Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 29.08.2002

OVG Koblenz: europäisches gemeinschaftsrecht, schlachttier, gebühr, ausführung, rechtsgrundlage, vollzug, mitgliedstaat, eugh, hausfrau, kostendeckung

Gebührenrecht
OVG
Koblenz
29.08.2002
12 A 10773/02.OVG
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Fleischbeschaugebühren
hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 29. August 2002, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Mildner
Richter am Oberverwaltungsgericht Geis
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Vögler
ehrenamtliche Richterin Hotel-Betriebswirtin Bocklet
für Recht erkannt:
Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11.
Februar 2002 – 5 K 405/01.NW – wird der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses bei der
Kreisverwaltung S. vom 12. Dezember 2000 insoweit aufgehoben, als dieser den Gebührenbescheid
der Kreisverwaltung S. vom 1. April 1999 – VIII-82/175/26/N1 – über die festgesetzten
Gebühren für die Trichinenuntersuchung (2.347,80 DM) hinaus aufgehoben hat.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben der Kläger 1/5 und der Beklagte 4/5 zu tragen. Ferner trägt der
Kläger 1/5 der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für das Berufungsverfahren. Im Übrigen hat
die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten
vom 12. September 2000, mit dem der Gebührenbescheid der Kreisverwaltung des Landkreises S. vom
1. April 1999 aufgehoben wurde. In diesem Gebührenbescheid wurden nachträglich aufgrund im Jahre
1999 in Kraft getretener landesrechtlicher Vorschriften Gebühren für die Schlachttier- und Fleisch-
untersuchung (10.721,11 DM) sowie die Trichinenuntersuchung (2.347,80 DM) im Monat November 1995
in Höhe von 19.293,84 DM festgesetzt. Hierauf wurden bereits geleistete Zahlungen in Höhe von
6.224,93 DM angerechnet, so dass noch 13.068,91 DM gefordert wurden. Gleichzeitig wurde ein früherer
Gebührenbescheid vom 18. Dezember 1995, der rechtskräftig insoweit aufgehoben worden war, als die
Gebührensumme den Betrag der so genannten EG-Pauschalgebühren nach der Richtlinie 85/73/EWG in
der Fassung der Richtlinie 93/118/EG überstiegen hatte (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an
der Weinstraße vom 11. Februar 1998 – 3 K 1955/97.NW ‑), insgesamt aufgehoben.
Auf den Widerspruch der Beigeladenen hob der Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Bescheid vom
1. April 1999 durch Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2000 auf. Zur Begründung seiner Entschei-
dung führte der Kreisrechtsausschuss im Wesentlichen aus, dass der angefochtene Gebührenbescheid
gegen die Vorschrift des § 7 Satz 2 des Landesgesetzes zur Ausführung fleisch- und
geflügelfleischhygienerechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 1998 - AGFlHG - verstoße. Danach
blieben bestandskräftige Gebührenbescheide wirksam. Für eine Nacherhebung sei kein Raum. Der
ursprüngliche Bescheid vom 18. Dezember 1995 sei mit dem Inhalt bestandskräftig geworden , dass
(lediglich) Gebühren in Höhe von 6.224,63 DM (EG-Pauschalgebühren) geschuldet würden.
Mit seiner hiergegen gerichteten Aufsichtsklage hat der Kläger geltend gemacht, dass der Schutz der
Vorschrift des § 7 AGFlHG nicht eingreife. Der Gesetzgeber habe bewusst unterschieden zwischen
Gebührenbescheiden auf der Grundlage der früheren landes- oder satzungsrechtlichen Vorschriften und
solchen auf der Basis der Richtlinie 85/73/EWG. Die Bestandskraft letzterer Bescheide stehe einer
Nacherhebung nicht entgegen. Es sei Sinn der Neufassung des AGFlHG gewesen, diejenigen
Gebührenschuldner, die ab dem Jahre 1977 nur zu den EG-Pauschalgebühren veranlagt worden seien,
durch die neuen Vorschriften rückwirkend nachveranlagen zu können. Zudem sage die Bestandskraft der
ursprünglichen Bescheide nichts darüber aus, ob später zusätzliche Gebühren erhoben werden könnten.
Der Kläger hat beantragt,
den Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses bei dem Landkreis S. vom 12. Dezember 2000
aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
zu entscheiden wie rechtens.
Die Beigeladene, die in erster Instanz keinen Antrag gestellt hat, hält die Bestimmung des § 7 Satz 2
AGFlHG für eindeutig; die Bestandskraft stehe einer Nacherhebung entgegen. Darüber hinaus verstoße
die Nacherhebung der Gebühren gegen das gemeinschaftsrechtliche und grundgesetzliche
Rückwirkungsverbot.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 11. Februar 2002 abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass § 7 AGFlHG auf alle Gebührenbescheide Anwendung
finde. Für die von dem Kläger vertretene Unterscheidung lasse sich dem Gesetz nichts entnehmen. § 7
Satz 2 AGFlHG könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass die früheren bestandskräftigen
Bescheide zwar wirksam blieben, jedoch eine weitere, zusätzliche Gebühr durch neue
Gebührenbescheide aufgrund der neuen Landesvorschriften gefordert werde.
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unter Wiederholung und
Vertiefung seiner Rechtsauffassung erster Instanz weiter.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11. Februar 2002
- 5 K 405/01.NW -, den Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses bei der Kreisverwaltung S.
vom 12. Dezember 2000 - KRA-Nr. 201/99 - aufzuheben.
Der Beklagte, der auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides verweist, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und vertieft ihren bisherigen Vortrag. Insbesondere sei
darauf hinzuweisen, dass die europarechtlichen Vorschriften in der Bundesrepublik Deutschland nicht
ordnungsgemäß umgesetzt worden seien. Deshalb handele es sich auch bei diesen um „Geltung
beanspruchende gebührenrechtliche Regelungen“ im Sinne des § 7 Satz 1 AGFlHG.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses ist dem Verfahren beigetreten. Er hält die Rechtsauffassung des
Klägers für zutreffend.
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Schriftsätzen der Beteiligten,
den weiteren zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen sowie den Verfahrensakten des
Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße 3 K 1955/97.NW/12 A 10799/98.OVG und
3 L 1787/99.NW. Sie waren sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist zum überwiegenden Teil begründet; im Übrigen war sie zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hätte der Aufsichtsklage gemäß § 17 AGVwGO insoweit stattgeben müssen, als
der Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Bescheid vom 1. April 1999 hinsichtlich der Gebühren für
die Schlachttier- und Fleischuntersuchung aufgehoben hat (1.). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die
Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, da eine gesonderte Gebühr für die Trichinenuntersuchung mit
Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist und daher von der Beigeladenen nicht hätte erhoben werden dürfen
(2.).
1. Die mit Bescheid vom 1. April 1999 vorgenommene weitere Erhebung von Gebühren für die Fleisch-
und Schlachttieruntersuchung, die ihre Rechtsgrundlage in der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 3 der
Landesverordnung über die Gebühren und Auslagen für die Untersuchungen und Hygienekontrollen
nach fleisch- und geflügelfleischhygienerechtlichen Vorschriften vom 17. Februar 1999 (GVBl S. 32) –
LVO – (i.V.m. dem in der Anlage enthaltenen Gebührenverzeichnis) findet, die wiederum auf § 2 des
Landesgesetzes zur Ausführung fleisch- und fleischhygienerechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember
1998 (GVBl S. 422) – AGFlHG – beruht, ist auch mit Blick auf das rückwirkende In-Kraft-Treten gemäß § 10
AGFlHG, § 3 LVO nicht zu beanstanden. Die nachträgliche Gebührenfestsetzung verstößt weder gegen
Landesrecht noch gegen Bundes(verfassungs)recht. Sie ist auch mit Gemeinschaftsrecht vereinbar.
a ) Landesrecht steht der vorliegend in Rede stehenden nachträglichen Gebührenfestsetzung nicht
entgegen. Insbesondere greift zugunsten der Beigeladenen nicht die Schutzwirkung des § 7 AGFlHG ein.
Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erfasst den vorliegenden Fall nicht. Zwar ist in § 7 Satz 1
AGFlHG u.a. für noch nicht bestandskräftige Gebührenbescheide eine Kostendeckelung bei der Neufest-
setzung von Gebühren bestimmt. Diese dürfen nicht höher sein, als dies "eine Berechnung nach den
bisher im Zeitpunkt der Vornahme der Amtshandlung für den Vollzug fleisch- und
geflügelfleischhygienerechtlicher Vorschriften jeweils Geltung beanspruchenden gebührenrechtlichen
Regelungen ergeben würde“. Darüber hinaus regelt Satz 2, dass bestandskräftige Gebührenbescheide
wirksam bleiben. Dies gilt aber nicht für solche Bescheide, die auf der Grundlage der Richtlinie
85/73/EWG ergangen sind und nur Abgaben in Höhe der dort vorgesehenen EG-Pauschalgebühren
festsetzen bzw. in dieser Höhe – wie hier – bestandskräftig geworden sind. Das ergibt die Auslegung des
§ 7 AGFlHG nach dem insofern maßgebenden objektivierten Willen des Gesetzgebers, so wie er sich aus
dem Wortlaut und Sinnzusammenhang der Vorschrift ergibt und durch deren Entstehungsgeschichte
bestätigt wird. Danach ist davon auszugehen, dass die Schutzwirkung des § 7 AGFlHG nur auf solche
Fälle Anwendung findet, in denen Gebühren für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung auf der
Grundlage des durch das AGFlHG aufgehobenen Landesrechts und des Satzungsrechts der kreisfreien
und großen kreisangehörigen Städte gezahlt worden sind. Nur für solche Gebührenbescheide macht die
Kostendeckelung in § 7 Satz 1 AGFlHG Sinn. Nur die damit angeforderten Abgaben überstiegen die Höhe
der in der einschlägigen Richtlinie vorgesehenen EG-Pauschalgebühren. Dafür spricht auch die Gesetz-
gebungsgeschichte des Landesgesetzes zur Ausführung fleisch- und fleischhygienerechtlicher Vor-
schriften vom 17. Dezember 1998. Das Gesetzgebungsvorhaben diente ausschließlich dazu, rückwirkend
die Rechtsgrundlage für die Erhebung kostendeckender, d.h. über die EG-Pauschalgebühren
hinausgehender Gebühren, zu schaffen (vgl. LT-Drs. 13/3548, S. 1, sowie LT-Drs. 13/3557, S. 7). Insoweit
hatte nämlich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. August 1996 ( ‑ BVerwG 3 C 7.95 –,
BVerwGE 102, 39) ausgesprochen, dass es über § 24 Abs. 2 Satz 2 FlHG hinaus einer landesrechtlichen
rechtssatzmäßigen Festlegung bedürfe, ob von den gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Beträgen für
rechtssatzmäßigen Festlegung bedürfe, ob von den gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Beträgen für
Leistungen im Rahmen der Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie der Hygienekontrolle
abgewichen werden solle und ob die gemeinschaftsrechtlich fixierten Voraussetzungen für eine derartige
Abweichung gegeben seien. In Rheinland-Pfalz enthielten bis dahin weder die Gebührenregelungen des
Landes noch das Satzungsrecht der kreisfreien und kreisangehörigen Städte mit öffentlichen Schlacht-
häusern einer der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genügende Regelung oder
Ermächtigung, um über die EG-Pauschalgebühren hinausgehende Gebühren erheben zu können.
Daraus folgt, dass der Landesgesetzgeber nur diejenigen Gebührenschuldner als schutzbedürftig
angesehen hat, die nach dem früheren, als ungültig anzusehenden Recht Gebühren entrichtet hatten,
nicht jedoch solche, die bislang lediglich zur Zahlung von Gebühren in Höhe der EG-Pauschalbeträge
verpflichtet waren. Insoweit versteht der Gesetzgeber unter den "jeweils Geltung beanspruchenden
gebührenrechtlichen Regelungen" im Sinne des § 7 Satz 1 AGFlHG keineswegs diejenigen der Richtlinie
85/73/EWG. Die Wirksamkeit dieser Richtlinie stand zu keinem Zeitpunkt in Frage. Vielmehr hat er in der
Gesetzesbegründung zu § 7 AGFlHG den Begriff der „Geltung beanspruchenden gebührenrechtlichen
Regelungen“ ausdrücklich als solche des Landes- und des Satzungsrechts der kreisfreien oder
kreisangehörigen Städte mit öffentlichen Schlachthäusern konkretisiert (vgl. LT-Drs. 13/3757, S. 11).
§ 7 Satz 2 AGFlHG ändert an dieser Auslegung nichts. Diese Bestimmung ist nicht für sich, sondern im
Zusammenhang mit Satz 1 zu sehen. Sie enthält damit lediglich eine Klarstellung für die bereits
bestandskräftig gewordenen Bescheide, mit denen die Kostenträger auf Grundlage von Landes- oder
Satzungsrecht über die EG-Pauschalbeträge hinausgehende Gebühren erhoben hatten und die nicht von
den jeweiligen Gebührenschuldnern angefochten wurden. Allein dieser wird dem oben näher
beschriebenen Regelungszweck des Gesetzgebers gerecht.
b) Die landesrechtlichen Regelungen zur Gebührenerhebung durften sich unter den vorliegenden
Umständen nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts Rückwirkung beimessen (vgl. nur Urteil
des Zweiten Senats vom 19. Dezember 1961 ‑ 2 BvL 6/59 ‑, BVerfGE 13, 261 <271> sowie Beschluss des
Zweiten Senats vom 3. Dezember 1997 –2 BvR 882/97 ‑, BVerfGE 97, 67 <78>); ein Verstoß gegen das
Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG liegt nicht vor. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom
18. Oktober 2001 – 12 A 10850/01.OVG – ausgeführt. Selbst wenn man hier von den strengen
Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer so genannten echten Rückwirkung ausgeht (im Zeitpunkt des
Erlasses der LVO war der Gebührentatbestand bereits erfüllt), war der Normgeber befugt, die
insbesondere wegen der Verflechtung des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht unklar
gewordene Rechtslage zu bereinigen. Bei Personen und Betrieben, die Schlachttier- und
Fleischuntersuchungen oder Hygienekontrollmaßnahmen veranlassten oder durch sie begünstigt wurden,
konnte sich ein schutzwürdiges Vertrauen nicht bilden. So war den betroffenen Personenkreisen – auch
ohne entsprechende Vorbehalte auf den ergangenen Gebührenbescheiden ‑ bewusst, dass die beim
Vollzug der fleischhygienerechtlichen Vorschriften im Rahmen der Schlachttier- und
Fleischuntersuchungen sowie der Hygienekontrollmaßnahmen vorzunehmenden Amtshandlungen nicht
kostendeckend erbracht werden konnten. Schließlich enthielt die ursprüngliche Richtlinie 85/73/EWG
bereits ein gemeinschaftsrechtlich fixiertes Kostendeckungsgebot und ein damit einhergehendes
Subventionsverbot. Ebenso war aufgrund vielfältiger Kontakte zu den Kostenträgern bekannt, dass in
Rheinland-Pfalz bei der Erhebung der gemeinschaftsrechtlich festgelegten durchschnittlichen
Pauschalbeträge und Gemeinschaftsgebühren keine Kostendeckung erreicht werden konnte. Von daher
erschloss sich, dass die Kostenträger von der gemeinschaftsrechtlich eingeräumten Befugnis Gebrauch
machen würden, Gebühren auf den Stand der tatsächlich entstehenden Kosten anzuheben.
Dass der ursprüngliche Gebührenbescheid vom 18. Dezember 1995 in der über die EG-
Pauschalgebühren hinausgehenden Höhe rechtskräftig aufgehoben wurde, ändert an dieser Bewertung
nichts. Die Beigeladene musste auch insoweit davon ausgehen, dass die Kostenträger eine
kostendeckende Gebührenerhebung nach wie vor anstrebten und sich dies durch eine landesrechtliche
Ermächtigungsgrundlage auch ohne weiteres in die Tat umsetzen lassen würde.
c) Schließlich steht auch Gemeinschaftsrecht einer Rückwirkung nicht entgegen. Insoweit gelten
dieselben Grundsätze wie im nationalen Recht. Eine Rückwirkung ist danach statthaft, wenn ein
berechtigtes Vertrauen der Betroffenen ‑ wie hier - nicht schutzwürdig ist (vgl. die sog. Racke-Formel des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Urteil vom 25. Januar 1979, Slg. 1979, 86 Tz. 20).
Daran ändert auch die verspätete (ordnungsgemäße) Umsetzung des Art. 4 Abs. 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie 96/43/EG durch die Bundesrepublik Deutschland nichts. Europäisches Gemeinschaftsrecht
gebietet insofern lediglich, dass ein Mitgliedstaat bei rückwirkender Inkraftsetzung von
Durchführungsmaßnahmen alle Rechte aus der Richtlinie beachtet, die für den einzelnen mit dem Ablauf
der Umsetzungsfrist entstanden sind (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 8. März 1988, Rs. 80/87
Demirci>, Slg. I 1988, 1601). Vor dem Hintergrund, dass es den Mitgliedstaaten ausdrücklich gestattet ist,
Gebühren zu erheben, die an die tatsächlichen Kosten anknüpfen, sind Rechte der Beigeladenen aus der
Richtlinie 85/73/EWG in Verbindung mit der Richtlinie 96/43/EG hier jedoch nicht verletzt. In diesem Sinne
hat auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 9. September 1999 (Rs.
C-374/97 ) festgestellt, dass sich ein Einzelner im Falle der nicht fristgemäßen Umsetzung einer
Richtlinie (einschlägig war die Richtlinie 85/73/EWG) der Erhebung von höheren Gebühren als den
festgesetzten Pauschalbeträgen nicht widersetzen kann, sofern diese Gebühren die tatsächlich
entstandenen Kosten nicht übersteigen. Die demgegenüber von der Beigeladenen unter Hinweis auf
Zuleeg (Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich,
Köln/Berlin/Bonn/München, 1969) vertretene Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Insoweit
berücksichtigt die Beigeladene nicht, dass in der hier einschlägigen Richtlinie die Möglichkeit der
kostendeckenden Gebührenerhebung bereits vorgesehen war. Ein Anreiz zu einem Verstoß gegen ein
gemeinschaftsrechtliches Gebot im Vertrauen auf eine spätere Rechtfertigung konnte daher nicht
entstehen. Vor diesem Hintergrund war auch der Anregung der Beigeladenen in der mündlichen
Verhandlung nicht weiter nachzugehen, ein Vorabentscheidungsverfahren bei dem Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften einzuleiten (vgl. bereits Urteil des Senats vom 20. September 2001 – 12 A
10808/01.OVG; bestätigt durch Beschluss des BVerwG vom 31. Juli 2002 – BVerwG 3 B 145.01 -).
2. Im Ergebnis zu Recht hat der Kreisrechtsausschuss dem Widerspruch aber insoweit stattgegeben,
als mit dem von der Beigeladenen angefochtenen Bescheid auch Gebühren für die Untersuchung auf
Trichinen angefordert worden sind. Hierfür mangelte es an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die in der
LVO vorgesehenen spezifischen Gebühren für die Untersuchung auf Trichinen sind mit
Gemeinschaftsrecht unvereinbar. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft durch Urteil
vom 30. Mai 2002 in den Rechtssachen C – 284/00 und C – 288/00 – „Stratmann“ – entschieden. Der
Europäische Gerichtshof ist für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts der gesetzliche Richter im Sinne
des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 -); seine
Entscheidung ist deshalb für den Senat maßgeblich und verbindlich.
Der Europäische Gerichtshof hat ausgesprochen, dass jede von einem Mitgliedsstaat beschlossene
Erhöhung den Pauschalbetrag der Gemeinschaftsgebühr selbst betreffen und als dessen Anhebung
erfolgen muss und dass eine spezifische über die Gemeinschaftsgebühren hinausgehende Gebühr
sämtliche tatsächlich entstandene Kosten abdecken muss (aaO, Teilziffer 56). Weiter hat der Europäische
Gerichtshof ausgeführt, dass zu den durch eine solche erhöhte Gebühr zu deckenden Kosten auch die
Aufwendungen für die Trichinenschau gehören.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Kostenquote entspricht dem Unterliegen des
Klägers in Bezug auf die Gebühren für die Trichinenuntersuchung. Der nach § 162 Abs. 3 VwGO
maßgebenden Billigkeit entspricht es, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im
Berufungsverfahren dem Kläger aufzuerlegen. Insoweit hat die Beigeladene durch ihre Antragstellung –
anders als im Verfahren erster Instanz – ein eigenes Kostenrisiko übernommen.
Die Vollstreckbarkeitsentscheidung ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Wünsch gez. Dr. Mildner gez. Geis
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird – wie bei Aufsichtsklagen üblich – auf
4.000,-- € festgesetzt (§§ 13, 14 GKG).
gez. Wünsch gez. Dr. Mildner gez. Geis