibt sich aus § 2 Nr. 3 AES. Danach handelt es sich bei dem von Niederschlägen aus dem Bereich
von bebauten oder befestigten Flächen abfließenden und zum Fortleiten gesammelten Wasser
(Niederschlagswasser) nur dann um Abwasser, soweit dieses nach den Vorgaben des § 51 Abs. 2 Ziffer 2
LWG nicht am Ort des Anfalls verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit in
anderer Weise beseitigt werden kann. Die Formulierung „nach den Vorgaben des § 51 Abs. 2 Ziffer 2
LWG“ in § 2 Nr. 3 AES lässt nicht zweifelsfrei erkennen, dass diese Einschränkung nur für den Fall gelten
soll, dass keine zugelassenen öffentlichen Abwasseranlagen zur Beseitigung des Niederschlagswassers
zur Verfügung stehen. Da § 51 Abs. 2 Nr. 2 LWG eine unmittelbar geltende gesetzliche Bestimmung
darstellt, bedurfte sie keiner satzungsrechtlichen Wiederholung in § 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 3 AES.
Darüber hinaus wird die Auslegung der §§ 3 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 3 AES dahingehend, dass Nieder-
schlagswasser, welches am Ort des Anfalls verwertet oder auf andere Weise schadlos beseitigt werden
kann, dem Benutzungsrecht eines Grundstückseigentümers nicht unterfällt, durch den Umstand bestätigt,
dass solches Niederschlagswasser gemäß § 7 Abs. 6 AES weder dem Anschlusszwang noch gemäß § 8
Abs. 2 Nr. 3 AES dem Benutzungszwang der öffentlichen Beseitigungseinrichtung unterliegt. Selbst wenn
die Formulierung „nach den Vorgaben des § 51 Abs. 2 Ziffer 2 LWG“ ausgelegt wird wie die Wortfolge
„unter den weiteren Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Nr. 2 LWG“, handelt es sich bei dem
Niederschlagswasser, das von bebauten oder befestigten Flächen des Grundstücks des Klägers abfließt,
nicht um Abwasser, wie sich aus dem Folgenden entnehmen lässt.
b)
Ungeachtet dessen, wie der Wortlaut der Bestimmung des § 2 Nr. 3 AES zu verstehen ist, muss der
satzungsrechtliche Abwasserbegriff mit dem gesetzlichen übereinstimmen. Die Regelungen der §§ 3 Abs.
2 Satz 1, 2 Nr. 3 AES sind gesetzeskonform auszulegen (aa). Danach ist Niederschlagswasser nur dann
Abwasser, wenn es - erstens - von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten
Flächen abfließt und – zweitens - zum Fortleiten gesammelt wird. Letzteres setzt voraus, dass es der
Abwasserbeseitigungspflicht unterliegt (bb). Das trifft für das auf dem Grundstück des Klägers anfallende
Niederschlagswasser nicht zu, welches im Rahmen des Gemeingebrauchs in den B…bach bzw. in den
H…bach eingeleitet werden darf und das deshalb nicht als Abwasser angesehen werden kann, dessen
Beseitigung der Kläger von der Beklagten beanspruchen kann (cc).
aa)
Der aufgrund der Rahmengesetzgebungskompetenz des früheren Art. 75 Abs. 1 Nr. 4 Grundgesetz - GG -
geltende Abwasserbegriff des Wasserhaushaltsgesetzes – WHG - ist nach wie vor für die Bundesländer
verbindlich. Die durch die sogenannte Föderalismusreform in Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG eingeführte
konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für den Wasserhaushalt lässt zwar eine
Abweichungsgesetzgebung der Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 Nr. 5 GG zu. Diese bezieht sich jedoch
ausdrücklich nicht auf „stoff- oder anlagenbezogene Regelungen“ des Wasserhaushaltsrechts, also auch
nicht auf den Abwasserbegriff (vgl. Stettner in: Dreier, GG, 2. Aufl., Supplementum 2007, Art. 72 Rn. 58;
Kotulla, NVwZ 2007, 489 <493 f.>). Da das Wasserhaushaltsgesetz den Begriff des Abwassers jedoch
selbst nicht definiert, sondern voraussetzt, kann zu dessen Auslegung die landesrechtliche
Begriffsbestimmung herangezogen werden (Czychowski/Reinhardt, WHG, 9. Aufl. 2007, § 7a Rn 3 f.;
Jeromin in: Jeromin/Prinz, Komm. z. LWG u. z. WHG, Stand: 04/2008; § 51 LWG Rn 4).
Nach § 51 Abs. 1 LWG ist Abwasser das durch häuslichen, gewerblichen, landwirtschaftlichen oder sonsti-
gen Gebrauch in seinen Eigenschaften veränderte Wasser (Schmutzwasser) und das von Niederschlägen
aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließende und zum Fortleiten gesammelte
Wasser (Niederschlagswasser) sowie das sonstige zusammen mit Schmutzwasser oder
Niederschlagswasser in Abwasseranlagen abfließende Wasser. Diese Legaldefinition des § 51 Abs. 1
Satz 1 LWG macht die Abwassereigenschaft des Niederschlagswassers davon abhängig, dass es -
erstens - von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließt und –
zweitens - zum Fortleiten gesammelt wird.
Dass die Bestimmung des § 51 Abs. 1 LWG nur Niederschlagswasser als Abwasser definiert, welches
zum Fortleiten gesammelt wird, steht nicht im Widerspruch zum bundesrechtlichen (und damit
vorrangigen) Abwasserbegriff. Denn auch danach wird das Niederschlagswasser nicht allein deswegen
als Abwasser verstanden, weil es von befestigten Flächen abfließt (vgl. Breuer, Öffentliches und privates
Wasserrecht, 3. Aufl., 2004, Rn 58, 159). Sonst wäre die bundesrechtliche Regelung des § 7a WHG über
die Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser, die auf Oberflächenwasser anwendbar wäre, kaum mit der
Ermächtigung des § 33 Abs. 2 Nr. 3 WHG vereinbar, wonach die Länder bestimmen können, dass das
Einleiten von Niederschlagswasser in das Grundwasser zum Zwecke der schadlosen Versickerung
erlaubnisfrei ist. Damit kann nämlich nur Niederschlagswasser aus bebauten oder befestigten Bereichen
gemeint sein. Denn für eine Versickerung von Regenwasser, welches beispielsweise auf einer
Rasenfläche niedergeht und damit kein Abwasser darstellt, bedarf es ohnehin keiner wasserrechtlichen
Erlaubnis (vgl. Jeromin, a.a.O., § 51 Rn. 18).
bb)
Niederschlagswasser kann nur Abwasser sein, wenn es - im Sinne der ersten genannten Voraussetzung -
aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließt. Oberflächenwasser, das auf dem Dach
eines Gebäudes anfällt, stammt aus dem bebauten Bereich; bei auf einer Hoffläche niedergehendem
Regenwasser handelt es sich um Oberflächenwasser aus dem Bereich befestigter Flächen. Ein
„Abfließen“ liegt jedoch dann nicht vor, wenn das Niederschlagswasser an Ort und Stelle versickert oder in
Auffangeinrichtungen gesammelt wird (Jeromin, a.a.O., § 51 LWG Rn 20 f.). Neben dem Niederschlag, der
nach dem Auftreffen auf bebauten oder befestigten Flächen beispielsweise zur Gartenbewässerung
aufgefangen wird, ist auch das von Dachtraufen breitflächig in den Untergrund versickernde
Niederschlagswasser kein Abwasser (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 9. Aufl. 2007, § 7a Rn 5; Beile,
LWG, Stand: 08/2008, § 25 Anm. 2.3, § 51 Anm. 2.1.2). Anders zu bewerten ist Niederschlagswasser aus
dem Bereich von befestigten Flächen wie z.B. Hofflächen und Zufahrten (Czychowski/Reinhardt, a.a.O., §
23 Rn 25; Jeromin, a.a.O., § 51 LWG Rn 23). Dieses fließt zwar aus dem Bereich von bebauten oder
befestigten Flächen ab; allerdings wird solches Niederschlagswasser erst dann zum Abwasser nach der
zweiten erwähnten Voraussetzung der Definition des § 51 Abs. 1 LWG, wenn es zum Fortleiten gesammelt
wird. Damit stellen sich die Fragen, ob ein Sammeln zum Fortleiten nur bei solchem Niederschlagswasser
vorliegt, das der Grundstückseigentümer (freiwillig) der abwasserbeseitigungspflichtigen Körperschaft
übergibt, damit diese es fortleitet, oder ob es ausreicht, dass der Grundstückseigentümer der
abwasserbeseitigungspflichtigen Körperschaft das Niederschlagswasser übergeben muss, damit es
fortgeleitet wird. Ein solcher Zwang zur Überlassung des Niederschlagswassers kann vorliegen, weil es
vor dem Einleiten in den Kanal nicht verwertet oder versickert werden kann (z. B. wegen der Bodenart)
oder weil es zwar vor dem Einleiten in den Kanal verwertet oder versickert werden könnte, aber nicht
verwertet oder versickert werden darf, beispielsweise wegen bestehenden Anschluss- und
Benutzungszwangs.
Diese Problematik muss aus Anlass der vorliegenden Fallgestaltung nicht weiter erörtert werden, weil der
gesetzliche Abwasserbegriff in spezifisch einschränkender Weise mit der Abwasserbeseitigungspflicht
verknüpft ist. Denn ein Sammeln von Niederschlagswasser zum Fortleiten ist schon dann nicht gegeben,
wenn das Niederschlagswasser unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Nr. 2 LWG, der insoweit die
Beseitigungspflicht entfallen lässt, am Ort des Anfalls verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der
Allgemeinheit in anderer Weise beseitigt werden kann. Von einem Fortleiten kann auch insoweit keine
Rede sein, als gemäß § 51 Abs. 4 Satz 1 LWG durch Satzung festsetzt wird, dass das
Niederschlagswasser auf dem Grundstück, auf dem es von Niederschlägen aus dem Bereich von
bebauten oder befestigten Flächen abfließt, zu verwerten oder zu versickern ist. Auch insoweit kann die
beseitigungspflichtige Körperschaft sich durch Satzungsbestimmung ihrer Abwasserbeseitigungspflicht
teilweise entledigen. Gleiches gilt für Niederschlagswasser, das im Rahmen des Gemeingebrauchs
gemäß § 36 Abs. 4 LWGortsnah schadlos in ein natürliches oberirdisches Gewässer unter den
Einschränkungen des § 36 Abs. 1 Satz 1 LWG eingeleitet wird. Den Bestimmungen der § 51 Abs. 2 Nr. 2
LWG, § 51 Abs. 4 Satz 1 LWG und § 36 Abs. 4 LWG lässt sich demnach entnehmen, dass „zum Fortleiten
gesammelt“ nur das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen
abfließende Niederschlagswasser ist, für das eine Abwasserbeseitigungspflicht besteht.
cc)
Nach diesen Maßstäben stammt das Regenwasser, welches auf dem Wiesengelände des Klägers
niedergeht, nicht von bebauten oder befestigten Flächen und stellt daher kein Abwasser dar. Soweit
Niederschlagswasser von den Dachflächen im Untergrund versickert, ist es ebenso wenig Abwasser.Das
übrige Niederschlagswasser von den Dachflächen und der zur L … leicht abfallenden Hoffläche wird nicht
zum Fortleiten gesammelt, weil der Kläger es unmittelbar auf seinem Grundstück in den B…bach einleitet.
Diese Gewässerbenutzung wird vom Gemeingebrauch umfasst, wie sich aus § 36 Abs. 4 LWG ergibt. Zum
Umfang des Gemeingebrauchs an natürlichen oberirdischen Gewässern im Sinne des § 36 Abs. 1 LWG
gehört auch das ortsnahe schadlose Einleiten von Niederschlagswasser im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1
LWG bis zu 8 qm pro Tag (§ 36 Abs. 4 Satz 1 LWG). Ein schadloses Einleiten in diesem Sinne liegt vor,
wenn eine schädliche Verunreinigung des Gewässers oder sonstige nachteilige Veränderungen seiner
Eigenschaften nicht zu erwarten sind, was in der Regel gegeben ist, wenn das Niederschlagswasser von
Dachflächen außerhalb von Gewerbe- und Industriegebieten sowie Sondergebieten mit vergleichbarer
Nutzung, die nicht kupfer-, zink- oder bleigedeckt sind bzw. von befestigten Grundstücksflächen stammt,
ausgenommen gewerblich, handwerklich oder industrielle genutzte Flächen (§ 36 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1a
und b LWG). Soweit Niederschlagswasser von der befestigten Hoffläche des Klägers nicht zur L …,
sondern zur seitlichen Grundstücksgrenze abfließt, die zum H…bach hin abfällt, besteht eine
Einleitungsmöglichkeit in den H…bach oder in den B…bach an der Stelle, wo dieser aus dem unter dem
Grundstück des Klägers hindurch führenden Rohr austritt. Sollte der Kläger die bauliche Ausnutzung
seines Grundstücks künftig erweitern, könnte das Niederschlagswasser von neu geschaffenen bebauten
oder befestigten Bereichen ebenfalls unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 4 LWG im Rahmen des
Gemeingebrauchs in den B…bach oder den H…bach eingeleitet werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Dr. Frey gez. Stamm gez. Dr. Beuscher
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 6.526,50 € festgesetzt (§§ 47, 52
Abs. 3 GKG).
gez. Dr. Frey gez. Stamm gez. Dr. Beuscher