Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.11.2003
OVG NRW: schutz der familie, ausweisung, duldung, ausländer, ausnahme, abschiebung, obhut, aufenthalt, emrk, sicherheit
Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 1663/03
Datum:
27.11.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 1663/03
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 L 3021/03
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.000,- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das zu ihrer Begründung dargelegte Vorbringen,
das vom Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur zu prüfen ist, rechtfertigt keine
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.
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Der Hauptantrag des Antragstellers,
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dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebungsmaßnahmen gegen ihn - den
Antragsteller - einzuleiten bzw. durchzuführen,
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an dem er auch im Beschwerdeverfahren festgehalten hat, erweist sich als unbegründet,
weil er für den damit begehrten Abschiebungsschutz, der nur im Wege der Erteilung
einer Duldung gewährt werden kann, einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft
gemacht hat.
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Eine hier nur in Betracht kommende rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im
Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG folgt für den Antragsteller nicht aus Art. 6 GG. Nach der
Systematik des Ausländergesetzes sind im Fall der Ausweisung eines Ausländers aus
der Bundesrepublik Deutschland die sich aus Art. 6 GG ergebenden
Ausstrahlungswirkungen bereits im Rahmen der Ausweisung umfassend zu
berücksichtigen (vgl. § 48 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 47 Abs. 3 Sätze 1 und 2, § 45 Abs. 2
AuslG). In dieser Hinsicht können die Wirkungen des Art. 6 GG grundsätzlich nicht
erneut im Rahmen des Abschiebungsschutzes nach Maßgabe des § 55 Abs. 2 AuslG
berücksichtigt werden, es sei denn, dass die Ausländerbehörde einem derartigen
Sachverhalt bei der Ausweisung kein bedeutsames Gewicht zumisst, sondern sich
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vorbehält, diesem bei der Entscheidung über eine etwaige Abschiebung Rechnung zu
tragen.
Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 1. Dezember 1987 - 1 C 29.85 -, BVerwGE 78, 285,
vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, InfAuslR 1997, 193 und vom 5. Mai 1998 - 1 C
17.97 -, InfAuslR 1998, 383.
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Anhaltspunkte dafür, dass behördlicherseits in Bezug auf die familiären Beziehungen
des Antragstellers zu seinem Kind, die auch noch im Rahmen des noch nicht
abgeschlossenen Widerspruchsverfahrens bei der Ausweisung Berücksichtigung finden
können, ein derartiger Vorbehalt getroffen wurde oder - wie nachfolgend verdeutlicht -
wegen des Bestehens eines hierauf gerichteten Duldungsanspruchs getroffen werden
könnte, sind nicht gegeben.
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In diesem Zusammenhang merkt der Senat zur Vermeidung eines weiteren Verfahrens
in Bezug auf die gegen den Antragsteller verfügte Ausweisung nach § 80 Abs. 7 VwGO,
dessen Zulässigkeit die Regelung des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vorliegend nicht
entgegen stehen dürfte, weil in dem vorangegangenen Aussetzungsverfahren für den
Senat die Sachlage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist (29.
Juli 2002) maßgeblich war und das Kind des Antragstellers erst am 4. Mai 2003 geboren
wurde, vorsorglich an, dass die familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinem
Kind an der Rechtmäßigkeit der gegen ihn ergangenen Ausweisung nichts ändern
dürften. Diese dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfallenden Beziehungen führen mit
Blick auf den insoweit maßgeblichen § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG nicht zu einer -
diesbezüglich allein zu erwägenden - Ausnahme vom Regelfall. In der
höchstrichterlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, ist anerkannt, dass bei
schwerwiegender Straffälligkeit, die hier gegeben ist,
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vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 9. Juli 2003 - 18 B 1339/02 -,
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der Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG der Ausweisung grundsätzlich nicht
entgegensteht.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1997 - 1 B 123.97 -, Buchholz 402.240 § 47
AuslG 1990 Nr. 15 und Urteil vom 29. September 1998 - 1 C 8.96 -, Buchholz 402.240 §
45 AuslG 1990 Nr. 16 = NVwZ 1999, 303 = InfAuslR 1999, 54; Senatsbeschlüsse vom
17. Februar 2000 - 18 B 101/00 -, InfAuslR 2000, 383 = NVwZ-RR 2000, 721 = AuAS
2000, 134, vom 14. März 2001 - 18 B 824/00 -, vom 26. März 2001 - 18 B 988/00 -, vom
4. Dezember 2001 - 18 B 287/01 -, vom 17. Januar 2002 - 18 A 4853/00 -, vom 20.
Februar 2003 - 18 B 270/03 - und vom 6. Juni 2003 - 18 B 908/03 -.
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Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus der vom Antragsteller angeführten
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
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- vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. August 1994 - 2 BvR 154/94 -, DVBl. 1994, 1406 =
InfAuslR 1994, 394 = EZAR 020 Nr. 4 -.
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Die Regelungen des Ausländergesetzes zur Ausweisung tragen dem Grundrecht aus
Art. 6 GG und damit zugleich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip grundsätzlich durch die
Regelungen des § 48 Abs. 1 Nr. 4 AuslG, dem zufolge ein Ausländer, der mit seinem
deutschen Kind in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, nur aus schwerwiegenden
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Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann, und des §
47 Abs. 3 Satz 1 AuslG, wonach in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG nur in der Regel
ausgewiesen wird, hinreichend Rechnung.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1997 - 1 B 123.97 -, a.a.O.; Senatsbeschluss vom
6. Juni 2003 - 18 B 908/03 - m.w.N.
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Eine Ausnahme vom Regelfall des § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG ergibt sich auch nicht aus
der vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren übersandten Bescheinigung des Dr.
med L. -G. X. vom 21. August 2003. Soweit darin ausgeführt wird, dass Säuglinge,
Kleinkinder und überhaupt Kinder besonders gut in der Obhut ihrer Eltern (Vater und
Mutter) gedeihen und dass dies auch bei dem Kind M. N. D. so ist, werden damit keine
atypischen Umstände bescheinigt, sondern eine Tatsache, die nahezu auf alle Kinder
zutreffend dürfte.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers dürfte einer Ausweisung seiner Person
auch Art. 8 EMRK nicht entgegenstehen. Hinsichtlich seiner familiären Beziehungen zu
seinem Kind gilt dies schon deshalb, weil der Schutz dieser Bestimmung insofern nicht
weiter geht als der des Art. 6 GG, wie er im Ausländergesetz seinen Niederschlag
gefunden hat.
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Vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 20. September 1994 - 18 A 2945/92 -, InfAuslR 1995,
99 = NVwZ-RR 1995, 353, vom 5. Juli 2001 - 18 A 4400/97 -, m.w.N. und vom 20. März
2002 - 18 B 1346/00 -.
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Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang ferner - erneut - auf seine
persönliche Lebenssituation, insbesondere seinen langjährigen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland hingewiesen hat, hat der Senat diese Umstände bereits in
seinem Beschluss vom 9. Juli 2003 - 18 B 1339/02 - umfassend gewürdigt. Neue
Anhaltspunkte, die insoweit zu einer anderen Beurteilung führen könnten, hat weder der
Antragsteller dargetan noch sind sie anderweitig ersichtlich.
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Für sein auch im Beschwerdeverfahren hilfsweise geltend gemachtes Begehren,
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dem Antragsgegner so lange Abschiebungsmaßnahmen zu untersagen, wie nicht über
den gestellten Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung/Duldung rechtskräftig entschieden
worden ist,
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hat der Antragsteller ebenfalls einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ist wie
hier - soweit für den Senat ersichtlich - über einen Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltsgenehmigung eine Entscheidung noch nicht ergangen, sind
aufenthaltsbeendende Maßnahmen nur dann unzulässig, wenn dem Ausländer für die
Dauer des Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens ein Bleiberecht nach § 69 Abs. 2 oder 3
AuslG zusteht.
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Vgl. Senatsbeschluss vom 10. September 2003 - 18 B 1571/03 -.
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Soweit der Antragsteller einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung beim
Antragsgegner gestellt hat, hat dieser eine Fiktionswirkung und damit ein vorläufiges
Bleiberecht nach der - insoweit allein in Betracht kommenden - Regelung des § 69 Abs.
3 Satz 1 AuslG nicht ausgelöst. Dem Eintritt einer Fiktionswirkung steht gemäß § 69
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Abs. 3 Satz 2 iVm Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AuslG die gegen ihn ergangene, gemäß § 72 Abs.
2 Satz 1 AuslG wirksame Ausweisung entgegen.
Der Antragsteller besitzt auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung für die
Dauer des Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens. Die Gewährung von
Abschiebungsschutz, der - wie bereits aufgeführt - nur im Wege der Erteilung einer
Duldung erfolgen kann, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen in der Regel
dann aus, wenn - wie hier - ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ein
vorläufiges Bleiberecht nach § 69 AuslG nicht ausgelöst hat und der Antrag auf
Gewährung von Abschiebungsschutz, nicht über ein - nach Ergehen einer behördlichen
Entscheidung - mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 zu verfolgendes Begehren
hinausgeht. Dies folgt aus der in den §§ 42 Abs. 1 und 2, 49 Abs. 1, 69 Abs. 2 und 3
AuslG vorgegebenen Konzeption des Ausländerrechts.
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Vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. November 2001 - 18 B 242/01 -, EZAR 017 Nr. 19 =
NWVBl. 2002, 183 = DVBl. 2002, 855 (Ls) und vom 24. März 2003 - 18 B 644/03 -.
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Die Gewährung von Abschiebungsschutz bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung
über die Erteilung einer Duldung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil dem
Antragsteller - wie bereits ausgeführt - ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nicht
zusteht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 Abs. 1 iVm §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1
GKG.
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Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.
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