Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.06.2000
OVG NRW: aufschiebende wirkung, ausnahme, kennzeichnung, grundstück, datum, anknüpfung
Oberverwaltungsgericht NRW, 3 B 1242/99
Datum:
14.06.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 B 1242/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 3 L 545/99
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragsgegners abgelehnt.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 724,83 DM
festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg.
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I.
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Die vom Antragsgegner benannten Zulassungsgründe (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2
Nrn. 1, 3 und 4 VwGO) sind nicht gegeben bzw. nicht hinreichend dargelegt (§ 146 Abs.
5 Satz 3 VwGO):
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1. Das gilt schon für die an erster Stelle geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit des angegriffenen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO). Denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht aufgrund summarischer, dem
einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 VwGO entsprechender Prüfung die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den
Erschließungsbeitragsbescheid vom 5. März 1999 angeordnet. Ergebnis und
Begründung des Beschlusses stehen in Einklang mit der vom Verwaltungsgericht auch
in Bezug genommenen Rechtsprechung des Senats.
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Vgl. den Beschluß vom 29. Mai 1998 - 3 A 1677/97 - ; ebenso jetzt auch OVG Lüneburg,
Urteil vom 20. Juli 1999 - 9 L 775/99 - .
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Nach § 3 des Anbauvertrages vom 28. Juni 1961 zwischen dem Rechtsvorgänger des
Antragstellers und dem Antragsgegner soll- ten die anteiligen Straßenanliegerbeiträge
mit Zahlung eines (Ablösungs-)Betrages von 680,00 DM bei Baubeginn als endgültig
getilgt gelten. Im Nachhinein, mehr als 30 Jahre später nach endgültigem Abschluß des
Straßenausbaus, hat sich allerdings herausgestellt, daß der nach tatsächlichen Kosten
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und einschlägigem Ortsrecht berechnete Erschließungsbeitrag für das Grundstück
6.473,70 DM betragen hätte. Angesichts dieser erheblichen Abweichung wäre die vom
Bundesverwaltungsgericht entwickelte absolute Mißbilligungsgrenze (die laut Urteil vom
9. November 1990 - 8 C 36.89 - , DVBl 1991, 447, bei der Hälfte bzw. dem Doppelten
des spitz errechneten Erschließungsbeitrags liegt) überschritten und die
Ablösungswirkung infolgedessen verfehlt, vorausgesetzt, diese Grenze wäre auch bei
Ablösungsvereinbarungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes
zu beachten. Letzteres dürfte jedoch, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, nicht
der Fall sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bestehen einer
Mißbilligungsgrenze für Ablösungsvereinbarungen aus Bestimmungen des
Bundesbaugesetzes (insbesondere über die Beitragserhebungspflicht, § 127 BBauG)
hergeleitet, die im Zusammenhang mit bodenpolitischen Zielen konzipiert worden sind
und im zuvor geltenden preußischen Anliegerbeitragsrecht kein Vorbild hatten. Denn im
Unterschied zu § 127 BBauG gewährte § 15 prFlG den Gemeinden lediglich die
Befugnis der Beitragserhebung, schrieb ihnen aber nicht den Erlaß und die strikte
Anwendung entsprechenden Ortsrechts vor. Das zeigt die Formulierung als "Kann"-
Bestimmung, als welche sie auch im Fachschrifttum und in der Rechtsprechung des
Preußischen Ober- verwaltungsgerichts angesehen worden ist.
Vgl. von Strauß/Torney/Saß, Straßen- und Bau- fluchtengesetz, 7. A., § 15 und § 15a
Erl. 2a m. H. auf PrOVG, E. v. 25.4.33 - II C 119.32; Quaas in: Schrödter, BauGB, 6. A., §
127 Rn. 7; Ernst in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB; Std.: November 1999, § 127 Rn.7;
Bauernfeind, Können die Gemeinden auf die Erhebung von Anliegerbei- trägen
verzichten ?, DVBl 1960, 580, 581.
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Wegen dieser spezifisch bundesbaugesetzlichen Anknüpfung kann die
"Mißbilligungsrechtsprechung" des Bundesverwaltungsgerichts auf
Ablösungsvereinbarungen (Schuldverhältnisse) vor Inkrafttreten dieses Gesetzes
voraussichtlich nicht übertragen werden. Dem hält der Antragsgegner vergeblich
entgegen, es könne bei einer "absoluten Mißbilligungsgrenze" rein sprachlich gesehen
keine Ausnahme geben und es gebe für die "vom Verwaltungsgericht erstmalig
eingeführte Ausnahme" auch schlechterdings keinen Grund. Denn die Kennzeichnung
als "absolut" im Urteil des Bundesverwaltungsverwaltungsgerichts besagt nur, daß bei
Ablö- sungsvereinbarungen eine Mißbilligungsgrenze (ohne Spielraum), kein
Mißbilligungsbereich (mit mit einer gewissen Toleranzbreite) zugrunde zu legen ist, und
daß darüber hinaus die Rechtsfolgen einer Überschreitung der Mißbilligungsgrenze
ohne Rücksicht auf die konkrete Ursache eintreten, sei diese nun ablösungstypischer
Natur oder nicht. Um die damit beschriebenen Zusammenhänge geht es im
vorliegenden Streitfall aber nicht. Auch spricht nach Auffassung des Senats nichts für
die in der Zulassungsschrift aufgestellte Behauptung des Antragsgegners, das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts lasse zumindest die Tendenz erkennen, die
Mißbilligungsgrenze bei der Prüfung sämtlicher Ablösungsvereinbarungen unabhängig
vom Zeitpunkt ihres Abschlusses zugrunde zu legen. Das Bundesverwaltungsgericht
hatte bei Erlaß seines Urteils vom 9. November 1990 überhaupt keinen Anlaß zu prüfen,
ob die Mißbilligungsgrenze für Ablösungsvereinbarungen aus der Zeit des preußischen
Anliegerbeitragsrechts gelte, weil es in dem von ihm entschiedenen Fall um einen unter
der Geltung des Bundesbaugesetzes geschlossenen Ablösungsvertrag aus dem Jahre
1969 ging. Schließlich ist auch kein konkreter Anhalt dafür zu erkennen, daß das
Gericht gleichwohl über den Fall hinausgehende Aussagen zur Reichweite seiner
"Mißbil- ligungsrechtsprechung" habe machen wollen.
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2. Weil der angegriffene Beschluß des Verwaltungsgerichts und das ihm vom
Antragsgegner entgegengehaltene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9.
November 1990 Ablösungsvereinbarungen aus dem Geltungsbereich verschiedener
Gesetze (PrFlG/BBauG) betreffen und zudem in verschiedenen Verfahren (einstweiliges
Rechtsschutzverfahren/Hauptsacheverfahren) ergangen sind, kommt eine Zulassung
der Beschwerde wegen Abweichung der angegriffenen Entscheidung von der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 4
VwGO) nicht in Betracht. Im übrigen stünde einer Beschwerdezulassung nach dieser
Bestimmung auch entgegen, daß die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in
seinem genannten Urteil zur Mißbilligungsgrenze bei genauer Betrachtung nur den
Charakter nichttragender Begründungselemente (sog. obiter dicta) haben.
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Dazu, daß die Abweichung von einem obiter dictum keinen Zulassungsgrund darstellt,
vgl. HessVGH, Be- schluß vom 9. Juli 1998 - 8 TZ 2348/98 - , HSGZ 1999 S. 69; Bader
in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albe- dyll, VwGO, 1999, § 124 Rnrn. 54 und 60.
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3. Der Antragsgegner hat ergänzend angemerkt, es sei in diesem Fall "durchaus
vertretbar, von einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung auszugehen" (§ 146
Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Auch dies kann eine Zulassung der
Beschwerde aber nicht rechtfertigen. Denn der Antragsgegner hat verabsäumt
darzulegen (§ 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO), inwiefern eine Klärung der (von ihm selbst
nicht eindeutig so qualifizierten) Grundsatzfrage schon in einem Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes zu erwarten wäre, das hierfür wegen seiner Eilbedürftigkeit
und begrenzten Erkenntnismöglichkeiten nicht ohne weiteres geeignet ist.
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Vgl. den Beschluß des Senats vom 26. März 1999 - 3 B 217/99 - ,NVwZ-RR 1999, 678,
mH auf den Beschluß vom 25. August 1988 - 3 B 2564/85 - , NVwZ-RR 1990, 54; Bader,
aaO, § 146 Rn. 20.
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II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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