Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 15.07.2004

OVG Koblenz: stadt, körperschaft, gerichtsbarkeit, handlungsfähigkeit, gemeinde, integration, religionsgemeinschaft, osteuropa, verwaltung, quelle

OVG
Koblenz
15.07.2004
6 B 10891/04.OVG
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Frau A., A-Straße, A-Stadt,
- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B., B-Straße, A-Stadt,
gegen
die Jüdische Gemeinde M., vertreten durch den Vorstand,
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt C., C-Straße, A-Stadt,
wegen Kirchenrechts
hier: einstweilige Anordnung
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
15. Juli 2004, an der teilgenommen haben
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz vom 10. Mai
2004 – 7 L 438/04.MZ – wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2000,- € festgesetzt.
G r ü n d e
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die mit ihr dargelegten Gründe, auf die sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6
Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – die Prüfung beschränkt, führen nicht zu einem von dem
angefochtenen Beschluss abweichenden Ergebnis.
Wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, unterliegt die Antragsgegnerin nicht der
staatlichen Gerichtsbarkeit, soweit ihr verfassungsrechtlich gewährleistet ist, ihre inneren
Angelegenheiten eigenständig zu ordnen und zu gestalten. Dieses Recht zur Selbstbestimmung umfasst
auch die inhaltlichen und verfahrensmäßigen Regelungen zur Wahl der Gemeindeleitung und zur
Überprüfung der Einhaltung solcher Bestimmungen. Da im vorliegenden Zusammenhang im Streit steht,
ob die gemeindeinternen Satzungsbestimmungen bei der Wahl der bzw. des Vorsitzenden der
Antragsgegnerin am 18. April 2004 beachtet oder aber verletzt wurden, handelt es sich um eine
Streitigkeit, die nicht nach Maßgabe staatlichen Rechts zu entscheiden ist. Aufgrund der
Justizgewährungspflicht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 92 GG) sind die Gerichte zur
Entscheidung aller Rechtsfragen berufen, deren Beantwortung sich nach staatlichem Recht richtet
(BVerfG, Beschluss vom 18. September 1998, NJW 1999, 349 <350>; BVerwG, Urteile vom 30. Oktober
2002, BVerwGE 117, 145 = NJW 2003, 2112 und vom 28. Februar 2002, Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 67
S. 10; BGH, Urteil vom 11. Februar 2000, NJW 2000, 1555). Aus der staatlichen Justizgewährungspflicht
ergibt sich nicht die Befugnis der staatlichen Gerichte, über kircheninterne Maßnahmen zu entscheiden.
Dementsprechend sind Streitigkeiten zwischen dem Vorstand und einzelnen Mitgliedern der Gemeinde,
die nicht durch Beschlussfassung der Mitgliederversammlung erledigt werden, nach § 30 der Satzung der
Antragsgegnerin dem Schiedsgericht des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-
Pfalz zur Entscheidung vorzulegen. Deshalb gibt der vorliegende Rechtsstreit keine Veranlassung zur
Erörterung der Frage, ob die Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit sich auch auf die Einhaltung
der "fundamentalen Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung" durch kirchliche Stellen bezieht (vgl.
hierzu BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2004 - 2 BvR 496/01- mit Sondervotum der Richterin Lübbe-
Wolff, veröffentlicht unter:
http://www.bverfg.de/entscheidungen/
, sowie BVerwG, Urteil vom 30. Oktober
2002, BVerwGE 117, 145 = NJW 2003, 2112 und BGH, Urteil vom 28. März 2003, BGHZ 154, 306 = NJW
2003, 2097). Anders als die Beschwerde meint, werden im vorliegenden Zusammenhang auch nicht
insoweit Fragen staatlichen Rechts aufgeworfen, als die Auseinandersetzung um die Gültigkeit der Wahl
der bzw. des Vorsitzenden der Antragsgegnerin vom 18. April 2004 die Handlungsfähigkeit der
Antragsgegnerin als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts beeinträchtigt. Abgesehen davon, dass
die uneingeschränkte Handlungsfähigkeit der Antragsgegnerin durch eine Entscheidung des Schieds-
gerichts wiederhergestellt werden kann, ist der Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft Mittel zur
Entfaltung der Religionsfreiheit; er soll die Eigenständigkeit und die Unabhängigkeit der
Religionsgemeinschaft unterstützen, sie aber nicht bei der Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten zu
einem Handeln in den Formen und mit den Mitteln des öffentlichen Rechts befähigen (BVerwG, Urteil vom
30. Oktober 2002, BVerwGE 117, 145 = NJW 2003, 2112). Auch die von der Antragsgegnerin
übernommene Aufgabe der Integration jüdischer Kontingentflüchtlinge aus Osteuropa, die zweifellos im
öffentlichen Interesse liegt, und der Umstand, dass die Gemeindeleitung der Antragsgegnerin auch mit der
Verwaltung staatlicher Finanzzuwendungen betraut ist, heben den Streit um die Ordnungsmäßigkeit der
Wahl vom 18. April 2004 nicht aus dem Internum der Glaubensgemeinschaft in den Bereich staatlichen
Rechts.
Nach alledem war die Beschwerde der Antragstellerin mit der sich aus § 154 Abs. 2 VwGO ergebenden
Kostenfolge zurückzuweisen.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GKG in der hier noch anwendbaren
Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975.