Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.12.2002

OVG NRW: politische verfolgung, persönliche anhörung, genfer konvention, körperliche unversehrtheit, körperliche integrität, jugend, wahrscheinlichkeit, auskunft, haus, veranstaltung

Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 1236/99.A
Datum:
10.12.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 A 1236/99.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 18 K 2030/95.A
Tenor:
Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wird
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. Januar 1999 geändert.
Die Klage, soweit sie noch anhängig ist, wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der am 10. März 1980 in Q. geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer
Volkszugehörigkeit und alevitisch-islamischer Religionszugehörigkeit. Er ist im Dorf D.
L. aufgewachsen und war dort nach dem Besuch der Grundschule in der Landwirtschaft
tätig. Am 1. Januar 1995 reiste er seinen Angaben zu Folge unter Inanspruchnahme
einer Schlepperorganisation, die 3.000,-- DM erhielt, mit einem Lkw aus der Türkei aus
und auf dem Landwege am 10. Januar 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
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Hier stellte er am 16. Januar 1995 mit Unterstützung des Jugendamtes einen Antrag auf
Anerkennung als Asylberechtigter. Am 5. April 1995 bestellte das Amtsgericht
Leverkusen Herrn Cemal D. zum Vormund des Klägers.
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Vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fand eine
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persönliche Anhörung im Rahmen der Vorprüfung im Hinblick auf das Alter des Klägers
nicht statt. Die mit Schreiben vom 1. August 1995 eingeräumte Möglichkeit, einen
Anhörungstermin zur persönlichen Vorsprache zu beantragen, und die gleichzeitig
eingeräumte Gelegenheit, die Asylgründe schriftlich vorzutragen, wurden nicht
wahrgenommen.
Der Beklagte lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 30. Oktober 1995 ab und stellte
fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse
nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde der Kläger unter Androhung der
Abschiebung in die Türkei aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen einen
Monats zu verlassen.
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Daraufhin hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben, zu deren Begründung er sich unter
Überreichung von Bildmaterial und Bescheinigungen vornehmlich darauf berief,
zunächst als Sympathisant und ab dem 1. November 1997 dann als Mitglied des
Arbeitervereins Kurdistan in M. an zahlreichen exilpolitischen Veranstaltungen -
Protestaktionen, Demonstrationen, Solidaritätskundgebungen, Friedenstagen und
Kulturabenden - teilgenommen und dabei mitunter als Ordner fungiert zu haben.
Außerdem sei er Gründungs- und - im Vereinsregister eingetragenes -
Vorstandsmitglied der 1997 ins Leben gerufenen Jugendorganisation KOMCIWAN-
Jugend aus Kurdistan e.V. M. . Er sei dort mit den Finanzen betraut und kümmere sich
um die Verteilung von Publikationen wie etwa der vom Verband herausgegebenen
Jugendzeitschrift Ki Ne Em. Er nehme außerdem an Seminaren und Versammlungen
des Vereins teil und beteilige sich an dem Verkauf von Eintrittskarten vor
Veranstaltungen. Der Verein habe derzeit 23 Mitglieder. Vorstandssitzungen fänden
etwa alle zwei bis drei Wochen statt. Seit Ende 1995 gehöre er zudem einer
KOMCIWAN zuzurechnenden Folkloregruppe an, die jede Woche probe und
regelmäßig bei politischen Abendveranstaltungen auftrete. Auf Seite 7 der Zeitschrift
"Hevi" vom 10./16. Mai 1997 sei ein Artikel mit dem Titel "Abendveranstaltung, 'Nein
zum Krieg'" veröffentlicht worden, zu dem man ein Foto der Folkloregruppe abgedruckt
habe, auf dem er erkennbar sei. Neben dem Foto stehe sinngemäß: "Auch die Gelder,
die die im Ausland lebenden Wehrpflichtigen für die Ablösung des Wehrdienstes
zahlen, dienen dem schmutzigen Krieg in Kurdistan. Der türkische Staat ist sogar in
Mafia-Strukturen verstrickt."
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Auf Nachfrage hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 1999
ferner angegeben, dass die meisten seiner Verwandten und auch viele andere Leute
aus seinem Dorf sich inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Seine
Eltern lebten aber noch in der Türkei. Wo genau sie seien bzw. sich sein Vater aufhalte,
wisse er allerdings nicht. Es habe am 30. November 1994 einen Hausüberfall gegeben,
seit dem der Vater verschwunden sei. Er sei damals mit seiner Mutter allein zu Hause
gewesen, als die Gendarmen gekommen seien. Es habe sich um eine Dorf-Razzia
gehandelt. Die Gendarmen hätten gefragt, wo der Vater sei, der sich zu diesem
Zeitpunkt nicht zu Hause aufgehalten habe. Er wisse nicht, wo der Vater damals
gewesen sei. Die Sicherheitskräfte hätten seine Mutter und ihn fürchterlich geschlagen
und seine Mutter auch mit zur Wache genommen, weil die Zeitschrift "Deng" und
Flugblätter gefunden worden seien. Mit den Schlägen habe man ihn zwingen wollen,
den Aufenthalt seines Vaters zu verraten. Man habe gedroht, binnen zehn Tagen wieder
zu kommen. Nach dem Überfall sei er zu seinem Onkel gegangen. Während dessen sei
ihr Haus nochmals überfallen worden. Aus diesem Grund sei er dann geflohen. In der
Türkei habe er noch drei Geschwister, die ebenfalls politisch aktiv seien. Er wisse aber
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nicht genau, was sie machten.
In der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 1999 hat der Kläger die Klage
hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen.
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Im Übrigen hat der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2. bis 4. des Bescheides vom 30. Oktober 1995
zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG gegeben sind,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den Bundesamtsbescheid beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit dem angefochtenen Urteil vom 15. Januar 1999 hat das Verwaltungsgericht das
Verfahren im Umfang der Klagerücknahme eingestellt und die Beklagte im Übrigen
unter teilweiser Aufhebung des Bundesamtsbescheides vom 30. Oktober 1995
verpflichtet festzustellen, dass hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG vorlägen. Das Verwaltungsgericht begründet seine Entscheidung damit,
dass der Kläger sich durch sein Engagement in den zum Dachverband der KOMKAR
zählenden Vereinen in solchem Maße an exponierter Stelle exil-politisch betätigt habe,
dass ihm aufgrund dessen bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen drohten.
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Auf den fristgerechten Antrag des Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 7.
September 2000 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15.
Januar 1999 zugelassen.
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Zur Begründung seiner Berufung macht der Beteiligte geltend, die angefochtene
Entscheidung weiche von der ständigen Rechtsprechung des OVG NRW ab. Der Senat
habe zwar festgestellt, dass ein asyl- oder abschiebungsrelevantes
Verfolgungsinteresse u.U. bei Mitgliedern von Vorständen PKK-dominierter oder
vergleichbarer Vereine bestehe. Nicht zu den mit der PKK vergleichbaren Vereinen
seien aber die der KOMKAR angeschlossenen kurdischen Vereine zu rechnen.
KOMKAR sei die eher als gemäßigt geltende Dachorganisation der kurdischen
Arbeitervereine in Deutschland, die den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf soziale und
kulturelle Aktivitäten sowie auf Sprachunterricht für die in Deutschland ansässigen
türkischen Staatsangehörigen legten. KOMKAR und die ihr angeschlossenen Vereine
verständen sich daneben auch als Interessenvertretung der PSK in Deutschland, die
sich im Gegensatz zur PKK in ihren Publikationen immer wieder zum Verzicht auf
Waffengewalt bekennen würde. Aufgrund dieser Zielsetzung werde KOMKAR und die
ihr angeschlossenen Vereine von den Auslandsvertretungen und vom
Nachrichtendienst der Türkei nicht mit derselben Intensität beobachtet wie andere
Organisationen und Einrichtungen der kurdischen nationalen Opposition.
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Auch soweit das Verwaltungsgericht für die Annahme eines beachtlich
wahrscheinlichen Verfolgungsrisikos auf die Teilnahme des Klägers an
Protestveranstaltungen und ein in diesem Zusammenhang veröffentlichtes Foto
einschließlich Begleittext abstelle, weiche es von der Rechtsprechung des OVG NRW
ab. Danach bestehe nämlich nur bei Leitern von größeren und öffentlichkeitswirksamen
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Demonstrationen und Protestaktionen sowie den Rednern auf solchen Veranstaltungen
ein staatliches Verfolgungsinteresse. Erforderlich sei, dass der Betreffende den
bestimmenden Einfluss auf Zeitpunkt, Ort, Ablauf und vor allem auf den politischen
Inhalt der Veranstaltung habe. Nicht verfolgungsgefährdet seien demgegenüber die
einfachen Teilnehmer an exilpolitischen Veranstaltungen sowie diejenigen, die dabei
Hilfsaufgaben wahrnehmen würden. Auch die Veröffentlichung eines Fotos, auf dem der
Kläger deutlich zu erkennen sei, führe zu keiner anderen Beurteilung. Denn selbst wenn
man den diesbezüglichen Begleittext dem Kläger als eigene Meinungsäußerung
zurechnen würde, sei darin keine exponierte exilpolitische Betätigung zu sehen. Die
Platzierung von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in
türkischsprachigen Zeitschriften gehöre in der Regel zu den exilpolitischen Aktivitäten
niedrigen Profils. Öffentliche Äußerungen in Zeitungsannoncen und Artikeln seien nach
türkischem Recht nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkreten
separatistischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen
gewertet werden könnten. Dies sei etwa auch bei Anzeigentexten allgemeiner Art nicht
möglich, auch dann nicht, wenn darin in scharfer Form Kritik am Vorgehen der
Regierung in Ostanatolien (z.B. "Schmutziger Krieg") geübt werde. Auch in diesem
Zusammenhang ziele das Interesse des türkischen Staates nicht auf die Masse der
Teilnehmer und Mitläufer ab, sondern lediglich auf denjenigen Personenkreis, der als
Auslöser solcher Aktiviäten als Organisator von Veranstaltungen oder als Anstifter bzw.
Aufwiegler angesehen werde.
Der Beteiligte beantragt sinngemäß,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. Januar 1999 zu ändern und die Klage,
soweit sie noch anhängig ist, abzuweisen.
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Die Beklagte stellt keinen Antrag und hat sich zum Berufungsverfahren nicht geäußert.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung abzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil und verweist dazu auf seine aktive Mitgliedschaft
im Arbeiterverein Kurdistan in M. sowie seine neuerlichen Teilnahmen an weiteren
politischen Veranstaltungen als Ordner oder Mitglied der Folkloregruppe.
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Der Senat hat zum Arbeiterverein Kurdistan in M. und zur KOMCIVAN- Jugend aus
Kurdistan eine Auskunft der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Köln
eingeholt; auf die Stellungnahme vom 11. November 2002 wird verwiesen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2002 ist der Kläger zu seinem
Begehren angehört worden. Wegen des Ergebnisses seiner Befragung und wegen der
weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakten, die von der Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge
sowie die vom Kläger überreichte Videokassette Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung hat Erfolg.
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Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet,
weil das Verwaltungsgericht die Beklagte zu Unrecht verpflichtet hat festzustellen, dass
hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Die Ziff.
2. - 4. des angefochtenen Bescheides sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in
seinen Rechten. Das Asylrecht nach Art. 16 a GG ist nicht Gegenstand des
Berufungsverfahrens, nachdem der Kläger insoweit seine Klage bereits erstinstanzlich
zurückgenommen hat.
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Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG.
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Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in
dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit,
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner
politischen Überzeugung bedroht ist. Diese Voraussetzungen sind deckungsgleich mit
denjenigen des Asylanspruchs aus Art. 16 a Abs. 1 GG, soweit es die
Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der
Verfolgung betrifft; auch für die bei der Gefahrenprognose anzulegenden
Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe ergeben sich keine unterschiedlichen Anforderungen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.;
BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, DVBl. 1992, 843 = DÖV 1992, 582 =
NVwZ 1992, 892; ferner zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs.
1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26.
Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 (503); Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C
48.92 -, NVwZ 1994, 497 (498 ff.).
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Danach ist politisch Verfolgter, wer in Anknüpfung an seine politische Überzeugung,
seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein
Anderssein prägen, gezielten Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität
nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (333
ff.).
32
Nach dem durch den Zufluchtgedanken geprägten normativen Leitbild des
Asylgrundrechts gelten für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter im
Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG ist, unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen
Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer
Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland
gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl zu gewähren, wenn der Asylsuchende vor
erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann. Ein Anspruch auf Asyl besteht
in diesem Fall schon dann, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die die Möglichkeit abermals
einsetzender Verfolgung als nicht ganz entfernt erscheinen lassen. Hat der
Asylsuchende sein Heimatland hingegen unverfolgt verlassen, so kann sein
Asylanerkennungsbegehren nach Art. 16a Abs. 1 GG nur Erfolg haben, wenn ihm
aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 (360);
Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (344 ff.); BVerwG,
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Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 - , InfAuslR 1995, 24.
Soweit die Verfolgungsfurcht auf Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers gestützt
wird, genügt es für die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass
die Asylgründe glaubhaft gemacht sind. Soweit die asylbegründenden Tatsachen auf
dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind, hat der
Asylsuchende demgegenüber den vollen Beweis zu führen.
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In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe kann der Senat weder feststellen, dass der
Kläger sein Heimatland auf der Flucht vor politischer Verfolgung verlassen hat, noch mit
der danach erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass ihm bei
Rückkehr aufgrund beachtlicher Nachverfolgungsgründe in der Heimat politische
Verfolgung droht.
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Der Kläger hat dem Senat nicht die Überzeugung vermitteln können, dass er im Januar
1995 als politisch Verfolgter aus der Türkei ausgereist ist. Nach dem Inhalt der Akten
und aufgrund der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 10.
Dezember 2002 vor dem Senat ist es nicht glaubhaft, dass der Kläger in der Türkei von
politischer Verfolgung betroffen oder zumindest bedroht war. Es ist Sache des
Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig und
nachvollziehbar vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in
sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt,
dass bei verständiger Würdigung in asylrelevanter Weise politische Verfolgung
eingetreten ist bzw. droht. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine Sphäre
fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen eine
Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen.
Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhaltes sind insbesondere
Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Asylbewerbers zu
berücksichtigen.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 1977 - 1 C 33.71 -, BVerwGE 55, 82, 86; Urteil
vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180, 181 f.; Beschluss vom 21. Juli
1989 - 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349; Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -,
InfAuslR 1990, 38 (39); Beschluss vom 3. August 1990 - 9 B 45.90 -, InfAuslR 1990, 344.
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Den genannten Anforderungen an eine plausible Darstellung des maßgeblichen
Vorfluchtschicksals genügt der Vortrag des Klägers indes nicht. Der Kläger hat erstmals
in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 15. Januar 1999 und
dort lediglich auf Nachfrage davon berichtet, kurz vor seiner Flucht Repressalien der
türkischen Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen zu sein. Dieser Sachvortrag und die
dazu in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 10. Dezember 2002 gemachten
Ergänzungen sind zu den für die Annahme einer politischen Verfolgung entscheidenden
Gesichtspunkten nicht glaubhaft. So beinhaltet allein schon das uneinheitliche
Aussageverhalten des Klägers als solches eine Steigerung, für die einleuchtende
Erklärungen weder vom Kläger gegeben noch sonst ersichtlich sind. Wenn der Kläger
die Schläge zur Erzwingung von Angaben zu seinem verschwundenen Vater als
Ausgrenzung empfunden haben sollte, ist nicht nachvollziehbar, warum er dies nicht
bereits gegenüber dem Bundesamt zum Ausdruck gebracht und bei der Anhörung durch
das Verwaltungsgericht nicht auch von sich aus an vorderster Stelle geltend gemacht
hat. Seine anfänglichen Angaben zu der angeblichen Razzia erscheinen darüber
hinaus detailarm, inhaltsleer und wirken wie den üblichen Berichten über die Methoden
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der türkischen Sicherheitskräfte nacherzählt. Auch die Ausführungen, mit denen er in
der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2002 versucht hat, seinen dürren
Vortrag anzureichern, bleiben stereotyp, oberflächlich und schlagwortartig. Das
konstruiert wirkende Vorbringen des Klägers bringt insgesamt eine individuelle
Betroffenheit nicht zum Ausdruck. War ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit
der Anlass für seine Ausreise, hätte z.B. eine genauere und sensiblere Schilderung der
körperlich und seelisch empfundenen Pein nahe gelegen. Wenn der Kläger in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat behauptet hat, die Mutter hätte den
Sicherheitskräften gesagt, dass er - der Kläger - gelegentlich die vom Vater ins Haus
gebrachte Zeitschrift "Deng" lese, trägt er selbst nicht vor, dass deswegen ein
Verfolgungsinteresse an seiner Person bestanden hat. Dass der damals erst 14 Jahre
alte Kläger bereits Interesse an politischen Themen gehabt hat, wie sie in der von PSK-
orientierten Kreisen im zweimonatigen Rhythmus herausgegebenen Zeitschrift "Deng"
behandelt werden, ist im Übrigen nicht einmal annäherungsweise behauptet worden.
Der Kläger hat sich bei seinen ergänzenden Ausführungen vor dem Senat zudem in
Widersprüche verstrickt, die den Eindruck verstärken, er schildere nicht wirklich
Erlebtes. Es ist nicht miteinander zu vereinbaren, wenn die Mutter die Angaben zu der
Zeitschrift "Deng" zunächst anlässlich des zweiten Überfalls auf das Haus ca. drei Tage
nach dem ersten getätigt haben soll, angeblich jedoch bereits anlässlich der ersten
Razzia für zwei Wochen in Haft genommen wurde. Die erst auf Vorhalt vom Kläger
nachgeschobene Darstellung, die Mutter sei im Gefängnis nach den Zeitschriften gefragt
worden, überzeugt auch deshalb nicht, weil sie keine Erklärung für den Anlass eines
weiteren Überfalls auf das Haus noch während der haftbedingten Abwesenheit der
Mutter liefert. Ist es seinerzeit überhaupt zu einer - nach Guerilla-Angriffen der PKK in
dörflichen Gegenden durchaus typischen - Durchsuchungsaktion ("Razzia") gekommen,
vermag der Senat dem Kläger jedenfalls irgendwelche an ein asylerhebliches Merkmal
anknüpfenden Exzesse, die über bloße Maßnahmen der Strafermittlung
hinausgegangen sind, nicht abzunehmen.
Der Kläger hat auch nicht wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit in der Türkei
politische Verfolgung erlitten. Dass kurdische Volkszugehörige in der Türkei keiner
Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, hat der Senat in ständiger Rechtsprechung auch für
den hier in Rede stehenden Zeitraum entschieden.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. März 1996 - 25 A 5801/94.A -; Urteil vom 3. Juni 1997 -
25 A 3631/95.A -; Urteil vom 28. Oktober 1998 - 25 A 1283/96.A -; Urteil vom 25. Januar
2000 - 8 A 1292/96.A - und Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -.
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Selbst wenn man dem Kläger abnehmen wollte, es sei anlässlich der
Ermittlungsmaßnahmen der türkischen Sicherheitsbehörden zu asylerheblichen
Eingriffen in seine körperliche Integrität gekommen, hat er sich jedenfalls nicht in einer
landesweit ausweglosen Lage befunden. Ihm stand im Westen der Türkei eine
inländische Fluchtalternative offen.
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Eine inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass der Asylsuchende in den in
Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm
jedenfalls auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität
und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen
gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht
bestünde.
43
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 94 m.w.N.
44
Im Zeitraum der Ausreise des Klägers sind Kurden auch in der Westtürkei vor politischer
Verfolgung hinreichend sicher gewesen,
45
vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 11. März 1994 - 25 A 2670/92.A -, UA S. 38 - 48 m.w.N.
46
sofern sie nicht im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Türkei in Ostanatolien einer
regionalen politischen Individualverfolgung ausgesetzt waren, weil sie bei den
Sicherheitskräften am Heimatort im individualisierten Verdacht standen, mit der
militanten kurdischen Bewegung zu sympathisieren.
47
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 93/94; Urteil vom 25.
Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnrn. 244 bis 249 m.w.N.
48
Die hiernach eine Individualverfolgung kennzeichnende Annahme, der Betreffende
stehe bei den Sicherheitskräften am Heimatort im Verdacht, mit der militanten
kurdischen Bewegung zu sympathisieren, ist gerechtfertigt, wenn er dort Eingriffe von
asylerheblicher Intensität erleiden musste oder von solchen unmittelbar bedroht war, die
seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung dieser Bewegung gegolten
haben, und die Umstände darauf hinweisen, dass er den Sicherheitskräften als eine des
Separatismus verdächtige Person individuell bekannt geworden ist. Unter diesen
Voraussetzungen besteht die ernst zu nehmende Möglichkeit, bei einer routinemäßigen
Personenkontrolle, die im Zuge der verschärften Sicherheitslage auch in der Westtürkei
vermehrt stattfindet, festgenommen und menschenrechtswidrig behandelt zu werden,
nachdem Rückfragen bei einem von der zuständigen Polizeizentrale geführten Register
oder bei den für den Heimatort zuständigen Stellen ergeben haben, dass es sich bei ihm
um eine der Zusammenarbeit mit militanten staatsfeindlichen Gruppen verdächtige
Person handelt.
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Vgl. OVG NRW, ,Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnr. 245 mit
zahlreichen Nachweisen zu Erkenntnislage.
50
Ein individualisierter Verdacht der Sicherheitsbehörden, der Kläger sympathisiere mit
der militanten kurdischen Bewegung, kann aus dem von ihm dargelegten Sachverhalt
jedoch nicht abgeleitet werden. Er hat lediglich angegeben, die Sicherheitskräfte hätten
den Aufenthaltsort seines Vaters wissen wollen. Von einem Verdacht gegen den
seinerzeit erst 14-jährigen Kläger selbst ist ebenso wenig die Rede wie von
tatsächlichen eigenen politischen Aktivitäten für die kurdische Sache.
51
Für den hier maßgeblichen Zeitraum ist auch vom Vorliegen der wirtschaftlichen
Voraussetzungen eines Lebens oberhalb des Existenzminimums in der Westtürkei
zugunsten der ausgewanderten Kurden auszugehen.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 1995 - 25 A 4705/94.A -, UA S. 54 - 65
m.w.N.
53
Auch bei minderjährigen Kindern fortgeschrittenen Alters - wie dem Kläger - ist es nach
den zu den Arbeitsmarktchancen in der Westtürkei vom Senat ausgewerteten
Erkenntnissen seinerzeit nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen, dass sie ihr
Existenzminimum aus eigener Erwerbstätigkeit sicherstellten.
54
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnr. 241/242.
55
Im Übrigen verbietet es die notwendige realitätsgerechte Prognose zu unterstellen, dass
solche Angehörige kurdischer Familien überhaupt isoliert in den Westen übersiedeln,
die dort ohne Begleitung möglicherweise nicht überleben könnten, wie z.B. Kinder unter
16 Jahren. Empfindet nämlich eine Familie ihre Lage aufgrund der Zustände in dem
kurdisch besiedelten Gebiet Anatoliens als unerträglich, so liegt es nahe, dass sie im
Allgemeinen als Gemeinschaft übersiedelt, also namentlich unter Einschluss derjenigen
Familienmitglieder, die die Versorgung der Übrigen durch Erwerbstätigkeit sicherstellen
können. Existiert eine derartige Versorgungsgemeinschaft im Heimatgebiet, so ist davon
auszugehen, dass diese als solche in die Westtürkei zuwandert.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. August 2002 - 8 A 1660/97.A -, UA S. 22 m.w.N.
57
Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) droht dem
Kläger nach einer Rückkehr in die Türkei auch nicht wegen nach seiner Flucht
eingetretener Umstände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.
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Das gilt namentlich im Hinblick auf seine exilpolitischen Aktivitäten.
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Exilpolitische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland begründen ein beachtlich
wahrscheinliches Verfolgungsrisiko für türkische Staatsangehörige im Allgemeinen nur,
wenn sich der Betreffende politisch exponiert hat, wenn sich also seine Betätigung
deutlich von derjenigen der breiten Masse abhebt.
60
Vgl. zum Ganzen: OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 62 ff.
m.w.N.
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Nur wer politische Ideen und Strategien entwickelt oder zu deren Umsetzung mit Worten
oder Taten von Deutschland aus maßgeblichen Einfluss auf die türkische Innenpolitik
und insbesondere auf seine in Deutschland lebenden Landsleute zu nehmen versucht,
ist aus der maßgeblichen Sicht des türkischen Staates ein ernst zu nehmender
politischer Gegner, den es zu bekämpfen gilt. Das ist beispielsweise bei denjenigen
exilpolitisch tätigen Asylsuchenden anzunehmen, die in der exilpolitischen Arbeit eine
auf Breitenwirkung zielende Meinungsführerschaft übernehmen und erkennbar
ausüben, kann aber auch auf Aktivitäten im organisatorischen Bereich zutreffen, die sich
- wie die Beschaffung der finanziellen Grundlagen der politischen Arbeit oder wie die
Planung politischer Strategien - nicht unmittelbar und nach Außen gerichtet verbal
äußern. Dem türkischen Staat kommt es weniger darauf an, jeder einzelnen Person
habhaft zu werden, die Äußerung abgibt oder Aktivitäten zeigt, die nach türkischen
Verständnis zu missbilligen sind, sondern es sollen diejenigen beobachtet und bestraft
werden, die zu solchen Äußerungen und entsprechenden Aktivitäten anstiften und sie
öffentlichkeitswirksam organisieren.
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Nicht beachtlich wahrscheinlich zu politischer Verfolgung führen exilpolitische
Aktivitäten niedrigen Profils. Dazu gehören alle Tätigkeiten von untergeordneter
Bedeutung. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass der Beitrag des Einzelnen - wie bei
Großveranstaltungen - kaum sichtbar oder zwar noch individualisierbar ist, aber hinter
den zahllosen deckungsgleichen Beiträgen anderer Personen zurücktritt. Derartige
Aktivitäten sind ein Massenphänomen, bei denen die Beteiligten ganz überwiegend nur
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die Kulisse abgeben für die eigentlich agierenden Wortführer. Das ist z.B. anzunehmen
bei schlichter Teilnahme an Demonstrationen, Protestaktionen, Hungerstreiks,
Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren sowie bei Wahrnehmung
lediglich von Hilfsaufgaben etwa als Ordner, Begleitpersonal, Zeitschriftenverkäufer,
Betreuer von Büchertischen, Flugblattverteiler oder Reinigungspersonal.
Eine exponierte exilpolitische Tätigkeit liegt bei größeren und öffentlichkeitswirksamen
Veranstaltungen in der Regel erst vor, wenn der Asylsuchenden bestimmenden Einfluss
auf Zeitpunkt, Ort, Ablauf oder - vor allem - auf den politischen Inhalt der Veranstaltung
hat, er also in den Augen der türkischen Sicherheitskräfte in der Rolle des "Aufwieglers"
und Anstifters zum Separatismus agiert. Dies ist etwa anzunehmen für Leiter derartiger
Demonstrationen und Protestaktionen sowie Redner auf solchen Veranstaltungen, nicht
aber schon für denjenigen, der bei der Anmeldung gegenüber der deutschen Polizei
rein formell als Versammlungsleiter aufgeführt ist.
64
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 71; Urteil vom 25.
Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnrn. 263 und 309.
65
Soweit der Kläger eigenen Angaben zufolge und ausweislich der eingereichten
Unterlagen - Bildmaterial und Bescheinigungen des Arbeitervereins Kurdistan vom 13.
November 1995, vom 9. Januar 1999 und vom 19. September 2000 - sich an einer
Vielzahl von politischen Aktionen im Bundesgebiet beteiligt hat, ist nicht ersichtlich,
dass sein Engagement jeweils über eine schlichte Teilnahme - gelegentlich verbunden
mit der untergeordneten und nach den obigen Ausführungen nicht asylrelevanten
Tätigkeit als Ordner - hinausgegangen ist. Auch die Gesamtzahl der für sich genommen
niedrig profilierten exilpolitischen Aktivitäten kann diese nicht asyl- oder
abschiebungsschutzrechtlich erheblich machen, weil kein Anlass für die Annahme
besteht, dass insoweit quantitative in qualitative Gesichtspunkte umschlagen können.
66
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 63; Urteil vom 25.
Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnr. 265 m.w.N.
67
Die Schwelle bloß niedrig profilierter Tätigkeit hat der Kläger auch nicht dadurch
überschritten, dass er nach der Bescheinigung des Arbeitervereins Kurdistan vom 19.
September 2000, Fotografien vom 5. März 1997 sowie vom 26. Juli 1997, einer
Abbildung in der Zeitung "Hevi" vom 10. Mai 1997 und dem Video-band über die 25.
Jubiläumsfeier der PSK in M. am 16. Oktober 1999 in den Jahren 1997 bis 2000 darüber
hinaus des Öfteren auch als Mitglied einer Folkloregruppe an exilpolitischen
Veranstaltungen teilgenommen hat. Zwar können auch Personen als exponiert
einzustufen sein, die nicht durch politische Reden auf Veranstaltungen für kurdische
Personen werben, die aber eine hervorgehobene Tätigkeit etwa in einer kurdischen
Folkloregruppe ausüben; dabei kommt es auf Größe und Bekanntheitsgrad dieser
Gruppe, die Stellung des Betreffenden in ihr und den politischen Inhalt ihrer Lieder an.
68
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 71; Urteil vom 25.
Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnr. 310 jeweils m.w.N.
69
Gemessen daran handelt es sich bei den Auftritten des Klägers um ein politisches
Engagement bloß niedrigen Profils. Es ist schon weder vorgetragen noch ersichtlich,
dass der Kläger in der Folkloregruppe der KOMCIVAN-Jugend aus Kurdistan eine
herausragende Rolle etwa als Moderator, Vortänzer oder Solist gespielt hat. Den
70
Angaben des Klägers zufolge handelt es sich insbesondere auch lediglich um eine
kleine, nur regional in Erscheinung getretene und ausschließlich von relativ jungen
Leuten gebildete Gruppe. Dass ihre Mitglieder oder Einzelne der Mitwirkenden einer
breiten Öffentlichkeit als politische Protagonisten bekannt geworden sind, ist nicht
erkennbar. Soweit der Kläger behauptet hat, die Folkloregruppe trete regelmäßig bei
Abendveranstaltungen politischer Art auf, sind lediglich eine Veranstaltung gegen den
Krieg am 3. Mai 1997 in Wuppertal, das Newroz-Fest der KOMKAR in M. am 20. März
1999, die 25. Jubiläumsfeier der PSK in M. am 16. Oktober 1999 und das Newroz-Fest
der KOMKAR vom 18. März 2000 als größere und publikumswirksame Veranstaltungen
nachgewiesen. Unterlagen, aus denen eine tragende Rolle der Tanzdarbietungen für
den politischen Meinungskampf abgeleitet werden könnte (etwa
Veranstaltungsprogramme, Flugblätter, Presseaufrufe etc.), sind dem Senat nicht
vorgelegt worden. Auf dem vom Kläger eingereichten Videoband über die Veranstaltung
zum 25. Jubiläum der PSK in M. am 16. Oktober 1999 tritt die Folkloredarbietung als
schmückendes Beiwerk der politischen Statements der verschiedenen Redner ohne
eine - über die Pflege des kurdischen Kulturgutes und den Eintritt für die politische
Selbständigkeit hinaus gehende - eigenständige politische Botschaft in Erscheinung.
Die Gruppe - und in ihr aufgehend der Kläger - symbolisiert mit ihrem Auftritt, dass das
Kurdentum als kulturelle und politische Heimat der ins Ausland geflohenen jüngeren
Volkszugehörigen nach wie vor wach ist. In dieser Funktion spiegelt die Gruppe nach
ihrem äußeren Erscheinungsbild keine eigenständige richtungsweisende politische
Kraft wieder, sondern soll Beispiel für ein Massenphänomen abgeben. Dem entspricht
es, dass der Kläger mit seinem Vortrag nicht zu erkennen gegeben hat, mit seinen
Folkloreauftritten neben der Volkstumspflege ein besonderes politisches Engagement
verbunden zu haben. Es liegen danach alles in allem nicht genügend Anhaltspunkte für
die Annahme vor, der Kläger könnte mit seiner Tätigkeit in der kurdischen
Folkloregruppe als eine Art Leitfigur in Erscheinung getreten sein.
Ein staatliches Verfolgungsinteresse lässt sich insoweit auch nicht deshalb annehmen,
weil er sich - gerade auch mit der Folkloregruppe - an politischen Veranstaltungen
jeweils als Mitglied des - dem KOMKAR angehörenden - Arbeitervereins Kurdistan in M.
bzw. dessen Jugendorganisation "KOMCIVAN- Jugend aus Kurdistan e.V." beteiligt hat.
71
Im Blickpunkt der türkischen Sicherheitskräfte stehen durchaus diejenigen
exilpolitischen Vereinigungen, die als von der PKK dominiert oder beeinflusst gelten
oder die von türkischer Seite als vergleichbar militant staatsfeindlich eingestuft werden.
Zwar besteht nicht im Hinblick auf jedes Mitglied derartiger Exilorganisationen in
gleicher Weise ein Verfolgungsinteresse des türkischen Staates. Ohne weiteres - also
bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte - ist ein Interesse der türkischen
Sicherheitskräfte aber im Hinblick auf Vorstandsmitglieder eingetragener Vereine einer
derartigen Ausrichtung anzunehmen, über deren Identität das Jedermann zur
Einsichtnahme offen stehende Vereinsregister Auskunft gibt.
72
Vgl. zu Vorstehendem: OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 74
f.; Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnrn. 312 - 314 jeweils m.w.N.
73
Das der Kläger nach dem vorliegenden Vereinsregisterauszug in der Zeit von Oktober
1997 bis Januar 1999 Beisitzer im Vorstand des "KOMCIVAN-Jugend aus Kurdistan
e.V." war und später zum Liquidator des durch Beschluss der Mitgliederversammlung
vom 17. Dezember 2000 aufgelösten Vereins bestellt worden ist, hat hier dennoch keine
asylrelevante Bedeutung, weil zu den der PKK vergleichbaren Vereinen regelmäßig
74
nicht die der KOMKAR angeschlossenen kurdischen Vereine - hier also der kurdische
Arbeiterverein Kurdistan in M. und dessen vorstehend benannte Jugendorganisation -
zu rechnen sind.
Vgl. auch zu Folgendem: OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A - UA S.
76 f.; Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnrn. 316 - 320, jeweils m.w.N.
75
Die 1979 gegründete KOMKAR ist die eher als gemäßigt geltende Dachorganisation
der kurdischen Arbeitervereine in Deutschland, die den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf
soziale und kulturelle Aktivitäten sowie auf Sprachunterricht für die in Deutschland
ansässigen türkischen Staatsangehörigen legen; neben Kurden arbeiten nach Angaben
der KOMKAR auch deutsch-kurdische Vereine sowie türkische Volkszugehörige mit.
KOMKAR und die ihr angeschlossenen Vereine verstehen sich daneben aber auch als
Interessenvertretung der - in der Türkei selbst illegalen - Sozialistischen Partei
Kurdistans (PSK) in Deutschland, die sich im Gegensatz zur Linie der PKK vor den so
genannten "Friedensinitiativen" in ihren Publikationen immer wieder zum Verzicht auf
Waffengewalt bekennt. Allerdings streben jedenfalls Teile der PSK, der unmittelbar
anzugehören der Kläger ohnehin aber nicht vorgibt, nach Einschätzung einzelner
Gutachter - wenn auch auf friedlichem Wege - eine Verwirklichung des
Selbstbestimmungsrechts des kurdischen Volkes im Rahmen eines kurdischen Staates
oder eines Zusammenlebens mit dem türkischen Volk in einer Föderation
gleichberechtigter Teilstaaten an. Aufgrund dieser Zielsetzung werden KOMKAR und
die ihr angeschlossenen Vereine von den Auslandsvertretungen und vom
Nachrichtendienst der Türkei beobachtet, wenn auch nicht mit derselben Intensität wie
andere Organisationen und Einrichtungen der kurdischen nationalen Opposition. Eine
beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Mitglieder von KOMKAR-Vereinen nach
einer Rückkehr allein wegen ihrer KOMKAR- Aktivitäten in asylerheblicher Weise
verfolgt werden, besteht indes nicht; Referenzfälle in hinreichender Zahl sind nicht
bekannt geworden.
76
Vgl. Senatsurteil vom 10. April 2002 - 8 A 2745/98.A -, S. 22 ff.; Oberdiek, Gutachten
vom 28. Oktober 1998 an das OVG Hamburg; Kaya, Gutachten vom 30. Oktober 1996
an das VG Bremen; Gutachten vom 7. April 1999 an OVG Hamburg; Polizeipräsidium
Köln, Vermerk vom 18. Dezember 1997; Rumpf, Gutachten vom 9. März 1999 an OVG
Hamburg; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 21. Dezember 1998 an OVG Hamburg;
ebenso OVG Hamburg, Urteil vom 1. September 1999 - 5 Bf 2/92.A -, S. 49 ff., S. 63 f.; zu
demselben Ergebnis kommt OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. September 1999 - 10
A 12219/98.OVG -, S. 14 ff.; als Beispiel für die Überwachung von KOMKAR-Aktivitäten:
Schreiben des Generalkonsuls Hürth an die Stadt Troisdorf vom 17. Dezember 1996, in:
Hess, Schreiben an das OVG Nordrhein- Westfalen vom 8. September 2000. Eine Liste
der Mitgliedsvereine von KOMKAR enthält die Auskunft des Internationalen Vereins für
Menschenrechte der Kurden (IMK) e.V. vom 22. September 1999 an VG Düsseldorf.
77
Dass im konkreten Einzelfall etwas anderes gilt, ergibt sich auch nicht aus der Auskunft
der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Köln vom 11. November 2002. Darin
wird lediglich die Zugehörigkeit des Arbeitervereins Kurdistan in M. und dessen
Jugendorganisation KOMCIVAN zur KOMKAR, deren Ablehnung von Gewalt als Mittel
der Durchsetzung politischer Ziele sowie deren Opposition zur PKK bestätigt.
Letztgenannte Umstände werden als Grund dafür angenommen, dass der türkische
Staat zwar KOMKAR-Mitglieder in Deutschland intensiv beobachtet, von der ihm zur
Verfügung stehenden Möglichkeit, diese zu verfolgen, jedoch keinen Gebrauch macht.
78
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnr. 320 mit Hinweis
insbesondere auf OVG Hamburg, Urteil vom 1. September 1999 - 5 BF 2/92.A -, S. 63 f.
79
Ist das politische Gewicht des Klägers auch als Mitglied der dem KOMKAR
angehörenden Vereine deshalb gering, ergibt sich eine abweichende Einschätzung des
Verfolgungsrisikos auch nicht deshalb, weil er in der Wochenzeitung "Hevi" vom 10. Mai
1997 auf S. 7 als Mitglied der Folkloregruppe der KOMCIVAN-Jugend aus Kurdistan
abgebildet ist. Es gibt keine ausreichende Anzahl von einschlägigen Referenzfällen,
dass unter den oben angenommenen Umständen eine niedrig profilierte exilpolitische
Aktivität eine menschenrechtswidrige Behandlung in der Türkei auslöst. Regelmäßig
beteiligen sich an politischen Veranstaltungen gegen den Krieg, um die es sich hier
gehandelt haben soll, im Laufe eines Jahres Tausende von Personen kurdischer oder
türkischer Herkunft in niedrig profilierter Weise, die dabei gefilmt und fotografiert werden
bzw. deren Bild in der Presse erscheint, so dass angesichts der hohen Zahl von
Abschiebungen in die Türkei - 27.880 Personen in den Jahren 1997 bis 2001 - mit einer
signifikanten Vielzahl von solchen Referenzfällen zu rechnen wäre, wenn schon eine
niedrig profilierte exilpolitische Betätigung zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit
führen würde.
80
Vgl. auch zu Folgendem: OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A - UA S.
69; Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnrn. 278 - 281.
81
Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass zahlreiche niedrig profilierte exilpolitische
Aktivitäten aus der Sicht des türkischen Staates nicht zuletzt deshalb nicht
beachtenswert erscheinen, weil sie erkennbar nur der Förderung laufender
Asylverfahren dienen. Zudem ist bei derartigen Pressefotos ein Rückschluss auf die
Identität der Betreffenden oftmals gar nicht oder jedenfalls nur unter Einsatz
zusätzlichen, in der Regel unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwandes möglich. Der
dafür erforderliche Ermittlungsaufwand stünde auch außer Verhältnis zu dem zu
erwartenden Ermittlungserfolg. Von daher sind einfache Teilnehmer an
Demonstrationen, Kundgebungen und anderen Massenaktionen nach den Feststellung
des Senats keiner gezielten Sammlung von Informationen seitens des türkischen
Staates ausgesetzt.
82
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 66; Urteil vom 25.
Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdnr. 272/273.
83
Nicht als exponierte exilpolitische Aktivität, die das Verfolgungsrisiko zu erhöhen
vermag, einzustufen ist schließlich auch die - vom Kläger selbst auch gar nicht geltend
gemachte, sondern lediglich von der Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums
übermittelte - bloße Unterzeichnung der im Rahmen der "Identitätskampagne" oder
"Zweiten Friedensinitiative" der PKK verfasste Erklärung "Auch ich bin ein PKK'ler". Es
spricht von vornherein nicht für die politische Ehrlichkeit des Klägers, wenn er als der
PSK nahe stehend eine Erklärung unterzeichnet, deren Wortlaut eine Identifikation mit
den Zielen der PKK zu entnehmen ist. Ungeachtet dessen sind jedenfalls auch hier nur
die Initiatoren dieser Kampagne gefährdet; in der Bundesrepublik Deutschland sind im
Jahr 2001 über 40.000 derartiger Erklärungen abgegeben worden, europaweit sollen es
etwa 120.000 sein.
84
Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 74 m.w.N.
85
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG zu.
86
Hat das Verwaltungsgericht - wie hier - dem Hauptantrag stattgegeben, so muss das
Berufungsgericht bei Abweisung der Klage mit dem Hauptantrag zwar über diesen in
erster Instanz gestellten Hilfsantrag entscheiden.
87
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19/96 -, BVerwGE 104, 260 = NVwZ 1997,
1132 = InfAuslR 1997, 420.
88
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG liegen - unter Zugrundelegung der oben
getroffenen Feststellungen - aber ersichtlich nicht vor.
89
Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in Nr. 4 des angefochtenen
Bescheids finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG.
90
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b Abs.
1 AsylVfG.
91
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 10, 711 ZPO.
92
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
93