Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 24.02.2011

OVG Koblenz: psychisch kranker, bebauungsplan, privates interesse, juristische person, medizinische betreuung, entwässerung, genehmigung, ausweisung, wohnheim, wertminderung

OVG
Koblenz
24.02.2011
1 C 10610/10.OVG
Bauplanungsrecht, Normenkontrollrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Normenkontrollverfahren
der
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigter: Kunz Rechtsanwälte, Mainzer Straße 108, 56068 Koblenz,
gegen
die Stadt Cochem, vertreten durch den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Cochem, Ravenèstraße 61,
56812 Cochem,
- Antragsgegnerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Klinge - Hess, Rheinstraße 2 a, 56068 Koblenz,
beigeladen:
……
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Jeromin & Kerkmann, Rennweg 72, 56626 Andernach,
wegen Bebauungsplan (Normenkontrolle)
hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 24. Februar 2011, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Zimmer
Richter am Oberverwaltungsgericht Schneider
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Berthold
für Recht erkannt:
Der Normenkontrollantrag der Antragstellerin wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragstellerin wendet sich in dem vorliegenden Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan
„Bereich zwischen Fliegerkaserne und Wohnsiedlung Lilienthal-Straße“, den der Stadtrat der
Antragsgegnerin in seiner Sitzung am 26.03.2009 beschlossen hat. In dem Veröffentlichungsorgan der
Antragsgegnerin „Stadt- und Landbote“ (Ausgabe Nr. 20) ist der Bebauungsplan am 15.05.2009 öffentlich
bekannt gemacht worden und zum gleichen Zeitpunkt in Kraft getreten.
Der Plan sieht auf einer Fläche von etwa 2,28 ha (Flurstücke …/.. und …/.. tlw.) ein allgemeines
Wohngebiet (WA) vor, welches in die zwei Teilbereiche WA 1 und WA 2 untergliedert ist. Das Gebiet WA 1
soll der überwiegenden Wohnbebauung dienen, während im Gebiet WA 2 eine im Eigentum der
Beigeladenen zu errichtende Einrichtung für psychisch kranke Menschen vorgesehen ist, die nach dem
Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 30.06.2008 (Bl. 13 der Planaufstellungsakten – PA –) für
die Unterbringung und Betreuung von 25 Patienten ausgelegt sein soll. Einzelheiten der Planung werden
u.a. auf S. 16ff der Begründung (Bl. 29ff PA) beschrieben.
Die Antragstellerin des Verfahrens ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten
unmittelbar an das Plangebiet WA 1 grenzenden Grundstücks mit der Flurstück-Nr. …, welches über
I…………..-Straße erschlossen wird. Sie trägt zur Begründung ihres Normenkontrollantrags zunächst vor,
sie sei als Eigentümerin des genannten Grundstücks antragsbefugt, weil ihr Objekt durch eine
Vervierfachung des Verkehrs künftig erheblich mit Verkehrslärm belastet würde. Das sei eine nicht nur
geringfügige Betroffenheit und begründe daher die Antragsbefugnis. Hinzu komme, dass die Attraktivität
der Wohnlage vermindert sei, was auch zu erheblichen Wertminderungen führe. Ihr sei auch nicht das
Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf die mittlerweile erteilte Baugenehmigung abzusprechen, da sie
hiergegen Widerspruch eingelegt habe, nachdem sie auf Nachfrage von der Kreisverwaltung am
31.05.2010 über die Erteilung informiert worden seien.
Der Normenkontrollantrag sei auch begründet. Der angegriffene Bebauungsplan verstoße gegen die
bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 1 Abs. 3, 1 Abs. 7, 2 Abs. 3 und § 9 BauGB und sei daher
unwirksam.
Der Bebauungsplan verstoße bereits gegen § 1 Abs. 3 BauGB. Die Festsetzung eines allgemeinen
Wohngebietes (WA) stelle einen Etikettenschwindel dar. Allgemeine Wohngebiete nach § 4 Abs. 1
BauNVO müssten vorwiegend dem Wohnen dienen und andere Nutzungen dürften nicht überwiegen.
Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil lediglich die psychiatrische Fachklinik realisiert werden solle, für
die ein Klinikgebiet nach § 11 Abs. 2 BauNVO hätte festgesetzt werden müssen.
Es bestehe auch keine Realisierungsabsicht hinsichtlich des WA 1-Gebietes. Es sei nicht ersichtlich, dass
in einem Stadtteil von nicht einmal 1.000 Einwohnern ein Bedarf von 20 Bauplätzen bestehe, was nach
erfolgter Bebauung einem Einwohnerzuwachs von etwa 10 % entspreche. Es sei auszuschließen, dass
eine ausreichende Anzahl von Familien neben einem bestehenden sozialen Brennpunkt mit einem hohen
Migrationsanteil und neben einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen Eigentum erwerben wolle.
Dies bedeute, dass sich die Bauplätze allenfalls zu einem geringen Preis verkaufen lassen würden, der
die Entwicklungskosten nicht decke. Bei Bodenrichtwerten zwischen 25 und 40 €/qm sei indessen eine
kostendeckende Baulandentwicklung nicht möglich. Der angebliche Bedarf sei daher nur vorgeschoben,
um ohne eine Änderung der Flächennutzungsplanung ein Sonderbauvorhaben auf einer Wohnbaufläche
ermöglichen zu können; es liege mithin ein Fall des sog. Etikettenschwindels vor.
Das Wohngebiet WA 2 sei vielmehr der Sache nach ein Klinikgebiet im Sinne des § 11 Abs. 2 BauNVO,
welches nach der Bebauungsplanbegründung einen wohnähnlichen Charakter haben solle. Das treffe
jedoch nicht zu. Nach den Baugenehmigungsunterlagen handele es sich nicht nur um ein Wohnheim,
sondern um ein Krankenhaus mit drei Stationen, die jeweils über ein Stationsbad und ein Dienstzimmer
verfügen. Günstigstenfalls könne es sich um eine Anlage für soziale und gesundheitliche Zwecke
handeln. Wenn nämlich ein eigener Gebäudetrakt mit acht Therapieräumen für 25 Bewohner vorgesehen
sei, der in dieser Größe nur eine Einzelbehandlung zulasse, dann gehe es nicht nur um das Wohnen,
sondern vor allem um das Behandeln. Die Errichtung von Wohngebäuden sei hingegen durch die
Festsetzung eines übergroßen Baufensters ohne Innenerschließung und mit einer unzureichenden
äußeren Erschließung über eine zu schmale Erschließungsstraße ohne Wendehammer praktisch
unmöglich gemacht worden. Auch von daher hätte ein Sondergebiet festgesetzt werden müssen.
Selbst wenn eine Realisierungsabsicht hinsichtlich des WA 1-Gebietes bestünde, wäre der
Bebauungsplan gemäß § 1 Abs. 7 BauGB unwirksam, weil die Abwägungen in mehrfacher Hinsicht
fehlerhaft seien. Entgegen § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB würden weder die Bevölkerungsentwicklung noch die
Wohnbedürfnisse berücksichtigt. Der Wohnflächenbedarf sei ungeachtet des Grundsatzes GA 1 in
Kapitel 2.1 des RROP Mittelrhein-Westerwald ausschließlich aus dem Flächennutzungsplan abgeleitet
worden. Vor allem aber sei der Belang der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen
nach § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB fehlerhaft abgewogen worden. Es sei vor diesem Hintergrund nicht
nachvollziehbar, warum ein anerkanntermaßen bereits sozial instabiler Stadtteil mit nur 1.000 Einwohnern
(Hinweis auf Bl. 440 PA) noch zusätzlich mit einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen belastet
werden solle.
Die Beseitigung bestehender Missstände lasse sich auch nicht erreichen, wenn sich aufgrund schlechter
Wohnlage nicht die Mieten erzielen ließen, die zur Finanzierung von Investitionen erforderlich seien. Die
Antragstellerin habe nach einer Totalsanierung der Objekte (Heizung, Elektronik, Fenster, Oberböden) die
Mieteinnahmen lediglich von durchschnittlich 3,30 auf 4,00 €/m² steigern können. Auch der Voreigentümer
habe bereits vor der Insolvenz gestanden und die Antragstellerin habe die Sanierung auch nur mit
Inanspruchnahme von Privateinlagen ihrer Gesellschafter finanzieren können. Trotzdem stünden immer
noch Wohnungen der Antragstellerin leer und dieser Leerstand habe innerhalb eines Jahres von 14 auf
17 Wohnungen zugenommen. Seit Februar 2010 habe keine einzige Wohnung mehr vermietet werden
können, sodass sich auch ein Mietzins von 4,00 €/m² künftig nicht mehr werde halten lassen. Es stelle vor
diesem Hintergrund eine Abwägungsdisproportionalität dar, wenn die weitere soziale Destabilisierung
eines ganzen Stadtteils in Kauf genommen werde, ohne dass das Planungsziel erreicht werden könne.
Darüber hinaus seien bei der Abwägung die Belange des § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB sowie des § 1 Abs. 6
Nr. 7 BauGB nicht hinreichend berücksichtigt worden und seien die unzureichende äußere und innere
Erschließung des Gebiets über die I…………straße bzw. die vorgesehenen Planstraßen A bis C zu rügen.
Zudem gebe es erhebliche Ermittlungsdefizite im Sinne von § 2 Abs. 3 BauGB was den
Wohnflächenbedarf und die Entwässerung sowie den Ausbau der I…………..straße angehe. Ein
Entwässerungskonzept liege noch immer nicht vor. Schließlich sei die Planung auch nicht mit den
Grundsätzen der Raumordnung nach dem RROP Mittelrhein-Westerwald zu vereinbaren was die
Entwicklungschancen von Baugebieten, den Erhalt der Wälder und die Anforderungen an den
Klimaschutz betreffe.
Die Antragsteller beantragen,
den Bebauungsplan der Antragsgegnerin „Bereich zwischen Fliegerkaserne und Wohnsiedlung
Lilienstraße“ vom 26. März 2009 für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
Der Normenkontrollantrag sei schon mangels Antragsbefugnis unzulässig. Die Antragstellerin sei
insbesondere nicht antragsbefugt, weil eine erhebliche Verkehrsmehrbelastung nicht erkennbar sei. Es
sei in der Rechtsprechung bereits entschieden worden, dass ein Zusatzverkehr durch 20 bis 30 einzelne
Doppelwohnhäuser, der an einem Grundstück außerhalb des Plangebietes vorbeigeführt werde, keine
mehr als nur geringfügige Belästigung darstelle. Eine allgemeine ruhige Wohnlage begründe angesichts
einer solchen Verkehrszunahme keine Antragsbefugnis.
Die Anträge seien darüber hinaus auch unbegründet. Der Bebauungsplan sei zunächst erforderlich im
Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB, wobei zunächst das WA 2-Gebiet realisiert werde. Es sei jedoch eine
unrichtige Darstellung der Antragstellerseite, dass lediglich eine Wohnstätte für psychisch Kranke
realisiert werden solle. Es sei mehrfach erklärtes Ziel der Antragsgegnerin, dass in dem Bebauungsplan
ausgewiesene Wohngebiet WA 1 zu erschließen und Bauinteressenten zur Verfügung zu stellen.
Entsprechende Haushaltsmittel stünden bereit, die Entwässerung zur Straßenplanung sei erstellt. Auch
die Entwässerung des Wohngebietes WA 2 sei sichergestellt, während die Entwässerung des
Wohngebiets WA 1 aufgrund der notwendigen Herstellung eines Regenrückhaltebeckens außerhalb des
Planbereichs einer weiteren Genehmigung bedürfe. Der Antrag werde derzeit durch ein Ingenieur-Büro
erstellt und die Genehmigung sodann anschließend beantragt. Die Erschließung des WA 2 erfolge
2010/2011 und des WA 1 nach Vorliegen der genehmigten Entwässerungsplanung 2011/2012.
Es liege auch kein Etikettenschwindel vor; die Antragsgegnerin habe ein Wohngebiet ausgewiesen und
beabsichtige dieses zu realisieren. Sofern die Antragsteller der Auffassung seien, dass eine solche
Ausweisung nicht die Genehmigung eines Wohnheims für psychisch Kranke rechtfertige, müssten sie die
Baugenehmigung angreifen. Die geplante Einrichtung zum betreuten Langzeitwohnen für psychisch
kranke Menschen sei eine Wohnnutzung. Die Notwendigkeit von Betreuung und Pflege stehe einem
selbstbestimmten Wohnen nicht entgegen. Dafür reiche es aus, dass die für das Wohnen konstituierenden
Merkmale erfüllt seien. Dies sei auch dann der Fall, wenn bei den Bewohnern aufgrund ihrer Betreuungs-
und Pflegebedürftigkeit eine selbständige Haushaltsführung und Lebensgestaltung in den Hintergrund
trete oder sogar aufgegeben werde.
Eine ständige medizinische Versorgung wie in einem Krankenhaus finde nicht statt. Das Wohnheim
beschäftige auch keinen eigenen Arzt, die medizinische Betreuung werde von externen Ärzten
sichergestellt. Die fachpsychiatrische Betreuung erfolge durch die Beigeladene, sofern von
Heimbewohnern kein niedergelassener Arzt gewählt werde. Selbst wenn also der Planungswille dahin
gegangen sei, im Wohngebiet 2 eine Einrichtung für die Behandlung psychisch Kranker zu etablieren, so
sei diesem Planungswillen durch die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes Rechnung getragen.
Außerdem sei die beabsichtigte Nutzung durch die Beigeladenen in einem allgemeinen Wohngebiet als
Anlage für gesundheitliche und/oder soziale Zwecke (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) allgemein zulässig.
Die Beigeladene beantragt,
den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
Eine Antragsbefugnis der Antragstellerin bestehe nicht. Die unzumutbare Vervielfältigung des Verkehrs
sei bereits nicht substantiiert dargelegt und in einem allgemeinen Wohngebiet auch nicht zu erwarten.
Zudem seien geeignete Maßnahmen zur Lärmreduzierung vorgesehen. Im Übrigen könne der
Antragsteller sich im Hinblick auf diesen im Öffentlichkeitsverfahren nach den Maßgaben des § 3 Abs. 2
BauGB nicht vorgebrachten Aspekt im Normenkontrollverfahren gemäß § 47 Abs. 2a VwGO nicht mehr
hierauf berufen.
Eigene Rechte würden auch insoweit nicht verletzt, als eine Wertminderung der Grundstücke behauptet
worden sei. Diese Behauptung sei empirisch in keiner Weise nachvollziehbar, da eine unzumutbare
Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten nicht vorläge. Die Abwägung der Antragsgegnerin (Bl. 441
PA u.a.) sei nicht zu beanstanden, sodass insofern auch eine Unzulässigkeit des Antrags vorliege. Dem
Antrag fehle zudem das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Baugenehmigung für die streitgegenständliche
Fachklinik mittlerweile erteilt worden sei.
Der Normenkontrollantrag der Antragstellerin sei in jeden Fall auch unbegründet. Die Planung sei gemäß
§ 1 Abs. 3 BauGB erforderlich, wobei ein weites planerisches Ermessen zugrunde zu legen sei. Das
Negieren des Bedarfs seitens der Antragsteller gehe insoweit von falschen Tatsachen aus. Ziel der
Planung sei die Ausweisung der Flächen zur Bebauung gewesen und damit einem weiten Kreis der
Bevölkerung Bauland zur Eigentumsbildung zu verschaffen bzw. zur Eigentumsbildung zu verhelfen.
Sofern das Gebiet „Brauheck“ seitens der Antragsteller als Konfliktgebiet bezeichnet werde, sei gerade
der Bebauungsplan geeignet und erforderlich, diese angeblich negativen Zustände zu beseitigen.
Es handele sich auch nicht um einen Etikettenschwindel, da angeblich ein Sondergebiet nach § 11 Abs. 2
BauNVO hätte ausgewiesen werden müssen. Ein Etikettenschwindel liege nur vor, wenn eine tatsächlich
nicht gewollte Gebietsart ausgewiesen werde, um so städtebaulich unzulässige Zielkonflikte zu umgehen.
Die Antragsteller verkennen jedoch, dass in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 3
BauNVO auch Anlagen für gesundheitliche Zwecke zulässig seien. Auch das im Gebiet WA 2 zu
verwirklichende Bauprojekt der Beigeladenen sei als Anlage für gesundheitliche Zwecke nach dieser
Vorschrift bzw. als Wohnanlage nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zu qualifizieren. Bei der bereits
genehmigten Anlage handele es sich letztendlich um eine Kombination aus Wohnen und medizinischer
Betreuungsleistung, was auch aus dem Betriebskonzept der Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach eindeutig
hervorgehe. Aus der Planbegründung (S. 8) folge auch, dass es sich keineswegs um einen
Krankenhauskomplex handele, der nach Auffassung der Antragsteller nur in einem Sondergebiet zulässig
wäre, sondern dass das Wohnen in der genannten Einrichtung der Beigeladenen nicht nur überwiegen
solle, sondern gerade Kern des therapeutischen Konzepts sei. Die psychisch kranken Menschen sollten
lernen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, wobei auf Grundlage des gegebenen Konzepts ein
Gewaltpotential und eine Gefährdung der Anwohner ausgeschlossen werden könne. Einen allgemeinen
Anspruch auf ein Ausblenden bestimmter Probleme und Erkrankungen bestehe indessen nach der
Rechtsprechung nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte einschließlich der Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Planungsakten
der Antragsgegnerin (8 Ordner). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Der Normenkontrollantrag ist unzulässig.
Der Antragstellerin fehlt es bereits an der Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Nach dieser
Bestimmung kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift
oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie
jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift den
Normenkontrollantrag stellen.
Ausreichend ist dabei, dass ein Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es
zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem
subjektiven Recht verletzt wird. Eine Rechtsverletzung ist dabei nicht nur dann möglich, wenn die Norm
oder ihre Anwendung unmittelbar in eine Rechtsstellung eingreift. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die
mögliche Verletzung subjektiver Rechte der angegriffenen Norm tatsächlich und rechtlich zuordnen lässt.
Die Antragsbefugnis eines Grundstückseigentümers wegen möglicher Eigentumsverletzung ist
regelmäßig dann gegeben, wenn er sich als Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks
gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 22.08.2000, NVwZ 2000, 1413 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb
nicht erfüllt, weil die betroffenen Gebäude der Antragstellerin auf dem Flurstück-Nr. 704 nicht innerhalb
des räumlichen Geltungsbereichs des mit dem vorliegenden Normenkontrollantrag angegriffenen
Bebauungsplans liegen.
Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf einen gebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruch
berufen, der durch die Festsetzung des Bebauungsplanes verletzt sein soll. Ein gebietsübergreifender
Schutz des Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden
Plangebiet besteht unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht (BVerwG,
Beschluss vom 18.12.2007, NVwZ 2008, 427; BayVGH, Beschluss vom 01.07.2009, 14 ZB 07.1727 - juris).
Allenfalls bei einem erkennbaren Willen des Satzungsgebers, dass Gebietsausweisungen in einem
Bebauungsplan auch dem Schutz der jenseits der Gebietsgrenze liegenden benachbarten Bebauung
dienen sollen, kann ein solcher gebietsübergreifender Erhaltungsanspruch eingreifen (s. OVG RP, Urteil
vom 14.01.2000, BauR 2000, 527; BayVGH, Beschluss vom 24.03.2009, 14 Cs 08.3017 - juris). Eine
solche Konstellation ist aber hier nicht gegeben, so dass an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen
werden muss, dass auch das neue Plangebiet ein allgemeines Wohngebiet (WA) ausweist, wenn auch mit
der Möglichkeit, eine Einrichtung zum Wohnen und Behandeln psychisch kranker Menschen dort
unterzubringen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 09.01.1997, 7 A 2175/95).
Soweit die Antragstellerin sinngemäß auch einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung
eines Baugebietes für sich in Anspruch nehmen sollte (vgl. VGH BW vom 26.08.2009, NVwZ-RR 2010,
45), gilt Entsprechendes. Auch dieser Anspruch kann allenfalls für den im Baugebiet ansässigen
Nachbarn gelten und bietet keinen gebietsübergreifenden Schutz.
Eine die Antragsbefugnis begründende „mögliche“ Rechtsverletzung folgt auch nicht daraus, dass die
Antragstellerin eine fehlerhafte Behandlung ihrer Belange in der Abwägung und damit eine Verletzung
des drittschützenden Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BBauG) geltend machen könnte und die dazu
vorgetragenen Tatsachen dies auch als möglich erscheinen ließen. (BVerwG, Urteil vom 24.09.1998,
BVerwGE 107, 215). Ein die Befugnis zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens gegen einen
Bebauungsplan begründender Nachteil im Sinne des § 47 Abs 2 S 1 VwGO ist gegeben, wenn der
Antragsteller durch den Bebauungsplan oder durch dessen Anwendung negativ, d.h. verletzend, in einem
Interesse betroffen wurde bzw. in absehbarer Zeit betroffen werden kann, das bei der Entscheidung über
den Erlass oder den Inhalt dieses Bebauungsplans als privates Interesse des Antragstellers in der
Abwägung berücksichtigt werden musste. Das setzt voraus, dass sich der Antragsteller auf einen
abwägungserheblichen Belang berufen kann (BVerwG Urteile vom 10.03.1998, NVwZ 1998, 732/733 und
vom 24.09.1998, BVerwGE 107, 215/219 ff.). Nicht jeder private Belang ist in der Abwägung zu
berücksichtigen, sondern nur solche, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich
relevanten Bezug haben. Nicht abwägungsbeachtlich sind also insbesondere geringwertige oder mit
einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen
besteht oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren.
Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen kann sich die Antragstellerin nicht auf abwägungserhebliche
schutzwürdige Belange berufen, aus denen die Zulässigkeit ihres Normenkontrollantrags folgen würde.
Die von der Antragstellerin im Planverfahren vorgetragenen Einwände (Bl. 134 PA) bezogen sich
zunächst auf die städtebauliche Nutzung und das „problematische Nebeneinander der verschiedenen
Nutzungen“. Insbesondere wurde aber ein „massiver Einbruch der Werthaltigkeit der Wohnobjekte in der
Wohnsiedlung Lilienthalstraße geltend macht. Im gerichtlichen Verfahren wurde sodann noch die erhöhte
Lärmbelastung unter Hinweis auf eine obergerichtlich Entscheidung (BayVGH, Urteil vom 24.04.2007, 15
N 06.1948) beanstandet.
Zunächst begründet die angebliche Wertminderung des benachbarten Wohnkomplexes der
Antragstellerin nicht deren Antragsbefugnis. Die Auswirkungen, die die Errichtung von baulichen Anlagen
in der Umgebung eines Grundstücks auf dessen Verkehrswert haben, sind allein keine für die planerische
Abwägung erheblichen Belange. Sie stellen deshalb auch keinen von den Festsetzungen eines
Bebauungsplans zu erwartenden Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO dar. Vielmehr kommt es
auf die von der (neu) zugelassenen Nutzung unmittelbar zu erwartenden tatsächlichen
Beeinträchtigungen an (BVerwG, Beschluss vom 09.02.1995, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr 102), zu denen
sich der Normenkontrollantrag praktisch nicht verhält.
Hinzu kommt, dass die behauptete Wertminderung nicht einmal im Ansatz belegt worden ist. Die Objekte
sind nach den eigenen Angaben der Antragstellerin bereits heute kaum zu vermieten, so dass die
vorliegende Bebauungsplanung durchaus auch positive Entwicklungen zur Folge haben könnte. Einen
stichhaltigen Ansatz für eine Wirkung vergleichbar einem üblicherweise in anderen Bereichen des
Baurechts erörterten „Trading-down-Effekt“ (vgl. BVerwG Beschluss vom 04.09.2008, ZfBR 2008, 799)
durch die Unterbringung psychisch kranker Menschen in einer Wohneinrichtung dieser Größenordnung
wird schon nicht nachvollziehbar vorgetragen. Für den Senat sind auch keine entsprechenden
Anhaltspunkte dafür vorhanden, unabhängig davon, ob ein solcher Vortrag überhaupt einen rechtlich
zulässigen Belang darstellen könnte, da in diesem Fall auch die diskriminierende Wirkung einer solchen
Annahme näher zu beleuchten wäre (vgl. nur Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG). Dies bedarf aber vorliegend keiner
weiteren Erörterungen, da von einem deutlichen Wertverlust der genannten Anwesen auf der Grundlage
des Vortrags der Antragstellerin und des Akteninhalts jedenfalls nicht auszugehen ist.
Die vorliegende Konstellation ist auch nicht vergleichbar mit dem vom dem Bundesverwaltungsgericht
entschiedenen Fall, wonach eine Beschränkung der Nutzungsrechte auf Personengruppen mit
besonderem Wohnbedarf (
§ 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB
) in einem neu festgesetzten allgemeinen Wohngebiet
eine Antragsbefugnis für den Eigentümer der betroffenen Fläche begründen kann (BVerwG, Beschluss
vom 17.12.1992, BVerwGE 91, 318 zu § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F.). Vorliegend handelt es sich bei der
Antragstellerin gerade nicht um die Eigentümerin der Flächen innerhalb des Bebauungsplangebiets, so
dass die Antragstellerin auch insoweit nicht betroffen ist.
Soweit die Antragstellerin eine unzumutbare Verkehrsbelastung geltend macht, unterliegt dieser Einwand
der Präklusion gemäß § 47 Abs. 2a S. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist u.a. der Antrag einer natürlichen
oder juristischen Person, der einen Bebauungsplan oder eine Satzung zum Gegenstand hat, unzulässig,
wenn die den Antrag stellende Person nur Einwendungen geltend macht, die sie im Rahmen der
öffentlichen Auslegung (
§ 3 Abs. 2
BauGB) oder im Rahmen der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit
(
§ 13 Abs. 2 Nr. 2
und § 13a Abs. 2 Nr. 1 BauGB) nicht oder verspätet geltend gemacht hat, aber hätte
geltend machen können, und wenn auf diese Rechtsfolge im Rahmen der Beteiligung hingewiesen
worden ist. Nach den Planunterlagen (Bl. 370) ist eine ordnungsgemäße Belehrung erfolgt (vgl. hierzu
auch BVerwG, Urteil vom 27.10.2010, 4 CN 4.09), so dass es Sache der Antragstellerin gewesen wäre
diese Einwendung im Planverfahren nachvollziehbar vorzubringen.
Der Aspekt der Verkehrsbelastung wurde seitens der Antragstellerin jedoch erstmalig im Schriftsatz vom
09.07.2010 vorgebracht. Im Öffentlichkeitsverfahren gemäß § 3 Abs. 2 BauGB hat die Antragstellerin
dagegen nicht erwähnt, dass eigene Rechte durch eine zunehmende Verkehrsbelastung möglicherweise
gefährdet seien. Die Antragstellerin ist demnach mit diesem Vorbringen gemäß § 47 Abs. 2a VwGO
präkludiert. Die Regelung stellt eine Konkretisierung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses dar und
berücksichtigt, dass bereits im Aufstellungsverfahren Mitwirkungsbefugnisse bestehen, die dem Ziel
dienen, die jeweiligen Interessen rechtzeitig dem Abwägungsmaterial zuzufügen (vgl. Giesberts in:
Posser/Wolff, BeckOK VwGO § 47 Rn 57a; BT-Drs 16/2496, 18). Auch würde es der grundsätzlichen
Aufgabenverteilung zwischen Plangeber und den Verwaltungsgerichten widersprechen, wenn sachliche
Einwendungen ohne Not erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht würden. Werden demgemäß
Einwendungen im Bebauungsplanverfahren nicht rechtzeitig vorgebracht, sind sie in einem späteren
Normenkontrollverfahren im Übrigen auch dann präkludiert, wenn sie sich der planenden Gemeinde
hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 18.11.2010, BauR 2011, 490; BayVGH, Urteil vom
26.01.2010, 15 N 09.135). Nur ergänzend sei daher erwähnt, dass sich eine unzumutbare
Verkehrslärmbelastung und die damit einhergehende Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte der
Antragsgegnerin auch nicht aufdrängen musste.
Rechtsfolge des § 47 Abs. 2a S. 1 VwGO ist, dass die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags nicht mehr
auf diesen (präkludierten) Belang gestützt werden kann. Da vorliegend auch die übrigen geltend
gemachten Belange die Antragsbefugnis nicht begründen konnten, war der Normenkontrollantrag der
Antragstellerin insgesamt schon mangels Zulässigkeit abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der In § 132 Abs. 2 VwGO ge-nannten Art nicht vorliegen.
RMB
gez. Zimmer
gez. Schneider
gez. Dr. Berthold
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,-- € festgesetzt (§§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr.
9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327 ff.).
gez. Zimmer
gez. Schneider
gez. Dr. Berthold