Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 31.03.2006

OVG NRW: rumänien, amnesty international, zahnärztliche behandlung, arbeitsstelle, minderheitenschutz, regierung, einkauf, ungarn, beweiswürdigung, repressalien

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 197/04
Datum:
31.03.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 197/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 22 K 6739/01
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsver-fahrens. Die
außergerichtlichen Kosten des Bei-geladenen sind nicht
erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 16.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat unter keinem der geltend gemachten
Gesichtspunkte Erfolg.
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Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
liegt nicht vor, weil das Zulassungsvorbringen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der
Richtigkeit des erstinstanzlichen Entscheidungsergebnisses führt.
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Die Zulassungsbegründung vermag nämlich nicht die entscheidungstragende Fest-
stellung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen, es sei nicht ausreichend glaub-
haft gemacht, dass die Klägerin zu 1. am 31. Dezember 1992 oder danach im Sinne von
§ 4 Abs. 2 BVFG Benachteiligungen oder deren Nachwirkungen unterlegen ha-be.
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Das Verwaltungsgericht stellt insoweit nicht in Abrede, dass die Klägerin zu 1. auf dem
Arbeitsamt, bei privaten Bewerbungen um eine Arbeitsstelle, beim Einkauf im ört-lichen
Lebensmittelgeschäft sowie bei den Bemühungen um eine zahnärztliche Behandlung
als Deutsche schlecht behandelt worden ist. Es hat aber zu Recht An- haltspunkte dafür
verlangt, dass die Volkszugehörigkeit als solche - und nicht die Zugehörigkeit zu
irgendeiner der in Rumänien lebenden Minderheiten - ursächlich für diese - angeblich
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ab den Jahren 1999/2000 erlittenen - Benachteiligungen war. Wenn die deutschen
Volkszugehörigen aus den Aussiedlungsgebieten nach § 4 Abs. 2 BVFG, dazu zählt
Rumänien, glaubhaft machen müssen, dass sie am Stichtag oder danach
Benachteiligungen auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit unterlagen, liegt dem die
gesetzgeberische Erwägung zu Grunde, dass spätestens durch die vertrag- lichen
Übereinkommen zwischen Deutschland und den genannten Staaten aus den Jahren
1991/92 ein wirksamer Minderheitenschutz der deutschen Volkszugehörigen in diesen
Ländern erreicht ist. Namentlich der Vertrag über freundschaftliche Zusam- menarbeit
vom 29. April 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumä- nien hat
einschneidende Verbesserungen und eine neue Qualität der Rahmenbedin- gungen für
die Existenz der dortigen deutschen Minderheit gebracht. Die rechtlichen, politischen
und wirtschaftlichen Bedingungen für das künftige Überleben der deut- schen
Minderheit in Rumänien wurden so gestaltet, dass ihre kulturelle, soziale und politische
Integrität nun als gesichert gilt. Die rumänische Regierung anerkennt in ihren Gesetzen
und Verordnungen, dass moderner Minderheitenschutz der recht- lichen und politischen
Absicherung bedarf. Die neue rumänische Verfassung von 1991 garantiert den
nationalen Minderheiten "das Recht auf Wahrung, Entwicklung und Äußerung ihrer
ethnischen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Identität". Ein "interministerieller Rat
zum Schutze der Minderheiten" zeichnet für die Einhaltung der neuen - in mancher
Hinsicht sogar vorbildlichen - Minderheitenpolitik verantwortlich. Ein Unterstaatssekretär
ist seitens der Regierung für Angelegenheiten der deutschen Minderheit zuständig.
Direkt nach der Wende etablierte sich das Demokratische Fo- rum der Deutschen in
Rumänien (DFDR) als Interessenvertretung und organisierter Verband der deutschen
Minderheit. Es ist - mit einem Landesverband als Dachorga- nisation - mit fünf
Regionalforen und Orts- und Zentrumsforen im ganzen Land prä- sent. Von deutscher
Seite wurden in Zusammenarbeit mit der rumänischen Regie- rung Programme
verabschiedet, die es zusätzlich ermöglichen sollen, den Bestand der deutschen
Minderheit zu sichern und sie bei der Neugestaltung ihres gesell- schaftlichen,
kulturellen und wirtschaftlichen Lebens zu unterstützen.
Vgl. zur Entwicklung der Lage deutscher Volkszugehöriger in Rumänien: Deutsche
Botschaft Bukarest: Die deutsche Minderheit in Rumänien,
www.bukarest.diplo.de/de/06/seite_minderheiten.html; Annelie Ute Gabanyi: Geschichte
der Deutschen in Rumänien, Information zur politischen Bildung Heft 267 "Aussiedler".
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Von den zahlreichen in Rumänien lebenden ethnischen Minderheiten sind sowohl von
den Menschenrechtsorganisationen als auch vom Auswärtigen Amt seit Anfang der
Neunziger Jahre nur noch die Ungarn und die Roma als erwähnenswertes Kon-
fliktpotential für Übergriffe oder Repressalien benannt worden. Ab etwa 1997 wird nur
noch von Vorfällen berichtet, die Roma betrafen.
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Vgl. die "Jahresberichte" 1992 ff. von amnesty international aus dem Fischer
Taschenbuch Verlag; Lageberichte Rumänien des Auswärtigen Amtes vom 23. März
1993, 7. März 1994, 28. Februar 1995, 15. April 1996, 25. April 1997, 24. August 1998,
19. April 1999 und (zu § 29a AsylVfG) 30. März 2005.
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Vor diesem in betroffenen Kreisen allgemein bekannten Hintergrund reicht es für eine
auch nur einigermaßen verlässliche Feststellung der Kausalität der deutschen
Volkszugehörigkeit als solcher für die von Klägerin zu 1. geltend gemachten Benach-
teiligungen nicht aus, dass sie als deutsche Volkszugehörige angesehen wurde und
damit die Benachteiligungen in einem unbestimmten Zusammenhang mit der deut-
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schen Volkszugehörigkeit standen. Auf der Grundlage der wirtschaftlichen Schwie-
rigkeiten und Versorgungsengpässe, mit denen Rumänien zu kämpfen hat, erscheint es
vielmehr im Sinne der Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwal-
tungsgericht plausibel, dass die Klägerin zu 1. bei den beschriebenen Vorgängen nicht
wegen deutscher Volkszugehörigkeit schlechter behandelt wurde, sondern weil sie
(irgend)einer Minderheit angehört, die auf Grund ihrer Verbindungen zum Stamm- land
weniger bedürftig als das rumänische Staatsvolk ist und über größere finanzielle
Möglichkeiten verfügt. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungs-
gericht beispielhaft darauf abstellt, dass Vergleichbares auch einem Angehörigen der
ungarischen Minderheit in Rumänien hätte passieren können.
Ansatzpunkte für ein nur auf deutsche Volkszugehörige beschränktes Problem bietet
insoweit auch das Verlangen des Zahnarztes auf Vorkasse in "harten" Devisen nicht.
Dass die Bundesrepublik Deutschland zu den wohlhabenden Nationen unter den
Stammländern der Minderheiten in Rumänien zählt, macht die wirtschaftliche
Leistungskraft, nicht aber die deutsche Volkszugehörigkeit als solche zum Hand-
lungsmotiv dafür, die Klägerin zu 1. bei der Suche nach einer Arbeitsstelle, beim Einkauf
von Lebensmitteln oder eben beim Zahnarzt zu benachteiligen. Wie die Motivlage der
entsprechenden Einzelereignisse weitergehend einer genaueren Aufklärung zugänglich
sein soll, ist von Klägerseite weder substantiiert vorgetragen noch sonst wie ersichtlich.
Namentlich würde das Wissen darum, ob sich auf die konkreten Arbeitsstellen auch
tatsächlich Angehörige anderer Volksgruppen - namentlich Rumänen - beworben
haben, keinen Aufschluss über die der Behand- lung der Klägerin zu 1. zugrunde
liegende Intention geben.
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Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Berufung auch nicht wegen eines Ver-
fahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen werden kann. Um mit der
Aufklärungsrüge durchzudringen, hätte sich - anders als hier - eine weitere Aufklärung
nämlich aufdrängen müssen.
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Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 30. September 2004 - 9 B 46.04 -, juris m.w.N.
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Ebenso durfte das Verwaltungsgericht bei den in Rumänien lebenden Klägern vor-
aussetzen, dass ihnen die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Lage der ethnischen
Minderheiten in Rumänien - namentlich der deutschen Volkszugehörigen - in den
Grundzügen bekannt ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 72 Nr. 1 GKG i. V. m. den §§ 13 Abs. 1, 14
Abs. 1 und 3 GKG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung - GKG a.F. -.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 72 Nr.GKG i. V. m. § 25 Abs.
2 Satz 2 GKG a.F.).
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Das Urteil des Verwaltungsgericht ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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