Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.03.2009
OVG NRW: gegen die guten sitten, treu und glauben, neue beweismittel, haus, veranlagung, verbrauch, messung, auflage, wassermenge, satzung
Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 397/08
Datum:
24.03.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 A 397/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 7 K 1333/06
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 24. Februar 2006 gegenüber der Klägerin für das
Veranlagungsjahr 2006 Kanalbenutzungsgebühren von 2.245,80 EUR fest. Nachdem
die Klägerin gegen den Bescheid keinen Widerspruch eingelegt hatte, beantragte diese
mit Schreiben vom 19. Juni 2006, die Kanalbenutzungsgebühren zu reduzieren. Sie
gehe davon aus, dass der Veranlagung eine zu hohe Wassermenge (394 m3)
zugrundeliege. Der Hauptwasserzähler der RWE Rhein-Ruhr AG (RWE) habe eine zu
große Wassermenge gemessen. Laut der im Haus installierten privaten Zwischenzähler
ergebe sich für den Zeitraum vom 31. März bis zum 31. Dezember 2005 eine
Verbrauchsmenge von 243,208 m3. Auf das Jahr hochgerechnet ergebe dies eine
Verbrauchsmenge von 322,80 m3. Grund für die fehlerhafte Messung sei, dass in ihrem
Haus ein Rückflussverhinderer fehle.
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Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21. Juli 2006 ab. Bei der
Veranlagung der Kanalbenutzungsgebühren sei gemäß § 2 Abs. 3 der
Gebührensatzung der Stadt N. vom 14. November 1990 zur Entwässerungssatzung der
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Stadt N. vom 26. Juni 2000 (Entwässerungsgebührensatzung - EGS -) als maßgebliche
Wassermenge die vom Wasserversorgungsunternehmen gemessene oder
zugrundegelegte Verbrauchsmenge zu berücksichtigen. Der für die Klägerin zuständige
Wasserversorgungsverband Q. habe mitgeteilt, es sei bislang nicht erwiesen, dass der
ihrer Mengenangabe zugrundeliegende Hauptwasserzähler falsch gemessen habe.
Einen insoweit erforderlichen Antrag zur Prüfung des Zählers habe die Klägerin bislang
nicht gestellt. Zudem habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die im Haus
installierten Zwischenzähler den Eichvorschriften entsprächen und dass zwischen
Haupt- und Zwischenzählern kein Frischwasser abgezweigt werde. Ebenso sei nicht
bewiesen, dass der gemessene Mehrverbrauch nicht durch das Fehlen eines
Rückflussverhinderers verursacht worden sei. Für dessen Fehlen und dadurch bedingte
Fehlmessungen trage der Eigentümer die Verantwortung. Maßgeblich bleibe bis zum
endgültigen Nachweis eines Zählerdefekts die durch den Hauptwasserzähler
gemessene Verbrauchsmenge. Unabhängig davon habe eine Rücksprache mit der
RWE ergeben, dass sich für das Haus der Klägerin aufgrund der Kundenablesung vom
1. Juni 2005 für den Zeitraum vom 31. März 2004 bis zum 1. Juni 2005 ein Verbrauch
von 648 m3 ergeben habe. Das entspreche einem Jahreswert von 555 m3. Der
tatsächlichen Veranlagung liege demgegenüber ein niedrigerer Wert zugrunde. Dabei
handle es sich um einen hochgerechneten Schätzwert, den die RWE aufgrund einer
fehlenden Kundenablesung festgesetzt habe.
Die Klägerin legte Widerspruch gegen den Bescheid ein und machte geltend: Sie sei
nicht zur Installation eines Rückflussverhinderers verpflichtet gewesen. Unabhängig
davon sei das Wasserwerk sowohl zu einer richtigen Messung als auch zu dem
Nachweis verpflichtet, dass eine vorgenommene Messung richtig sei. Vorliegend sei die
Messung wegen des fehlenden Rückflussverhinderers nachweislich falsch. Auf eine
Schätzung der RWE lasse sich der Abgabenbescheid nicht stützen. Insoweit seien die
Kanalbenutzungsgebühren nicht nur zu reduzieren, sondern mangels einer wirksamen
Grundlage vollständig zu erlassen. Im Übrigen habe das Wasserwerk die
Hauptwasseruhr inzwischen wegen der Fehlerhaftigkeit ausgetauscht.
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Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2006
zurück und führte aus: Er habe die Verbrauchsmenge korrekt ermittelt. Das Wasserwerk
Q. installiere die Wasserzähler, nehme über die RWE die Ablesung vor und ermittle im
Auftrag der Stadt N. die Jahresverbrauchsmengen der einzelnen Hausanschlüsse.
Liege eine Kundenablesung nicht vor, werde die Jahresverbrauchsmenge geschätzt.
Die Selbstablesung privater handelsüblicher Wasserzähler reiche dagegen nicht aus.
Habe der Gebührenpflichtige Zweifel an der Richtigkeit der Messungen und mache er
hieraus Ansprüche geltend, treffe ihn die Nachweispflicht.
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Die Klägerin hat rechtzeitig Klage erhoben und vorgetragen: Die auf § 2 Abs. 3 der EGS
basierende Gebührenerhebung sei rechtswidrig. Die Regelung sei unwirksam, soweit
sie vorsehe, dass bei der Veranlagung zu den Kanalbenutzungsgebühren die
"zugrunde gelegten" Verbrauchsmengen zu berücksichtigen seien. Diese Formulierung
sei unbestimmt; außerdem lege der Beklagte sie falsch aus, weil maßgeblich die
Verbrauchsmenge des gesamten Vorjahres sei. Darüber hinaus werde auf diese Weise
die Höhe der Gebühren in die Hände öffentlicher oder privater Wasserversorger
gegeben. Das sei unzulässig. Auf § 2 Abs. 4 EGS, der die Möglichkeit der Schätzung
der zugeführten Wassermenge vorsehe, könne die Gebührenfestsetzung ebenfalls nicht
gestützt werden. Selbst wenn man eine Schätzung für zulässig halte, dürfe der Beklagte
der Schätzung nur die von ihr, der Klägerin, ermittelten Verbrauchswerte zugrunde
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legen. Dass der Hauptwasserzähler defekt gewesen sei, zeige sich schon daran, dass
der Wasserverband Q. diesen ausgetauscht habe. Zu weiteren Nachweisen sei sie nicht
verpflichtet.
Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Juli 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2006 zu verpflichten, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag auf Reduzierung der
Kanalbenutzungsgebühren für den Abrechnungszeitraum 2006 zu entscheiden.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat seinen Vortrag aus den abgefochtenen Bescheiden wiederholt und vertieft.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin könne ihr Begehren nach Eintritt der
Bestandskraft des Gebührenbescheides vom 24. Februar 2006 allenfalls auf § 130 Abs.
1 AO stützen. Dessen Voraussetzungen lägen nicht vor. Der Bescheid vom 24. Februar
2006 sei rechtmäßig. Er stütze sich auf Satzungsregelungen, die rechtlich nicht zu
beanstanden seien. Es begegne keinen Bedenken, dass der Beklagte den
Wasserverbrauch auf der Basis von Schätzwerten bestimmt habe. Die Rechtmäßigkeit
des Gebührenbescheides werde weder dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin
mittels privater und teilweise ungeeichter Zwischenzähler abweichende
Wasserverbrauchsmengen ermittelt habe, noch dadurch, dass in ihrem Haus ein
Rückflussverhinderer fehle.
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Mit der zugelassenen Berufung trägt die Klägerin ergänzend vor: Der
Gebührenbescheid vom 24. Februar 2006 sei rechtswidrig, weil er sich auf nichtige
Satzungsregelungen stütze. Der erkennende Senat habe mit Urteil vom 18. Dezember
2007 - 9 A 3648/04 - entschieden, dass die Heranziehung des Frischwassermaßstabes
für die Gebührenbemessung der Niederschlagswasserentsorgung unzulässig sei. Diese
Grundsätze seien auch hier maßgeblich. In den angefochtenen Bescheiden hätte der
Beklagte die Nichtigkeit der Satzungsbestimmungen berücksichtigen müssen. Sie
bestreite, dass die Kundenablesung zum 1. Juni 2005, auf die sich der Beklagte und das
angefochtene Urteil bezögen, tatsächlich stattgefunden habe. Außerdem sei ein
Vergleich unterschiedlicher Verbrauchszeiträume aufgrund der unterschiedlichen
Auslastung des Objektes nicht zulässig. Der Beklagte habe über den Antrag nach § 130
Abs. 1 AO ermessensfehlerhaft entschieden, weil er kein Ermessen ausgeübt habe.
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides
vom 21. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2006 zu
verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den
Antrag auf Reduzierung der Kanalbenutzungsgebühren für den Abrechnungszeitraum
2006 auf 1.839,96 EUR zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er trägt vor: Die Nichtigkeit der Bestimmungen der Entwässerungsgebührensatzung sei
für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ohne Bedeutung. Die Bescheide
beträfen lediglich die Frage, ob die mit bestandskräftigem Gebührenbescheid vom 24.
Februar 2006 festgesetzen Gebühren aufgrund einer unzutreffend zugrundegelegten
Wasserverbrauchsmenge zu ermäßigen waren. Eine komplette Überprüfung der
Satzung habe er daher in diesem Zusammenhang nicht vornehmen müssen. Soweit die
Klägerin vortrage, dass die Zwischenzähler geeicht gewesen seien, werde dies
bestritten. Entsprechende Belege habe die Klägerin zu keinem Zeitpunkt vorgelegt. Der
Austausch des Hauptwasserzählers belege nicht, dass dieser defekt gewesen sei. Die
Zähler würden ohnehin turnusmäßig ausgetauscht. Es sei durchaus üblich, dass bei
Streitigkeiten über den Verbrauch ein Austausch des Zählers erfolge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakte Heft 1) und des
Wasserwerks des Wasserversorgungszweckverbandes Q. (Beiakten Hefte 2 und 3)
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch
darauf, dass der Beklagte über ihren Antrag auf Reduzierung der
Kanalbenutzungsgebühren für den Zeitraum 2006 erneut entscheidet. Der Bescheid
vom 21. Juli 2006 und der Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2006 sind rechtmäßig
(vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Der Beklagte hat es zutreffend abgelehnt, im Rahmen einer erneuten Sachentscheidung
die Höhe der Kanalbenutzungsgebühren entsprechend dem Begehren der Klägerin zu
reduzieren.
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I. Ein Anspruch auf eine andere Entscheidung des Beklagten kann weder aus § 173 AO
noch aus § 51 VwVfG NRW hergeleitet werden, weil keine dieser Vorschriften auf die
hier in Streit stehende Kommunalabgabe Anwendung findet. § 12 KAG NRW, der auf
die Vorschriften der Abgabenordnung verweist, nimmt die Regelung des § 173 AO nicht
in Bezug. Mangels einer Regelungslücke scheidet eine analoge Anwendung dieser
Vorschrift aus.
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Vgl. OVG NRW, Urteile vom 26. Oktober 1987 - 2 A 2738/84 -, GemH 1989, 37, und vom
22. Mai 1980 - 3 A 2378/79 -, KStZ 1980, 239.
24
§ 51 VwVfG NRW kommt in Verfahren, in denen - wie hier - Rechtsvorschriften der
Abgabenordnung anzuwenden sind, ebenfalls nicht zur Anwendung (§ 2 Abs. 2 Nr. 1
VwVfG NRW).
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Es bedarf keiner Entscheidung, ob aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen - entsprechend
§ 51 VwVfG - ein Anspruch auf Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen
abgaberechtlichen Verwaltungsverfahrens hergeleitet werden kann.
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Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Mai 1980, a.a.O. (dort bejaht für
Erschließungsbeiträge), und vom 26. Oktober 1987 - 2 A 2738/84 -, a.a.O. (dort bejaht
für Kanalbenutzungsgebühren).
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Denn hier fehlt es jedenfalls an den Voraussetzungen, unter denen der Beklagte zur
Entscheidung über die (Teil-)Aufhebung des angefochtenen Abgabenbescheides
entsprechend den aus § 51 Abs. 1 VwVfG NRW abgeleiteten Rechtsgedanken
verpflichtet wäre.
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Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über
die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden,
wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage
nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Beides ist hier nicht der Fall.
Weder sind Tatsachen, die im Zeitpunkt des Erlasses des früheren Bescheides vorlagen
und für die behördliche Entscheidung objektiv bedeutsam waren, nachträglich wegfallen
noch sind neue, für die Entscheidung erhebliche Tatsachen nachträglich eintreten.
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Vgl. zu den Voraussetzungen: BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 4 C 2.00 -,
BVerwGE 115, 274; Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage, §
51 Rdnr. 90; Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage, § 51 Rdnr. 29.
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Die Klägerin hält lediglich die in dem Abgabenbescheid vom 24. Februar 2006
ausgewiesene Verbrauchsmenge für unzutreffend und beruft sich in diesem
Zusammenhang auf abweichende Messergebnisse der im Haus installierten
Zwischenzähler, auf den fehlenden Einbau des Rückflussverhinderers sowie darauf,
dass ihr die Veranlagung im Wege der Schätzung nicht bekannt gewesen sei. Sie macht
damit aber allenfalls die nachträgliche subjektive Kenntniserlangung von Tatsachen
geltend, die bereits bei Erlass des Abgabenbescheides Bestand hatten. Eine Änderung
von Tatsachen liegt darin nicht.
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Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 26. Oktober 1987, a.a.O.; Stelkens/Bonk/Sachs,
a.a.O., § 51 Rdnr. 90; Knack, a.a.O., § 51 Rdnr. 29.
32
Es ist auch keine Änderung der Rechtslage gegeben. Eine solche Änderung ist
insbesondere nicht mit Blick auf die zwischenzeitliche Entscheidung des erkennenden
Senats,
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Urteil vom 18. Dezember 2007 - 9 A 3684/04 -, NWVBl. 2008, 142,
34
anzunehmen, wonach der Frischwassermaßstab kein zulässiger Maßstab für die
einheitliche Erhebung von Abwassergebühren für Schmutz- und Niederschlagswasser
ist. Eine bloße Änderung der Rechtsprechung stellt keine Änderung der Rechtslage dar.
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Vgl. (zur Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung) BVerwG, Beschlüsse vom 25.
Mai 1981 - 8 B 93.80 u.a. -, NJW 1981, 2595, und vom 16. Februar 1993 - 9 B 241.92 -,
DÖV 1993, 532, sowie (zur Änderung obergerichtlicher Rechtsprechung) OVG NRW,
Urteil vom 19. März 1993, a.a.O.
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Die Klägerin hat auch keine neuen Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG
NRW beigebracht, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Beweismittel sind solche Erkenntnismittel, die die Überzeugung von der Existenz oder
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Nichtexistenz von Tatsachen begründen können.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 C 12.92 -, BVerwGE 95, 86.
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Als Beweismittel kommt hier allenfalls das Ableseergebnis der im Haus der Klägerin
installierten Zwischenzähler in Betracht. Es bedarf keiner Klärung, ob es sich dabei
überhaupt um ein Erkenntnismittel im obigen Sinne handelt, und ob die Klägerin die
Eignung des "Beweismittels", eine für sie günstigere Entscheidung herbeizuführen, wie
erforderlich schlüssig dargelegt hat. Denn das "Beweismittel" wäre jedenfalls nicht
"neu". Neue Beweismittel sind nur solche, die während der Anhängigkeit des ersten
Verwaltungsverfahrens noch nicht existierten oder die zwar schon vorhanden waren,
aber ohne Verschulden des Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden
konnten.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1994, a.a.O., und vom 21. April 1982 - 8 C 75.80 -,
NJW 1982, 2204.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil es der Klägerin nach Erlass des
Bescheides vom 24. Februar 2006 innerhalb der Rechtsmittelfrist frei stand, die
Ergebnisse der Zwischenzähler abzulesen und mit der von dem Beklagten
zugrundegelegte Verbrauchsmenge zu vergleichen. Dass sie die Zwischenzähler
tatsächlich erst später hat ablesen lassen, ist rechtlich unerheblich, weil dieser Umstand
in ihren Einflussbereich fällt.
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II. Der Klägerin steht ein Anspruch auf erneute Entscheidung über ihren Antrag auf
Reduzierung der Kanalbenutzungsgebühren für das Veranlagungsjahr 2006 auch nicht
gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NRW, § 130 AO zu. Nach § 130 Abs. 1 AO kann
ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz
oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen
werden. Der Beklagte hat es mit den angefochtenen Bescheiden ermessensfehlerfrei
abgelehnt, den bestandskräftigen Abgabenbescheid vom 24. Februar 2006 (teilweise)
zurückzunehmen.
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Die Entscheidung des Beklagten ist nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil sich der
Abgabenbescheid vom 24. Februar 2006 auf eine wegen eines fehlerhaften Maßstabes
nichtige satzungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage stützt.
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Vgl. zur Fehlerhaftigkeit des Maßstabes: OVG NRW, Urteil vom 18. Dezember 2007- 9 A
3684/04 -, a.a.O.
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Der Beklagte ist aus diesem Grund nicht zur Rücknahme des Bescheides verpflichtet
gewesen. Eine entsprechende Ermessensreduzierung auf Null wäre auch bei dadurch
bedingter Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes allenfalls dann
anzunehmen, wenn die Aufrechterhaltung des Bescheides aufgrund von
Besonderheiten des Einzelfalls für die Klägerin schlechthin unerträglich wäre oder
Umstände ersichtlich wären, die die Berufung des Beklagten auf die Bestandskraft als
einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen liessen.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. August 2001 - 9 A 4475/98 -, n.v., m.w.N. aus der
Rechtsprechung.
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Solche Umstände, die über die bloße Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides
hinausgingen und eine "unerträgliche" Belastung der Klägerin begründen könnten, sind
von dieser nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich.
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Dass dem Beklagten die Nichtigkeit der Entwässerungsgebührensatzung nicht bewusst
war und er diesen Umstand bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat, begründet
keinen Ermessensfehler. Die Behörde ist nicht gehalten, bei ihrer Entscheidung
sämtliche denkbaren Umstände in Betracht zu ziehen, die die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsaktes begründen könnten. Sie darf sich vielmehr auf die Prüfung der von
dem jeweiligen Antragsteller vorgebrachten Argumente beschränken, es sei denn, ihr
drängt sich auf, dass der Verwaltungsakt aus anderen Gründen rechtswidrig ist.
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Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 6. Januar 1972 - III C 83.70 -, BVerwGE 39, 231;
Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2005, § 48 Rdnr. 80;
Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflage 2006, § 114 Rdnr. 179.
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Dem Beklagten musste sich hier nicht aufdrängen, dass die
Entwässerungsgebührensatzung aufgrund des Bemessungsmaßstabes nichtig sein
könnte. Die Klägerin hatte solche Erwägungen in ihrem Antrag nicht angestellt. Dass
der Frischwassermaßstab kein zulässiger Maßstab für die einheitliche Erhebung von
Abwassergebühren für Schmutz- und Niederschlagswasser ist, ergab sich erst aus dem
Urteil des erkennenden Senats vom 18. Dezember 2007.
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Dem Beklagten sind bei seiner Entscheidung über den Antrag der Klägerin auch im
Übrigen keine einer gerichtlichen Kontrolle zugänglichen Ermessensfehler (vgl. § 114
VwGO) unterlaufen. Er hat erkannt, dass er trotz der Bestandskraft des
Abgabenbescheides die Möglichkeit zur Reduzierung der Kanalbenutzungsgebühren
hatte. Es ist nicht zu beanstanden, dass er dies nicht in Betracht gezogen und eine
nähere Überprüfung der Wasserverbrauchsmenge, die er in dem Abgabenbescheid vom
24. Februar 2006 zugrunde gelegt hat, nicht vorgenommen hat.
51
Der Beklagte hat seine Entscheidung in dem angefochtenen Bescheid vom 21. Juli
2006 zusammengefasst darauf gestützt, dass sich unter Berücksichtigung des
Vorbringens der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Falschmessung
ergäben. Des Weiteren habe die Klägerin die Möglichkeit nicht entkräftet, dass die
unterschiedlichen Messungen des Haupt- und der Zwischenzähler auf Gründen
beruhten, die in ihre Verantwortungssphäre fielen. Der Beklagte hat unabhängig davon
nachvollzogen, dass die im Wege der Schätzung zugrunde gelegte Verbrauchsmenge
von 394 m3 den Wert unterschritt, der aufgrund der tatsächlich erfolgten Ablesungen
festzusetzen gewesen wäre.
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Dass diese Erwägungen nicht sachgerecht sind, ist nicht ersichtlich. Weder begegnet
der von dem Beklagten angelegte Maßstab für den Eintritt in eine erneute sachliche
Überprüfung durchgreifenden Bedenken noch beruht dieser Maßstab auf sachlich
unzutreffenden Überlegungen.
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Es ist nichts dagegen zu erinnern, dass der Beklagte von dem Adressaten eines
Abgabenbescheides, der sich nach Ablauf der Rechtsmittelfrist auf eine fehlerhafte
Ermittlung der Verbrauchswerte beruft, einen substanziierten Vortrag sowie die
Erbringung zugänglicher Nachweise für eine fehlerhafte Ermittlung fordert. Der Beklagte
war nicht gehalten, aufgrund bloßer Zweifel an der Richtigkeit der Höhe der ermittelten
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Verbrauchsmenge umfangreiche eigene Ermittlungen einzuleiten.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte zu Unrecht angenommen hat, das
Vorbringen der Klägerin genüge den gestellten Anforderungen nicht. Die Klägerin hat
selbst im gerichtlichen Verfahren nicht belegt, dass die Zwischenuhren, auf deren
Messergebnis sie sich beruft, den Eichvorschriften entsprochen haben. Dieser
Nachweis wäre ihr anhand der entsprechenden Stempelzeichen ohne Weiteres
möglich. Ebenso hat sie keine Überprüfung des Hauptwasserzählers beantragt. Dass ihr
dies aufgrund des Kostenrisikos nicht zumutbar wäre, ist nicht ersichtlich. Gemäß § 19
Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser
(AVBWasserV), der hier gemäß § 10 der Satzung über die Versorgung der Grundstücke
mit Wassser und den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung des
Wasserversorgungszweckverbandes Q. N. vom 26. Februar 1982 Anwendung findet,
fallen die Kosten der Prüfung (nur dann) dem Kunden zur Last, falls die Abweichung die
gesetzlichen Verkehrsfehlergrenzen nicht überschreitet. Die Klägerin ist bereits im
Schreiben des Wasserversorgungszweckverbandes Q. vom 6. Juni 2006 auf die
Überprüfungsmöglichkeit hingewiesen worden und hätte spätestens aufgrund des
erneuten Hinweises in dem angefochtenen Bescheid, dass es an einem solchen Antrag
fehle, deutlich machen müssen, dass sie eine solche Überprüfung begehrt.
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Dass der Beklagte das nachweisliche Fehlen eines Rückflussverhinderers nicht zum
Anlass genommen hat, die festgesetzte Verbrauchsmenge einer erneuten Überprüfung
zu unterziehen, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Der Beklagte konnte insoweit die
erneute Überprüfung der Messwerte ermessensfehlerfrei mit Blick darauf ablehnen,
dass der fehlende Einbau des Rückflussverhinderers von der Klägerin zu verantworten
sei und deshalb keine Veranlassung zur Gebührenreduzierung bestehe, wenn dem
Abgabenbescheid allein deshalb fehlerhafte Parameter zugrunde liegen sollten. Dass
die Pflicht zum Einbau des Rückflussverhinderers in die Sphäre der Klägerin fiel, hat
das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt.
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Schließlich konnte der Beklagte auch davon ausgehen, dass die Klägerin durch die
vorgenommene Veranlagung im Wege der Schätzung der Verbrauchsmenge jedenfalls
nicht benachteiligt worden ist. Das gilt unabhängig davon, ob auf den auf den
Jahreswert hochgerechneten Verbrauch von 555 m3 oder den von der RWE für den
Zeitraum vom 3. Juni bis zum 31. Dezember 2005 ermittelten - nach der Satzung nicht
maßgeblichen - Verbrauch von 468 m3 abgestellt wird. Vor dem Hintergrund der obigen
Ausführungen war der Beklagte nicht gehalten, statt dessen die von der Klägerin durch
die Ablesung der Zwischenuhren ermittelten Werte heranzuziehen. Es trifft auch nicht
zu, dass die von der RWE übermittelten Werte keine Gültigkeit beanspruchen können,
weil die Klägerin eine Ablesung des Hauptwasserzählers zum 1. Juni 2005 bestritten
hat. Dass eine solche Ablesung stattgefunden hat, wird schon durch die von der
Klägerin vorgelegte Zwischenrechnung der RWE vom 29. März 2006 bestätigt, die den
Zählerstand des Hauptwasserzählers zu Beginn und zum Ende des Zeitraums vom 3.
Juni bis zum 31. Dezember 2005 ausweist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür,
dass diese Zählerstände nicht auf einer Ablesung beruhen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung hinsichtlich
der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 132 Abs. 2 VwGO)
nicht vorliegen.
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