Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 10.02.2010

OVG Koblenz: öffentliche sicherheit, aufrechterhaltung der ordnung, auflage, wahrscheinlichkeit, leiter, soziale gerechtigkeit, aufzug, erlass, verfügung, polizeigewalt

OVG
Koblenz
10.02.2010
7 A 11095/09.OVG
Versammlungsrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
…,
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Martin Heiming, Handschuhsheimer Landstraße 41, 69121
Heidelberg,
gegen
die Stadt Neustadt an der Weinstraße, vertreten durch den Oberbürgermeister, Marktplatz 1, 67433
Neustadt an der Weinstraße,
- Beklagte und Berufungsklägerin -
wegen Versammlungsrechts
hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 10. Februar 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Stahnecker
Richter am Verwaltungsgericht Schnug
ehrenamtlicher Richter Kaufmann Geiger
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Hagedorn
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom
19. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht
die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Auflage zum Einsatz von
Ordnern.
Die Klägerin meldete bei der Beklagten für den 31. Mai 2008 eine Demonstration durch die Innenstadt von
Neustadt an der Weinstraße unter dem Motto "Gegen Polizeigewalt und Willkür! Don't hide - Gegen jede
Repression!" an, für die sie etwa 200 Teilnehmer erwartete.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2008 verfügte die Beklagte mehrere Beschränkungen hinsichtlich Ort, Zeit
sowie Art und Weise der Durchführung der Versammlung. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein
noch die Auflage Nr. 2. Darin wurde die Klägerin verpflichtet, "zur Erfüllung der Pflichten gem. § 18 Abs. 2
VersG" je 25 Kundgebungsteilnehmer einen Ordner - mindestens aber 6 Ordner - zur Aufrechterhaltung
der Ordnung zu bestellen (Nr. 2.1). Die Ordner hatten sich ferner am Veranstaltungstag um 10:00 Uhr
beim Einsatzleiter der Polizei vor Ort zu melden (Nr. 2.2) und gegenüber der Polizei mit Personalausweis
oder Reisepass auszuweisen (Nr. 2.3).
Die Beklagte begründete den Erlass aller für sofort vollziehbar erklärten Beschränkungen damit, dass sie
erforderlich seien, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, insbesondere die
Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, Leben, Körper und Gesundheit der Teilnehmer und Passanten,
Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, zur Verhinderung von Ausschreitungen und
Sachbeschädigungen.
Nachdem die Klägerin am 30. Mai 2008 gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt hat, wurde die
Demonstration unter Einhaltung der Auflagen am 31. Mai 2008 durchgeführt.
Mit ihrer auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Auflagenbescheides gerichteten Klage hat die Klägerin
geltend gemacht, bei weiteren Übergriffen der Polizei werde sie in Neustadt wieder eine Versammlung
anmelden. Die Beklagte habe für die Prognose einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung, die für den Erlass von Auflagen erforderlich sei, keine hinreichenden Tatsachen dargelegt.
Die Beklagte hat mit der Klageerwiderung vorgetragen: Die von der Klägerin angemeldete Demonstration
müsse im Kontext gesehen werden mit den Ereignissen rund um die vorausgegangene Demonstration
der dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnenden "Bürgerinitiative für soziale Gerechtigkeit" am 1. Mai
2008 ebenfalls in Neustadt. Damals hätten autonome Antifa-Gruppen zu unangemeldeten
Gegendemonstrationen sowie zu gezielten Aktionen gegen den Aufzug von rechts und gegen das
Personal von Polizei und Stadtverwaltung aufgerufen. Der dabei angeschlagene aggressive Ton habe
Gewaltbereitschaft erkennen lassen. Dazu sei propagiert worden, die Stadt Neustadt und die Polizei
stünden auf der Seite der Nazis. Bereits im Vorfeld der Demonstration seien Sachbeschädigungen durch
Sprühen von Parolen erfolgt. Während der Demonstration seien Barrikaden errichtet und in Brand gesetzt,
Pflastersteine aus dem Straßenbelag ausgegraben, Steine und andere Gegenstände auf
Demonstrationsteilnehmer und Gebäude geworfen sowie Polizeibeamte angegriffen worden. 12
Polizeibeamte seien trotz Schutzausrüstung verletzt worden. Scheiben seien an verschiedenen Stellen
der Innenstadt eingeworfen bzw. schwer beschädigt worden.
Die von der Klägerin angemeldete Versammlung stehe mit der Demonstration am 1. Mai 2008 im
Zusammenhang. Denn das Ziel der angemeldeten Versammlung sei der Protest gegen die angeblich
willkürlichen Übergriffe der Polizei am 1. Mai 2008 gewesen. Sie - die Beklagte - habe befürchten müssen,
dass der gleiche linksautonome Personenkreis wie am 1. Mai 2008 erneut anreise. Auf den einschlägigen
Internetseiten sei hierzu auch gezielt aufgerufen worden. Durch die thematische Verbindung mit der
Demonstration am 1. Mai 2008 habe angesichts der damals gemachten Erfahrungen mit gewaltbereiten
Linken angenommen werden müssen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen und einer Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommen werde.
Dies besonders auch im Hinblick darauf, dass die oben genannte "Bürgerinitiative" und andere rechte
Gruppen sich für die am 1. Mai 2008 erlittene "Schmach" an der Antifa durch gewalttätige
Gegendemonstrationen "rächen" würden.
Aufgrund der erwarteten großen Anzahl von Demonstrationsteilnehmern und im Hinblick auf die oben
geschilderten Ereignisse sowie für den Fall, dass sich auch nur vereinzelt gewaltbereite Personen unter
den Demonstrationsteilnehmern befunden hätten, sei absehbar gewesen, dass die Versammlungsleitung
ihre Ordnungsaufgabe ohne eine angemessene Anzahl von Ordnern im Ernstfall nicht würde erfüllen
können. Aus diesen Gründen sei es erforderlich gewesen, den Veranstalter zur Stellung von Ordnern zu
verpflichten, um den oben beschriebenen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bereits im
Vorfeld zu begegnen und die Gefahr soweit wie möglich zu minimieren, wobei auch die deeskalierende
Wirkung eigener Anweisungen der Versammlungsleitung berücksichtigt worden sei. Dass sich ein
eingesetzter Ordner ausweisen müsse, ergebe sich aus dem Gesetz. Die Aussage der Klägerin, dass sich
in dem Fall niemand finden würde, um sich als Ordner zur Verfügung zu stellen, sei als weiteres Indiz
dafür zu sehen, dass an der Versammlung gewaltbereite und bereits einschlägig in Erscheinung
getretene Personen teilnehmen und sich nicht zu erkennen geben wollten.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 19. Mai 2009 festgestellt, dass die Auflage Nr. 2 sowie zwei
weitere Auflagen in dem Bescheid vom 29. Mai 2008 rechtswidrig gewesen sind. Im Übrigen hat es die
Klage abgewiesen. Hinsichtlich der in Nr. 2 der Auflagen angeordneten Verpflichtung zum Einsatz von
Ordnern hat es im Wesentlichen ausgeführt, diese Auflagenentscheidung sei nicht zur konkreten
Gefahrenabwehr getroffen worden. Auch wenn die Annahme gerechtfertigt sei, dass gewaltbereite
linksautonome Gruppierungen am 31. Mai 2008 anlässlich der von der Klägerin veranstalteten
Versammlung Sach- und Personenschäden anrichten könnten, sei es nicht Aufgabe der
Versammlungsleitung bzw. der Ordner, im Einzelfall bestehende allgemeine Gefahren für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die Befugnis hierzu stehe nur den allgemeinen
Ordnungsbehörden und der Polizei zu. Außerdem bestehe für die Feststellung der Identität von Ordnern
keine Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz.
Der Senat hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zugelassen, soweit darin festgestellt wird,
dass die Auflage Nr. 2 in dem Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2008 rechtswidrig gewesen ist.
Zur Berufungsbegründung trägt die Beklagte vor, Teilnehmer einer politisch linksextremen Versammlung -
wie hier - stünden dem Staat und seinen Ordnungskräften regelmäßig feindlich ablehnend gegenüber.
Von ihnen sei zudem ein gewalttätiger Versammlungsverlauf zu erwarten gewesen. Das lasse sich schon
aus dem gegen die Polizei gerichteten Versammlungsmotto ableiten. Es entspreche bundesweiter
polizeilicher Erkenntnis, dass solche politisch linksextremen Kundgebungen auch einen gewalttätigen
Verlauf nähmen. Mit der Verpflichtung zum Ordnereinsatz habe eher als ohne sie gewährleistet werden
können, dass behördliche bzw. polizeiliche Anordnungen zur Unterbindung von Gefahren für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung insbesondere wegen Gewalttätigkeiten während der Versammlung
umgesetzt würden.
Die Beklagte beantragt,
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 19. Mai
2009 die Klage gegen die Auflage Nr. 2 des Bescheides vom 29. Mai 2008 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, § 15 VersG ermächtige nicht zum Erlass einer Auflage, Ordner zu bestellen. § 9
VersG enthalte eine detaillierte Regelung über den Einsatz von Ordnern, nicht jedoch eine gesetzliche
Verpflichtung zu ihrem Einsatz. Eine solche dürfe nicht sozusagen durch die Hintertür des § 15 in das
Versammlungsgesetz hineingelesen werden. Außerdem sei die Auflage zum Einsatz von Ordnern
untauglich. Ordner hätten keine Möglichkeiten und Befugnisse, zur Gefahrenabwehr einzuschreiten. Die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sei allein Aufgabe der Polizei. Jedenfalls habe die Beklagte
keine ausreichende Begründung gegeben, weshalb mit gewalttätigen Aktionen zu rechnen gewesen sei.
Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten einschließlich des Beistands der Beklagten,
Polizeihauptkommissar W. von der Polizeidirektion Neustadt an der Weinstraße, in der mündlichen
Verhandlung des Senats vom 10. Februar 2010 wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenakten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Auflage Nr. 2 im Bescheid der
Beklagten vom 29. Mai 2008 rechtswidrig gewesen ist.
1. Die diesbezüglich allein noch anhängige Klage ist zulässig.
Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft. Nach § 113 Abs.
1 S. 4 VwGO spricht das Gericht, wenn sich ein Verwaltungsakte vorher durch Rücknahme oder auf
andere Weise erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakte rechtswidrig gewesen
ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die in der Auflage Nr. 2
verfügten Beschränkungen sind keine Nebenbestimmungen zu einem begünstigenden Verwaltungsakt,
sondern selbständige Verwaltungsakte (vgl. BVerfG, NVwZ 2007, 1183), die sich mit der Durchführung der
Versammlung erledigt haben. Es ist unschädlich, dass die Erledigung vor Klageerhebung eingetreten ist,
da § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog auch auf diesen Fall anzuwenden ist (vgl. BVerwGE 12, 87; stRspr.).
Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Ein solches Interesse ist
bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr stets anzunehmen. Das Erfordernis der Wiederholungsgefahr
setzt zum einen die Möglichkeit einer erneuten Durchführung einer vergleichbaren Versammlung durch
die Klägerin voraus, zum anderen, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer
Rechtsauffassung festhalten wird (vgl. BVerfG, NJW 2004, 2510). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt,
nachdem die Klägerin erklärt hat, bei weiteren Übergriffen der Polizei in Neustadt wieder eine
Versammlung anzumelden, und die Beklagte zu erkennen gegeben hat, dass sie in einer vergleichbaren
Situation erneut entsprechende Beschränkungen erlassen würde.
Da sich die verfügten Beschränkungen in der Auflage Nr. 2 des angegriffenen Bescheides vor Eintritt der
Bestandskraft erledigt haben, ist die auf Feststellung deren Rechtswidrigkeit gerichtete Klage nicht an die
für eine Anfechtungsklage vorgesehene Frist des § 74 Abs. 1 VwGO gebunden (vgl. BVerwGE 109, 203).
2. Die diesbezügliche Klage ist auch begründet. Die Auflage Nr. 2 im Bescheid der Beklagten vom
29. Mai 2008 ist rechtswidrig gewesen.
Eine Verpflichtung des Versammlungsleiters zur Verwendung von Ordnern, wie in Nr. 2.1 der Auflagen im
Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2008 angeordnet, kann zwar entgegen der Auffassung der Klägerin
grundsätzlich auf § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz ‑ VersG ‑ gestützt werden (a), die Voraussetzungen
hierfür sind jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben (b), so dass die beschränkenden Verfügungen in
Nr. 2 der Auflagen insgesamt rechtswidrig gewesen sind (c).
a) Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten
oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung
oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung umfasst
den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des
Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 25. Juni 2008 ‑ 6 C 21/07 ‑, juris, Rn. 13 = BVerwGE 131, 216).
Eine Pflicht des Leiters einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs, Ordner
zu verwenden, kann demnach durch eine beschränkende Verfügung (Auflage) nach § 15 Abs. 1 VersG im
Falle einer entsprechenden Gefährdung begründet werden. Die Systematik der Regelungen des
Versammlungsgesetzes steht dem nicht entgegen (im Ergebnis ebenso: BayVGH, NJW 1981, 2428 und
Beschluss vom 23. Oktober 2008 ‑ 10 ZB 07.2665 ‑, juris, Rn. 16; Dietel/Gintzel/Kniesel,
Versammlungsgesetz, 15. Aufl. 2008, § 15 Rn. 48, § 18 Rn. 16 und § 19 Rn. 21; Köhler/Dürig-Friedl,
Demonstrations- und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2001, § 15 VersG Rn. 16; Ridder u. a. Versamm-
lungsrecht, 1992, § 15 VersG Rn. 218).
Nach § 7 Abs. 1 VersG muss jede öffentliche Versammlung einen Leiter haben. Der Leiter bestimmt den
Ablauf der Versammlung. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen (§ 8 S. 1 und 2 VersG).
Nach § 9 Abs. 1 S. 1 VersG kann sich der Leiter bei Durchführung seiner Rechte aus § 8 der Hilfe einer
angemessenen Zahl ehrenamtlicher Ordner bedienen. Diese Regelung für öffentliche Versammlungen in
geschlossenen Räumen ist gemäß § 18 Abs. 1 VersG für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel
entsprechend anzuwenden. Für Aufzüge, d. h. für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, die
sich fortbewegen, bestimmt § 19 Abs. 1 VersG: Der Leiter des Aufzugs hat für den ordnungsgemäßen
Ablauf zu sorgen. Er kann sich der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen, für welche § 9 Abs. 1 und § 18
VersG gelten.
Das Versammlungsgesetz räumt demnach dem Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem
Himmel oder eines Aufzugs das Recht ein, Ordner einzusetzen, bestimmt indes hierzu keine gesetzliche
Verpflichtung. Die Bestimmungen über die Verwendung von Ordnern sind jedoch nicht als eine
abschließende Regelung zu verstehen, die einen Rückgriff auf die allgemeine Befugnisnorm des § 15
Abs. 1 VersG ausschließt. Es lassen sich dem Versammlungsgesetz keine Anhaltspunkte dafür
entnehmen, dass eine Verpflichtung zur Verwendung von Ordnern im Einzelfall durch eine Auflage zur
Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nach der Konzeption des
Gesetzes ausgeschlossen sein soll. Weder der von der Klägerin angeführte Umstand, dass das
Versammlungsgesetz eine gesetzliche Pflicht hierzu nicht bestimmt, noch die detaillierte Regelung über
die personellen Anforderungen an die Ordner (vgl. § 18 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 VersG: Waffenlosigkeit,
Volljährigkeit, Ehrenamtlichkeit und neutrale Kennzeichnung) rechtfertigen die Annahme einer solchen
Sperrwirkung der Regelung über die Verwendung von Ordnern.
Eine beschränkende Verfügung (Auflage), mit der dem Versammlungsleiter die Bestellung von Ordnern
aufgegeben wird, scheidet entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht deswegen von vornherein
aufgegeben wird, scheidet entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht deswegen von vornherein
aus, weil sie zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne
von § 15 Abs. 1 VersG untauglich wäre. Eine solche Ordnerauflage kann vielmehr durchaus ein
geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr sein.
Zwar ist es nicht Aufgabe des Versammlungsleiters, sondern der Polizei, die öffentliche Sicherheit aufrecht
zu erhalten, soweit von außen auf die Versammlung eingewirkt werden soll, d. h. gegen Störungen durch
Nichtteilnehmer vorzugehen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008, a. a. O., Rn. 16;
Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 19 Rn. 6). Dem Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem
Himmel oder eines Aufzugs kommt aber auch eine Ordnungsfunktion zu. Er hat nämlich - wie bereits
ausgeführt - während der Versammlung für Ordnung bzw. für den ordnungsgemäßen Ablauf des Aufzugs
zu sorgen (vgl. § 18 Abs. 1 i. V. m. § 8 S. 2 VersG, § 19 Abs. 1 S. 1 VersG). Seine Ordnungsfunktion ist
allerdings personell begrenzt auf Teilnehmer und sachlich begrenzt auf die Abwehr von Störungen, die
der Versammlung bzw. dem Aufzug oder Außenstehenden durch Teilnehmer drohen. Sie umfasst indes
neben der Abwehr von Störungen des äußeren Verlaufs der Versammlung bzw. des Aufzugs auch die
Wahrung der Sicherheit in der Versammlung bzw. in dem Aufzug. Störungen einer Versammlung oder
eines Aufzugs können sich mithin auch durch eine Gefährdung friedlicher Teilnehmer ergeben, die von
bewaffneten oder gewalttätigen Teilnehmern ausgeht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 8 Rn. 15 und §
19 Rn. 6). Dies stellt zugleich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.
Ordner unterstützen den Versammlungsleiter bei der Wahrnehmung seiner Ordnungsfunktion. Ihr Einsatz
kann insbesondere bei großen Veranstaltungen geboten sein, wenn der Leiter ohne ihre Hilfe seine
Pflicht, für Ordnung bzw. einem ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen, nicht erfüllen könnte (vgl.
Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 18 Rn. 9 f.). Bei der Beseitigung von Störungen durch Teilnehmer haben
der Leiter und von ihm eingesetzte Ordner zwar nur beschränkte Möglichkeiten, da das Recht,
Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung unter freiem Himmel oder dem
Aufzug auszuschließen, allein der Polizei zusteht (vgl. §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG). Der Leiter und
seine Ordner können aber durch Zureden auf die Teilnehmer einwirken. Die Teilnehmer sind auch
verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm
bestellten Ordner zu befolgen (vgl. § 18 Abs. 1 i. V. m. § 10, § 19 Abs. 2 VersG). Soweit die Befugnisse des
Leiters und seiner Ordner im Einzelfall zur Unterbindung von Störungen nicht ausreichen, müssen sie sich
polizeilicher Hilfe bedienen. Gleichwohl kann der Einsatz von Ordnern gerade bei Demonstrationen, die
sich nach ihrem Gegenstand gegen die Polizei richten, deeskalierend wirken, worauf die Beklagte
zutreffend hingewiesen hat. Denn es ist davon auszugehen, dass Weisungen der Ordner von den
Versammlungsteilnehmern eher akzeptiert werden als Anordnungen, die unmittelbar durch die Polizei
erfolgen.
b) Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG, unter denen die Verpflichtung zur Verwendung von
Ordnern angeordnet werden kann, sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das auch für beschränkende
Verfügungen (Auflagen) bestehende Erfordernis einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit
oder Ordnung (vgl. BVerfG, NVwZ 2008, 671) ist nicht erfüllt.
Der Begriff der unmittelbaren Gefahr in § 15 Abs. 1 VersG stellt besondere Anforderungen an die zeitliche
Nähe des Schadenseintritts und damit auch strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad.
Eine unmittelbare Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt (vgl. BVerfG, NVwZ 2008, 671 m. w. N.), d. h. einen
Sachverhalt, bei dem der Eintritt eines Schadens "fast mit Gewissheit" zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Urteil
vom 25. Juni 2008, a. a. O., Rn. 14). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf
die Behörde beim Erlass von beschränkenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die
Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare
tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfG, NVwZ 2008,
671 [672] m. w. N.).
Hieran gemessen sind keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dargelegt oder sonst ersichtlich
für die Annahme, der Eintritt eines Schadens sei mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit zu
erwarten gewesen.
Die Beklagte hat die Verpflichtung der Klägerin zur Bestellung von Ordnern ebenso wie weitere Auflagen
in ihrem Bescheid vom 29. Mai 2008 damit begründet, sie sei erforderlich, um die öffentliche Sicherheit
und Ordnung zu gewährleisten, ohne konkrete Tatsachen hierfür in dem Bescheid anzuführen. Im
erstinstanzlichen Klageverfahren hat sie ausgeführt, die von der Klägerin angemeldete Demonstration
habe im Zusammenhang mit den Ereignissen rund um die vorausgegangene Demonstration einer
rechtsextremen "Bürgerinitiative" am 1. Mai 2008 in Neustadt gesehen werden müssen, bei der es zu
Gewaltaktionen durch linksextreme Gegendemonstranten gekommen sei. Aufgrund der erwarteten großen
Anzahl von Demonstrationsteilnehmern und im Hinblick auf die Ereignisse vom 1. Mai 2008 sowie für den
Fall, dass sich auch nur vereinzelt gewaltbereite Personen unter den Demonstrationsteilnehmern
befunden hätten, sei absehbar gewesen, dass die Versammlungsleitung ihre Ordnungsaufgabe ohne
eine angemessene Zahl von Ordnern im Ernstfall nicht würde erfüllen können. Aus diesen Gründen sei es
erforderlich gewesen, den Veranstalter zur Stellung von Ordnern zu verpflichten, um den Gefahren für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung bereits im Vorfeld zu begegnen und die Gefahr soweit wie möglich zu
minimieren. Ergänzend macht die Beklagte im Berufungsverfahren geltend, es sei ein gewalttätiger
Versammlungslauf zu erwarten gewesen. Mit der Verpflichtung zum Ordnereinsatz habe eher als ohne sie
gewährleistet werden können, dass behördliche bzw. polizeiliche Anordnungen zur Unterbindung von
Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung insbesondere wegen Gewalttätigkeiten während der
Versammlung umgesetzt würden.
Damit wird deutlich, dass die Beklagte die Verpflichtung der Klägerin zum Einsatz von Ordnern nicht allein
wegen der Größe der zu erwartenden Teilnehmerzahl angeordnet hat, sondern wegen von ihr erwarteter
gewalttätiger Ausschreitungen. Grundlage der Gefahrenprognose der Beklagten ist der Zusammenhang
der von der Klägerin für den 31. Mai 2008 angemeldeten Demonstration mit der vorangegangenen
Demonstration einer rechtsextremen "Bürgerinitiative" vom 1. Mai 2008 ebenfalls in Neustadt, bei der es
zu Gewaltaktionen mit Sach- und Personenschäden durch Gegendemonstranten des linksextremen
Spektrums gekommen war. Sie erwartete deswegen die Teilnahme des im Wesentlichen gleichen
Personenkreises aus der "linken Szene" wie am 1. Mai 2008 in Neustadt und erneute Gewaltaktionen aus
ihren Reihen.
Unter Berücksichtigung insbesondere der Angaben des Vertreters der Polizeidirektion Neustadt in der
mündlichen Verhandlung des Senats konnte die Beklagte zwar davon ausgehen, dass auch Personen der
"linken Szene" ‑ autonome Linke und Antifa-Gruppen ‑ an der von der Klägerin angemeldeten
Demonstration teilnehmen würden, die zuvor als Gegendemonstranten bei der Demonstration am 1. Mai
2008 in Neustadt gewesen waren. Die bei Erlass des Bescheides vom 29. Mai 2008 erkennbaren
Umstände rechtfertigen jedoch nicht die Annahme, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut zu
Gewaltaktionen bei der Demonstration am 31. Mai 2008 kommen würde.
Nachvollziehbar ist allerdings der Ausgangspunkt der Gefahrenprognose der Beklagten, dass zwischen
der von der Klägerin für den 31. Mai 2008 angemeldeten Demonstration und der Demonstration vom
1. Mai 2008 in Neustadt ein Zusammenhang besteht. Denn das Motto der Demonstration "Gegen
Polizeigewalt und Willkür! Don't hide - Gegen jede Repression!" nimmt thematisch auf Vorwürfe
gegenüber der Polizei Bezug, wonach es bei der Demonstration am 1. Mai 2008 willkürliche Übergriffe
seitens der Polizei gegeben habe. Außerdem haben ausweislich der von der Beklagten vorgelegten
Internetausdrucke und eines Flugblattes auch sogenannte Antifa-Gruppen ausdrücklich einen Bezug zu
"Polizeigewalt und Schikanen" am 1. Mai 2008 in Neustadt hergestellt und zur Teilnahme an der
Demonstration am 31. Mai 2008 aufgerufen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung des Senats
bestätigt, dass sie zu der Frage, aus welchem Personenkreis die Teilnehmer kommen würden, im
Rahmen des Kooperationsgesprächs mit der Beklagten und der Polizei keine Angaben habe machen
können, weil es für sie selbst unklar gewesen sei, aus welchem Spektrum die Teilnehmer kommen
würden.
Es bestanden daher konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Personen aus dem linksextremen Spektrum ‑
insbesondere Antifa-Gruppen ‑ an der von der Klägerin angemeldeten Demonstration teilnehmen würden.
Dies rechtfertigt jedoch nach Auffassung des Senats nicht den von der Beklagten gezogenen Schluss,
dass mit hoher Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen derselbe Personenkreis wie bei den
Gegendemonstrationen am 1. Mai 2008 in Neustadt an der Demonstration am 31. Mai 2008 teilnehmen
und erneut gewalttätige Aktionen unternehmen würde. Diese Schlussfolgerung lässt nämlich eine Reihe
von gegenteiligen Indizien unberücksichtigt.
Der Vertreter der Polizeidirektion Neustadt hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass es am 1.
Mai 2008 eine Versammlung des rechten Spektrums mit ca. 250 Personen und Gegendemonstranten aus
der "linken Szene" mit ca. 500 bis 600 Personen gegeben habe. Darunter sei ein "Schwarzer Block" mit
etwa 350 Personen gewesen, der sich auf Kleingruppen in der Stadt verteilt habe, von denen im
Wesentlichen die Gewaltaktionen ausgegangen seien.
Im Vergleich sowohl zu den Gegendemonstrationen der "linken Szene" insgesamt als auch zu dem
"Schwarzen Block" am 1. Mai 2008 in Neustadt war die von der Klägerin angemeldete Demonstration
indes deutlich kleiner. Sie selbst erwartete bei der Anmeldung rund 200 Teilnehmer; tatsächlich kamen
sogar nur etwa 120 Personen. Die Klägerin persönlich hatte bei der Demonstration bzw. den
Gegendemonstrationen am 1. Mai 2008 in Neustadt auch nicht teilgenommen.
Außerdem hatten zur Demonstration am 31. Mai 2008 nicht nur Gruppierungen des linksextremen
Spektrums wie Antifa-Gruppen aufgerufen, sondern auch die Jugendorganisation der Grünen Rheinland-
Pfalz (Grüne Jugend). Nachdem über die gegen die Polizei anlässlich ihres Verhaltens am 1. Mai 2008
erhobenen Vorwürfe in der Presse berichtet worden war (vgl. den von der Beklagten vorgelegten Artikel
der "Rheinpfalz" vom 27. Mai 2008), war auch von einem über die Kreise des linksextremen Spektrums
hinausgehenden Interesse an dem mit der Demonstration vom 31. Mai 2008 verfolgten Anliegen
auszugehen.
Es lagen mithin keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass "im Wesentlichen der gleiche
Personenkreis" an der von der Klägerin angemeldeten Demonstration teilnehmen würde, der auch an den
Gewaltaktionen des "Schwarzen Blocks" im Rahmen der Gegendemonstrationen am 1. Mai 2008 in
Neustadt beteiligt war. Es war lediglich zu erwarten, dass neben anderen Versammlungsteilnehmern auch
Personen des linksextremen Spektrums, wie insbesondere der Antifa-Gruppen, zur Demonstration am
31. Mai 2008 nach Neustadt kommen würden, darunter allerdings auch einzelne Personen des bereits am
1. Mai 2008 in Neustadt erschienen "Schwarzen Blocks".
Gegen die Annahme, dass bei einer Versammlungsteilnahme von Personen des "Schwarzen Blocks", die
bereits am 1. Mai 2008 in Neustadt erschienen waren, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von
Gewaltaktionen bestand, spricht zunächst die Zahl der zu erwartenden Personen des "Schwarzen Blocks",
die am 31. Mai 2008 nur einen Bruchteil von 200 betrug und damit deutlich geringer als die Gruppe von
rund 350 Personen am 1. Mai 2008 war. Die Beklagte hat jedenfalls keine konkreten polizeilichen
Erkenntnisse vorgelegt, dass mit gewalttätigen Ausschreitungen durch diesen Personenkreis unabhängig
von dessen Zahlenstärke zu rechnen war. Die pauschale Behauptung der Beklagten in der
Berufungsbegründung, es entspreche bundesweiter polizeilicher Erkenntnis, dass politisch linksextreme
Kundgebungen - wie hier - einen gewalttätigen Verlauf nehmen, reicht hierfür nicht aus.
Darüber hinaus unterscheidet sich die Demonstration vom 31. Mai 2008 sowohl in der Form als auch nach
ihrem Gegenstand erheblich von den Gegen-demonstrationen am 1. Mai 2008, in deren Rahmen es zu
Gewaltaktionen gekommen ist. Am 1. Mai 2008 ging nach Angaben des Vertreters der Polizei die Gewalt
im Wesentlichen von Kleingruppen aus, die durch die Innenstadt von Neustadt zogen. Für den 31. Mai
2008 waren jedoch nicht mehrere kleinere Demonstrationen, sondern ein einheitlicher Aufzug durch die
Innenstadt von der Klägerin geplant und angemeldet. Vor allem aber richteten sich die
Gegendemonstrationen am 1. Mai 2008 im Ausgangspunkt gegen eine Versammlung des rechtsextremen
Spektrums, während Gegenstand der Demonstration vom 31. Mai 2008 "Gegen Polizeigewalt und Willkür"
sowie "Gegen jede Repression" war. Da davon auszugehen ist, dass die Versammlungs-teilnehmer des
linksextremen Spektrums einschließlich Antifa-Gruppen und Personen des "Schwarzen Blocks" das
Anliegen der Demonstration vom 31. Mai 2008 unterstützten, erscheint es jedenfalls nicht fernliegend,
dass ‑ wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats geltend gemacht ‑ auch die
Personen des "Schwarzen Blocks" ein "Verantwortungsbewusstsein", d. h. kein Interesse daran hatten,
durch Gewaltaktionen die Durchführung der Versammlung zu gefährden und eine Auflösung der
Versammlung durch die Polizei zu riskieren oder gar gezielt zu provozieren. Konkrete Anhaltspunkte
dafür, dass bei dem Personenkreis des "Schwarzen Blocks", der bereits am 1. Mai 2008 in Neustadt
erschienen war, unabhängig vom Anliegen der Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit mit
gewalttätigen Ausschreitungen zu rechnen war, sind den von der Beklagten und der Polizei dargelegten
Erkenntnissen jedenfalls nicht zu entnehmen.
Nach Angaben der Beklagten hatten zudem bei der Demonstration des rechtsextremen Spektrums am 1.
Mai 2008 autonome Antifa-Gruppen zu unangemeldeten Gegendemonstrationen und gezielten Aktionen
gegen den Aufzug und gegen das Personal von Polizei und Stadtverwaltung aufgerufen, wobei der
angeschlagene aggressive Ton Gewaltbereitschaft habe erkennen lassen. Bereits im Vorfeld der
Demonstration am 1. Mai 2008 habe es Sachbeschädigungen durch Sprühen von Parolen in Neustadt
gegeben. Vergleichbares hat sich im Vorfeld der von der Klägerin angemeldeten Demonstration nicht
ereignet. Weder sind entsprechende Sachbeschädigungen bekannt geworden noch enthielten die
vorgelegten Internetausdrucke Aufrufe zu gezielten Aktionen gegen die Polizei oder die Stadtverwaltung.
Die Beklagte hat ferner den Umstand, dass die Klägerin im Rahmen des Kooperationsgesprächs erklärt
hat, im Falle einer Ausweispflicht für die eingesetzten Ordner werde sich niemand finden, um sich als
Ordner zur Verfügung zu stellen, als Indiz dafür gesehen, dass an der Versammlung gewaltbereite und
bereits einschlägig in Erscheinung getretene Personen teilnehmen und sich nicht zu erkennen geben
wollten. Diese Schlussfolgerung vermag nicht zu überzeugen. Es erscheint vielmehr durchaus
nachvollziehbar, dass es im Falle einer Ausweispflicht gegenüber der Polizei für die Klägerin schwierig
war, zuverlässige Personen für die Aufgabe eines Ordners zu gewinnen im Hinblick auf deren Besorgnis,
ihre Daten würden von der Polizei erfasst und gespeichert, selbst wenn die Besorgnis unbegründet ist,
wie der Vertreter der Polizeidirektion Neustadt in der mündlichen Verhandlung des Senats erklärt hat.
Schließlich hat die Beklagte ihre Gefahrenprognose, es werde angesichts der thematischen Verbindung
mit der Demonstration am 1. Mai 2008 und den damals gemachten Erfahrungen mit gewaltbereiten Linken
mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen, ausdrücklich
"besonders auch" darauf gestützt, dass die rechtsextreme "Bürgerinitiative" und andere rechte Gruppen
sich für die am 1. Mai 2008 erlittene "Schmach" an der Antifa durch gewalttätige Gegendemonstrationen
"rächen" würden. Diese in der Klageerwiderung gegenüber dem Verwaltungsgericht angegebene
Begründung entsprach jedoch nicht den Tatsachen. Nach Angaben des Vertreters der Polizeidirektion
Neustadt in der mündlichen Verhandlung des Senats, denen der Beklagtenvertreter nicht widersprochen
hat, beruhten die Auflagen der Beklagten nicht auf der Annahme, es könne zu einer rechten gewalttätigen
Gegendemonstration kommen.
Nach alledem bestanden zwar konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass ein
Teil desjenigen Personenkreises, der am 1. Mai 2008 an den Gegendemonstrationen gegen die damalige
rechtsextreme Demonstration teilgenommen hatte, bei denen es von Personen des "Schwarzen Blocks"
zu Gewaltaktionen gekommen war, auch an der von der Klägerin angemeldeten Demonstration am 31.
Mai 2008 teilnehmen würde. Es bestand daher auch durchaus die nicht völlig fernliegende Möglichkeit,
dass einzelne Personen aus diesem Kreis bei der Demonstration am 31. Mai 2008 erneut gewalttätig
würden. Aus den oben dargelegten Gründen fehlten aber hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme,
es werde mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit, d. h. fast mit Gewissheit zu entsprechenden
Gewaltaktionen kommen.
c) Ist demnach die in Nummer 2.1 der Auflagen im Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2008
angeordnete Verpflichtung der Klägerin zur Bestellung von Ordnern rechtswidrig, so ist für die ebenfalls
die Verwendung von Ordnern betreffenden Auflagen in Nummern 2.2 und 2.3 von vornherein kein Raum.
Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts entgegen der in
Rechtsprechung und Schrifttum vorherrschenden Meinung gefolgt werden kann, es fehle für die
Feststellung der Identität von Ordnern eine Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz (vgl. einerseits:
BayVGH, NJW 1981, 2428; SächsOVG, Beschluss vom 4. April 2002 ‑ 3 BS 103/02 ‑, juris, Rn. 28; VG
Würzburg, Urteil vom 12. März 2009 ‑ W 5 K 08.1758 ‑, juris, Rn. 25; Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 18
Rn. 24; Köhler/Dürig-Friedl, a. a. O., § 18 VersG Rn. 2; andererseits: VG Gießen, Beschluss vom 30. Juli
2009 ‑ 10 L 1583/09.GI ‑, juris; Ridder u. a., a. a. O., § 18 VersG Rn. 13).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann durch
Beschwerde
werden.
Die Beschwerde ist
innerhalb eines Monats
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
elektronischer Form einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Die Beschwerde ist
innerhalb von zwei Monaten
Begründung ist ebenfalls bei dem
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
elektronischer Form einzureichen. In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen
Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil
abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, bezeichnet werden.
Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit den öffentlich-rechtlichen
Fachgerichtsbarkeiten vom 9. Januar 2008 (GVBl. S. 33) zu übermitteln ist.
Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechtsanwalt oder eine
sonstige nach Maßgabe des § 67 VwGO vertretungsbefugte Person oder Organisation erfolgen.
gez. Wünsch
gez. Dr. Stahnecker
gez. Schnug
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 900,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs.
1 GKB).
gez. Wünsch
gez. Dr. Stahnecker
gez. Schnug