Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.05.2002

OVG NRW: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gesetzliche frist, treu und glauben, verwirkung, auflage, meldung, familie, rückforderung, analogie, vollstreckung

Oberverwaltungsgericht NRW, 15 A 631/00
Datum:
14.05.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 A 631/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 20 K 8439/98
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird - soweit nicht das Verfahren eingestellt
worden ist - geändert und insoweit neu gefasst:
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides
vom 12. August 1998 und ihres Widerspruchsbescheides vom 2.
September 1998 verpflichtet, der Klägerin einen Betrag von 20.707,32
Euro zu erstatten.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu
einem Viertel und die Beklagte zu drei Viertel. Die Kosten des
Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige
Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Aufwendungen für die Aufnahme und
Unterbringung ausländischer Flüchtlinge.
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Mit Schreiben vom 23. Juni 1998, das am Folgetag bei der Beklagten einging, teilte die
Klägerin der Beklagten mit, das Gemeindeprüfungsamt habe in seinem Bericht über die
überörtliche Prüfung vom 20. Januar 1998 festgestellt, dass einige der Meldungen für
die pauschale Landeserstattung nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz in der Fassung
des 4. Änderungsgesetzes vom 29. November 1994 (GV NRW S. 1087) - FlüAG 1994 -
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nicht ordnungsgemäß erfolgt seien. Für das 1. bis 4. Quartal 1995 habe sie infolge einer
unrichtigen sozialhilferechtlichen Einstufung einer fünfköpfigen bosnische Familie
insgesamt 15.480,-- DM zu viel erhalten. Für das 4. Quartal 1996 und das 1. bis 3.
Quartal 1997 habe sie dagegen einen Erstattungsbetrag von 38.700,-- DM für eine
andere fünfköpfige asylsuchende Familie irrtümlich nicht angemeldet. Insoweit nehme
sie eine entsprechende Nachmeldung vor. Vorsorglich beantrage sie Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand.
Mit Bescheid vom 12. August 1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Die formellen Voraussetzungen einer
Wiedereinsetzung lägen nicht vor, weil es die Klägerin versäumt habe, den Antrag
binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Gleichzeitig bezifferte
die Beklagte die zu Unrecht gezahlten Erstattungsbeträge auf 16.200,-- DM und forderte
diese zurück.
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Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Zudem forderte sie nunmehr auch die
Erstattung einer Betreuungspauschale von insgesamt 1.800,-- DM für den genannten
Zeitraum, was einen Gesamtbetrag von 40.500,-- DM ergab. § 4 Abs. 3 FlüAG 1994 sei
keine gesetzlichen Frist für die Anmeldung von Erstattungsansprüchen zu entnehmen.
Die Rückforderung der bereits gewährten Erstattungsbeträge sei rechtswidrig.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 1998 gab die Beklagte dem Widerspruch
insoweit statt, als er sich gegen eine 12.150,-- DM übersteigende Rückforderung
richtete. Im Übrigen wies sie ihn als unbegründet zurück.
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Die Klägerin hat am 13. Oktober 1998 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ihre
Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren zur Auslegung des § 4 Abs. 3 FlüAG
1994 wiederholt und vertieft.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin die Klage
gegen die verbliebene Rückforderung in Höhe von 12.150,-- DM zurückgenommen.
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Im Übrigen hat sie beantragt,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihrer Bescheide vom 12. August 1998 und 2.
September 1998 zu verpflichten, ihr einen Betrag von 40.500,-- DM zu erstatten.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen: § 4 Abs. 3 FlüAG 1994 enthalte eine gesetzliche Frist für die
Anmeldung der quartalsweisen Landeserstattung, welche die Klägerin nicht beachtet
habe. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht
gegeben.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt,
soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hatte. Im Übrigen hat es die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar enthalte das
Flüchtlingsaufnahmegesetz weder eine Ausschlussfrist noch eine sonstige gesetzliche
Frist, binnen derer Erstattungsanträge zu stellen seien, sondern lediglich den
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Verfahrensablauf regelnde Vorschriften. Der Regelung des § 4 Abs. 3 FlüAG 1994
wohne aber mit Blick auf die unterschiedlichen schutzwürdigen Interessen der
Gemeinden einerseits und des Landes andererseits ein Zeitrahmen inne. Zeitlich erst
lange nach dem Ablauf der dort genannten Stichtage angemeldete Ansprüche seien
deshalb entsprechend dem Rechtsgedanken des § 31 Abs. 7 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - VwVfG NRW - zu
behandeln. Vor diesem Hintergrund sei es nicht unbillig, dass die Beklagte den
erheblich verspäteten Erstattungsantrag der Klägerin abgelehnt habe.
Hiergegen richtet sich die zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung der
Klägerin. Sie trägt unter Anderem vor: § 4 Abs. 3 FlüAG 1994 komme keinerlei
Ausschluss- oder Präklusionswirkung zu. Eine zeitliche Begrenzung von
Erstattungsansprüchen könne auch nicht über eine analoge Anwendung des § 31 Abs.
7 VwVfG NRW erfolgen. Dies laufe auf die Einführung einer auch nachträglich
verlängerbaren Ausschlussfrist hinaus. Zudem berücksichtige das angefochtene Urteil
nicht, dass eine zeitnahe Meldung der Flüchtlinge im ureigenen Interesse einer jeden
Gemeinde liege und die Gesamtzahl der Flüchtlinge für Haushaltszwecke des Landes
ohnedies bekannt sei. Auch beruhe die verspätete Meldung vorliegend auf einer
komplizierten rechtlichen Bewertung des asyl- und sozialhilferechtlichen Status der
betroffenen Familie, sodass die Erstattung trotz verspäteter Meldung nicht unbillig sei.
Schließlich könne dem Anspruch auf Erstattung weder eine aus den
Wiedereinsetzungvorschriften herzuleitende Jahresfrist noch das Argument der
Verwirkung entgegen gehalten werden. Da ihr der Bericht des Gemeindeprüfungsamtes
erst im März 1998 zugegangen sei, fehle es hierfür bereits an dem erforderlichen
Zeitablauf.
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihrer
Bescheide vom 12. August 1998 und vom 2. September 1998 zu verpflichten, ihr einen
Betrag von 20.707,32 Euro zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt nur das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung. Eine systemwidrige
gesetzliche Lücke als Voraussetzung für eine Analogie zu § 31 Abs. 7 VwVfG NRW
bestehe nicht, weil das Flüchtlingsaufnahmegesetz bereits eine gesetzliche Frist zur
Anmeldung der Erstattungsansprüche enthalte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des von der Beklagten überreichten Verwaltungsvorgangs Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung ist begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die zulässige Klage ist
begründet.
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Die Ablehnung der pauschalen Erstattung für fünf ausländische Flüchtlinge durch die
Beklagte ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1
der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ).
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen im 4. Quartal 1996
und im 1. - 3. Quartal 1997 nach § 4 Abs. 1 und 2 FlüAG 1994. Hiernach gewährt das
Land den Gemeinden eine quartalsweise pauschale Erstattung ihrer Aufwendungen für
jeden ausländischen Flüchtling im Sinne des § 2 des Gesetzes, der Leistungen der in §
4 Abs. 1 lit. a) - c) FlüAG 1994 erhält, in Höhe von 1.935,-- DM zuzüglich einer
Betreuungspauschale von 90,-- DM.
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Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass sich die in dem Bericht des
Gemeindeprüfungsamtes genannte Familie S. im Gebiet der Klägerin aufhielt und im
fraglichen Zeitraum Leistungen der angesprochenen Art erhielt. Der Anspruch auf
Erstattung einer Vierteljahrespauschale und einer Betreuungspauschale für jedes der
Familienmitglieder ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin die Erstattung
erst am 24. Juni 1998 und damit deutlich nach den in § 4 Abs. 3 FlüAG 1994 bestimmten
Meldezeitpunkten für die Anzahl der ausländischen Flüchtlinge - hier dem 15. Januar ,
15. April, 15. Juli und 15. Oktober 1997 - bei der Beklagten beantragt hat.
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Der Senat hat in seinem rechtskräftigen
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Urteil vom 26. Februar 2002 - 15 A 527/00 -
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rechtsgrundsätzlich entschieden, dass § 4 Abs. 3 FlüAG 1994 keine gesetzliche
Antragsfrist zur Erlangung einer Landeserstattung begründet, sondern eine das Melde-
und Auszahlungsverfahren regelnde Ordnungsvorschrift darstellt. Hieran ist für das
vorliegende Verfahren festzuhalten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die
Entscheidungsgründe des den Beteiligten bekannten Urteils Bezug genommen.
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Die Geltendmachung des Anspruchs auf Gewährung einer Landeserstattung ist
entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht entsprechend dem
Rechtsgedanken des § 31 Abs. 7 VwVfG NRW ausgeschlossen.
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Gemäß § 31 Abs. 7 Sätze 1 und 2 VwVfG NRW können Fristen, die von einer Behörde
gesetzt sind, verlängert werden. Eine Verlängerung ist hierbei auch rückwirkend, also
auch nach ihrem Ablauf, möglich, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch den
Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen. Die Vorschrift hat keine
Bedeutung für den geltend gemachten Erstattungsanspruch. Ihre Anwendung
überschreitet die Grenzen einer rechtlich zulässigen Analogie.
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Vgl. hierzu: Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Auflage 1983, S. 366.
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Sie enthält lediglich eine ermessensleitende Regelung für eine rückwirkende
Verlängerung behördlicher Fristen. Dem kann schon deshalb kein Rechtsgedanke für
die Versäumung der hier in Rede stehenden Ordnungsfrist entnommen werden, weil es
vorliegend keine anspruchsschädlichen Rechtsfolgen einer Fristversäumung gibt, deren
Bestehenbleiben unbillig sein könnte.
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Zur Nichtanwendbarkeit der Vorschrift auf gesetzliche Fristen allgemein: BVerwG, Urteil
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vom 18. Januar 1996 - 2 C 13.95 -, DÖV 1996, 563; Kopp/Ramsauer,
Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2000, § 31 Rdnr. 39.
Zudem fehlt es an einer für die Annahme einer Analogie erforderlichen
ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke, weil mit dem aus § 242 BGB und dem Verbot
widersprüchlichen Verhaltens abgeleiteten Rechtsinstitut der Anspruchsverwirkung die
Möglichkeit einer Bewertung nach Billigkeitsgesichtspunkten besteht. Die
Voraussetzungen einer Verwirkung des Erstattungsanspruchs sind vorliegend indes
nicht gegeben.
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Verwirkung tritt ein, wenn ein Recht über längere Zeit nicht geltend gemacht worden ist,
obwohl dies möglich war, und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete
Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.
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Beschluss des Senats vom 21. Januar 1999 - 15 A 203/99 -; vgl. auch BVerwG, Urteil
vom 7. Februar 1974 - III C 115.71 -, BVerwGE 44, 339 (343); BGH, Urteil vom 20.
Oktober 1988 - VII ZR 302/87 -, BGHZ 105, 290 (298); Urteil vom 16. Juni 1982 - IVb ZR
709/80 -, BGHZ 84, 281; OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 1989 - 9 A 1297/87 - OVGE 41,
144 (148); Heinrichs, in: Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 61.
Auflage 2002, § 242 Rdnrn. 87 ff.; J. Schmidt, in: Staudinger, BGB- Kommentar, 12.
Auflage 1983, § 242 Rdnrn. 479 ff., jeweils m.w.N.
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Die Grundsätze der Verwirkung von Ansprüchen gelten auch im öffentlichen Recht.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1977 - V C 18.76 -, BVerwGE 52, 16 (25 f.); Urteil
vom 7. Februar 1974 - III C 115.71 -, BVerwGE 44, 339 (343); OVG NRW, Urteil vom 1.
Juni 1989 - 9 A 1297/87 -, OVGE 41, 144 (148); Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht
I, 10. Auflage 1994, S. 480.
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Sie finden grundsätzlich auch im Verhältnis öffentlicher Rechtsträger untereinander
Anwendung.
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Vgl. BSG, Urteil vom 1. April 1993 - 1 RK 16/92 -, FEVS 44, 478 (483).
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Es ist vorliegend bereits zweifelhaft, ob das für die Annahme einer Verwirkung
erforderliche Zeitmoment gegeben ist. Die Dauer einer zur Verwirkung führenden
Nichtausübung eines Rechts kann nicht allgemein, sondern nur mit Blick auf das
konkret zwischen den Beteiligten bestehende Rechtsverhältnis bestimmt werden.
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J. Schmidt, in: Staudinger, BGB-Kommentar, 12. Auflage 1983, § 242 Rdnr. 484.
44
Sie kann je nach den Besonderheiten des Rechtsverhältnisses, der Art und Bedeutung
des Anspruchs, des geschaffenen Vertrauenstatbestandes und der Schutzbedürftigkeit
des Verpflichteten erheblich differieren.
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Heinrichs, in: Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 61. Auflage 2002, §
242 Rdnr. 93 m.w.N.
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Ob die vorliegende Zeitspanne zwischen der erstmaligen Möglichkeit der
Geltendmachung des Erstattungsanspruches und dem Schreiben der Klägerin an die
Beklagte vom 23. Juni 1998 mit Blick auf den Ausnahmecharakter und die
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einschneidenden Rechtsfolgen der Verwirkung unangemessen lang ist,
vgl. zu einem Zeitraum von 14 Monaten bei der Erstattung der außergerichtlichen
Kosten eines Wahlanfechtungsverfahrens: BVerwG, Beschluss vom 29. August 2000 - 6
P 7/99 -, Juris und DÖV 2001, 128 (insoweit dort nicht abgedruckt),
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bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Denn zur Annahme eines die
Verwirkung rechtfertigenden Vertrauenstatbestandes genügen weder die verstrichene
Zeitspanne als solche noch die bloße Untätigkeit des Berechtigten. Erforderlich ist
vielmehr zusätzlich, dass der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des
Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen
werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete hierauf tatsächlich vertraut hat
(Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und
Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).
49
BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 - 7 C 42.98 -, NJW 2000, 1512; Urteil vom 15.
Mai 1984 - 3 C 86.82 -, BVerwGE 69. 227 (236 f.)
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Eine Verwirkung kommt damit nur in besonders gelagerter Ausnahmefällen in Betracht.
Dies hat für das Erstattungsverfahren nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz zur Folge,
dass nicht das bloße Unterlassen einer termingerechten Meldung der Flüchtlinge
ausreicht, sondern stets besondere Umstände hinzutreten müssen, welche die
Nichtmeldung als treuwidrigen Pflichtenverstoß gegenüber der für die Mittelzuweisung
zuständigen Bezirksregierung qualifizieren. Dies gilt umso mehr, als die
Erstattungsansprüche nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz im öffentlichen Interesse
dem Finanzausgleich zwischen dem Land und den Gemeinden dienen, die eine ihnen
durch Gesetz zugewiesene staatliche Pflichtaufgabe wahrnehmen.
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Vgl. Brossok, Das Flüchtlingsaufnahmegesetz und seine Änderungen vor dem
Verfassungsgerichtshof, in: Verfassungsgerichtsbarkeit in Nordrhein-Westfalen,
Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Verfassungsgerichtshofs für das Land
Nordrhein- Westfalen, 2002, S. 437.
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Für die Annahme einer Anspruchsverwirkung fehlt es vorliegend an einem Verhalten
der Klägerin, das nach Treu und Glauben die Annahme rechtfertigt, der Anspruch werde
nicht mehr geltend gemacht. Ein solcher Erklärungsinhalt ist auch den zeitlich
nachfolgenden Quartalsmeldungen nicht beizumessen. Zwar sind die Gemeinden
verpflichtet, den Bestand der ausländischen Flüchtlinge zu gesetzlich bestimmten
Zeitpunkten zu melden. Den Quartalsmeldungen ist jedoch nicht die Erklärung zu
entnehmen, Erstattungsansprüche für vorangegangene Zeiträume würden nicht mehr
oder nicht mehr vollständig geltend gemacht. Eine solche Interpretation der
Quartalsmeldungen führte letztlich doch zur Annahme einer gesetzlichen Antragsfrist,
die vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt war.
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Vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2002 - 15 A 527/00 - (Seiten 12 - 16 des
amtlichen Entscheidungsabdrucks).
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Auch fehlt es an den erforderlichen Vertrauenstatbestand auf Seiten des Beklagten. Das
Erstattungssystem des Flüchtlingsaufnahmegesetzes verbindet die Gemeinden und die
zuständigen Bezirksregierungen in einem fortlaufenden Abrechnungsverfahren. Die
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gesetzliche Verknüpfung von Bestandsmeldung und Auszahlung bedeutet dabei nur,
dass sich die Höhe des Erstattungsbetrages nach der Zahl der gemeldeten Flüchtlinge
bemisst. Dies schließt die Berücksichtigung späterer Meldungen nicht aus.
Vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2002 - 15 A 527/00 - (Seite 16 des amtlichen
Entscheidungsabdrucks).
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Aus der Sicht der zuständigen Bezirksregierung kann auf Grund dieser gesetzlichen
Wertung allein aus dem Umstand, dass zu einem Stichtag eine bestimmte Anzahl von
Flüchtlingen gemeldet wird, nicht berechtigterweise geschlossen werden, es sei für
zurückliegende Zeiträume nicht mehr mit der Geltendmachung von
Erstattungsansprüchen rechnen. Dies gilt auch dann, wenn der Anspruch auf Leistung
einer Erstattung erst nach dem Ablauf des Meldezeitraums für das nachfolgende Quartal
erfolgt. Denn eine Bindung der nachträglichen Geltendmachung der
Erstattungsansprüche an bestimmte Meldezeiträume ist der gesetzlichen Regelung
nicht zu entnehmen.
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Zudem kann, wie gerade der hier streitbefangene Erstattungsanspruch für die Familie S.
zeigt, die Feststellung des ausländer- und asylrechtlichen Status der einzelnen
Flüchtlinge, der für die Erstattungsfähigkeit maßgebend ist, für die hiermit befassten
Gemeinden mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Mit einer
termingerechten Meldung kann folglich - ungeachtet der gesetzlichen Verpflichtung der
Gemeinden - nicht in jedem Fall gerechnet werden. Eine genaue Prüfung der
Anspruchsvoraussetzungen durch die Gemeinden liegt überdies - schon zur
Vermeidung möglicher Rückforderungen - auch im Interesse der zuständigen
Bezirksregierungen.
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Schließlich spricht nichts dafür, dass die spätere Abrechnung von
Erstattungsansprüchen für die Beklagte unzumutbar wäre. Entsprechendes ergibt sich
nicht aus Überlegungen der Haushaltssicherheit des Landes. Der Senat hat in seinem
zitierten Entscheidung vom 26. Februar 2002 ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte
dafür vorliegen, dass verspätete Quartalsmeldungen und die hiermit verbundene
spätere Zuweisung der Landesmittel die jährliche Haushaltsplanung des Landes
nennenswert beeinträchtigen. Die zeitnahe Erstattung liegt zudem im Eigeninteresse
der Gemeinden, sodass deutlich verspätete Quartalsmeldungen eher die Ausnahme
bleiben dürften. Hieran ist für das vorliegende Verfahren festzuhalten. Die Beklagte hat
keine Gesichtspunkte vorgetragen, die spürbare Verschiebungen des Ausgabengefüges
auf Grund solcher Meldungen befürchten lassen. Sie sind auch nicht ersichtlich.
Vielmehr dient der Landeshaushalt stets der Feststellung und Deckung eines
voraussichtlichen Finanzbedarfs (§ 2 Satz 1 der Landeshaushaltsordnung in der
Fassung der Bekanntmachung vom 26. April 1999 - GV NRW S. 158). Die Feststellung
dieses Finanzbedarfs ist regelmäßig mit prognostischen Unsicherheiten verbunden und
baut auf Erfahrungen der Vorjahre auf. Der Umstand, dass nicht alle Quartalsmeldungen
entsprechend der in § 4 Abs. 3 FlüAG 1994 normierten Verpflichtung der Gemeinden
termingerecht erfolgen, kann vor diesem Hintergrund zumutbarerweise in die
Haushaltsplanung des Landes eingestellt werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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