Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.06.2007
OVG NRW: rechtliches gehör, hiv, guinea, aids, abschiebung, therapie, hepatitis, ausländer, anteil, tod
Oberverwaltungsgericht NRW, 11 A 1818/05.A
Datum:
26.06.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 A 1818/05.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 10 K 414/03.A
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
G r ü n d e :
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1. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird aus den
nachstehenden Gründen mangels hinreichender Erfolgsaussichten des
Zulassungsantrages abgelehnt (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO).
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2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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a) Die erhobene Gehörsrüge (§§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, 138 Nr. 3 VwGO) mit der
Begründung, das „Gericht hätte zumindest durch Nachfragen erkennen lassen müssen,
dass es die Angaben des Klägers für unzureichend hält", und sei „gehalten gewesen,
durch entsprechende Nachfragen den Versuch zu unternehmen, eine weitere
Aufklärung zu erreichen bzw. die Widersprüche aufzulösen", führt nicht zur Zulassung
der Berufung.
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Es ist zunächst festzuhalten, dass die Verfahrensrüge einer nicht ordnungsgemäßen
Aufklärung des Sachverhalts kein Berufungszulassungsgrund im
asylverfahrensrechtlichen Sinn ist. Eine mögliche Verletzung der dem Gericht gemäß §
86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht gehört nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3
AsylVfG i. V. m. § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln, bei deren Vorliegen die
Berufung zuzulassen ist.
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OVG NRW, Beschluss vom 31. März 2003 - 11 A 3518/02.A -, n. v. (Langtext in juris), m.
w. N.
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Eine unterbliebene, allerdings gebotene Sachverhaltsaufklärung kann zwar im Einzelfall
einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstellen. Ein solcher Gehörsverstoß liegt
hier aber nicht vor, weil es Sache des - zudem im gesamten gerichtlichen Verfahren
anwaltlich vertretenen - Klägers war, umfassend und widerspruchsfrei zu seinem
behaupteten Verfolgungsschicksal vorzutragen. Darüber hinaus begründet das Recht
auf rechtliches Gehör keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine
Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen,
weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der
abschließenden Beratung bzw. - wie hier - Entscheidungsfindung durch den
Einzelrichter ergibt. Mit der sinngemäßen Rüge, das Gericht hätte die Zweifel an der
Glaubhaftigkeit seines Vortrages mit ihm erörtern müssen, verlangt der Kläger im
Ergebnis nichts anderes, als dass das Verwaltungsgericht ihm zuvor seine
mutmaßlichen Entscheidungsgründe hätte offenbaren sollen. Dies ist indes nicht
Gegenstand des rechtlichen Gehörs, und zwar weder nach § 108 Abs. 2 VwGO noch
nach Art. 103 Abs. 1 GG.
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b) Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) der
Frage, „ob Personen die unter einer HIV-Infektion Stadium A2 sowie unter chronischer
Hepatitis B leiden und nach Ablehnung ihres Asylantrages die Rückreise in ihr
Heimatland Guinea antreten müssen, dort aufgrund ihrer Erkrankungen sowie der nicht
vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland lediglich einer allgemeinen
Gefahr ausgesetzt sind, der die Bevölkerung generell ausgesetzt ist", rechtfertigt
ebenfalls nicht die Zulassung der Berufung.
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Mit der Grundsatzrüge muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen
werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der
Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung
bedarf.
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BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff. (zu § 32 Abs. 2 Nr. 1
AsylVfG a. F.), und Beschluss vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 f.
(zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Mit der aufgeworfenen, vorwiegend im Tatsächlichen wurzelnden Frage genügt der
Zulassungsantrag nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG. Hierfür ist
es nämlich nicht ausreichend, wenn mit dem Zulassungsbegehren lediglich die
Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen Verhältnisse stellten
sich anders dar, als vom Verwaltungsgericht angenommen. Es ist vielmehr im Einzelnen
darzulegen welche Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung bestehen.
Dies ist hier nicht geschehen. Das Verwaltungsgericht hat unter Benennung konkreter
Quellenangaben die Feststellung getroffen, dass in Guinea eine mit Blick auf § 60 Abs.
7 Satz 2 AufenthG beachtliche Bevölkerungsgruppe HIV- infiziert ist (Urteilsabdruck S.
26). Dem tritt der Zulassungsantrag nicht hinreichend substantiiert entgegen. Er
bezweifelt lediglich in pauschaler Weise die Nachvollziehbarkeit der erstinstanzlichen
Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
Insbesondere fehlt es im Zulassungsantrag an der Benennung bestimmter begründeter
Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen, die
zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass nicht die
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Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern
die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur
Klärung der sich dann stellenden Frage der Durchführung eines Berufungsverfahrens
bedarf.
Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die sich im vorliegenden Fall im Zusammenhang
mit der Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG stellen könnte, wird von der
Antragsschrift nicht aufgeworfen. Ausgehend von den nicht substantiiert angegriffenen
Feststellungen erster Instanz zu dem Anteil der HIV-Infizierten in Guinea ist vielmehr in
Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
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- vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG
1990 Nr. 12, S. 61, vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1 (4 ff.), und vom 17.
Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33 (36 f.) -
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ohne weiteres eine Gruppengefahr und damit die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 2
AufenthG anzunehmen. Mithin bedarf es hier - anders als bei zwar nicht singulären, aber
weniger verbreiteten Krankheiten und solchen Erkrankungen, die unter
ausländerpolitischen Gesichtspunkten eine Befassung der obersten Landesbehörden
sowie eine (bundes-)einheitliche Praxis nicht erfordern - hinsichtlich des
Abschiebungsschutzes aus Gesundheitsgründen wegen einer HIV-Infektion einer
politischen Leitentscheidung nach § 60a AufenthG mit der Folge, dass § 60 Abs. 7 Satz
1 AufenthG grundsätzlich nicht anwendbar, sondern durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG
zunächst gesperrt ist. Da eine humanitäre Ermessensregelung nach § 60a AufenthG für
AIDS-kranke Ausländer nicht existiert, dürfte der Kläger - worauf das Verwaltungsgericht
bereits zutreffend hingewiesen hat - nur dann bei der gebotenen verfassungskonformen
einschränkenden Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht nach Guinea
abgeschoben werden, wenn er in seinem Heimatland wegen seiner Erkrankung eine
extreme Gefahrenlage zu gewärtigen hätte, d. h. er dort alsbald nach der Abschiebung
dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt wäre.
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Vgl. zu § 53 Abs. 6 AuslG: BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 - ,
BVerwGE 99, 324 (328), und vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 -, a. a. O. (60 f.).
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Wie vom Zulassungsantrag nicht substantiiert angegriffen wird und auch im Übrigen
nicht zu beanstanden ist, konnte das Verwaltungsgericht bei einer sich erst im (Anfangs-
)Stadium A2 befindlichen HIV-Infektion zu der Beurteilung gelangen, dass der
Ausländer in einem solchen Fall bei einer Abschiebung nicht in eine extreme
Gefahrenlage geraten würde. Denn es ist nach der einschlägigen Rechtsprechung der
Tatsachengerichte davon auszugehen, dass die strengen Voraussetzungen für die
Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Auslegung des § 60
Abs. 7 Satz 2 AufenthG in aller Regel (noch) nicht gegeben sind, wenn sich im Falle
eines Ausländers, dem die Abschiebung in sein afrikanisches Herkunftsland angedroht
worden ist, die HIV-Infektion erst im Stadium 1 (A2) befindet, also noch einige Jahren
vergehen, bevor es zu AIDS-assoziierten bzw. AIDS- definierenden Erkrankungen
kommt.
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Vgl. etwa - jeweils m. w. N. - Nds. OVG, Beschluss vom 20. März 2003 - 10 LA 30/03 -,
AuAS 2003, 126 ff. = Langtext in juris (Rdnr. 12); VG Augsburg, Urteile vom 28. Juni
2004 - Au 7 K 04.30362 -, Langtext in juris (Rdnr. 25), vom 17. Dezember 2004 - Au 1 K
03.30324 -, Langtext in juris (Rdnr. 27), vom 20. Juli 2005 - Au 1 K 05.30064 -, Langtext
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in juris (Rdnr. 24); VG Freiburg, Urteil vom 16. August 2005 - A 2 K 11517/04 -,
Orientierungssätze in juris (Orientierungssatz 8).
Die attestierte chronische Hepatitis B-Erkrankung des Klägers rechtfertigt keine andere
Beurteilung. Hierzu fehlt es schon an hinreichend konkreten Angaben zum
Schweregrad der Erkrankung, insbesondere ob unmittelbar eine weitere virusstatische
Therapie erfolgt oder aber keine Medikation bzw. Therapie vorgesehen ist und wie die
zu erwartende Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers beurteilt wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.
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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2
AsylVfG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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