Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27.06.2000
OVG NRW: rechtliches gehör, wand, grundstück, flachdach, verwirkung, anbau, gebäudehöhe, veröffentlichung, auflage, dachgeschoss
Oberverwaltungsgericht NRW, 10 B 426/00
Datum:
21.06.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 B 426/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 9 L 323/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beigeladenen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Zulassungsantrag der Beigeladenen ist zulässig, aber unbegründet.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die vorgetragenen Gründe
ergeben keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§
146 Abs. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Desweiteren haben die Beigeladenen nicht
hinreichend Gründe dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
146 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 3, § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder ein Verfahrensmangel
nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vorliegt.
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a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen nicht.
Das Verwaltungsgericht kommt zutreffend zu dem Ergebnis, dass das durch die streitige
Baugenehmigung vom 13. Januar 2000 genehmigte Vorhaben der Beigeladenen zu
Lasten der Antragsteller gegen nachbarschützende Bestimmungen der
Abstandflächenregelung des § 6 BauO NRW verstößt und dem Aussetzungsinteresse
der Antragsteller Vorrang zukommt.
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Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die genehmigte Herstellung
eines um 45 Grad geneigten Daches (mit Krüppelwalm) auf dem schon bisher auf dem
Flurstück 156 vorhandenen Flachdachgebäude die Abstandflächenfrage für das
gesamte Gebäude einschließlich seiner bereits bestehenden Teile neu aufwirft. Diese
Beurteilung entspricht der ständigen Rechtsprechung der Bausenate des erkennenden
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Gerichts
vgl. Beschluss vom 11. November 1999 - 10 A 2435/99 -; siehe auch
Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, § 6 Rdn. 133 und 181 sowie § 74 Rdn. 236;
Hahn/Schulte, Öffentlich- rechtliches Baunachbarrecht, Rdn. 246, jeweils m.w.N.,
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die darauf beruht, dass die Errichtung eines geneigten Daches auf einem vorhandenen
Gebäude mit Flachdach bautechnisch und auch funktional abstandrechtlich keiner
eigenständigen Betrachtung zugänglich ist. Das Dach ist ohne das Gebäude und deren
Bauteile, auf das es aufsetzt, nicht denkbar. Die Dachkonstruktion - hier sogar unter
Herstellung von Drempeln auf den traufseitig vorhandenen Außenwänden - liegt auf
dem vorhandenen Gebäudebestand statisch auf. Das bisherige Flachdach wird
bautechnisch zum Fußboden des Dachraumes und zum Fundament der Giebelseiten
mit deren Fensteranlagen umgestaltet. Das bisherige Gebäude erfährt durch den
Dachaufbau eine nachhaltige Veränderung in Kubatur und Nutzungsmöglichkeiten.
Schon hierin liegt - ohne dass es auf die weiteren Erwägungen des Verwaltungsgerichts
zur Prägung des entstehenden Gebäudes ankäme - eine erhebliche Änderung der
Identität des vorhandenen Gebäudes, die in der Gesamtschau das herzustellende
Gebäude im Vergleich zu dem bisherigen zu einem aliud macht. Infolgedessen kommt
es - entgegen der Auffassung der Beigeladenen - nicht darauf an, ob der Dachaufbau
mit seiner Giebelwand unter Inanspruchnahme des § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW und
des Schmalseitenprivilegs nach Abs. 6 bei isolierter Sicht infolge des gewählten
Versprungs gegenüber der östlichen Gebäudewand die Abstanderfordernisse einhält.
Vielmehr hat das Verwaltungsgericht zutreffend auch die Einhaltung der Abstandflächen
überprüft und verneint, die durch die östliche Wand des Hallenbades ausgelöst werden.
Diese grenzt unmittelbar an den Herzbroicher Graben und ist dem Grundstück der
Antragsteller zugewandt. Den Beteiligten ist bekannt, dass die Abstandfläche, die von
dieser Wand ausgelöst wird, über die Mitte der öffentlichen Wasserfläche des
Gewässergrundstücks i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 1 LWG NRW hinausgeht und
damit zugleich Rechte der Antragsteller als Eigentümer des jenseits dieser Fläche
gelegenen Grundstücks verletzt
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Dezember 1999 - 7 B 1932/99 - zur
nachbarschützenden Wirkung des § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW.
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Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt. Es sind auch keine
Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass die hälftige Fläche des Wassergrundstücks unter
keinen Umständen dazu dienen könnte, etwaige eigene Abstandflächen einer
Bebauung auf dem Grundstück der Antragsteller aufzunehmen.
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Damit geht der Versuch der Beigeladenen fehl, den abstandrechtlichen Anforderungen
dadurch Rechnung zu tragen, dass sie das ursprünglich verfolgte Vorhaben, das
vorhandene Gebäude vollständig mit einem Dachgeschoss zu versehen, fallen
gelassen und nunmehr zum Gegenstand ihres Baugesuchs einen neu gestalteten
Dachaufbau gemacht haben, dessen östliche Giebelseite u.a. um 1,20 m von der
dortigen Außenwand zurückversetzt ist. Soweit die Beigeladenen und der
Antragsgegner darauf abstellen, die baulich unveränderte östliche Außenwand des
Gebäudes genieße Bestandsschutz, weshalb sie abstandrechtlich nicht mehr zu prüfen
sei, können sie damit nicht durchdringen. Im Übrigen folgt aus den vom Antragsgegner
vorgelegten Bauakten, zu deren Einbeziehung es nicht der Durchführung eines
Beschwerdeverfahrens bedarf, dass das vorhandene Gebäude mit seinen
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Außenwänden zu keinem Zeitpunkt den abstandrechtlichen Anforderungen entsprach
und aus diesem Grund Gegenstand bauaufsichtlicher Maßnahmen des Antragsgegners
war. Bestandsschutz kann auch nicht aus der Baugenehmigung vom 6. Juni 1991
abgeleitet werden, weil das Gebäude hiervon abweichend errichtet worden ist. Mit
dieser Baugenehmigung ist nach den zugehörigen Bauvorlagen ein "Anbau" genehmigt
worden mit einer Gebäudehöhe einschließlich Dachkonstruktion von 3,20 m und einer
östlichen Wand mit einer Länge von 6,50 m. Nach den Bauvorlagen zu der hier
streitigen Baugenehmigung (Bestandsangaben) ist die östliche Gebäudewand jedoch
3,50 m hoch und insgesamt 6,71 m lang.
Ob die Antragsteller nach den Grundsätzen der Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte
noch gegen den ursprünglichen Gebäudebestand wegen der Abstandverletzung
vorgehen können, bedarf keiner Entscheidung. Ein etwa anzunehmender Verlust des
Abwehrrechts in Bezug auf den bisherigen Gebäudebestand bedeutet nämlich nicht
zugleich, dass ihnen damit auch das Abwehrrecht gegen weiter gehende Aus- und
Umbaumaßnahmen abgeschnitten wären, die - wie hier - mit dem abstandverletzenden
Gebäudebestand eine untrennbare Einheit bilden. Der erneut angeführte Gesichtspunkt,
die Beigeladenen dürften mit ihrem jetzigen Vorhaben nicht schlechter gestellt werden,
als sie stünden, wenn der erdgeschossige Teil des Gebäudes unter Wahrung der
Abstanderfordernisse neu errichtet würde, zielt auf eine hypothetische Situation ab, für
deren Berücksichtigung im geltenden Abstandrecht kein Raum ist.
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b) Die Beigeladenen haben auch nicht eine klärungsbedürftige, spezifisch auf das
Eilverfahren bezogene Rechtsfrage, die über ihre Bedeutung für den konkreten Fall
hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung oder für
die Weiterentwicklung des Rechts hat, dargelegt (§ 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO).
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c) Die Beigeladenen haben weiterhin keinen nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO
beachtlichen Verfahrensfehler dargelegt.
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Ein solcher Verfahrensfehler folgt nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht in dem
angefochtenen Beschluss Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen zitiert hat, die - so die Beigeladenen - ihren
Prozessbevollmächtigten mangels Veröffentlichung nicht bekannt gewesen sein sollen.
Rechtliches Gehör dazu, an welchen obergerichtlichen Entscheidungen sich das
Verwaltungsgericht bei einer streitigen Entscheidung voraussichtlich orientieren wird,
mag - auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - dann zu gewähren sein,
wenn es sich um solche handelt, in denen eine Rechtsauffassung vertreten wird, die
weder von den Beteiligten selbst diskutiert noch sonst nahe liegend ist, ihre
Zugrundelegung damit für die Verfahrensbeteiligten überraschend wäre.
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Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Auflage, § 108 Rdn. 20 m.w.N.
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Hiervon konnte, auch mit Rücksicht auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in
seinem Beschluss gleichen Rubrums vom 13. September 1999 - 25 L 2993/99 -, nicht
die Rede sein.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 159 Satz 2 VwGO, §§ 20
Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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