Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 10.10.2005

OVG Koblenz: prostitution, kreis, jugend, juristische person, rechtsverordnung, erlass, stadt, richteramt, form, prostituierte

OVG
Koblenz
10.10.2005
12 C 11236/05.OVG
Polizeirecht
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Normenkontrollverfahren
der Frau ...,
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Müller, Nöthen, Prusseit, Höfer und Partner, Görgenstr. 13,
56068 Koblenz,
gegen
das Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion,
Willy-Brandt-Platz 3, 54290 Trier,
- Antragsgegner -
wegen Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für Rheinland-Pfalz
(Normenkontrolle)
hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 10. Oktober 2005, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch
Richter am Oberverwaltungsgericht Geis
Richterin am Verwaltungsgericht Bröcheler-Liell
für Recht erkannt:
§ 1 Nr. 09 der Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für Rheinland-
Pfalz - Prostitutionsverbote - vom 19. April 2005 ist unwirksam.
Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht jeweils die Gegenseite zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen die Rechtsverordnung zum
Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für Rheinland-Pfalz - Prostitutionsverbote - vom 19.
April 2005.
Die Antragstellerin vermietet in ihrem in Diez (Rhein-Lahn-Kreis) gelegenen Anwesen Wohnungen an
Prostituierte. Mit der Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für
Rheinland-Pfalz ‑ Prostitutions-verbote ‑ vom 19. April 2005 ‑ im Folgenden Verordnung genannt ‑ erließ
die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in § 1 Nr. 09 ein flächendeckendes Prostitutionsverbot
innerhalb des Rhein-Lahn-Kreises. Bis zu diesem Zeitpunkt galt in dem Landkreis kein Prostitutionsverbot.
Zur Vorbereitung der Verordnung wandte sich die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion mit Schreiben
vom 22. März 2004 an die Kreisverwaltungen, die Stadtverwaltungen der kreisfreien Städte sowie an die
Polizeipräsidien in Rheinland-Pfalz. Darin wurde um Mitteilung gebeten, ob ein Änderungs- bzw. neuer
Regelungsbedarf hinsichtlich bereits vorhandener Prostitutionsverbote bestehe und ob neue
Prostitutionsverbote geschaffen werden sollten. In einer Dienstbesprechung mit den
Kreisordnungsbehörden wurden die rechtlichen Maßstäbe für den Erlass von Prostitutionsverboten
erörtert. Daraufhin bat die Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises mit E-Mail vom 29. März 2005, den
Rhein-Lahn-Kreis als Landkreis mit flächendeckendem Prostitutionsverbot in die Verordnung
aufzunehmen.
Am 29. August 2005 hat die Antragstellerin einen Normenkontrollantrag gestellt und zur Begründung im
Wesentlichen vorgetragen: Angesichts der Liberalisierung der Prostitution seien der Erlass und der
Vollzug von Prostitutionsverboten nicht mehr gerechtfertigt. Das auch für die Stadt Diez geltende
Prostitutionsverbot habe für sie unerwartete finanzielle Einbußen und den Verlust ihrer wirtschaftlichen
Existenzgrundlage zur Folge. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion habe keine eigene Prüfung der
Voraussetzungen eines Prostitutionsverbotes vorgenommen, sondern sich „blind“ der Anregung der
Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises angeschlossen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für Rheinland-Pfalz –
Prostitutionsverbote – für unwirksam zu erklären,
hilfsweise
§ 1 Nr. 09 der Rechtsverordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für Rheinland-
Pfalz – Prostitutionsverbote – für unwirksam zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er vertritt die Auffassung, der Antragstellerin fehle bereits die erforderliche Antragsbefugnis. Sie könne
sich als Vermieterin von Wohnungen, in denen der Prostitution nachgegangen werde, nicht auf eine
Verletzung eigener Rechte berufen. Jedenfalls sei der Normenkontrollantrag unbegründet. Beim Erlass
der angegriffenen Rechtsverordnung seien keine Ermessensgrenzen überschritten worden. Die
Kreisverwaltungen, Stadtverwaltungen der kreisfreien Städte und Polizeipräsidien hätten die Problematik
der Prostitutionsausübung jeweils für ihren Bereich bewertet. Auf die aus den Erkenntnissen vor Ort
gewonnenen Bewertungen habe sich die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion verlassen dürfen; sie
habe sich diese zu eigen gemacht. Schließlich sei auch kein Verstoß gegen den Gleich-
behandlungsgrundsatz zu erkennen. Die differenzierten Regelungen der Verordnung trügen den
unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen in den einzelnen Kommunen Rechnung.
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Schriftsätzen der Beteiligten,
den weiteren zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen sowie den Normsetzungsvorgängen der
Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion. Sie waren sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Der Normenkontrollantrag ist mit seinem Hauptantrag teilweise unzulässig.
Die Antragstellerin ist nicht in vollem Umfange antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Den
Normenkontrollantrag kann zwar jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch
die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit ver-
letzt zu werden. Dabei reicht die Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte aus. Diese hat die
Antragstellerin aber mit Blick auf die von ihr begehrte vollständige Aufhebung der Rechtsverordnung zum
Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes für Rheinland-Pfalz – Prostitutionsverbote – vom 19.
April 2005 (Staatsanzeiger vom 2. Mai 2005, Seite 582) – im Folgenden Verordnung genannt – nicht
dargetan. Sie vermietet lediglich im Rhein-Lahn-Kreis Wohnungen an Prostituierte; für eine darüber
hinaus gehende Anfechtung der Verordnung fehlt ihr die notwendige Antragsbefugnis. Diese ist allerdings
hinsichtlich des Prostitutionsverbotes im Rhein-Lahn-Kreis gegeben. Das ist ungeachtet der gewerbe- und
baurechtlichen Beurteilung der Nutzung der von der Antragstellerin zum Zwecke der Prostitution
vermieteten Wohnungen der Fall. Sie kann sich nämlich einer Beihilfe zur Ausübung der verbotenen
Prostitution nach § 184d des Strafgesetzbuches strafbar machen. Das Risiko, zur Beschuldigten eines
Strafverfahrens zu werden, muss die Antragstellerin jedoch nicht auf sich nehmen.
Soweit der Antrag zulässig ist, ist er auch begründet.
Allerdings ist die Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einführungsgesetzes zum
Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469), zuletzt geändert durch Gesetz zur Bekämpfung von
Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160), – EGStGB ‑, mit
höherrangigem Recht vereinbar (BVerwG, Urteil vom 20. November 2003 ‑ BVerwG 4 C 6.02 ‑, NVwZ
2004, 743). Sie ist geltendes Recht. Nach ihr kann für das ganze Gebiet einer Gemeinde bis zu 50.000
Einwohnern durch Rechtsverordnung verboten werden, der Prostitution nachzugehen. Die Möglichkeit,
die Prostitution unter bestimmten Voraussetzungen gänzlich zu verbieten, ist durch das Gesetz zur
Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG ‑) vom 20. Dezember
2001 (BGBl. I S. 3983) nicht beseitigt worden; vielmehr wurde dem Vorschlag, Art. 297 EGStGB ersatzlos
zu streichen (BT-Drs. 14/4456, S. 3), nicht gefolgt. Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB stellt sich
unabhängig davon, ob hiermit Einschränkungen der Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG oder lediglich
Art. 2 Abs. 1 GG verbunden sind ‑ als eine von vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls getragene
Regelung dar. Als solche vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls nennt Art. 297 EGStGB den Schutz
der Jugend und des öffentlichen Anstandes. Beide sind legitime Gemeinwohlzwecke, die eine
verhältnismäßige Einschränkung der Berufsausübungs- bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit darstellen.
Dennoch ist das in § 1 Nr. 09 der Verordnung ausgesprochene Prostitutionsverbot für den Rhein-Lahn-
Kreis unwirksam. Die Entscheidung des Verordnungsgebers, im gesamten Landkreis die Prostitution zu
verbieten, ist wegen nicht ausreichender Sachverhaltsermittlung und einem Abwägungsdefizit ermes-
sensfehlerhaft.
Die Ermächtigung zum generellen Prostitutionsverbot für das Gebiet kleinerer Gemeinden bis zu 50.000
Einwohnern nach Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB geht typisierend davon aus, dass Art und Über-
schaubarkeit der dort vorhandenen Sozialstrukturen zu einer erhöhten sozialen Wahrnehmbarkeit der
Prostitution führen und damit stärker als in größeren Gemeinden Belange des Jugendschutzes und des
öffentlichen Anstandes beeinträchtigen können. Ein weiterer Grund, für kleinere Gemeinden ein flächen-
deckendes Prostitutionsverbot zu ermöglichen, besteht in der typischen Nutzungsstruktur der dort
vorhandenen Bebauung. Regelmäßig finden sich hier nur wenige und räumlich eng begrenzte Gebiete, in
denen die Prostitution mangels in der Umgebung vorherrschender Wohnnutzung ohne Gefahr für die
Jugend und den öffentlichen Anstand toleriert werden kann. Vor diesem Hintergrund führt die Ausweisung
von Sperrbezirken wegen des geringen Umfangs verbleibender Toleranzzonen leicht zu einem Verstoß
gegen das so genannte Kasernierungsverbot des Art. 297 Abs. 3 EGStGB (vgl. zum Ganzen OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Juli 2002 - 8 A 10692/02.OVG -, DÖV 2003, 36).
Die damit umrissene typisierende Betrachtungsweise trifft hinsichtlich der Sozialstruktur und der Art der
baulichen Nutzung grundsätzlich auch auf den Rhein-Lahn-Kreis zu. Dessen Gebiet ist stark ländlich
geprägt und durch kleinere Gemeinden gekennzeichnet. Damit sind aber die gesetzlichen Anforderungen
an ein flächendeckendes Prostitutionsverbot nicht abschließend erfüllt; der Verordnungsgeber ist
insbesondere nicht von weiteren Ermessenserwägungen entbunden. Er hat dabei auf der Grundlage
einer ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung in den von den beabsichtigten Prostitutionsverboten be-
troffenen Kommunen auch in den Blick zu nehmen, dass sich die gesellschaftlichen Anschauungen und
rechtlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Prostitution in der Bundesrepublik Deutschland
erheblich gewandelt haben. Dies macht insbesondere das Prostitutionsgesetz deutlich. Zwar ist dieses
Gesetz seinem wesentlichen Inhalt nach darauf gerichtet, die Benachteiligung von Prostituierten im zivil-
und sozialrechtlichen Bereich zu beseitigen. Es bringt aber unmissverständlich zum Ausdruck, dass die
Bewertung der Prostitution als gemeinschaftsschädlich nicht mehr der heutigen Zeit entspricht und von
weiten Teilen der Bevölkerung nicht geteilt wird. In einer dimap-Umfrage aus dem Jahr 1999 sprachen
sich 68 % der Befragten dafür aus, die Prostitution rechtlich anzuerkennen (vgl. hierzu BT-Drs. 14/5958, S.
4). Zudem ist die Prostitution, das heißt die gewerbsmäßige Ausübung sexueller Handlungen, in der
Bundesrepublik Deutschland eine rechtlich zulässige Tätigkeit. Das ist beim Erlass von
Prostitutionsverboten vom Verordnungsgeber zu berücksichtigen. Er hat deshalb insbesondere auch die
Rechtspositionen der betroffenen Prostituierten sowie derjenigen, die legal im Umfeld der Prostitution,
zum Beispiel als Vermieter von Räumlichkeiten, tätig werden, im Rahmen seiner Ermessensentscheidung
nach Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB in die Abwägung einzubeziehen. Daran fehlt es hier.
Selbst wenn sich die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion die örtliche Überprüfung der tatbestandlichen
Voraussetzungen des Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB durch die Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-
Kreises zu eigen gemacht haben sollte, durfte sie es hiermit nicht bewenden lassen. Insoweit ist ihr
zunächst entgegen zu halten, dass sie die ihr seitens der Kreisverwaltung per E-Mail vom 29. März 2005
übermittelte Bitte, „den Rhein-Lahn-Kreis in § 1 der Rechtsverordnung als Landkreis mit
flächendeckendem Prostitutionsverbot aufzunehmen“ (Bl. 119 der Normsetzungsvorgänge), als
abschließend betrachtet und ohne weitere eigene Prüfung in die Verordnung übernommen hat. Hierfür
spricht das Schreiben der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vom 4. März 2005 (Bl. 47 der
Normsetzungsvorgänge). Darin ist unter anderem ausgeführt, dass die Frage, wo und in welchem Umfang
die Prostitution verboten werden solle, durch die erhaltenen Behördeneingaben als geklärt gelte; es solle
lediglich darauf geachtet werden, ob der neue Verordnungstext die ausgesprochenen Begehren
vollständig beinhalte und den angegebenen Wünschen entspreche. Überdies fällt in diesem
Zusammenhang auf, dass trotz der gewandelten gesellschaftlichen und rechtlichen Bewertung der
Prostitution eine im Vergleich zur bisherigen Rechtslage erhebliche Ausweitung der Prostitutionsverbote
in Rheinland-Pfalz stattgefunden hat. Das ist geeignet, gerade in Bezug auf den Rhein-Lahn-Kreis, der
zuvor noch nicht von einem Prostitutionsverbot erfasst war, zusätzliche Zweifel an einer vollständigen
Prüfung der Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 297 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGStGB
durch die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion zu begründen. Die äußerst knappe Mitteilung der
Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises enthielt keine Begründung für die Einführung des
Prostitutionsverbotes. Hinzu kommt, dass die Kreisverwaltungen anderer Landkreise mit vergleichbaren
ländlichen Strukturen (zum Beispiel der Landkreis Altenkirchen und der Rhein-Hunsrück-Kreis) keinen
Bedarf für Prostitutionsverbote angemeldet hatten. Unter diesen Umständen hätte sich der Aufsichts- und
Dienstleistungsdirektion die Notwendigkeit gezielter Nachfragen sowie einer weiteren
Sachverhaltsermittlung aufdrängen müssen.
Darüber hinaus lassen sich den Normsetzungsvorgängen in Bezug auf das für den Rhein-Lahn-Kreis
flächendeckend angeordnete Prostitutionsverbot keinerlei Anhaltspunkte für eine Abwägung der
gegenseitigen Rechtspositionen entnehmen. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion hat nicht
berücksichtigt, dass der Rhein-Lahn-Kreis bisher im Unterschied zu anderen Kommunen im ehemaligen
Regierungsbezirk Koblenz von keinem Prostitutionsverbot erfasst war. Im Rhein-Lahn-Kreis waren und
sind aber Einrichtungen vorhanden, in denen der Prostitution nachgegangen wird. Die dort erzielten
Einnahmen stellen regelmäßig die wirtschaftliche Grundlage sowohl für die Prostituierten selbst als auch
für solche Personen dar, die - etwa durch die Vermietung von Wohnungen - legal in deren Umfeld tätig
werden. Dass es zu nennenswerten Beeinträchtigungen des Jugendschutzes und des öffentlichen
Anstandes gekommen wäre, ist demgegenüber nicht ersichtlich. Solche lassen sich auch den im
Normenkontrollverfahren eingereichten Stellungnahmen der Verbandsgemeindeverwaltung Diez vom
7. September 2005 (Bl. 53 f. der Gerichtsakte) sowie der Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises vom
8. September 2005 (Bl. 55 f. der Gerichtsakte) nicht entnehmen. Vor diesem Hintergrund und mit Rücksicht
auf die erheblich gewandelte gesellschaftliche und rechtliche Bewertung der Prostitution hätte es
zumindest nahe gelegen, eine Regelung in die Verordnung aufzunehmen, die den berechtigten
Interessen solcher Personen Rechnung trägt, die bislang im Rhein-Lahn-Kreis der Prostitution nach-
gegangen sind. Eine solche wie auch immer ausgestaltete Übergangsvorschrift hat die Aufsichts- und
Dienstleistungsdirektion zu keiner Zeit erwogen, was sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
bestätigt hat. Dies belegt nachdrücklich, dass die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion als
Verordnungsgeber insoweit keine eigenständige Prüfung der Voraussetzungen des Art. 297 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 EGStGB mehr vorgenommen hat. Demgegenüber kann sie sich nicht darauf berufen, die
Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises habe sie nicht über vorhandene Einrichtungen, in denen der
Prostitution nachgegangen werde, unterrichtet. Eine unzureichende Information muss sich die Aufsichts-
und Dienstleistungsdirektion zurechnen lassen. Zudem hätte sich bei dieser Sachlage die Frage auf-
drängen müssen, ob die Regelung eines Prostitutionsverbotes überhaupt erforderlich ist.
Schließlich hat die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vor Erlass des flächendeckenden
Prostitutionsverbotes im Rhein-Lahn-Kreis keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen. Sie hat
nicht erwogen, ob gegenüber dem ausnahmslosen Verbot der Prostitution eine weniger einschneidende
Regelung in Betracht gekommen wäre. Eine solche ist grundsätzlich sowohl hinsichtlich des räumlichen
Umfangs als auch der Art der Prostitution möglich. In diesem Sinne sind in der Verordnung für andere
Bereiche des Landes Rheinland-Pfalz differenzierte Regelungen getroffen. Solche waren auch hier
möglicherweise angezeigt. Das macht gerade der vorliegende Fall deutlich. Die Antragstellerin vermietet
in Diez Wohnungen an Prostituierte. Sie ist bereits mehrere Jahre in dieser Weise tätig. Zu
Beeinträchtigungen der durch Art. 297 Abs. 1 Nr. 1 EGStGB geschützten Rechtsgüter ist es nicht
gekommen. Weder die ehemalige Bezirksregierung Koblenz noch die Aufsichts- und
Dienstleistungsdirektion hatte bisher Handlungsbedarf gesehen. Das Gebiet der Stadt Diez geht fast
nahtlos in die in Hessen gelegene Stadt Limburg mit rund 36.000 Einwohnern über, wo kein Prostitutions-
verbot besteht. Zudem liegt Diez wie andere Gemeinden vergleichbarer Größe und Struktur, in denen
keine Prostitutionsverbote gelten, unmittelbar an einer Bundesautobahn. Von einem typisch
kleinstädtischen Gepräge ist deshalb nicht ohne weiteres auszugehen. Zudem ist es der Aufsichts- und
Dienstleistungsdirektion unbenommen, bestimmten Arten der Prostitution, etwa der Straßen- und
Wohnmobilprostitution, mit hierauf gerichteten Verboten zu begegnen.
Da das hilfsweise beantragte Begehren bereits im Hauptantrag enthalten ist und Erfolg hat, bedurfte es
hierüber keiner Entscheidung mehr.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann durch
Beschwerde
werden.
Die Beschwerde ist
innerhalb eines Monats
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
gbk.ovg@ovg.jm.rlp.de, schriftlich oder in elektronischer Form einzulegen. Sie muss das angefochtene
Urteil bezeichnen.
Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten
Begründung ist ebenfalls bei dem
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
elektronischer Form einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen
Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil
abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, bezeichnet werden.
Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die den Maßgaben der
Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 22.
Dezember 2003 (GVBl. 2004, S. 36) i.d.F. der Landesverordnung vom 7. Dezember 2004 (GVBl. 2004, S.
542) entspricht und als Anhang einer elektronischen Nachricht (E‑Mail) zu übermitteln ist.
Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder einen
Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung
zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten erfolgen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und
Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie
Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit
Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen
Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
R´inVG Bröcheler-Liell kann wegen Ortsabwesenheit nicht unterschreiben.
gez. Wünsch gez. Geis gez. Wünsch
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 35.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG).
R´inVG Bröcheler-Liell kann wegen Ortsabwesenheit nicht unterschreiben.
gez. Wünsch gez. Geis gez. Wünsch