Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 29.06.2009

OVG Koblenz: eltern, aufschiebende wirkung, einreise, staatsangehörigkeit, eugh, wechsel, ausländerrecht, internat, arbeitsmarkt, meinung

OVG
Koblenz
29.06.2009
7 B 10454/09.OVG
Ausländerrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn S.,
- Antragsteller und Beschwerdeführer -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Baysu & Frost, C2, 20, 68159 Mannheim,
gegen
die Stadt Kaiserslautern, vertreten durch den Oberbürgermeister, Willy-Brandt-Platz 1, 67657
Kaiserslautern,
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
wegen Duldung
hier: aufschiebende Wirkung
hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 29.
Juni 2009, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch
Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Stahnecker
beschlossen:
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der
Weinstraße vom 27. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 € festgesetzt.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I
.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung, das der Senat allein berücksichtigen kann (§ 146 Abs. 4
Sätze 1, 3 und 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung oder Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen
Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Antragsteller kein Anspruch auf
Verlängerung der ihm zu Studienzwecken erteilten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 16 AufenthG im Hinblick
auf die Regelversagung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Falle eines Wechsels des
Aufenthaltszwecks zusteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die diesbezüglichen
Ausführungen in dem verwaltungsgerichtlichen Beschluss verwiesen, die in Einklang mit der
Rechtsprechung des Senats stehen (vgl. Beschluss vom 10. Dezember 2008 - 7 B 11227/08.OVG -,
veröffentlicht in ESOVGRP). Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist hierzu lediglich noch
Folgendes zu ergänzen:
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, es fehle zu dem vom Antragsteller geltend gemachten
Umstand, dass sein Misserfolg an der Universität M. auch auf die dort herrschende extrem
ausländerfeindliche Stimmung zurückzuführen sei, bereits an näheren Angaben, die den Schluss
ermöglichten, dass eine Ausnahme von der Regel des § 16 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen könnte.
Hiergegen macht der Antragsteller mit der Beschwerde lediglich geltend, der Antragsgegner habe sich auf
diesen Punkt überhaupt nicht eingelassen, die Frage sei im Hauptsacheverfahren zu klären. Die
Beschwerde enthält indes weder die fehlenden näheren Angaben noch vermag sie zu begründen,
weshalb entsprechende Angaben entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entbehrlich sein
sollten.
Fehl geht der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht sei von einer falschen Tatsache
ausgegangen, nämlich davon, dass der Studiengang "Bachelor-Mechatronik" insgesamt 7 Semester plus
6 Semester betrage. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der
Antragsteller nicht nur das Studium "Bachelor-Mechatronik" mit einer Regelstudienzeit von 7 Semestern
abschließen, sondern anschließend noch einen mindestens 6 Semester in Anspruch nehmenden
Masterstudiengang aufnehmen wolle. Dies entspricht ausweislich des von ihm unterschriebenen
Gesprächsvermerks seinen eigenen Angaben gegenüber der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin
(vgl. Bl. 204 der vorgelegten Behördenakte). Im Übrigen ist dieser Hinweis des Verwaltungsgerichts
lediglich Teil der von ihm hilfsweise gegebenen Begründung, der hier keine entscheidungserhebliche
Bedeutung zukommt.
Ebenfalls ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, dass Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt,
dass er sich seit 5 Jahren in Deutschland aufhalte und ihm nur noch 2 1/2 Jahre zum Abschluss seines
Studiums fehlten, sodass es unverhältnismäßig wäre, seine Aufenthaltserlaubnis nicht zu verlängern, und
damit eine Ausnahme von der Regel vorliege. Zwar kommt es durchaus in Betracht, dass eine
Nichtverlängerung der zum Zweck eines Studiums erteilten Aufenthaltserlaubnis unverhältnismäßig ist,
wenn der Ausländer kurz vor dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums steht. Davon kann aber hier
keine Rede sein, da der Antragsteller sich ausweislich der vorgelegten Immatrikulationsbescheinigung
erst im 2. Fachsemester befindet.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass der Antragsteller zwar ein Aufenthaltsrecht
nach Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei (ARB 1/80) erworben haben
dürfte, da er 1985 in Deutschland geboren ist, bis 1991 bei seinen Eltern gelebt hat, die seinerzeit noch
die türkische Staatsangehörigkeit besaßen, und sein Vater - soweit ersichtlich - zumindest seit 1983 als
Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt ist, der Antragsteller dieses Recht aber infolge seiner Ausreise in
die Türkei im Jahre 1991 wieder verloren hat.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erlischt das Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1
ARB 1/80, wenn es aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gemäß Art. 14
ARB 1/80 beschränkt wird oder wenn der Betroffene das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für
einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt (vgl. EuGH, InfAuslR 2008, 423 - Er
- m.w.N.). Letzteres ist hier der Fall.
Der Antragsteller wurde im Jahre 1991 im Alter von 6 Jahren von seinen Eltern zur Einschulung in deren
Herkunftsland Türkei geschickt. Dort durchlief er die gesamte Schulausbildung bis zum Abitur im Juni
2003, wobei er teilweise bei den Großeltern, teilweise im Internat lebte. Bei seinen in Deutschland
lebenden Eltern hielt er sich seinen Angaben zufolge in den Schulferien auf. Im Februar 2004 reiste er mit
einem Visum zu Studienzwecken wieder nach Deutschland ein. Aufgrund dieser Umstände ist davon
auszugehen, dass der Antragsteller mit seiner Einschulung in der Türkei im Jahre 1991 den Mittelpunkt
seiner Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland endgültig aufgegeben und in die Türkei
verlagert hat. Eine derart lange Abwesenheit vom Bundesgebiet von über 12 Jahren - von kurzfristigen
Besuchsaufenthalten abgesehen - kann hinsichtlich der Aufrechterhaltung eines Aufenthaltsrechts aus Art.
7 Satz 1 ARB 1/80 nicht mehr als unerheblich betrachtet werden (ebenso bei einem 11-jährigen Auslands-
aufenthalt ab dem 16. Lebensjahr: Beschluss des Senats vom 1. August 2008 ‑ 7 A 10196/08.OVG -,
veröffentlicht in ESOVGRP, und bei einem 3 1/2‑jährigen Auslandsaufenthalt in einem Internat: NdsOVG,
InfAuslR 2008, 151).
Zwar ist dem Antragsteller einzuräumen, dass sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
nähere Ausführungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des
Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist,
nicht entnehmen lassen. Es bedarf aber hier keiner weiteren Klärung dieser Frage in einem
Hauptsacheverfahren und gegebenenfalls einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, weil jedenfalls
im vorliegenden Fall die Voraussetzungen offensichtlich gegeben sind.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, InfAuslR 1997, 281 - Kadiman -)
bezweckt Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der
dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch zu fördern, dass ihm in diesem Staat
die Aufrechterhaltung seiner familiären Bande ermöglicht wird. Die Vorschrift dient der
Familienzusammenführung, indem sie eine dauerhafte Eingliederung der Familienangehörigen des
türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat fördert. Entgegen dieser Zielsetzung förderte der
langjährige Aufenthalt des Antragstellers in der Türkei nicht die dauerhafte Eingliederung in Deutschland.
Vielmehr führte die Verlagerung seines Lebensmittelpunkts in die Türkei und damit in einen anderen
Sprach- und Kulturkreis dazu, dass die bis zum 7. Lebensjahr - erst ansatzweise - erfolgte Integration in
die hiesigen Lebensverhältnisse in einer für die soziale Prägung des Antragstellers wesentlichen
Entwicklungsphase für einen Zeitraum von mehr als 12 Jahren unterbrochen wurde. Bezeichnenderweise
hat der Antragsteller nach seiner Einreise im Februar 2004 auch erst einen mehrmonatigen Sprachkurs
absolviert, bevor er ein Studium aufgenommen hat. Sein Aufenthalt vom 7. bis zum 19. Lebensjahr in der
Türkei widerspricht daher dem Regelungszweck des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80. Jedenfalls in einem solchen
Fall können "berechtigte Gründe" für das Verlassen des Bundesgebiets offensichtlich nicht anerkannt
werden.
Dieses Ergebnis wird auch durch einen Vergleich mit der für Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen
geltenden Regelung des Rechts auf Daueraufenthalt in Art. 16 der sogenannten Unionsbürgerrichtlinie
(Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004) bestätigt. Danach führt, wenn das Recht auf Daueraufenthalt
erworben wurde (vgl. Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38/EG), nur die Abwesenheit vom
Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinanderfolgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust (vgl. Art. 16
Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG). Unabhängig davon, inwieweit diese Bestimmung auf
assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige übertragbar ist, spricht die in ihr zum Ausdruck kom-
mende Wertung dafür, dass jedenfalls bei einem Auslandsaufenthalt von über 12 Jahren das aus Art. 7
Satz 1 ARB 1/80 folgende Aufenthaltsrecht verloren geht (vgl. NdsOVG, a.a.O.; Armbruster, in: HTK-AuslR,
Stand März 2009, ARB 1/80, Art. 7 - Erlöschen der Rechtsstellungen -).
Das Verwaltungsgericht ist ferner davon ausgegangen, dass der Antragsteller nach seiner Einreise im
Jahre 2004 eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht wieder erlangt hat. Denn Einreise und
Aufenthalt seien ihm lediglich zu Studienzwecken erlaubt worden. Allein das schließe das Entstehen
eines Aufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 aus. Dies entspricht der - soweit ersichtlich -
einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 die Erteilung eines
Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung voraussetzt (vgl. OVG RP, InfAuslR 1998, 421;
OVG NRW, Beschluss vom 3. April 2001 - 18 B 204/00 -, juris, Rn. 3 ff. m.w.N.). Hieran hält der Senat auch
unter Berücksichtigung der im Schrifttum vereinzelt vertretenen abweichenden Auffassung fest (vgl.
Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Auflage 2008, Rn. 1590; Gutmann, in: GK-AuslR,
ARB 1/80, Art. 7 Rn. 30 f.; wie hier dagegen: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Februar 2007, ARB 1/80,
Art. 7 Rn. 17; Oberhäuser, in: HK-AuslR, 2008, ARB 1/80 Art. 7 Rn. 4).
Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht angenommen, die Eltern des Antragstellers seien bei seiner
Einreise im Jahre 2004 bereits deutsche Staatsangehörige gewesen, sodass auch schon deshalb das
Wiederentstehen eines solchen Aufenthaltsrechts - nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 - ausscheide. Gegen die
Annahme des Verwaltungsgerichts in tatsächlicher Hinsicht wendet sich der Antragsteller mit der
Beschwerde nicht. Er macht allein geltend, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der in der Literatur
vertretenen Meinung auseinandergesetzt, dass das Recht aus Art. 7 ARB 1/80 nicht ausgeschlossen sei,
wenn die Eltern im Nachhinein deutsche Staatsangehörige geworden seien; diesbezüglich müsse eine
Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gerichtet werden.
Dieser Einwand geht jedoch schon im Ausgangspunkt fehl. In den mit der Beschwerde als Beleg
angeführten Kommentaren zum Ausländerrecht wird lediglich die Meinung vertreten, dass das
Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen türkischer Arbeitnehmer mit der Einbürgerung dieser
Arbeitnehmer nicht untergehe (vgl. Gutmann, a.a.O., Rn. 61) bzw. dass, wenn der Familienangehörige die
Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 bereits erreicht habe, ein Wechsel der Staatsangehörigkeit
des Arbeitnehmers, von dem er seine Rechte ableite, unschädlich sei (vgl. Oberhäuser, a.a.O., Rn. 7). Es
geht hier aber nicht um die Frage, ob der Antragsteller ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht als
Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers mit dem Wechsel der Staatsangehörigkeit des
stammberechtigten Arbeitsnehmers verloren hat, sondern darum, ob er ein solches Aufenthaltsrecht
erwerben konnte, obwohl seine Eltern bei seiner Einreise bereits nicht mehr türkische, sondern deutsche
Staatsangehörige waren. Dies ist zu verneinen (ebenso: HessVGH, InfAuslR 2008, 7; Oberhäuser, a.a.O.,
Rn. 67). Jedenfalls dann, wenn im Zeitpunkt der Einreise des Familienangehörigen der in Deutschland
lebende Arbeitnehmer, von dem er seine Rechte ableitet, nicht mehr die türkische Staatsangehörigkeit
besitzt, kann ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 bereits nach dem Wortlaut der Bestimmung,
der von Familienangehörigen eines "türkischen Arbeitnehmers" spricht, nicht mehr erworben werden.
Auch der Zweck der assoziationsrechtlichen Bestimmungen spricht gegen die Anwendung des Art. 7 Satz
1 ARB 1/80 in einem solchen Fall. Durch diese Norm soll - wie bereits dargelegt - die Beschäftigung und
der Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats
angehört, dadurch gefördert werden, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung seiner familiären
Bande ermöglicht wird. Wenn der ehemals türkische Staatsangehörige in Deutschland jedoch schon die
deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, ist der Familiennachzug unter den erweiterten
Voraussetzungen für den Nachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen gestattet und der
Anknüpfungspunkt des Familiennachzugs ist nicht mehr ein in Deutschland lebender türkischer
Arbeitnehmer, sondern ein deutscher Staatsangehöriger (vgl. HessVGH, a.a.O.).
Gleiches gilt für den Erwerb eines Aufenthaltsrechts des Antragstellers aus Art. 9 ARB 1/80.
Nach dieser Bestimmung werden türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft
ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, welche dort ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren, unter
Zugrundelegungen derselben Qualifikationen wie die Kinder von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats
zum allgemeinen Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen. Sie
können in diesem Mitgliedstaat Anspruch auf die Vorteile haben, die nach den einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind. Art. 9 ARB 1/80 hat in den Mitgliedstaaten
unmittelbare Wirkung (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - C 374/03 -, juris - Gürol -). Ob und
gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen Art. 9 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht
vermittelt, kann hier dahinstehen (vgl. dazu Gutmann, a.a.O., ARB 1/80, Art. 9 Rn. 24 ff.; Hailbronner,
a.a.O., ARB 1/80 Art. 9 Rn. 2 ff., jeweils m.w.N.). Denn jedenfalls dann, wenn im Zeitpunkt der Einreise des
(volljährigen) türkischen Kinds seine Eltern nicht mehr die türkische Staatsangehörigkeit, sondern die des
Aufnahmemitgliedstaats besitzen, findet Art. 9 ARB 1/80 keine Anwendung und kann hieraus kein
Aufenthaltsrecht mehr erworben werden.
Zwar folgt dies nicht bereits unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift, da in Art. 9 ARB 1/80 anders als
in Art. 7 ARB 1/80 nicht von Familienangehörigen bzw. Kindern türkischer Arbeitnehmer, sondern von
türkischen Kindern die Rede ist. Dies ergibt sich jedoch aus dem Zweck der ein Gleichbehandlungsgebot
enthaltenden Bestimmung. Sie soll den türkischen Kindern den Schulbesuch und eine Berufsausbildung
im Aufnahmemitgliedsstaat ihrer Eltern ermöglichen, ohne die Wahl der Betroffenen in Bezug auf die Art
der schulischen oder beruflichen Ausbildung zu beschränken (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005, a.a.O.).
Sie dient damit letztlich wie auch die sonstigen assoziationsrechtlichen Bestimmungen der Art. 6 ff. ARB
1/80 der Förderung der Beschäftigung und des Aufenthalts der türkischen Arbeitnehmer im
Aufnahmemitgliedsstaat. Daher kann ein Aufenthaltsrecht nach Art. 9 ARB 1/80 ebenso wie nach Art. 7
ARB 1/80 jedenfalls dann nicht mehr erworben werden, wenn im Zeitpunkt der Einreise des (volljährigen)
türkischen Kinds die ehemals türkischen Eltern nicht mehr die türkische Staatsangehörigkeit, sondern die
deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, weil dann Anknüpfungspunkt des Familiennachzugs nicht mehr
ein in Deutschland lebender türkischer Arbeitnehmer, sondern ein deutscher Staatsangehöriger ist. Dem
steht nicht entgegen, dass die Einbürgerung eines türkischen Arbeitnehmers als Abschluss einer
gelungenen Integration und ein damit verbundener Rechtsverlust seiner Familienangehörigen als
Wertungswiderspruch betrachtet werden könnte. Denn vorliegend geht es nicht um den Verlust eines
bereits erworbenen assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts mit dem Wechsel der Staatsangehörigkeit
der Eltern des Betroffenen, sondern um dessen Erwerb.
Da an der dargelegten Auslegung und Anwendung der assoziationsrechtlichen Bestimmungen keine
vernünftigen Zweifel bestehen, bedarf es auch insoweit nicht der weiteren Klärung im
Hauptsacheverfahren und einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof, wie vom Antragsteller
angeregt.
Dass sich aus der sogenannten Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum
Assoziationsabkommen EWG/Türkei oder des Art. 13 ARB 1/80 entgegen der Auffassung des Ver-
waltungsgerichts ein für den Antragsteller günstigeres Ergebnis ergibt, wird mit der Beschwerde nicht
dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, da die
Rechtsverfolgung aus den unter I. dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl.
§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
ROVG Wolff ist wegen Urlaubs
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gehindert
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