Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 06.07.2005

OVG Koblenz: vorrang, ausweisung, windenergieanlage, genehmigung, raumordnung, baugrund, streichung, erholung, klageänderung, abgrenzung

OVG
Koblenz
06.07.2005
8 A 11033/04.OVG
Immissionsschutzrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen immissionsschutzrechtlicher Genehmigung für Windenergieanlage
hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 06. Juli 2005, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Held
Richter am Oberverwaltungsgericht Schauß
Richter am Oberverwaltungsgericht Utsch
ehrenamtlicher Richter Leitender Berater EDV Geertsen
ehrenamtlicher Richter Angestellter Gewehr
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21. April 2004 ergangene
Urteil des Verwaltungsgerichts Trier wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht
der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Ta t b e s t a n d
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine
Windenergieanlage.
Am 06. November 2002 beantragte sie die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Windenergieanlage
mit einer Nabenhöhe von 85 m und einem Rotordurchmesser von 77 m auf der Gemarkung S., Flur ...,
Parzelle Nr. ... . In der Folge gingen bei dem Beklagten weitere, noch anhängige Bauanträge auf
Genehmigung von Windenergieanlagen in einer Entfernung von weniger als 770 m vom Standort der
Klägerin ein.
Der Standort war im Regionalen Raumordnungsplan – Teilfortschreibung „Windkraft“ - aus dem Jahre
1997 (RROP Wind 1997) als Entwicklungsbereich ausgewiesen. Auch im Rahmen der mit
Bekanntmachung im Staatsanzeiger vom 07. Juni 2004 (S. 717) in Kraft getretenen Teilfortschreibung des
Regionalen Raumordnungsplanes – Kapitel Energieversorgung/Teilbereich Windenergie – (RROP Wind
2004) war in der Entwurfsfassung vom 11. Juli 2002 an Stelle des bisherigen Entwicklungsbereichs ein
(verkleinertes) Vorranggebiet „W., F. und M.“ ausgewiesen, das das Baugrundstück umfasste. Dieses
Vorranggebiet lag in einem als Gebiet von regionaler Bedeutung für das Landschaftsbild und die
landschaftsgebundene Erholung eingestuften Bereich, der nach dem Teilfortschreibungsbeschluss der
Regionalvertretung vom 02. Juli 2002 grundsätzlich als Ausschlussgebiet anzusehen war. Aufgrund
fachbehördlicher Stellungnahmen im Beteiligungsverfahren, mit denen avifaunistische Bedenken im
Hinblick auf ein benachbartes europäisches Vogelschutzgebiet und die Lage des Vorranggebietes im
Einflugkorridor des Mornellregenpfeifers geltend gemacht wurden, beschloss die Regionalvertretung am
16. Juli 2003 die Streichung des Vorranggebietes.
Nachdem die Klägerin am 11. November 2003 Klage erhoben hatte, lehnte der Beklagte den Bauantrag
mit Bescheid vom 19. Februar 2004 unter Hinweis auf den am 05. Dezember 2003 endgültig
beschlossenen RROP Wind 2004 und entgegenstehende Belange des Vogelschutzes ab.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Klage, mit der hilfsweise die
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigungsversagung bis zum 05. Dezember 2003 begehrt
wurde, unter Zulassung der Berufung insgesamt abgewiesen: Der Entwurf des RROP Wind 2004, der auf
einer rechtlich unbedenklichen Abwägung beruhe und ausreichend große Vorrangflächen für
Windenergie vorsehe, habe bereits mit dem Beschluss der Regionalvertretung vom 16. Juli 2003 Planreife
erlangt. Damit stünden seit diesem Zeitpunkt in Aufstellung befindliche Ziele der Raumordnung in Gestalt
eines Ausschlussbereichs dem Vorhaben als öffentliche Belange entgegen. Es sei nicht zu beanstanden,
dass das Baugrundstück, das innerhalb eines regionalen Biotopverbundsystems sowie innerhalb eines
Gebietes von regionaler Bedeutung für das Landschaftsbild und die landschaftsgebundene Erholung
liege, nicht als Vorrangfläche ausgewiesen worden sei. Ungeachtet dessen hätten dem Vorhaben aber
auch unabhängig von der Regionalplanung die dieser zugrund liegenden landespflegerischen
Tabukriterien als öffentliche Belange entgegengestanden.
Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin im Hinblick auf die weiter anhängigen Bauanträge für
Windkraftanlagen im Einwirkungsbereich der geplanten Anlage und die neuere Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der Windfarm nunmehr die Erteilung einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung: Der RROP Wind 2004 sei insgesamt abwägungsfehlerhaft,
da die Vorrangflächen lediglich 0,49 Prozent des Plangebietes ausmachten. Zudem weise er viele kleine
Vorranggebiete aus und verstoße daher gegen das Konzentrationsgebot. Fraglich sei auch, ob die
Öffentlichkeitsbeteiligung ordnungsgemäß erfolgt sei. Weiter stelle sich die Frage, ob im Hinblick auf
gemeindliche Bestrebungen zur Reduzierung oder Verhinderung der Windkraft durch Bauleitpläne eine
abwägungsfehlerfreie Teilfortschreibung habe stattfinden können. Das Baugrundstück liege weder
innerhalb eines Biotopverbundsystems noch sei es von besonderer Bedeutung für das Landschaftsbild
und die landschaftsgebundene Erholung. Dies belege das Vorhandensein weiterer Windenergieanlagen
in der Nähe und die Ausweisung als Vorranggebiet im Planentwurf vom 11. Juli 2002. Das
Vogelschutzgebiet einschließlich des erforderlichen 200m-Puffers werde nicht beeinträchtigt, da das
Baugrundstück in einem Abstand von ca. 1000 m liege. Die An- und Abflugkorridore der Leitvogelart
Mornellregenpfeiffer seien bereits durch die Abgrenzung des Vogelschutzgebietes hinreichend geschützt.
Zumindest habe eine bloße Verkleinerung des zunächst geplanten Vorranggebietes in Betracht gezogen
werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid des Beklagten vom 19. Februar 2004
aufzuheben und diesen zur Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für Errichtung und
Betrieb der im Bauantrag vom 06. November 2002 bezeichneten Windenergieanlage zu verpflichten,
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und weist ergänzend darauf hin, dass der RROP Wind 2004
mittlerweile in Kraft getreten sei und das Vorhaben daher wegen Widerspruchs zu einem Ziel der
Raumordnung schon nach § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB unzulässig sei. Der RROP Wind 2004 sei auch
fehlerfrei zustande gekommen. Weder weise er insgesamt einen zu geringen Flächenanteil als Vor-
rangfläche aus noch beinhalte er nur Vorranggebiete von geringer Größe. Die Öffentlichkeitsbeteiligung
habe sowohl zum Entwurf vom 11. Juli 2002 als auch zum geänderten Entwurf vom 16. Juli 2003 in
ausreichendem Umfang stattgefunden. Auch liege der strittige Anlagenstandort in der Landschaftseinheit
„Streuobstbestände im Saargau“ und damit innerhalb des regionalen Biotopverbundsystems, das von der
Regionalvertretung als Tabukriterium beschlossen worden sei. Die Streichung des ursprünglich
vorgesehenen Vorranggebiets durch Beschluss vom 16. Juli 2003 sei durch die im Beteiligungsverfahren
vorgetragenen avifaunistischen Bedenken ausreichend legitimiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zu den
Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Verwaltungsakten des Beklagten
sowie die Verfahrensunterlagen zum RROP Wind 2004 lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Soweit in der Berufungsinstanz anstelle der Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer
Baugenehmigung dessen Verpflichtung zur Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
beantragt wird, handelt es sich um eine gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässige Klageänderung. Ungeachtet
der rügelosen Einlassung des Beklagten (s. § 91 Abs. 2 VwGO) ist die Änderung gemäß § 67 Abs. 9 Satz
4 BImSchG in der ab dem 01. Juli 2005 geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 25. Juni 2005
(BGBl. I, S. 1865) auch als sachdienlich zu behandeln.
Die geänderte Klage ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an der Sachurteilsvoraussetzung eines
vorangegangenen Verwaltungsverfahrens (s. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, vor § 68 Rn 7a).
Indem § 67 Abs. 9 Satz 4 BImSchG die Sachdienlichkeit einer geänderten Klage auf Erteilung einer
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung fingiert, wird zugleich das der Klage auf Erteilung einer
Baugenehmigung vorangegangene bauaufsichtliche Verwaltungsverfahren grundsätzlich als
ausreichende Sachurteilsvoraussetzung der geänderten Klage anerkannt. Denn das Fehlen einer
Sachurteilsvoraussetzung für die geänderte Klage steht an sich der Sachdienlichkeit der Klageänderung
entgegen (s. Ortloff in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner: VwGO, § 91 Rn 64 m.w.N.). Auch aus der
Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/5443, S. 4) ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Anordnung der
Sachdienlichkeit der Klageänderung zugleich eine Abweisung der geänderten Klage allein wegen
fehlenden Verwaltungsverfahrens ausschließen wollte. Hiernach soll auch dann, wenn trotz Durchführung
des Baugenehmigungsverfahrens noch immissionsschutzrechtliche Verfahrensschritte fehlen, ein
Bescheidungsurteil erlassen werden können oder durch Aussetzung des Verfahrens die Nachholung der
fehlenden Verfahrensschritte ermöglicht werden.
Die Klage ist aber unbegründet.
Zwar ist der Beklagte gemäß § 1 Abs. 1 der Landesverordnung auf dem Gebiet des Immissionsschutzes
vom 14. Juni 2002 (GVBl. S. 280) i.V.m. lfd. Nr. 1.1.1 Ziff. 4 der Anlage auch für eine Klage auf Erteilung
einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung passiv legitimiert. Der Klägerin steht jedoch – ohne dass
es insoweit weiterer Aufklärung durch nachzuholende immissionsschutzrechtliche Verfahrensschritte
bedürfte - kein Anspruch auf Erteilung einer immissionschutzrechtlichen Genehmigung zu. Diese ist nach
§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nur zu erteilen, wenn neben der Vereinbarkeit mit dem Immissionsschutzrecht
dem Vorhaben auch keine sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Vorliegend
verstößt die Errichtung der geplanten Windenergieanlage im Außenbereich der Gemarkung S. gegen § 35
Abs. 3 Satz 2 BauGB. Hiernach dürfen raumbedeutsame Vorhaben Zielen der Raumordnung nicht
widersprechen. Die strittige Windenergieanlage, die wegen ihrer Gesamthöhe von über 120 m raum-
bedeutsam ist (s. z.B. BVerwG, Beschluss vom 02. August 2002, BRS 65 Nr. 96), tut dies jedoch. Nach Ziff.
I des RROP Wind 2004 ist es Ziel der Raumordnung, dass außerhalb von Vorranggebieten die Errichtung
von raumbedeutsamen Windenergieanlagen ausgeschlossen ist. Da die Gemarkung S. nicht zu einem
Vorranggebiet gehört, verstößt die Errichtung einer Windenergieanlage der hier in Rede stehenden Größe
gegen dieses Ziel.
Der Einwand der Klägerin, der RROP Wind 2004 sei insgesamt oder doch im Blick auf die fehlende
Ausweisung eines Vorranggebietes im Bereich des Baugrundstücks unwirksam, greift nicht durch.
Formelle Bedenken gegen die Wirksamkeit des RROP Wind 2004 bestehen nicht. Insbesondere ist das
Beteiligungsverfahren entgegen den Vermutungen der Klägerin nicht erst nach der Entwurfsänderung
durch Beschluss der Regionalvertretung vom 16. Juli 2003 – beschränkt auf die Änderungen –
durchgeführt worden. Vielmehr erfolgte eine ordnungsgemäße Beteiligung – wie in der Anlage zum
Schriftsatz des Beklagten vom 06. August 2004 im Einzelnen dargestellt – bereits zum Planentwurf in der
Fassung des Beschlusses vom 11. Juli 2002 (s. auch Senatsurteil vom 08. März 2004, NuR 2004, 465,
467).
Das Berufungsvorbringen ist auch im Übrigen nicht geeignet, die Wirksamkeit der Zielfestlegungen des
RROP Wind 2004 in Zweifel zu ziehen. Da die Raumordnung Planungscharakter trägt und regionale
Raumordnungspläne daher Abwägungsprodukte sind, unterliegen sie in materieller Hinsicht nach den in
der Rechtsprechung zum Abwägungsgebot entwickelten Grundsätzen gerichtlicher Prüfung (s. BVerwG,
Urteil vom 27. Januar 2005, NVwZ 2005, 578, 580). Hiernach ist das Gebot gerechter Abwägung dann
verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), wenn in die
Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss
(Abwägungsdefizit) oder wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt und dadurch die
Gewichtung verschiedener Belange in ihrem Verhältnis zueinander in einer Weise vorgenommen wird,
durch die die objektive Gewichtigkeit eines dieser Belange völlig verfehlt wird
(Abwägungsfehleinschätzung).
Die Abwägungsfehler können nicht nur die Zielfestlegung für das
gesamte
sich auch auf die (Nicht-)Ausweisung eines konkreten Vorrangebietes oder seine Abgrenzung
beschränken, was je nach Bedeutung des Fehlers im Verhältnis zum Ergebnis der Gesamtplanung eine
bloße
Teil
Vorbringen der Klägerin indessen keine Mängel der Abwägung, die zur Gesamt- oder Teilunwirksamkeit
des RROP Wind 2004 führen könnten.
Das Abwägungsergebnis der Gesamtplanung hält rechtlicher Überprüfung stand.
Dass lediglich 0,49 Prozent des Plangebiets und 15 Prozent der nicht als Taburäume eingestuften
Flächen als Vorranggebiet ausgewiesen werden, rechtfertigt nicht den Vorwurf einer bloßen
„Feigenblattplanung“, die die objektive Gewichtigkeit der Windkraftbelange verkennt. Vorranggebiete mit
einer Fläche von 2410 ha stellen angesichts der besonderen Raumwirkung von Windenergieanlagen
einen erheblichen Anteil der nicht von Tabukriterien betroffenen Fläche von 15.400 ha dar und schaffen
daher der Windenergie in substantieller Weise Raum (s. dazu das Senatsurteil vom 08. März 2004, aaO.,
S. 468 sowie BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2005, aaO., S. 581).
Auch die Durchschnittsgröße der Vorranggebiete von 27 ha belegt keine objektiv unvertretbare
Unterbewertung des mit der Festlegung von Vorranggebieten nach der Planbegründung (s. S. II.1)
verfolgten Konzentrationszweckes. Dies käme allenfalls in Betracht, wenn es sich bei den festgelegten
Vorranggebieten ausschließlich oder deutlich überwiegend um Einzelstandorte handeln würde. Dies ist
jedoch – wie sich aus der Kartierung der Vorranggebiete im RROP Wind 2004 ergibt – keineswegs der
Fall. Vielmehr lässt die weit überwiegende Mehrzahl der Vorranggebiete allein oder im Zusammenhang
mit unmittelbar benachbarten Gebieten die Errichtung von drei und mehr Windenergieanlagen und somit
einer Windfarm im Sinne der bis zum 30. Juni 2005 geltenden Ziff. 1. 6 des Anhangs zur 4. BImSchV (s.
auch weiterhin Ziff. 1.6 des Anhangs 1 zum UVPG) zu.
Die Befürchtung der Klägerin, die festgelegten Vorranggebiete könnten durch gemeindliche
Bebauungspläne zum Ausschluss oder zur Reduzierung der Windkraft unterlaufen werden, ohne dass
dies in der Abwägung zum RROP Wind 2004 habe berücksichtigt werden können, teilt der Senat im
Hinblick auf die Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung für die Bauleitplanung gemäß § 1 Abs. 4
BauGB nicht (vgl. auch den Senatsbeschluss vom 11. März 2004, NuR 2004, 399 – dort zur Auswirkung
von im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Windenergiezonen auf Bebauungspläne -).
Schließlich weist die Entscheidung der Regionalen Planungsgemeinschaft, das in der Entwurfsfassung
vom 11. Juli 2002 zunächst vorgesehene, das Baugrundstück der Klägerin umfassende Vorranggebiet
„W., F. und M.“ zu streichen, keinen der vorbezeichneten Abwägungsfehler auf. Ausweislich der
Abwägungsunterlagen zum Beschluss vom 16. Juli 2003 ist die Ausweisung dieses Vorranggebietes
aufgegeben worden, weil die Regionalvertretung den im Beteiligungsverfahren zum Planentwurf vom 11.
Juli 2002 zahlreich geäußerten avifaunistischen Bedenken der Fachbehörden und des Naturschutzbund
Deutschland - NABU - Vorrang gegenüber den Belangen der Windkraft eingeräumt hat. Hierbei hat sie
entgegen der Auffassung der Klägerin weder die Bedeutung der Vogelschutzbelange verkannt noch
diesen eine objektiv völlig verfehlte Gewichtigkeit beigemessen.
Die im Beteiligungsverfahren geäußerten avifaunistischen Bedenken beruhten im Wesentlichen darauf,
dass das ursprünglich vorgesehene Vorranggebiet nördlich eines im Zeitpunkt der Planaufstellung zur
Meldung vorgesehenen, mittlerweile durch Landesgesetz vom 12. Mai 2004 (GVBl. S. 275)
ausgewiesenen europäischen Vogelschutzgebietes lag. Die Schutzwürdigkeit dieses Gebietes folgte
bereits nach damaligem Kenntnisstand vor allem aus seiner Eigenschaft als Rastplatz des
Mornellregenpfeifers (s. Nr. 100 des Anhangs I zur Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 02. April 1979
über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – VogelschutzRL -, ABl. EG Nr. L 103 S. 1). Diese
Vogelart ist auch im Rahmen der gesetzlichen Gebietsausweisung als Hauptvogelart, die den
Erhaltungszweck bestimmt, bezeichnet worden (s. Ziff. 6304-401 der Anlage 2 zum LPflG).
Es ist zunächst nicht zu beanstanden, dass die Regionalvertretung bei der Abwägung von einer
Nachbarschaft des geplanten Vorranggebietes zu einem faktischen Vogelschutzgebiet ausgegangen ist.
Der Einwand der Klägerin, wegen der ihrer Meinung nach zu geringen Zahl der festgestellten, rastenden
Mornellregenpfeifer hätten die Voraussetzungen für eine Ausweisung als europäisches
Vogelschutzgebiet nie vorgelegen, greift nicht durch. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (s. Beschluss vom 24. Februar 2004 ‑ 4 B 101/03 ‑; juris) eröffnet die
VogelschutzRL den Mitgliedstaaten einen fachlichen Beurteilungsspielraum in der Frage, welche Gebiete
die europarechtlich maßgebenden Kriterien erfüllen. Dieser Beurteilungsspielraum ist gerichtlich nur ein-
geschränkt überprüfbar, etwa auf das Einfließen sachfremder Erwägungen. Bedeutsames Erkenntnismittel
für die Vertretbarkeit einer Gebietsbewertung stellt dabei die sogen. IBA-Liste dar, deren Stichhaltigkeit
nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 06. März 2003, Slg 2003 I – 2202) nur durch Vorlage
abweichender wissenschaftlicher Stellungnahmen in Zweifel gezogen werden kann. Dass das in Rede
stehende Vogelschutzgebiet mit der Bezeichnung „Saargau Bilzingen/Fisch“ (nCode RP066; iCode DE
543) in der IBA-Liste nach dem Stand 01. Juli 2002 aufgeführt ist (s. Sudfeldt et al.: „Important Bird Areas in
Deutschland“, Berichte zum Vogelschutz, Heft Nr. 38, 17ff.), indiziert demnach, dass seine Behandlung als
zu meldendes Gebiet während des Verfahrens zum RROP Wind 2004 sich innerhalb des den Behörden
und Planungsträgern eingeräumten Beurteilungsspielraums hielt. Gleiches folgt aus dem von der Klägerin
in der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorgelegten Gutachten „Der Mornellregenpfeifer im
Saargau – Abschlussbericht“ – (Korn/Stübing/Isselbächer vom Dezember 2001). Danach
„wurde die – gemessen an den Ergebnissen im weiteren Deutschland –
hohe
(davon 2 durchziehend) in der Zeit vom 17. August bis zum 19. September während täglicher Kontrollen
ermittelt….Das Untersuchungsgebiet stellt damit einen der
wichtigsten
Das Untersuchungsergebnis
bestätigt
und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz, Teile des Untersuchungsgebietes als geplantes EU-
Vogelschutzgebiet zu benennen“ (s. S. 33 des Gutachtens; Hervorhebungen durch den Senat).
Die gegenteilige, wissenschaftlich nicht näher substantiierte Bewertung der Klägerin ist daher weder
geeignet, die in der IBA-Liste zum Ausdruck kommende, von sachverständig besetzten Landesbehörden
geteilte und auch in einem avifaunistischen Gutachten bestätigte Auffassung zu widerlegen, noch
Ermittlungsbedarf hinsichtlich deren wissenschaftlicher Vertretbarkeit auszulösen.
Unberechtigt ist auch der Vorwurf der Klägerin, die Regionalvertretung habe im Rahmen ihrer Abwägung
Beeinträchtigungen durch das zunächst geplante, außerhalb des Vogelschutzgebietes und eines 200 m -
Puffers gelegene Vorranggebiet in wissenschaftlich unvertretbarer Weise angenommen und damit einen
der Windenergie entgegenstehenden Belang fehlgewichtet.
Nach Aktenlage lag die südliche Grenze des Vorrangebietes ca. 210 m nördlich des Vogelschutzgebietes
in seiner endgültigen Abgrenzung; die nördliche Grenze war ca. 1200 m von der endgültigen Grenze des
Vogelschutzgebietes entfernt. Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass im Gutachten von Korn/
Stübing/Isselbächer (s. Karte 3) die Freihaltung einer Fläche mit einem Radius von lediglich 400 m um die
im Süden des Vogelschutzgebiets beobachteten Rastplätze für ausreichend erachtet wurde, um
Beeinträchtigungen der An- und Abflugbereiche mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu vermeiden
(s. S. 31 des Gutachtens). Ausgehend von diesem – von Windkraftunternehmen in Auftrag gegebenen -
Gutachten wäre das geplante Vorranggebiet in der Tat unbedenklich für die Nutzung der geschützten
Rastplätze gewesen. Indessen kann sich die Bewertung der Regionalvertretung, dass das geplante
Vorranggebiet den Anflug des Mornellregenpfeifers zu seinen im Vogelschutzgebiet gelegenen Rast-
plätzen erheblich beeinträchtigen kann, ebenfalls auf wissenschaftlich hinreichend fundierte
Stellungnahmen der Fachbehörden und des NABU stützen.
So hat sich etwa das Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht in seiner Stellungnahme vom 20.
November 2002 gegen die Ausweisung des strittigen Vorranggebietes mit der Begründung „Lage am
Rand des VSG 6304-401 (Saargau Bilzingen-Fisch) – Einflugkorridor des Mornellregenpfeifers –
erhebliche Beeinträchtigung“ ausgesprochen. Die wissenschaftliche Begründung ergibt sich aus einem
Schreiben an den Beklagten vom 13. November 2002. Hier heißt es:
„Um erhebliche Beeinträchtigungen der Leitarten des Vogelschutzgebietes (VSG) auszuschließen, sollten
Abstände eingehalten werden, bei denen für rastende Limikolen keine Beeinträchtigungen mehr bekannt
wurden…..Als sichere Abstände zu Zug- und Rastvorkommen haben Entfernungen von 1 km zu gelten.
Was die An- und Abflugkorridore der rastenden Arten, insbesondere des
Mornellregenpfeifers
und Nord-Osten bzw. Süden und Süd-Westen des VSG anbelangt,
sind die Entfernungen deutlich größer
zu wählen
Zielflächen hineinfallen, sondern sie zeigen einen ausgeprägten Sink- und Steigflug. In diesen
Flugschneisen entfalten Windkraftanlagen durchaus Scheuchwirkung, was zu erheblichen
Beeinträchtigungen hinsichtlich der Rastplatznutzung führen kann. Leider fehlen dazu exakt
qualifizierbare Untersuchungen, die zu absolut sicheren Entfernungen führen könnten. Beobachtungen an
Windkraftanlagen in Rheinhessen legen nahe, dass sich der Wirkungsbereich von Windenergieanlagen
im Einflugbereich
über mehrere Kilometer (> 2 – 3 km)
entsprechendes anzunehmen“ (Hervorhebungen durch den Senat).
In den vom Landkreis M.-W. zur Begründung seiner geltend gemachten avifaunistischen Bedenken mit
Schreiben vom 29. November 2002 eingereichten Stellungnahmen der Staatlichen Vogelschutzwarte für
Schreiben vom 29. November 2002 eingereichten Stellungnahmen der Staatlichen Vogelschutzwarte für
Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland vom 28. November 2002 wird ausgeführt:
„Wir haben im Saargau … Gebiete, die zu den landesweit flächen-zahlenmäßig bedeutsamsten Rast-
bzw. Brutgebieten für Vogelarten des Anhangs I der EU-VSRL zählen und damit als SPA zu melden
sind…….Neben der Freihaltung
dieser
erheblichen Beeinträchtigungen auch
breite Zugkorridore
„Im Hinblick auf die Seltenheit des Mornellregenpfeifers, die landes- wie bundesweite Bedeutung des
Saargaus als Rastplatz des Mornellregenpfeifes sind seine Rastplätze
großräumig
Windkraftanlagen freizuhalten (Tabuzonen).
Hier geht das Mornellregenpfeifergutachten nicht weit
genug
hochselektiv nach nicht in diesem Detail steuerbaren landwirtschaftlichen Nutzungsformen auswählt“.
„Zu 4. Abstandsflächen zum geplanten EU-Vogelschutzgebiet bzw. Mornellregenpfeifer-Rastgebieten:
Hierzu sollte in Abstimmung mit den angrenzenden Flächen im Saarland ein breiter Zugkorridor bzw.
Rastgebiet störungsempfindlicher bzw. gefährdeter Vogelarten definiert und von Windkraftanlagen
freigehalten werden. Nachdem der Vogelzug nicht geradlinig von NO nach SW, sondern oft kleinräumig
mit Orientierung an Höhenlinien verläuft ……. muss
ein störungsfreier Korridor zwangsläufig breiter
ausgewiesen werden als in den Gutachten
(Hervorhebungen durch den Senat).
Diese fachbehördlichen Stellungnahmen rechtfertigen die Einschätzung der Regionalvertretung, dass
eine Freihaltung des eigentlichen Vogelschutzgebietes von Windenergieanlagen nicht ausreicht, um
erhebliche Störungen des Mornellregenpfeifers bei der Nutzung seiner Rastplätze hinreichend sicher
auszuschließen (s. dazu auch die Stellungnahme der Oberen Landespflegebehörde vom 26. November
2002), sondern dass hierzu auch der Verzicht auf das im Norden und damit im Anflugkorridor geplante
Vorranggebiet erforderlich war. Insbesondere zeigen die Ausführungen des Landesamtes für
Umweltschutz und Gewerbeaufsicht, dass die Annahmen im Gutachten Korn/Stübing/Isselbächer
betreffend Störwirkungen im An- und Abflugbereich (400 m – Radius) nicht als hinreichend gesichert
gelten können und Beobachtungen in Rheinhessen eine Störwirkung über mehrere Kilometer (und damit
auch im geplanten Vorranggebiet) nahe legen. Überdies geht auch die staatliche Vogelschutzwarte davon
aus, dass die im Gutachten praktizierte „statische“ Ermittlung von Störbereichen mit festem Radius um
beobachtete Rastplätze den „dynamischen“ Auswahlgewohnheiten des Mornellregenpfeifers hinsichtlich
seiner Rastplätze nicht gerecht wird und die Gutachter die Reichweite der Störwirkung im Zugkorridor
deutlich unterschätzen.
Konnte daher aufgrund fachwissenschaftlich schlüssiger Stellungnahmen eine erhebliche
Beeinträchtigung der Rastplatznutzung im Vogelschutzgebiet bei Ausweisung des Vorranggebietes nicht
hinreichend sicher ausgeschlossen werden, durfte die Regionalvertretung dem Interesse am Schutz eines
der landesweit bedeutendsten Rastplätze einer Vogelart gemäß Abhang I der VogelschutzRL Vorrang vor
der Nutzung der Windenergie in diesem Bereich einräumen. Darin liegt entgegen der Auffassung der
Klägerin auch keine unzulässige Abweichung von dem allgemeinen Tabukriterium eines 200 m-Puffers
um Vogelschutzgebiete. Der Träger der Regionalplanung ist vielmehr berechtigt und verpflichtet, bei den
außerhalb allgemein festgesetzter Tabuzonen liegenden Flächen eine
standortbezogene
von der Windenergienutzung berührten Belange vorzunehmen.
Die Entscheidung der Regionalvertretung leidet auch insoweit an keinem Abwägungsdefizit, als nach
Maßgabe der Abwägungsunterlagen eine bloße Verkleinerung des geplanten Vorranggebietes nicht in
Betracht gezogen worden ist. Angesichts seiner oben dargelegten Entfernung zur Grenze des
Vogelschutzgebietes bestand keine Veranlassung zu der Annahme, dass das Vorranggebiet in Teilen, die
angesichts des Konzentrationszwecks der Planung hinsichtlich ihrer Größe noch eine Ausweisung als
Vorranggebiet nahe legten, die sichere Gewähr für einen störungsfreien Anflug des Mornellregenpfeifers
zu seinen Rastplätzen geboten hätte. Der Frage, ob das Baugrundstück der Klägerin
als solches
umgebender Waldbestände für einen Überflug von Mornellregenpfeifern nicht in Betracht kommt, brauchte
daher nicht nachgegangen zu werden.
Ließ sich nach alledem die Regionalvertretung bei der Streichung des geplanten Vorranggebietes durch
Beschluss vom 16. Juli 2003 ausschließlich von fehlerfrei abgewogenen Vogelschutzbelangen leiten,
kommt es auf die von der Klägerin erhobenen Einwände gegen die Lage ihres Baugrundstücks in
allgemeinen Tabuzonen nicht an. Diese waren – wie der ursprüngliche Planentwurf vom 11. Juli 2002
zeigt – für die Regionalvertretung
allein
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf §§ 167 VwGO, 708ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
...
gez. Dr. Held gez. Schauß gez. Utsch
Beschluss
...
gez. Dr. Held gez. Schauß gez. Utsch