Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.05.2002

OVG NRW: stadt, mängelrüge, gemeinde, genehmigung, geschosszahl, bebauungsplan, gebäude, bauvolumen, unvereinbarkeit, mangel

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 B 829/02
Datum:
24.05.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 B 829/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 1 L 309/02
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet, denn aus den mit der Beschwerde dargelegten
Gründen, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist,
ergibt sich nicht, dass die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 21.
Dezember 2001 zur Aufstockung des auf dem Grundstück Gemarkung N. , Flur 59,
Flurstück 285 (H. -B. -Straße 6 in N. ) stehenden B1. -O. -Hauses im Nordteil von drei
auf vier Geschosse die Antragstellerin in sie schützenden Vorschriften des
Bauplanungs- oder des Bauordnungsrechtes verletzt.
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Die Baugenehmigung ist auf Grundlage des Bebauungsplans Nr. 614 der Stadt N. erteilt
worden. Die Antragstellerin meint, der Bebauungsplan setze für das Baugrundstück
keine Zahl zulässiger Vollgeschosse fest, sondern gebe nur den tatsächlichen
Baubestand wieder. Die Antragstellerin irrt. Zwar ist in der zeichnerischen Darstellung
des Grundstücks der Beigeladen "B.G." (Baugrundstück für den Gemeinbedarf) mit der
Zweckbestimmung Altenwohnanlage festgesetzt und dort lediglich der
Gebäudebestand, und zwar durch Angabe einer in der Legende erläuterten Zahl
hinsichtlich der vorhandenen Geschosszahl dargestellt. Darüber hinaus gibt die
Bebauungsplanurkunde in der Spalte neben der zeichnerischen Darstellung jedoch
weitere "Festsetzungen" wieder. Dort ist im Einzelnen bestimmt, welche
Vollgeschosszahl in den jeweiligen Baugebieten höchstens zulässig ist. Für das
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Baugrundstück des Beigeladenen sind danach fünf Vollgeschosse (höchstens)
zulässig.
Die Festsetzung zulässiger Vollgeschosszahl ist räumlich eindeutig zugeordnet und
auch bestimmt. Nicht erforderlich ist, alle die jeweiligen Baugebiete betreffenden
Festsetzungen zeichnerisch darzustellen. Textliche Festsetzungen sind nicht nur
zulässig, sie können vielmehr darüber hinausgehend zumindest sinnvoll sein, um die
"Lesbarkeit" eines Bebauungsplans zu gewährleisten.
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Die Antragstellerin meint weiter, Abwägungsmängel des am 27. Juli 1972 öffentlich
bekannt gemachten Bebauungsplans seien noch zu prüfen. Innerhalb der am 30. Juni
1994 abgelaufenen Frist des § 244 Abs. 2 BauGB a.F. seien Mängelrügen erhoben
worden. Die Antragstellerin führt an, "der vom Herbst 1979 bis zum Sommer 1982
wegen der damals erfolgten Umbaumaßnahme an der Altenwohnanlage geführte
(umfangreiche Schriftverkehr)" müsse berücksichtigt werden. Dort habe "sich die
Rechtsvorgängerin der Antragstellerin massiv gegen das Heranrücken eines vierten
Vollgeschosses im kritischen Bereich zur Wehr gesetzt." Aus diesem Vortrag ergibt sich
keine fristgerechte Mängelrüge. Gemäß § 244 Abs. 2 BauGB a.F. musste der
vermeindliche Abwägungsmangel schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht
werden; der Sachverhalt, der den Mangel begründen soll, war darzulegen. Die
Antragstellerin führt bereits nicht aus, es sei gegenüber der Stadt N. ein Sachverhalt
dargelegt worden, der auf einen Abwägungsmangel hätte schließen lassen können. Die
Genehmigung für ein Bauvorhaben kann mit dem Nachbarwiderspruch auch dann
angefochten werden, wenn das Bauvorhaben in Übereinstimmung mit einem
Bebauungsplan errichtet werden soll, ohne dass zum Gegenstand des Widerspruchs
Abwägungsmängel des Bebauungsplans gemacht werden müssten. Allein die hier
zugunsten der Antragstellerin im damaligen Verfahren unterstellte Behauptung einer
Beeinträchtigung der Belange der Antragstellerin durch die Geschosszahl (das
Bauvolumen) des damals genehmigten Vorhabens besagt ebenfalls noch nicht, dass
sich der Rat der Gemeinde nicht mit den Folgewirkungen der auf Grundlage des
Bebauungsplans möglichen baulichen Nutzung in einer den Anforderungen des
Abwägungsgebots genügenden Weise befasst hätte.
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Dass sich aus einer nach Satzungsbeschluss geschlossenen zivilrechtlichen
Vereinbarung zwischen der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin und dem
Beigeladenen keine gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans sprechende
Mängelrüge ergeben kann, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Dies verkennt im
Übrigen wohl auch die Antragstellerin nicht. Entgegen ihrer Annahme ist für die
Rechtmäßigkeit der im vorliegenden Verfahren angegriffenen Baugenehmigung die
zivilrechtliche Vereinbarung nicht von Belang, wie bereits das Verwaltungsgericht zu
Recht ausgeführt hat.
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Auf die Erwägungen der Antragstellerin zu aus § 34 BauGB hergeleiteten
Abwehrrechten kommt es nach alledem nicht an.
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Aus den Darlegungen der Antragstellerin ergibt sich ferner eine Unvereinbarkeit des
dem Beigeladenen genehmigten Vorhabens mit bauordnungsrechtlichen
Abstandsbestimmungen nicht. Die Antragstellerin meint, für das Bauvorhaben könne
das sogenannte Schmalseitenprivileg des § 6 Abs. 6 BauO NRW nicht in Anspruch
genommen werden, denn das Gebäude sei gegenüber anderen Grundstücksgrenzen
auf die Anwendung des Schmalseitenprivilegs angewiesen. Der Beigeladene dürfe aus
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diesem Grunde zu ihrer Grundstücksgrenze nicht erneut das Schmalseitenprivileg in
Anspruch nehmen. Vereinigungsbaulasten, auf die das Verwaltungsgericht abgestellt
habe, gebe es nicht. In der Tat hat es das Verwaltungsgericht als unklar angesehen, ob
eine Vereinigungsbaulast der Parzelle 285 (Baugrundstück) mit den angrenzenden
Parzellen 109, 179, 229 und 230 bestehe (Seite 5 Absatz 1 des Beschlussabdrucks).
Tatsächlich wurde eine entsprechende Vereinigungsbaulast am 8. Mai 2002 in das
Baulastenverzeichnis der Stadt N. , Baulastenblätter MI 2329 bis 2333 jeweils unter
laufender Nr. 1 eingetragen.
Die Antragstellerin meint, die Berechnung der Abstandflächen sei fehlerhaft, weil in den
Bauvorlagen fehlerhafte Geländehöhen angegeben worden seien. Nicht die in die
Abstandflächenberechnung eingegangene Oberkante des Erdgeschossfußbodens sei
unterer Bezugspunkt der für die Abstandflächenberechnung maßgebenden
Außenwand, sondern die natürliche Geländeoberfläche. In diesem Ansatz könnte der
Antragstellerin dann gefolgt werden, wenn die Oberkante des Erdgeschossfußbodens
oberhalb der natürlichen Geländeoberfläche liegen würde. Dies ist nach den
Bauvorlagen zur Baugenehmigung jedoch nicht der Fall. Dies verkennt auch die
Antragstellerin nicht, wendet aber ein, es handele sich bei der dargestellten
Geländeoberfläche nicht um die natürliche Geländeoberfläche, denn "im
Zusammenhang mit früheren Maßnahmen (seien) erhebliche Anfüllungen
vorgenommen worden". Das "natürliche, gewachsene Geländeniveau (sei) ... auf
(ihrem) Wohngrundstück ... ohne Weiteres festzustellen." Aus diesen Darlegungen
ergibt sich - ungeachtet der Frage, ob sich bei Berechnung der Abstandflächen auf
Grundlage des von der Antragstellerin für zutreffend angesehenen natürlichen
Geländeverlaufs ein Abstandflächenverstoß ergeben würde - schon nicht, weshalb die
bei "früheren Maßnahmen" vorgenommenen Anfüllungen nicht nunmehr als natürliche
Geländeoberfläche des Baugrundstücks anzusehen seien sollten. Veränderungen der
Geländeverhältnisse eines Grundstücks, die vom Nachbarn unangefochten
hingenommen werden, bilden die sodann maßgebenden Geländeverhältnisse und sind
Grundlage für die Abstandsberechnung.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. November 1991 - 7 A 2569/88 -.
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Auf die Ausführungen der Antragstellerin zu der mit gesonderter Baugenehmigung an
der Nordseite des Gebäudes genehmigten Fluchttreppe kommt es nicht
entscheidungserheblich an, da diese nicht streitgegenständlich ist. Dass die die
Aufstockung des B1. -O. -Hauses betreffende Baugenehmigung wegen der gesonderten
Genehmigung der Fluchttreppe unvollständig oder unklar sei, erschließt sich aus dem
Beschwerdevorbringen und dem Inhalt der Akten nicht.
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Die Kostenenscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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