Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.06.1998
OVG NRW (wiedereinsetzung in den vorigen stand, kläger, höhe, anrechenbares einkommen, einkommen, bewilligung, sozialhilfe, abzug, betrag, klageverfahren)
Oberverwaltungsgericht NRW, 16 E 502/98
Datum:
26.06.1998
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 E 502/98
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 9 K 1439/98
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des gerichtskostenfreien zweitinstanzlichen
Verfahrens werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde ist unbegründet. Der Antrag der Kläger, ihnen unter Beiordnung von
Rechtsanwältin Drube-Stracke Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren zu bewilligen,
kann keinen Erfolg haben, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg im Sinne von § 114 ZPO iVm § 166 VwGO bietet. Dabei kann dahinstehen, ob die
Kläger eine zulässige Klage erhoben haben, weil diese jedenfalls in der Sache keinen
Erfolg verspricht.
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Anders als das Verwaltungsgericht neigt der Senat allerdings der Ansicht zu, daß die
Kläger bereits am 27. März 1998 in wirksamer Weise die Klage erhoben haben. Der
Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Kläger vom 27. März 1998 ist mit "KLAGE
und PKH-GESUCH" überschrieben und enthält bereits einen uneingeschränkten
Sachantrag. Zwar wird zunächst beantragt, den Klägern "vorab" Prozeßkostenhilfe zu
bewilligen. Daraus läßt sich aber kaum herleiten, daß nur für den Fall der
Prozeßkostenhilfebewilligung Klage erhoben werden soll, sondern dies besagt
lediglich, daß vorab, also zunächst über die Prozeßkostenhilfebewilligung entschieden
werden soll, ehe das Klageverfahren betrieben wird. Eine bedingte Klageerhebung läge
beispielsweise vor bei einer Überschrift "Prozeßkostenhilfegesuch und (für den Fall der
Bewilligung) Klage", wenn es außerdem ausdrücklich heißt, "für den Fall der
Bewilligung der Prozeßkostenhilfe erhebe ich hiermit Klage", wie dies etwa in dem beim
Senat anhängigen Verfahren mit dem Aktenzeichen 16 E 138/99 der Fall ist, dessen
Beschluß vom 22. März 1999 den Beteiligten zur Kenntnis gegeben worden ist.
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Letztlich kann indes dahinstehen, ob die Klageerhebung am 27. März 1998 mit dem
Verwaltungsgericht und dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger als bedingt angesehen
werden muß und ob den Klägern ggf. in Ansehung der mit Schriftsätzen vom 17. Juni
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1998 ("höchst vorsorglich ... unbedingt") bzw. vom 2. September 1999 ("ohne
Bedingung") erhobenen Klage hinsichtlich der versäumten Klagefrist Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand
- vgl. zur Problematik Senatsbeschluß vom 22. März 1999 - 16 E 138/99 -
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gewährt werden kann; denn der Klage fehlt in der Sache die hinreichende
Erfolgsaussicht.
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Gegenstand des Klageverfahrens ist die begehrte Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit
vom 29. August 1996 bis Ende Februar 1998. Für diesen Zeitraum kann aufgrund der
vorliegenden Unterlagen und Angaben nicht davon ausgegangen werden, daß der
sozialhilferechtlich anzuerkennende Bedarf der Kläger das anzurechnende Einkommen
übersteigt.
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Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 13. August 1998 unwidersprochen vorgetragen,
daß das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Klägers im Jahre 1997
2.667,07 DM betragen habe; nach Abzug des Einkommensfreibetrages in Höhe von
235,95 DM, einer Arbeitsmittelpauschale von 10,- DM und Fahrkosten in Höhe von 170,-
DM (vgl. hierzu § 3 Abs. 5 und 6 der Verordnung zu § 76 BSHG) verbleibe ein
anrechenbares Einkommen von 2.251,12 DM. Es deutet allerdings einiges darauf hin,
daß von diesem Betrag noch die bisher vom Beklagten anerkannten
Versicherungsbeiträge und Beiträge zu Berufsverbänden (zusammen 82,94 DM bzw. im
Hinblick auf die zum 1. Mai 1997 erfolgte Erhöhung des Haftpflichtversicherungsbeitrags
ab Mai 1997 83,63 DM) in Abzug zu bringen sind.
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Bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen überschlägigen Würdigung dürfte
hingegen der von den Klägern außerdem abgesetzte Betrag für die Lebensversicherung
des Klägers in Höhe von 78,- DM nicht abzugsfähig sein (vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG).
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Vgl. Brühl in LPK-BSHG, 5. Aufl. § 76 Rn. 28.
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Als angemessen sind entsprechende Beiträge in der Rechtsprechung etwa dann
angesehen worden, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit voraussichtlich ein
Sozialhilfebedarf besteht, der sonst durch Sozialhilfeleistungen abgedeckt werden
müßte, und wenn sichergestellt ist, daß die Versicherungsleistungen dazu verwandt
werden, diesen Bedarf zu decken.
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Vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 22. Juni 1987 - IX OE 98/82 -, FEVS 37, 316(322), und
Urteil des Senats vom 7. August 1998 - 16 A 1323/96 -.
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Für einen solchen zukünftigen besonderen Bedarf ist vorliegend nichts ersichtlich.
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Auch unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Altersversorgung kommt nach dem
gegenwärtigen Sach- und Streitstand ein Abzug nicht in Betracht, weil überwiegende
Gründe dafür sprechen, daß die Kläger eine angemessene Alterssicherung ohnehin
erreichen werden.
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Vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1988 - 5 C 48.85 -, FEVS
38, 45(49 f.).
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Beide stehen jedenfalls in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis und zumindest der
Kläger geht seiner Beschäftigung soweit ersichtlich bis heute fortlaufend nach, so daß
sie aller Voraussicht nach zumindest in gemeinsamen Jahren des Ruhestandes über
eine Altersversorgung verfügen werden, wie sie einem Ehepaar in dem auch heute noch
nicht unüblichen Fall eines "Alleinverdieners" im Alter zusteht.
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Zu bedenken ist zwar auch der Fall des Vorversterbens des Klägers. Mit der Aufgabe
der Sozialhilfe, einem Hilfebedürftigen die nötige Hilfe zu gewähren, ist die
Verpflichtung zur Zahlung von Sozialhilfe als Folge eines geringeren
Einkommenseinsatzes nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG im Hinblick auf die Alterssicherung
jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn damit für den Hilfebedürftigen eine Verbesserung
erreicht wird, die im Ergebnis zu einer Entlastung der Sozialhilfe führt. Dabei genügt
nicht, daß eine Verbesserung irgendwann eintreten kann oder wird; sie muß vielmehr
absehbar sein.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1999 - 5 C 18.98 -.
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Daran fehlt es bei überschlägiger Würdigung vorliegend auch, soweit es um eine durch
die Beiträge zur Lebensversicherung bezweckte Alterssicherung der Klägerin geht. Sie
ist zwar seit dem 3. März 1995 ihrem Beruf nicht nachgegangen und beispielsweise von
der Krankenkasse inzwischen ausgesteuert; sie steht jedoch nach wie vor in einem
ungekündigten Arbeitsverhältnis, so daß sich auch angesichts ihres noch relativ jungen
Lebensalters - geboren ist sie am 10. März 1953 - an dieser Stelle nicht ausschließen
läßt, daß sie auf Grund eigener Berufstätigkeit noch einen eigenen Anspruch auf
ausreichende Altersrente erwirbt.
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Letztlich allein der Kapitalansammlung dienende Lebensversicherungen sind jedoch
nicht nach Grund und Höhe angemessen im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1988 - 5 C 48.85 -, FEVS 38, 45(50), und OVG
Lüneburg, Urteil vom 29. Mai 1985 - 4 A 93/82 -, FEVS 36, 108 (119).
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Geht man zugunsten der Kläger davon aus, daß der geltend gemachte Beitrag für die
Unfallversicherung
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- vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 29. November 1989 - 4 A 205/88 -, FEVS 42, 104, -
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in Höhe von 47,41 DM bzw. (ab 1. Mai 1997) 51,57 DM berücksichtigungsfähig ist,
beläuft sich nach allem das anrechnungsfähige Einkommen des Klägers für 1997 auf
einen Betrag von 2.120,77 DM bzw. 2.115,92 DM für die Zeit ab 1. Mai 1997.
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Dieses Einkommen hat ausgereicht, um jedenfalls den Bedarf des Klägers vollständig
zu decken. Es läßt sich jedoch auch nicht feststellen, daß bei der Klägerin unter
Berücksichtigung des ihr gemäß § 122 Satz 1 iVm § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHGG
zuzurechnenden Einkommensüberschusses des Klägers ein die Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe rechtfertigender ungedeckter Restbedarf verblieben wäre. Bis zum
30. Juni 1997 betrug der Regelsatz für die Kläger 531,- DM und 425,- DM monatlich,
danach 539,- DM und 431,- DM. Zugunsten der Kläger geht der Senat von
Unterkunftskosten (2/3 Anteil) in Höhe von 613,33 DM und einer Heizkostenpauschale
(2/3 Anteil) von 96,67 DM aus, da die Kläger monatlich 920,- DM für Miete und
Nebenkosten gezahlt haben und ab 1996 die Heizkostenpauschale 145,- DM betrug.
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Von der Heizkostenpauschale muß nach der Rechtsprechung des beschließenden
Gerichts allerdings ein Abschlag in Höhe von 18 v.H. (17,40 DM) für die darin
enthaltenen, jedoch bereits mit dem Regelsatz abgegoltenen Warmwasserkosten
herausgerechnet werden.
Vgl. OVG NW, Urteil vom 13. September 1988 - 8 A 1239/86 -, FEVS 38, 151(156).
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Das ergibt einen Gesamtbetrag von höchstens 1.662,60 DM. Hinzu kommen 209,66 DM
bzw. ab 1. Mai 1997 214,66 DM an Krankenversicherungs- und
Pflegeversicherungsbeiträgen für die Klägerin. Daraus errechnet sich ein Gesamtbedarf
von höchstens 1877,26 DM.
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Die zwischen den Beteiligten besonders umstrittene Frage, ob die Kläger Anspruch auf
einen Mehrbedarf wegen notwendiger Vollwerternährung haben, die an sich der
Klärung im Hauptverfahren vorbehalten bleiben müßte und daher u.U. die Gewährung
von Prozeßkostenhilfe rechtfertigen könnte, wird sich im vorliegenden Klageverfahren
nicht stellen. Der Mehrbedarf in Höhe von 25 % würde bis zum 30. Juni 1997 239,- DM
(= 132,75 DM + 106,25 DM) bzw. ab 1. Juli 1997 242,50 DM (= 134,75 DM + 107,75 DM)
betragen. Selbst wenn er den Klägern zusteht, ergibt sich ein Gesamtbedarf von
höchstens 2.119,76 DM, während von einem anzurechnenden Einkommen von
2.120,77 DM bzw. ab 1. Mai 1997 von 2.115,92 DM auszugehen ist. Der geringfügige
Differenzbetrag für einen Teilzeitraum rechtfertigt auch für die Klägerin nicht die
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, denn nach den unwidersprochen gebliebenen
Angaben des Beklagten sind Lohnsteuerrückerstattungen bei der
Einkommensberechnung
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- vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 5 C 35.97 - -
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noch nicht berücksichtigt worden.
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Anhaltspunkte dafür, daß die Gesamtsituation in den Monaten Januar und Februar 1998
anders sein könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Senat geht schließlich
außerdem davon aus, daß auch für den Anspruchszeitraum des Jahres 1996 nichts
anderes gilt. Der Beklagte ist bei der Berechnung des anzurechnenden Einkommens
von den Bezügen des Klägers für den Monat Juli 1996 ausgegangen. Er ist dabei aber
offensichtlich von einem zu niedrigen Einkommen ausgegangen; denn er hat weder das
Urlaubsgeld noch eine Weihnachtszuwendung oder eine eventuell angefallene
Lohnsteuerrückerstattung mit in Ansatz gebracht, obwohl diese anteilig im Monat zu
berücksichtigen sind.
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Vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., § 76 Rn. 15, sowie Urteil des Senats
vom 7. August 1998 - 16 A 1323/96 - und BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 5 C
35.97 -.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 188 Satz 2, 166 VwGO iVm § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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