Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 27.01.2010

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OVG
Koblenz
27.01.2010
1 A 10810/09.OVG
Wasserrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
1. der Frau S.,
2. des Herrn S.,
- Kläger und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte zu 1-2: Rechtsanwälte Diesel und Kollegen, Metzelstraße 30, 54290 Trier,
gegen
die Verbandsgemeinde Trier-Land, vertreten durch den Bürgermeister, Gartenfeldstraße 12, 54295 Trier,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Trilsbach, Jakobs und Kollegen, Ostallee 53, 54290 Trier,
wegen Wasserrechts
hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 27. Januar 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Zimmer
Richter am Oberverwaltungsgericht Kappes-Olzien
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Berthold
ehrenamtlicher Richter Beigeordneter a.D. Bitzer
ehrenamtliche Richterin wissenschaftliche Mitarbeiterin Henne
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 2. April 2009 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen Geruchsbelästigungen, die von einem offenen Abwassergraben
ausgehen.
Sie sind Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstückes in I., Am D.-Bach 25 (Flur …,
Parzelle … - vormals: Parzellen … und …). Von einem Kanalstauraum mit unterliegender Entlastung leitet
die Beklagte Abwasser in einen offenen Abwassergraben, der unmittelbar an der Grundstücksgrenze des
Grundstücks der Kläger verläuft. Der Abwassergraben, der mit Natursteinen befestigt ist, entspricht in
seinem Verlauf dem früheren D.-Bach, der jedoch aufgrund von Kanalisationsmaßnahmen im Ortsteil I.
kein Eigenwasser mehr führt.
Bereits im August 2007 beschwerten sich Anwohner bei der Beklagten über Geruchsbelästigungen, die
von der vorgenannten Abwasseranlage herrührten. Das diesbezüglich eingeschaltete Gesundheitsamt
bei der Kreisverwaltung Trier-Saarburg schlug nach einer Überprüfung der Örtlichkeit vor, die ehemalige
Bachrinne des D.-Baches als glatte Oberfläche zu gestalten und zusätzlich den Abwassergraben in
regelmäßigen Abständen auf Rückstände von Fäkalienverunreinigungen zu sichten und die Rinne zu
säubern.
Schließlich haben die Kläger am 31. Januar 2008 Klage zum Landgericht Trier erhoben, welches den
Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Trier verwiesen hat.
Zur Begründung ihrer Klage, mit der sie die Verurteilung der Beklagten begehrt haben, es zu unterlassen,
ihrem Grundstück Gase, Dämpfe und Gerüche durch Nutzung des offenen Abwasserkanals zuzuführen,
haben sie insbesondere ausgeführt:
In dem Kanalstauraum werde nicht nur Regenwasser gesammelt, sondern auch Fäkal- und
Schmutzwasser aus der Entwässerungsanlage der Ortsgemeinde I. Dieses Fäkalwasser werde über das
Bett des „D.-Baches“ entlang ihres Grundstücks in den Vorfluter Mosel geleitet. Die Beklagte besitze keine
Einleitungsgenehmigung, die ihr eine derartige Einleitung in die Mosel erlaube. Die Erlaubnis der
Beklagten decke lediglich das Einleiten in den Vorfluter Mosel, nicht indes das Vorbeileiten der
Fäkalienabwässer im offenen Bachbett des „D.-Baches“. Die Ablagerungen im Abwassergraben
verbreiteten einen nahezu unerträglichen Geruch, der auch dadurch nicht erheblich gemindert worden
sei, dass die Beklagte im Oktober 2007 einen Rechen am Ausgang des Staukanals eingebaut habe.
Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht gewesen, dass vor Errichtung des Regenüberlaufbeckens die
Geruchssituation wesentlich schlechter gewesen sei. Durch den Einbau eines Regenüberlaufbeckens
und nunmehr eines Rechens zur Fernhaltung von Fäkalien sei die Situation wesentlich verbessert
worden. Diese Maßnahmen seien im Baugenehmigungsverfahren ebenso offengelegt worden wie das
Genehmigungsverfahren zur Erwirkung der gehobenen Erlaubnis durch die Struktur- und
Genehmigungsdirektion Nord. Dort hätten Einwände vorgebracht werden können. Dies sei jedoch nicht
geschehen. Weder die Kläger noch ihre Rechtsvorgänger hätten Einwände erhoben. Die Kläger hätten in
Kenntnis der Abwassersituation das Grundstück erworben und in dieser Situation gebaut. Aufgrund der
Ableitung von Mischwasser über das Regenüberlaufbecken und den in Halbschalen verrohrten Teil sei
einer den örtlichen Gegebenheiten zulässige Ablaufsituation geschaffen worden.
Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob der offene Abwasserkanal im Hinblick auf
Geruchsbeeinträchtigungen den allgemein anerkannten Regeln der Abwassertechnik entspreche und
gegebenenfalls, welche weiteren technischen oder baulichen Maßnahmen notwendig seien, um weitere
Geruchsbelästigungen zu minimieren. Zu diesen Fragen hat der mit der Erstellung des Gutachtens
beauftragte Sachverständige H. W. S. in seinem Gutachten vom 21. Februar 2009 Stellung genommen.
Das Verwaltungsgericht hat daraufhin der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, es zu
unterlassen, dem Grundstück der Kläger Gase, Dämpfe und Gerüche durch Nutzung des an der
Grundstücksgrenze vorbeiführenden „D.-Bachs“ als offener Abwasserkanal zuzuführen.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Die Kläger hätten einen Anspruch darauf, dass
die Beklagte die Nutzung des „D.-Bachs“ als offenen Abwasserkanal unterlasse. Dieser Anspruch stütze
sich auf einen den Klägern zustehenden Folgenbeseitigungsanspruch. Dessen Voraussetzungen seien
vorliegend erfüllt, da die Beklagte durch die Nutzung eines offenen Abwasserkanals die Eigentumsrechte
der Kläger verletze. Diese Nutzung sei rechtswidrig, da die Abwasseranlage der Beklagten nicht
entsprechend den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik betrieben werde. Der Sachverständige
S. habe in seinem Gutachten dargelegt, dass ein offener Abwassergraben an der Grenze eines
Wohngebietes nicht den allgemein anerkannten Regeln der Abwassertechnik entspreche, zumal mit dem
abgeleiteten Mischwasser noch immer vergleichsweise hohe Konzentrationen und Frachten an
organischen, fäulnisfähigen Stoffen in den Graben geleitet würden. Der Sachverständige habe weiterhin
verdeutlicht, dass Kanäle innerhalb von Baugebieten grundsätzlich als allseitig geschlossene
Rohrleitungen ausgeführt würden. Er habe vorgeschlagen, den Graben in seiner Gesamtlänge durch eine
Rohrleitung zu ersetzen. Diese Maßnahme werde die aus der Abwasserableitung resultierenden
Geruchsbeeinträchtigungen minimieren. Die vom Gutachter ermittelten Ergebnisse seien auch plausibel
und nachvollziehbar. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es nicht fernliegend, eine Regel der
Abwassertechnik des Inhalts anzunehmen, dass Mischwasser in einer vergleichsweise hohen
Konzentrationen und Frachten an organischen, fäulnisfähigen Stoffen nicht in einem offenen Graben
durch ein Wohngebiet geleitet werden dürften. Dem entspreche aber nicht der beanstandete offene
Abwassergraben der Beklagten. Es bedürfe keiner weiteren Vertiefung, dass sich die Nachbarschaft auf
derartige Grundsätze, die der Geruchsvermeidung dienten, berufen könne. Entgegen der Auffassung des
Beklagten bedürfe es keiner weiteren Untersuchung hinsichtlich der entstehenden Geruchsbelästigungen.
Eine Duldungspflicht durch die Kläger bestehe ebenfalls nicht, zumal dies nicht aus dem Bescheid der
Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord vom 11. März 2004 hergeleitet werden könne. Den
Verwaltungsakten sei nicht zu entnehmen, dass die Genehmigungsbehörde die Nutzung des offenen
Abwassergrabens als mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik vereinbar angesehen habe.
Vielmehr werde in dem vorgenannten Bescheid ausgeführt, dass die Einleitung aus dem
Regenüberlaufbecken 1 nicht in den D.-Bach erfolge, sondern über einen verrohten Abwasserkanal in die
Mosel.
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Weder durch
Ortsbesichtigung noch durch Sachverständigengutachten sei eine über das zulässige Maß
hinausgehende Beeinträchtigung durch Gase, Dämpfe und Gerüche festgestellt worden. Allein der
Umstand, dass der Sachverständige der Auffassung sei, ein offener Abwassergraben an der Grenze eines
Wohngebiets entspreche nicht den allgemein anerkannten Regeln der Abwassertechnik, begründe keine
Feststellung über die Wahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen. Ein Unterlassen könne aber nur
verlangt werden, wenn die Gefahr von unzumutbaren Beeinträchtigungen auf der Hand liege. Dies habe
weder der Sachverständige konkret dargelegt noch sei dies vom Gericht festgestellt worden. Eine
theoretische Gefährdung müsse auch die Gefahr der Häufigkeit eines Ausmaßes erkennen lassen, um ein
Unterlassungsbegehren zu rechtfertigen. Der Sachverständige habe auch zu Unrecht eine Gefährdung
darin gesehen, dass der Mischwasserabfluss aus dem Regenbecken im Bereich zwischen Regenabfluss
und Trockenwetterabfluss liege. Diese Aussage sei schlicht unzutreffend und vermittle ein völlig falsches
Bild. Der Trockenwetterabfluss gelange nie in den Überlauf des Regenüberlaufbeckens, da bei
Trockenwetter überhaupt kein Überlauf stattfinde. Auch bei einer theoretischen Gefährdung durch
Immissionen müsse deren Intensität erst einmal ergründet werden, was hier in keinster Weise geschehen
sei. Erst wenn eine solche Gefährdung zu bejahen wäre, müsse die Frage der Zumutbarkeit beantwortet
werden. Wenn der Sachverständige eine allgemein anerkannte Regel der Technik dahingehend aufstelle,
dass ein offener Abwassergraben an der Grenze eines Wohngebietes nicht zulässig sei, so hätte es
hierzu einer näheren Begründung bedurft. Was allgemeiner Stand der Technik sein solle und wo
insbesondere diese allgemein anerkannte Regel der Technik geregelt sei habe sowohl der
Sachverständige als auch das Verwaltungsgericht offen gelassen. Im Übrigen bleibe nochmals darauf
hinzuweisen, dass vorliegend ein Mischwasserkanal, der im Trockenwetterfall ständig Schmutzwasser
führe, nicht entlang der Grundstücksgrenze des Grundstücks der Kläger geführt werde.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 2. April 2009 die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie tragen vor:
Es entspreche keiner allgemein gültigen Norm, einen offenen Abwasserkanal unmittelbar entlang einer
Wohnbebauung zu führen. Dabei sei nicht das Regenbecken ein Problem, sondern die Abführung von
Abwasser ohne eine Verrohrung. Im Übrigen sei die wasserrechtliche Genehmigung ebenfalls von einer
Ableitung über eine Verrohrung ausgegangen. Soweit die Beklagte geltend mache, es sei nicht
festgestellt worden, dass unzumutbare Gase, Dämpfe und Gerüche aufträten, so sei darauf hinzuweisen,
dass eine solche Beweiserhebung angesichts der vorhandenen Umstände entbehrlich sei. Abwasser
werde nach allgemeinem Verständnis nicht dadurch schadlos beseitigt, dass es - vergleichbar mit mittel-
alterlichen Zuständen - offen im Gelände abfließe.
Der Senat hat eine amtliche Auskunft bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord - Regionalstelle
Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft, Bodenschutz – in Trier zu der Frage eingeholt, ob ein offener
Abwasserkanal, der Mischwasser führt und sich entlang der Grundstücksgrenze einer bebauten Parzelle
in der Ortsrandlage befinde, den (eventuell ungeschriebenen) allgemein anerkannten Regeln der Technik
entspreche. Wegen des Inhalts der amtlichen Auskunft wird auf den Schriftsatz der vorgenannten Behörde
vom 24. September 2009 (s. Bl. 231 f. der Gerichtsakten) verwiesen.
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zu den Gerichtsakten
gereichten Schriftsätzen der Beteiligten sowie aus den Verwaltungsakten der Beklagten (1 Heft) und den
beigezogenen Unterlagen der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord über die wasserrechtlichen Ge-
nehmigungsvorgänge (1 Aktenordner). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat dem Unterlassungsbegehren der Kläger zu Recht stattgegeben, und die
Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, dem Grundstück der Kläger Gase, Dämpfe und Gerüche durch
Nutzung des an der Grundstücksgrenze vorbeiführenden „D.-Baches“ als offener Abwasserkanal
zuzuführen. Dieses Begehren findet seine Rechtsgrundlage in einem öffentlich-rechtlichen Abwehran-
spruch, dessen Voraussetzungen hier vorliegen.
Ob ein solcher öffentlicher-rechtlicher Abwehranspruch entweder - wovon das Verwaltungsgericht
ausgeht - als öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch, der auf Beseitigung eines noch
andauernden rechtswidrigen Zustandes gerichtet ist, oder aber als öffentlich-rechtlicher
Unterlassungsanspruch, der die Abwehr künftiger rechtswidriger Beeinträchtigungen betrifft, zu
qualifizieren ist (vgl. Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 113, Rn. 5 bis 13) kann
letztlich dahin stehen. Die Voraussetzungen bei beiden Anspruchsgrundlagen sind nämlich weitgehend
gleich und entsprechende Ansprüche stehen den Klägern unter anderem nur dann zu, wenn eine der
Beklagten zurechenbare Rechtswidrigkeit - entweder eines drohenden Eingriffs in eine Rechtsposition der
Kläger oder eines als Eingriffsfolge bereits eingetretenen und rückgängig zu machenden Zustandes -
feststellbar ist (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 3. November 2006 - 1 A 10527/06.OVG -
unveröffentlicht).
Ebenfalls kann offen bleiben, ob ein solcher Abwehranspruch aus §§ 1004, 906 BGB analog oder
unmittelbar aus dem Grundgesetz (Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 GG) herzuleiten ist (so bereits
OVG RP, Urteil vom 20. September 1994 - 7 A 12407/90.OVG - AS 26, 112).
Jedenfalls sind die Voraussetzungen für den hier geltend gemachten öffentlich-rechtlichen
Abwehranspruch hinsichtlich der Geruchsbelästigungen aus dem offenen, unmittelbar an der Grenze des
Hausgrundstücks der Kläger vorbeilaufenden Abwasser- bzw. Mischwasserkanal im vorliegenden Fall
gegeben.
Dass ein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition der Kläger (Eigentum bzw. Gesundheit) durch die
Geruchseinwirkungen aus dem offenen, fäkalienführenden Kanal vorliegt, kann nicht zweifelhaft sein und
wird im Grunde von der Beklagten auch nicht ernsthaft bestritten. Hinzu kommt, dass durch diesen Eingriff
ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist, weil er nicht durch die erteilte gehobene
wasserrechtliche Erlaubnis vom 11. März 2004 gedeckt ist, und zudem der im Streit stehende offene
Abwasser-/Mischwasserkanal nicht den anerkannten Regeln der Abwassertechnik entspricht. Deren
Beachtung war der Beklagten in der vorgenannten Erlaubnis unter III. Nr. 5 als Nebenbestimmung
aufgegeben worden. Die Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik ist im Übrigen auch
in § 18 b Abs. 1 Satz 2 WHG für die Errichtung und Betrieb von Wasseranlagen, worunter ebenfalls die
Abwasserkanäle fallen, gesetzlich vorgeschrieben.
Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass bezüglich der Frage, ob offener Abwasser-/Mischwasserkanäle
in oder unmittelbar am Rande von Baugebieten zulässig sind, offenbar keine geschriebenen Regeln der
Abwassertechnik vorhanden sind. Dies hat die bei der oberen Wasserbehörde eingeholte amtliche
Auskunft vom 24. September 2009 ergeben. Allerdings sind auch ungeschriebene Regeln der Technik zu
beachten (so Dahme in Sieder-Zeitler-Dahme, WHG und Abwasserabgabengesetz, § 18 b WHG Rn. 14;
siehe auch Czychowski/Reinhardt, WHG, § 7 a Rn. 11). Vorliegend ist davon auszugehen, dass die
Forderung, kein offener Abwasser-/Mischwasserkanal in oder unmittelbar am Rande von Baugebieten,
eine solche ungeschriebene Regel darstellt. Für diese Annahme sprechen mehrere Gesichtspunkte. Zum
einen kommt das vom Verwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten vom 21. Februar 2009
zu dieser Bewertung. Es weist darauf hin, dass vorliegend noch immer vergleichsweise hohe
Konzentrationen und Frachten an organischen, fäulnisfähigen Stoffen in den hier streitgegenständlichen
Graben geleitet werden und es in kurzer Zeit zu Fäulnisvorgängen und damit zu Geruchsbelästigungen
kommt. Dies insbesondere dann, wenn der Mischwasserabfluss nach einem Regen endet und nur noch
Reste des Abwassers in der Sohle des Grabens über längere Zeit verbleiben und dabei eintrocknen. Der
Sachverständige kommt angesichts dessen zum Ergebnis, dass ein offener Abwassergraben an der
Grenze eines Wohngebiets nicht den (ungeschriebenen) allgemein anerkannten Regeln der
Abwassertechnik entspreche, zumal Kanäle innerhalb Baugebieten grundsätzlich als allseitig
geschlossene Rohrleitungen ausgeführt würden. Zum anderen kommt auch die vom Senat bei der oberen
Wasserbehörde eingeholte amtliche Auskunft vom 24. September 2009 zu einem entsprechenden
Ergebnis. Darin wird nämlich ausgeführt, dass ein Mischwasserkanal unmittelbar an einer Bauparzelle
nicht in offener Bauweise geplant und errichtet werden sollte bzw. würde. Damit werden die Ausführungen
des Gerichtssachverständigen S., wonach eine solche ungeschriebene Regel der Technik anzunehmen
ist, bestätigt. Dies ist auch nach Einschätzung des erkennenden Gerichts plausibel, da dem Senat keine
Fälle bekannt sind, in denen Abwasser- oder Mischwasserkanäle, die - wie hier - unter anderem Fäkalien
abführen, als offene Kanäle unmittelbar an Baugebieten vorbei geführt werden. Ein offener,
fäkalienführender Mischwasserkanal dürfte im Übrigen im 21. Jahrhundert auch nicht mehr zeitgemäß
sein.
Darüber hinaus ist die Führung des Auslaufs aus dem RÜB 1 als offener Kanal im Bereich des
Hausgrundstücks der Kläger auch nicht durch die gehobene wasserrechtliche Erlaubnis vom 11. März
2004 gedeckt. Dort heißt es auf Seite 6 des diesbezüglichen Bescheides wörtlich: „Die Einleitung aus dem
RÜB 1 erfolgt nicht in den D.-Bach, sondern über einen verrohrten Abwasserkanal in die Mosel.“ Ein in
den Verwaltungsakten der Beklagten befindlichen Lageplan weist einen solchen Kanal neben dem D.-
Bach auch noch aus. Dass andere spätere Lagepläne diese Kanalführung nicht mehr dokumentieren,
kann zu keiner anderen Beurteilung führen, zumal in der anschließenden wasserrechtlichen
Genehmigung des veränderten Baus und Betriebs des RÜB 1 (Kanalstauraum I. mit unterliegender
Entlastung) vom 23. Januar 2009 nochmals nachrichtlich auf den oben zitierten Satz, dass die Einleitung
aus dem RÜB 1 nicht in den D.-Bach, sondern über einen verrohrten Abwasserkanal in die Mosel erfolge,
Bezug genommen wurde. Hätte man die jetzige Situation des offenen Mischwasserkanals legalisieren
wollen, hätte es nahegelegen, dies in dem Änderungsbescheid vom 23. Januar 2009 neu zu regeln und
nicht auf die ursprüngliche Aussage nachrichtlich zu verweisen.
Der somit vorliegende rechtswidrige Eingriff in die geschützte Rechtsposition der Kläger ist auch nicht
unbeachtlich, weil die von dem offenen Kanal ausgehenden Geruchsbelästigungen nach Ansicht der
Beklagten nicht erheblich sind. Bereits der Umstand, dass ein offener Mischwasserkanal an der Grenze
eines Hausgrundstücks nicht den ungeschriebenen allgemein anerkannten Regeln der Abwassertechnik
entspricht, deutet darauf hin, dass die Geruchsbelästigungen nicht unerheblich sein können. Für diese
Bewertung spricht außerdem, dass nicht nur die Kläger, sondern auch 11 weitere Anwohner sich in der
Einwohnererklärung am 28. August 2007 gegen die durch den Kanal entstehenden Geruchsbe-
lästigungen gewandt haben (s. Bl. 50 der Gerichtsakte). Des Weiteren zeigt auch das Schreiben des
Gesundheitsamtes vom 3. Juni 2008 (Bl. 66 der Gerichtsakte), dass trotz Einbaus eines Rechens sich die
Gesamtsituation für die Kläger nicht geändert hat. Deshalb wurde in diesem Schreiben eine Verrohrung
des Auslaufs aus dem RÜB 1 gefordert. Diese Forderung wurde allerdings im Schriftsatz des
Gesundheitsamtes vom 19. Juni 2008 modifiziert. Doch auch in diesem Schreiben wird nicht in Abrede
gestellt, dass Rückstände von Fäkalien in den hier in Rede stehenden offenen Graben in der ehemaligen
Bachrinne des D.-Baches nach Absinken des Wasserspiegels aufgrund nachlassenden Niederschlags-
wassers verbleiben, woraus aber auch gefolgert werden muss, dass aufgrund dessen nicht unerhebliche
Geruchsbelästigungen auftreten. Im Hinblick darauf kann die Beklagte auch nicht mit ihrem Hinweis
durchdringen, dass ein Austritt von Fäkalien in den Abwassergraben nur bei Niederschlagsereignissen
stattfindet. Denn gerade der Umstand, dass die Fäkalien nicht durchgehend mit dem Mischwasser
abtransportiert werden, sondern letztlich teilweise im Bereich des offenen Grabens verbleiben und
abtrocknen, lässt erahnen, welchen nicht unerheblichen Geruchsbelästigungen die Kläger nach
allgemeiner Lebenserfahrung ausgesetzt sind.
Ferner ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Kläger die Geruchsemissionen aus dem
streitgegenständlichen offenen Kanal wegen Ortsüblichkeit zu dulden haben.
Schließlich entfällt der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Abwehranspruch nicht deshalb, weil die
Unterlassung der Zuführung von Gasen, Dämpfen und Gerüchen, aus dem in Rede stehenden offenen
Mischwasserkanal für die Beklagte unzumutbar sein könnte. Dabei bleibt zu sehen, dass eine Abhilfe
durch Verlegung eines geschlossenen Kanalrohres auf einer Länge von etwa 100 m für die Beklage nicht
unzumutbar ist. Dies gilt zunächst im Hinblick darauf, dass § 56 Abs. 2 LWG in den Fällen, in denen - wie
hier - eine vorhandene Abwasseranlage (Kanal) den Anforderungen des § 18 b Abs. 1 WHG nicht
entspricht, der Unternehmer - also die Beklagte - die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen durchzu-
führen hat. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, dass insoweit technische Schwierigkeiten bestehen
oder unverhältnismäßige Kosten für die Errichtung eines geschlossenen, ca. 100 m Kanals für die
Beklagte anfallen. Eine hierauf beruhende Unzumutbarkeit vermochte überdies die Beklagte auf
Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht aufzuzeigen.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann durch
Beschwerde
werden.
Die Beschwerde ist
innerhalb eines Monats
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
elektronischer Form einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten
Begründung ist ebenfalls bei dem
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
elektronischer Form einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen
Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil
abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, bezeichnet werden.
Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen
Fachgerichtsbarkeiten vom 9. Januar 2008 (GVBl. S. 33) zu übermitteln ist.
Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder eine
sonstige nach Maßgabe des § 67 VwGO vertretungsbefugte Person oder Organisation erfolgen.
gez. Zimmer gez. Kappes-Olzien gez. Dr. Berthold
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 15.000,00 Euro festgesetzt (§§ 52
Abs. 1, 47, 63 Abs. 2 GKG).
gez. Zimmer gez. Kappes-Olzien gez. Dr. Berthold