Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 25.01.2007

OVG Koblenz: ermittlung der beiträge, gemeinde, durchgangsverkehr, stadtrat, grundstück, beleuchtung, fahrbahn, anteil, abrechnung, beurteilungsspielraum

OVG
Koblenz
25.01.2007
6 A 11315/06.OVG
Ausbaubeitragsrecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Klinge - Hess, Rheinstraße 2 a, 56068 Koblenz,
gegen
die Stadt Koblenz, vertreten durch den Oberbürgermeister, Gymnasialstraße 1, 56068 Koblenz,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
wegen Ausbaubeitrags (Vorausleistung)
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 16. Januar 2007, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
ehrenamtliche Richterin Angestellte Kerz
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Köber
für Recht erkannt:
Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 6. März 2006 wird dessen Tenor wie
folgt gefasst:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
Der Ausbaubeitrags-Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 1. September 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 19. April 2005 und in der Fassung der Änderungen vom 20. Februar 2004
sowie vom 6. März 2006 wird insoweit aufgehoben, als eine höhere Vorausleistung als 24.000,-- €
festgesetzt wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge hat die Klägerin zwei Drittel, die Beklagte ein Drittel zu
tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung der Klägerin
durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn
nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin wendet sich als Miteigentümerin eines …, bebauten Grundstücks gegen die Heranziehung
zu Beitragsvorausleistungen für den Ausbau der Alten Heerstraße im Bereich zwischen dem Anfang des
Niederfelder Wegs (…) und dem Übergang in den Außenbereich hinter der Abzweigung der Straße „Im
Keitenberg“ (…).
Neben den Ratsbeschlüssen über die Ausbaumaßnahmen und die Erhebung von Vorausleistungen
setzte der Stadtrat für die Fahrbahn einen Stadtanteil von 50 % fest, weil die „Alte Heerstraße“ in diesem
Abschnitt neben dem Anliegerverkehr einen „überwiegenden innerörtlichen oder Durchgangsverkehr“
aufweise, der allerdings hinter dem Durchgangsverkehr in der „Unteren Alten Heerstraße“ deutlich
zurückbleibe. Für den Fußgängerverkehr bestimmte er einen separaten Stadtanteil von 40 % mit der
Begründung, insoweit sei die „Verbindungsfunktion“ nicht so hoch zu bewerten wie bei der „Unteren Alten
Heerstraße“. Entsprechendes gelte für die Beleuchtung und die Straßenoberflächenentwässerung, so
dass diesbezüglich ebenfalls ein Gemeindeanteil von 40% beschlossen wurde.
Mit getrennten Bescheiden vom 1. September 2003 wurden die Klägerin des vorliegenden Verfahrens
und die Klägerin des Parallelverfahrens zu einer Ausbaubeitragsvorausleistung in Höhe von 37.906,75 €
herangezogen. Die Bescheide enthielten den Hinweis, dass der Betrag nur einmal zu zahlen sei. Das
veranlagte Grundstück wurde mit einem Vollgeschosszuschlag von 30 % und mit einem
Gewerbezuschlag von 20 % belegt. Die Veranlagung war auf die Ausbaubeitragssatzung vom 22. Juli
2003 gestützt, die eine Verteilung nach dem Grundstücksflächenmaßstab mit Zuschlägen von jeweils 10
% pro Vollgeschoss und einem Artzuschlag von 10 % im Falle einer nur teilweisen gewerblichen Nutzung
vorsieht.
Mit Teilabhilfebescheid vom 20. Februar 2004 reduzierte die Beklagte die Vorausleistung auf 35.334,26 €
mit Rücksicht darauf, dass im Falle einer nur teilweisen gewerblichen Nutzung lediglich ein Artzuschlag
von 10 % gerechtfertigt sei. Ein inhaltlich gleich lautender Teilabhilfebescheid erging im Parallelverfahren
bereits unter dem 29. Oktober 2003.
Hinsichtlich des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts im Übrigen nimmt der Senat gemäß §
130 b Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug,
dessen tatsächliche Feststellungen er sich in vollem Umfang zu Eigen macht.
Nachdem der Stadtrechtsauschuss der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.
April 2005 zurückgewiesen hatte, erhob die Klägerin Klage. In der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht reduzierte die Beklagte den angefochtenen Bescheid auf 29.098,15 €. Hinsichtlich
des Differenzbetrags erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Im Übrigen
hat das Verwaltungsgericht den Vorausleistungsbescheid in der geänderten Fassung im Wesentlichen mit
der Begründung aufgehoben, der Gemeindeanteil sei nicht als einheitlicher (für alle Teileinrichtungen
geltender) Prozentsatz festgelegt und damit nicht zutreffend ermittelt worden. Da die zugrunde liegende
Ermessensentscheidung vom Gericht nicht ersetzt werden dürfe, müsse der Bescheid insgesamt
aufgehoben werden.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor, die Festsetzung eines einheitlichen
Gemeindeanteils, also eines Mischsatzes für alle Teileinrichtungen, sei nur erforderlich, wenn es um die
Abrechnung einer Mischverkehrsfläche gehe. In einem Fall wie dem vorliegenden dürfe sie einen
gesonderten Stadtanteil für jede Teileinrichtung bestimmen. Es sei auch vorteilsgerecht, den
Gemeindeanteil für die „unselbständigen“ Teileinrichtungen Straßenoberflächenentwässerung und
Beleuchtung mit dem für die Gehwege gleichzusetzen. Denn sie dienten in besonderem Maß dem
Fußgängerverkehr. Auch im Übrigen seien die Vorteilssätze in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
des Senats bestimmt worden.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, soweit die Hauptsache nicht für
erledigt erklärt wurde.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Auch sie ist der Auffassung, von der Festlegung
eines einheitlichen Gemeindeanteils dürfe nur abgesehen werden, wenn Teileinrichtungen im Wege der
Kostenspaltung getrennt abgerechnet würden. Ungeachtet dessen sei, was die Vorteilsbewertung
betreffe, die Gleichsetzung der Teileinrichtungen Straßenoberflächenentwässerung und Beleuchtung mit
den Gehwegen zu beanstanden. Die Klägerin bekräftigt ihre bisherigen Ausführungen, der gebildete
Abschnitt sei fehlerhaft, der Gemeindeanteil sei zu niedrig bemessen, die Entwässerungskosten seien zu
hoch, die in die Aufwandsverteilung einbezogene Gesamtfläche sei zu gering und das veranlagte
Grundstück habe nicht insgesamt mit einem Vollgeschosszuschlag von 30% belegt werden dürfen.
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte und den von
der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und überwiegend begründet.
Anders als das Verwaltungsgericht kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Ausbaubeitrags-
Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 1. September 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 19. April 2005 und in der Fassung der Änderungen vom 20. Februar 2004 und vom 6. März 2006 nur
insoweit rechtswidrig ist, als eine höhere Vorausleistung als 24.000,- € festgesetzt wurde. Das an-
gefochtene Urteil ist dementsprechend abzuändern.
Gemäß § 10 Abs. 10 i.V.m. § 7 Abs. 5 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes ‑ KAG ‑ und § 9 der
Ausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 22. Juli 2003 können ab Beginn einer Maßnahme
Vorausleistungen auf einmalige Ausbaubeiträge bis zur voraussichtlichen Höhe des Beitrags festgesetzt
werden. Die Ausbaumaßnahmen, für die mit dem angefochtenen Bescheid Vorausleistungen erhoben
werden, sind im Wesentlichen abgeschlossen. Sie betreffen eine (einzige) Verkehrsanlage, nämlich die
Alte Heerstraße im Bereich zwischen dem Anfang des Niederfelder Wegs und dem Übergang in den
Außenbereich hinter der Abzweigung der Straße „Im Keitenberg“ (1.). Die Verteilung des Aufwands ist
jedoch nicht fehlerfrei erfolgt (2.).
1.
Ob ein Straßenzug nach einem geplanten Ausbau als eine Verkehrsanlage zu qualifizieren ist oder aus
mehreren Anlagen besteht, beurteilt sich nach der auf das Ausbaubeitragsrecht übertragbaren
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht (vgl. 6 A
11867/02.OVG, AS 30, 287 = NVwZ-RR 2004, 70, ESOVGRP). Danach muss - ausgehend von einer
natürlichen Betrachtungsweise - grundsätzlich auf das durch die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt
des Entstehens sachlicher Beitragspflichten geprägte Erscheinungsbild abgestellt werden (BVerwG, 8 C
17/94, BVerwGE 101, 12). Nach diesem Maßstab stellt der abgerechnete Bereich der Alten Heerstraße
eine eigenständige Verkehrsanlage dar. Sie beginnt im Westen in Höhe der Flurstücke 130/2 und 135/22,
also dort, wo sich die untere Alte Heerstraße im Niederfelder Weg fortsetzt. Die Verkehrsanlage reicht bis
zum Ende des abgerechneten Ausbaus in Höhe der Bushaltestelle „Im Keitenberg“. Die Straße „Im
Keitenberg“ gehört nicht zur ausgebauten Straße. Sie ist eine zum Anbau bestimmte, (mindestens) 170 m
lange und damit eigenständige Verkehrsanlage. Da sie im Wesentlichen geradlinig verläuft, wird der
optische Eindruck der Zusammengehörigkeit ihrer vor und hinter der hohen Straßenbrücke liegenden
Teile nicht beeinträchtigt. Diese Bewertung ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten vielfältigen
Plänen sowie der Ortskenntnis des Senats. Angesichts dessen bedurfte es keiner Ortsbesichtigung.
Soweit die Klägerin Einwendungen hinsichtlich des Umfangs der Kosten des Ausbaus erhebt, sind sie von
der Beklagten im Laufe des Verfahrens entkräftet worden. Das gilt sowohl für die Frage des günstigsten
Anbieters der ausgeschriebenen Arbeiten als auch bezüglich der beanstandeten Vermessungskosten
sowie der Ermittlung der Aufwendungen für die Entwässerung.
2.
a) Nicht frei von Bedenken ist jedoch die Verteilung des voraussichtlich entstehenden Aufwands. Anders
als die Beklagte meint, waren die Flurstücke 130/2 (früher: 130) und 129/10 (früher: 244/129) als
Anliegergrundstücke der ausgebauten Verkehrsanlage in die Aufwandsverteilung einzubeziehen.
Demgegenüber können die angewandten Tiefenbegrenzungen ebenso wenig beanstandet werden wie
die Zahl der Vollgeschosse, die im nicht überplanten Bereich der Verteilung zugrunde gelegt wurden.
Dass die Außenbereichsfläche nordöstlich des Flurstücks 160/7 und die gegenüber liegenden, als „private
Grünflächen“ bauplanerisch festgesetzten Bereiche nicht in die Verteilung einbezogen wurden, ist recht-
lich nicht zweifelhaft. Insoweit fehlt der Alten Heerstraße die Anbaubestimmung. Die Beklagte hat auch die
Zahl der zulässigen Vollgeschosse für das Grundstück der Klägerin zutreffend angenommen. Das
Grundstück ist insgesamt, also auch im hinteren Bereich „MI 2c“, dreigeschossig bebaubar. Angesichts der
bauplanerischen Festsetzung „FD“, was Flachdach bedeutet, und einer maximal zulässigen
Gebäudehöhe von 8,0 m lassen sich drei Geschosse mit Aufenthaltsräumen verwirklichen, die den
Anforderungen des § 43 Abs. 1 der Landesbauordnung entsprechen. Addiert man zu der in dieser
Bestimmung festgelegten lichten Höhe von mindestens 2,40 m eine Deckenstärke von 0,20 m, ergibt die
Multiplikation der Summe mit 3 eine Höhe von 7,80 m.
b) Die Festsetzung des Stadtanteils ist zum Teil nicht in Übereinstimmung mit § 10 Abs. 4 KAG erfolgt.
Danach bleibt bei der Ermittlung der Beiträge ein dem Vorteil der Allgemeinheit entsprechender Teil
(Gemeindeanteil) außer Ansatz, der dem nicht den Beitragsschuldnern zuzurechnenden
Verkehrsaufkommen entspricht. Der Eigenanteil der Gemeinde muss folglich den Vorteil widerspiegeln,
den die Allgemeinheit im Verhältnis zur Gesamtheit der Anlieger durch eine Ausbaumaßnahme erlangt.
Dabei ist entscheidend auf die zahlenmäßige Relation der Verkehrsfrequenzen des Anliegerverkehrs
einerseits und des allgemeinen Durchgangsverkehrs andererseits abzustellen. Bei der Festlegung des
Gemeindeanteils sind die Lage der zur Beurteilung anstehenden Straße innerhalb des jeweiligen
Gemeindegebiets und die sich danach voraussichtlich ergebenden Verkehrsströme zu berücksichtigen (6
A 11406/04.OVG, KStZ 2005, 217, ESOVGRP; 6 A 11220/05.OVG, NVwZ-RR 2006, 285, ESOVGRP).
Neben den tatsächlichen Verkehrsverhältnissen kann auch die Funktion der betreffenden Straße im
Gesamtverkehrsnetz berücksichtigt werden (vgl. OVG Lüneburg, 9 ME 45/04, NVwZ-RR 2004, 605). Das
Verwaltungsgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Senats (6 A
11406/04.OVG, KStZ 2005, 217, ESOVGRP) der Eigenanteil einer Gemeinde im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller konkreten Umstände zu ermitteln ist, wobei für gewisse typische Fallgruppen von
den Leitlinien ausgegangen werden kann, die das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bereits im Urteil vom
8. September 1969 (teilweise abgedruckt in Gemeindetag Rheinland-Pfalz 1970, 102) aufgestellt hat und
denen der Senat in der Regel folgt (vgl. 6 A 48/75.OVG, AS 14, 324 [333] = KStZ 1977, 132; 6 A 10845/00,
KStZ 2001, 108; 6 C 10464/02.OVG, AS 30, 106 (114) = KStZ 2003, 35 = NVwZ-RR 2003, 380, ESOVGRP;
6 A 11220/05.OVG, NVwZ-RR 2006, 285, ESOVGRP). Diese Rechtsprechung lässt sich dahingehend
zusammenfassen, dass der Gemeindeanteil regelmäßig beträgt
25% bei geringem Durchgangs-, aber ganz überwiegendem Anliegerverkehr,
35-45% bei erhöhtem Durchgangs-, aber noch überwiegendem Anliegerverkehr,
55-65% bei überwiegendem Durchgangsverkehr,
70% bei ganz überwiegendem Durchgangs-, aber nur wenig Anliegerverkehr.
Halten sich Anlieger- und Durchgangsverkehr die Waage, wird ein Gemeindeanteil von 50% angemessen
sein. Damit scheidet die Festlegung eines Gemeindeanteils von 50% bei überwiegendem
Durchgangsverkehr in aller Regel aus; sie kann aber in Ausnahmefällen noch vertretbar sein. Denn es ist
zu berücksichtigen, dass der der Gemeinde zustehende Beurteilungsspielraum eine geringe Bandbreite
mehrerer vertretbarer Vorteilssätze einschließt, die nach oben und unten um nicht mehr als 5% abweichen
(vgl. 6 A 68/85.OVG, AS 20, 411 <413>; 6 C 10464/02.OVG, AS 30, 106 = KStZ 2003, 35 = NVwZ-RR
2003, 380, ESOVGRP). Das bedeutet allerdings nicht, dass die Gemeinde gleichsam schematisch fünf
Prozentpunkte von den nach den erwähnten Grundsätzen ermittelten Prozentsätzen abziehen darf. Die
Bandbreite von 5% nach oben und unten soll vielmehr einen Ausgleich für die insbesondere tatsächliche
Unsicherheit bieten, die mit der Bewertung der Anteile des Anlieger- sowie des Durchgangsverkehrs ohne
präzise Datenerhebung zwangsläufig verbunden ist. Im Falle überwiegenden Durchgangsverkehrs, mithin
der Regelspanne von 55-65%, darf demnach der Gemeindeanteil nur dann ausnahmsweise auf 50%
festgesetzt werden, wenn das Überwiegen des Durchgangsverkehrs vergleichsweise gering ist und die
diesbezügliche Unsicherheit die Anwendung eines Vorteilssatzes von 50% vertretbar erscheinen lässt.
Ein nach diesen Grundsätzen ermittelter Gemeindeanteil muss, wenn Teileinrichtungen getrennt
voneinander ausgebaut und abgerechnet werden, für jede Teileinrichtung gesondert und zwar nach dem
für sie spezifischen Verhältnis von Anlieger- und Durchgangsverkehr ermittelt werden (vgl. 6 B
10770/91.OVG, ESOVGRP). Im Falle des gleichzeitigen Ausbaus mehrerer Teileinrichtungen kann die
Gemeinde grundsätzlich für jede Teileinrichtung gesonderte Gemeindeanteile festlegen oder aber einen
Mischsatz bilden, der das Verhältnis von Anlieger- und Durchgangsverkehr sämtlicher ausgebauter
Teileinrichtungen berücksichtigt. Zwingend ist die Festlegung eines Mischsatzes bei gleichzeitigem
Ausbau und gemeinsamer Abrechnung mehrerer Teileinrichtungen aber, wenn die Aufwendungen nicht
auf die einzelnen ausgebauten und unterschiedliche Vorteilssätze rechtfertigenden Teileinrichtungen
aufgeteilt werden können, wie dies für Mischverkehrsflächen typisch ist, die in ihrer Gesamtheit sowohl
dem Fußgänger- als auch dem Fahrverkehr zu dienen bestimmt sind (vgl. 6 A 11220/05.OVG, NVwZ-RR
2006, 285, ESOVGRP). In einem solchen Fall können der Anteil des Anliegerverkehrs und derjenige des
Durchgangsverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen einheitlich für den Fußgänger- und den Fahrverkehr
ermittelt werden, wenn allenfalls geringfügige Unterschiede zwischen diesen beiden Straßennutzungen
bestehen. Ein mehrstufiges Verfahren zur Ermittlung des Gemeindeanteils, das aus der zunächst
gesonderten Bewertung des Fußgänger- und des Fahrverkehrs und einer sich anschließenden
Zusammenführung der so gewonnenen Teilgemeindeanteile besteht, ist aber in einem solchen Fall
anzuwenden, wenn das Verhältnis von Anlieger- und Durchgangsverkehr beim Fußgängerverkehr
deutlich abweicht von dem entsprechenden Verhältnis beim Fahrverkehr (vgl. 6 A 11220/05.OVG, NVwZ-
RR 2006, 285, ESOVGRP).
Die Festlegung gesonderter Gemeindeanteile für jede Teileinrichtung bei gleichzeitigem Ausbau
mehrerer Teileinrichtungen widerspricht weder der Bestimmung des § 10 Abs. 4 KAG noch derjenigen des
§ 10 Abs. 7 Satz 3 KAG. Nach § 10 Abs. 4 KAG bleibt – wie erwähnt - bei der Ermittlung der Beiträge ein
dem Vorteil der Allgemeinheit entsprechender Teil (Gemeindeanteil) außer Ansatz, der dem nicht den
Beitragsschuldnern zuzurechnenden Verkehrsaufkommen entspricht. Daraus lässt sich nicht ableiten,
dass ein Mischsatz in jedem Fall gebildet werden muss, in dem die Gemeinde mehrere Teileinrichtungen
gleichzeitig ausbaut und abrechnet. Eine Verpflichtung zur Bildung eines Mischsatzes ergibt sich ebenso
wenig aus der Ermächtigung zur Kostenspaltung gemäß § 10 Abs. 7 Satz 3 KAG. Danach kann für Teile
der Verkehrsanlage sowie für die Kosten des Erwerbs und der Freilegung der Flächen ein Teilbeitrag
erhoben werden. Abgesehen davon, dass von der Heranziehung zu einem Teilbetrag nicht gesprochen
werden kann, wenn aufgrund getrennter Festlegung von Gemeindeanteilen für unterschiedliche
Teileinrichtungen ein Beitrag für den gesamten Ausbau der Verkehrsanlage erhoben wird, ermächtigt § 10
Abs. 7 Satz 3 KAG (lediglich) zur Kostenspaltung, ohne aber eine abschließende Regelung darüber zu
treffen, unter welchen Umständen getrennte Vorteilssätze für Teile einer Verkehrsanlage gebildet werden
dürfen.
Dienen Teileinrichtungen ihrerseits mehreren anderen Teilen einer Verkehrsanlage, wie dies
beispielsweise bei der Straßenoberflächenentwässerung der Fall ist, die zur Beseitigung sowohl des auf
der Fahrbahn als auch des auf den Gehwegen anfallenden Oberflächenwassers vorgesehen ist, hat die
Gemeinde mehrere Möglichkeiten, den dem Vorteil der Allgemeinheit entsprechenden Gemeindeanteil
außer Ansatz zu lassen. Zunächst kann sie die Aufwendungen (beispielsweise der
Straßenoberflächenentwässerung) den dadurch begünstigten Teileinrichtungen zuordnen, also nach
sachlichen Kriterien aufteilen. Daneben hat sie Möglichkeit, hinsichtlich dieser Aufwendungen einen
Mischsatz aus den Gemeindeanteilen zu bilden, die für die einzelnen begünstigten Teileinrichtungen
festgesetzt wurden. Kommen diese Aufwendungen einer der begünstigten Teileinrichtungen in deutlich
überwiegendem Umfang zugute, kann der für diese Teileinrichtung festgelegte Gemeindeanteil
übernommen werden.
c) Nach diesen Maßstäben war die Beklagte nicht gezwungen, einen einheitlichen Gemeindeanteil für die
gesamten Ausbaukosten festzusetzen. Sie durfte für die einzelnen Teileinrichtungen unterschiedliche
Stadtanteile festlegen. Denn es wurde weder eine Mischverkehrsfläche geschaffen noch machte der
Umstand, dass die Straßenoberflächenentwässerung mehreren anderen Teilen der Verkehrsanlage dient,
die Bildung eines Mischsatzes unabdingbar.
Allerdings hat die Beklagte in diesem Zusammenhang den ihr zukommenden Beurteilungsspielraum (vgl.
6 A 11406/04.OVG, KStZ 2005, 217, ESOVGRP) zum Teil überschritten. Noch im Rahmen dieses
Spielraums hält sich die Festlegung eines Stadtanteils von 50% für die Fahrbahnkosten. Zwar geht der
Stadtrat selbst „von einem überwiegenden innerörtlichen oder Durchgangsverkehr“ aus, weist aber darauf
hin, dass die ausgebaute Verkehrsanlage insoweit sehr deutlich hinter der „Unteren Alten Heerstraße“
zurückbleibt. Da er das Überwiegen des Durchgangsverkehrs damit als vergleichsweise gering
angesehen hat, lässt die erkennbare tatsächliche Unsicherheit ausnahmsweise die Anwendung eines
Vorteilssatzes von 50% als vertretbar erscheinen, also ein Abweichen von 5% nach unten von der im Falle
überwiegenden Durchgangsverkehrs bei 55% beginnenden Regelspanne. Nicht zu beanstanden sind
auch die Überlegungen, die zur Festlegung eines Stadtanteils von 40% hinsichtlich der Gehwegkosten
führten. Gleiches gilt auch für die Auffassung, die Teileinrichtung Straßenbeleuchtung komme
überwiegend dem auf den Gehwegen zu erwartenden Verkehr zugute. Soweit der Stadtrat jedoch den
Gemeindeanteil für die Straßenoberflächenentwässerung mit der Begründung auf 40% festsetzte, diese
diene von ihrer „funktionellen Aufgabe her mehr den anliegenden Grundstücken als dem Durchgangsver-
kehr“, kann ihm nicht gefolgt werden. Denn die Straßenoberflächenentwässerung soll in gleicher Weise
die Beseitigung sowohl des auf der Fahrbahn als auch des auf den Gehwegen anfallenden
Oberflächenwassers gewährleisten. Da die Fahrbahn einer Verkehrsanlage in aller Regel eine größere
Flächenausdehnung aufweist als die Gehwege, spricht unter diesem Gesichtspunkt mehr für die
Annahme, dass die Straßenoberflächenentwässerung überwiegend dem Fahrverkehr zugute kommt.
Besteht dieser seinerseits hauptsächlich aus Durchgangsverkehr, liegt die Festsetzung des
Gemeindeanteils von 40% für die Straßenoberflächenentwässerung nicht mehr innerhalb des der
Gemeinde zukommenden Beurteilungsspielraums. So liegen die Dinge hier. Da der Senat keine eigene
Bewertung an die Stelle des Beurteilungsspielraums der Beklagten setzen darf (vgl. NdsOVG, 9 A 56/86,
KStZ 1988, 55; BayVGH, 6 B 82 A.2893, BayVBl 1985, 117), müssen die Aufwendungen für die
Straßenoberflächenentwässerung im Rahmen der Vorausleistungserhebung unberücksichtigt bleiben.
Gleichzeitig ist aber die Gesamtfläche, auf die der übrige Aufwand zu verteilen ist, um die Parzellen 130/2
(früher: 130) und 129/10 (früher: 244/129) zu ergänzen, so dass sich für das Grundstück der Klägerin eine
Beitragsvorausleistung von ca. 24.000,- € ergibt. Vor der endgültigen Beitragserhebung wird der Stadtrat
der Beklagten über den dem Vorteil der Allgemeinheit entsprechenden Anteil der Ausbaukosten erneut zu
entscheiden haben, und zwar unter bewusster und vollständiger Anwendung der vorstehenden
Anforderungen an die Festlegung des Gemeindeanteils, die dem Stadtrat bei seinem Beschluss vom 30.
Januar 2003 noch nicht vorlagen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO.
Gründe i.S.d. § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Hehner gez. Dr. Frey gez. Dr. Beuscher
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren im zweiten Rechtszug auf 29.098,15 €
festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 3 GKG).
gez. Hehner gez. Dr. Frey gez. Dr. Beuscher