Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 20.05.2009

OVG NRW: unabhängigkeit, unternehmen, rechtsberatung, vorbehalt des gesetzes, vertretung, zivilrechtliche haftung, kommission, begriff, bundesamt, fahrplan

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 A 3609/07
Datum:
20.05.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20 Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 A 3609/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 18 K 1596/07
Tenor:
Die Verfahren 20 A 3609/07 und 20 A 3607/07 werden zur
gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die angefochtenen Urteile werden geändert. Auf die Klagen der
Klägerinnen wird der an die Klägerin zu 1. gerichtete Bescheid des
Eisenbahn-Bundesamtes vom 24. November 2006 jeweils nebst dem
die jeweilige Klägerin betreffenden Widerspruchsbescheid aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten der Verfahren.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin zu 1. ist ein öffentliches Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach § 3 Abs.
1 Nr. 2 AEG. Sie ist durch Ausgründung aus der Klägerin zu 2. entstanden (§ 2 Abs. 1, §
25 DBGrG), die weiterhin die Konzernholding bildet. Innerhalb des Konzerns ist die
Klägerin zu 1. für die Schieneninfrastruktur, namentlich deren Betrieb und Vermarktung
verantwortlich. In den Konzern sind auch Eisenbahnverkehrsunternehmen
eingebunden.
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Für konzernangehörige Unternehmungen hält die Klägerin zu 2. verschiedene zentrale
Gruppen- und Servicefunktionen vor, u.a. eine zentrale Rechtsabteilung. Diese berät
und vertritt alle Gesellschaften des Konzerns, so auch die Klägerin zu 1., namentlich in
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diversen Regulierungsangelegenheiten.
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Inanspruchnahme dieses Services
durch die Klägerin zu 1. in Angelegenheiten den Netzfahrplan, die sonstige Zuweisung
von Zugtrassen und die Wegeentgelte betreffend, und zwar vor dem Hintergrund der
Vorgaben, die § 9a Abs. 1 AEG an die Unabhängigkeit von öffentlichen Betreibern der
Schienenwege von Eisenbahnverkehrsunternehmen stellt. Die Vorschrift ist mit Wirkung
zum 30. April 2005 in das Allgemeine Eisenbahngesetz eingefügt worden (Art. 1 Nr. 8,
Art. 6 des Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 27.
April 2005, BGBl. I S. 1138); das Gesetz geht auf verschiedene Richtlinien des
europäischen Parlamentes und des Rates zurück (u.a. Richtlinie 2001/12/EG vom 26.
Februar 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates zur Entwicklung der
Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft - ABl. L 75, 1 - und Richtlinie 2001/14/EG
vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und
die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur - ABl. L 75, 29 -
).
4
Nach Inkrafttreten der Vorschrift haben die Klägerinnen verschiedene Maßnahmen mit
dem Ziel ergriffen, die gesetzlichen Anforderungen an eine Unabhängigkeit der Klägerin
zu 1. als öffentliche Betreiberin der Schienenwege sicherzustellen. So einigten sie sich
im Mai 2005 auf eine Ergänzung des bestehenden Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrags, nach der von dem der Klägerin zu 2. eingeräumten
Weisungsrecht die rechtliche und organisatorische Unabhängigkeit in Bezug auf
netzzugangs- und entgeltrelevante Entscheidungen unberührt bleibt. Ergänzend erfolgte
eine Änderung der Geschäftsordnung für den Vorstand der Klägerin zu 1. (§ 4 Abs. 3 der
Geschäftsordnung). Die Konzernrichtlinie 048.2001, die das Personal der Klägerin zu 1.
betrifft, wurde ausdrücklich auf in netzzugangsrelevanten Angelegenheiten beauftragte
Personen erstreckt. Sie enthält u.a. Regelungen über die Geheimhaltung von Daten und
Informationen; ferner enthält sie in Bezug auf Beratungsleistungen das Verbot der
Vertretung widerstreitender Interessen. Innerhalb der Klägerin zu 1. blieben die
Aufgabenstellungen betreffend den Netzzugang und die Wegeentgelte im Wesentlichen
unverändert. Sie sind dem Vorstandsressort "Marketing/Vertrieb" (I.NM) zugewiesen.
Anträge auf Zuweisung von Zugtrassen werden entsprechend der internen
Organisationsstruktur dieses Ressorts bei den regionalen Niederlassungen der Klägerin
zu 1. im Bereich Kundenmanagement erfasst und bearbeitet. Die Trassenkonstruktion
für den Fahrplan erfolgt in den Niederlassungen durch den Bereich Fahrplan. Der
Trassenkonstrukteur ist nach den Organisationsplänen zugleich u.a. für die
Konfliktlösung und Trassenvergabe im Rahmen des Gelegenheitsfahrplans zuständig.
Auf der Ebene der Zentrale sind den Niederlassungen u.a. übergeordnet die
Organisationseinheit "Grundsätze Netzzugang/Regulierung" (I.NMN). Nach der
Ressortbeschreibung ist eine ihrer Hauptaufgaben, über die Einlegung von
Rechtsbehelfen und -mitteln gegen Maßnahmen und Entscheidungen der Aufsichts-
und Regulierungsbehörden in Abstimmung mit der zuständigen Konzernrechtsabteilung
zu entscheiden. Jene Abteilung ist mit fünf Mitarbeitern, davon zwei Volljuristen, besetzt.
Die Erarbeitung von Entgeltgrundsätzen sowie die Erstellung von Entgeltlisten für die
Trassennutzung obliegt nach dem Organisationsplan der Abteilung
"Marketing/Preispolitik" (I.NMM). Sie ist mit fünf Vollzeitkräften (Betriebswirte und
Wirtschaftsingenieure) besetzt. Nach der Konzernrichtlinie "Trassenmanagement
Grundsätze - 402.0101- sind die Mitarbeiter im Trassenmanagement verpflichtet, bei
ihrer Tätigkeit keinerlei Einflussnahmen Dritter außerhalb der Klägerin zu 1. auf die
Entscheidungen über den Netzfahrplan, die sonstige Zuweisung von Trassen oder
5
Entscheidungen über die Wegeentgelte zuzulassen. Im Oktober 2005 bestellte die
Klägerin zu 1. auf Verlangen des Eisenbahn-Bundesamtes einen
Unabhängigkeitsbeauftragten nach § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG.
In der konzernzentralen Rechtsabteilung (GR) wurden verschiedene Änderungen
vorgenommen. Im Geschäftsbereich "Regulierungs-, Wettbewerbs- und Kartellrecht"
(GRK) wurde eine eigenständige Einheit als Unterabteilung gebildet. Sie wurde mit der
umfassenden und ausschließlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der
Eisenbahninfrastrukturunternehmen des E. -Konzerns gegenüber der
Bundesnetzagentur und anderen staatlichen Stellen in sämtlichen Netzzugangs- und
Regulierungsverfahren beauftragt. Die Unterabteilung wurde zum April 2007 in die
Organisationseinheit GRK 1 überführt und erhielt eine eigene, disziplinarisch voll
verantwortliche Leitung. Diese untersteht dem Direktionsrecht des Abteilungsleiters der
Abteilung GRK. In dieser Unter-Einheit sind sieben Juristen beschäftigt.
Stellentechnisch werden fünf Vollzeitkräfte der Beratung und Vertretung der Klägerin zu
1. in Netzzugangs- und Wegeentgeltfragen zugerechnet, die restlichen beiden Stellen
der Beratung und Vertretung anderer konzernzugehöriger
Eisenbahninfrastrukturunternehmen.
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Nach der die Umstrukturierung begleitenden, weiterhin gültigen Arbeitsanweisung aus
Februar 2006 ist es den Aufgabeninhabern des Arbeitsgebietes GRK 1 u.a. nicht
gestattet, in ihrem Arbeitsgebiet Eisenbahnverkehrsunternehmen zu beraten oder zu
vertreten, deren Interessen in ihrem Arbeitsbereich wahrzunehmen oder Informationen
aus ihrem Arbeitsgebiet an diese oder an Personen, die für die
Eisenbahnverkehrsunternehmen tätig sind, weiterzugeben. In den als Anlage zur
Dienstanweisung beigefügten "Spielregeln GR" wird Näheres zu den Anforderungen
aus § 9a AEG in netzzugangsrelevanten Angelegenheiten ausgeführt; u.a. gilt danach
das Verbot entsprechender Weisungen an die Klägerin zu 1. und das Verbot der
Einflussnahme von Personen, die eine sonstige Funktion innerhalb der Klägerin zu 2.
oder in einer sonstigen mit ihr verbundenen Gesellschaft ausüben.
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Im März 2006 übermittelte die Klägerin zu 1. dem Eisenbahn-Bundesamt des weiteren
ein Eckpunktepapier betreffend die Bevollmächtigung von Mitarbeitern der
Rechtsabteilung der Klägerin zu 2. in Netzzugangsverfahren. Danach stehen die von
der Klägerin zu 1. getroffenen und den Gegenstand des (jeweiligen) Verfahrens
bildenden Sachentscheidungen nicht zur Disposition der Verfahrensbevollmächtigten.
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Bereits im November 2005 hatte das Eisenbahn-Bundesamt die Klägerin zu 1. darüber
unterrichtet, dass ein Verfahren zur Überprüfung eingeleitet sei, ob ihre
Rechtsvertretung durch Juristen der Klägerin zu 2. einen Verstoß gegen § 9 oder § 9a
AEG darstelle, und um Beantwortung verschiedener Fragen gebeten. In der Folgezeit
ergab sich eine kontroverse Korrespondenz und fanden verschiedene Gespräche statt.
Mit Bescheid des Eisenbahn-Bundesamtes vom 24. November 2006, dem Vorstand
zugestellt am 30. November 2006, untersagte die Beklagte der Klägerin zu 1., bei
Entscheidungen über den Netzfahrplan, die sonstige Zuweisung von Zugtrassen und
über die Wegeentgelte nebst der Vorbereitung dieser Entscheidungen Juristinnen oder
Juristen der Klägerin zu 2. mit der Rechtsberatung oder Rechtsvertretung zu
beauftragen (Ziffer I). Ihr wurde aufgegeben, dem Eisenbahn-Bundesamt die
angeordnete Umorganisation ihrer Beratung und Vertretung unverzüglich schriftlich
anzuzeigen (Ziffer II). Die sofortige Vollziehung der Maßnahme zu I. wurde angeordnet
(Ziffer III). Die Frist zur Umsetzung des Verbots betrug ursprünglich sechs Monate ab
9
Zustellung des Bescheides (Ziffer I). Sie wurde zuletzt bis zum 31. Mai 2009 verlängert
(Bescheid vom 4. März 2008).
Zur Begründung des Verbotes führte das Eisenbahn-Bundesamt im Wesentlichen aus:
Es liege ein Verstoß gegen das Trennungsgebot aus § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG vor.
Danach dürften Entscheidungen in netzzugangsrelevanten Fragen nur von dem
Personal des Betreibers der Schienenwege getroffen werden, das keine Funktionen in
Eisenbahnverkehrsunternehmen oder mit diesen verbundenen Unternehmen ausübe.
Erfasst seien neben Endentscheidungen über die Trassenzuweisung und Wegeentgelte
jede Grundsatzentscheidung, die sich auf die Zuteilung von Trassen oder die
Wegeentgelte auswirke, sowie jede andere Vorarbeit. Zugleich liege ein Verstoß gegen
§ 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG vor, weil durch die Konzernjuristen eine nach dieser
Vorschrift untersagte Einflussnahme von Dritten, außerhalb des Betreibers der
Schienenwege stehenden Personen, auf netzzugangsrelevante Entscheidungen
eröffnet sei. Die gesetzlich geforderte Entflechtung der Klägerinnen in Fragen der
Trassenzuweisung und Entgelte könne nur durch eine Rechtsberatung außerhalb der
Holding gewährleistet werden.
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Dagegen legten die Klägerinnen im Dezember 2006 Widerspruch ein: Die praktizierte
Heranziehung von Konzernjuristen stehe in keinem Widerspruch zu den gesetzlichen
Vorgaben. Es sei unzulässig, den Schutzbereich des § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG auf
Vorentscheidungen oder gar auf eine bloße Entscheidungsvorbereitung zu erstrecken.
Eine unzulässige Einflussnahme nach § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG ergebe sich nicht.
Durch die konzernintern ergriffenen Maßnahmen sei eine Einflussnahme im Interesse
von Eisenbahnverkehrsunternehmen hinreichend sicher unterbunden. Zur Begründung
einer eigenen Rechtsbetroffenheit verwies die Klägerin zu 2. auf ihre
Organisationsfreiheit als Wirtschaftunternehmen.
11
Den Widerspruch der Klägerin zu 1. wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
11. April 2007 als unbegründet zurück. Den Widerspruch der Klägerin zu 2. wies sie mit
Bescheid vom 17. April 2007 wegen fehlender Widerspruchsbefugnis zurück.
12
Im April 2007 haben die Klägerinnen unter Vertiefung und Ergänzung ihres bisherigen
Vorbringens die vorliegenden Klagen erhoben.
13
Die Klägerinnen haben jeweils beantragt,
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den Bescheid vom 24. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
11. April 2007 bzw. vom 17. April 2007 aufzuheben.
15
Die Beklagte hat jeweils beantragt,
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die Klage abzuweisen.
17
Mit den angefochtenen Urteilen hat das Verwaltungsgericht die Klagen abgewiesen. Im
Verfahren der Klägerin zu 1. hat das Gericht zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Unter Entscheidung im Sinne des § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG sei jede
maßgebliche inhaltliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung zu verstehen. Der
Verstoß ergebe sich aus der Organisationsstruktur des Konzerns und der personellen
Ausstattung der Klägerin zu 1. Die genannten Aspekte führten in manchen - strukturell
bedingten - Fällen zu einer maßgeblichen und damit unzulässigen Mitwirkung der
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Konzernjuristen an der Entscheidung. Unabhängig davon liege auch ein Verstoß gegen
§ 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG vor. Die Konzernjuristen hätten unzweifelhaft Einfluss auf
die Entscheidungen in netzzugangsrelevanten Fragen. Denn sie unterlägen - in der
Struktur angelegt - dem Direktionsrecht des Vorstandes der Klägerin zu 2. Dieses sei
durch die Konzernrichtlinien nicht beschränkt und nicht beschränkbar. Ein partieller
Verzicht des Vorstandes auf sein Direktionsrecht gegenüber den Konzernjuristen sei
aktienrechtlich unzulässig. Im Hinblick auf die Klägerin zu 2. hat das Gericht auf eine
fehlende Betroffenheit in eigenen Rechten abgestellt.
Am 18. November 2007 hat die Klägerin zu 1. die vom Verwaltungsgericht zugelassene
Berufung eingelegt. Im Februar 2009 hat der Senat die Berufung der Klägerin zu 2.
zugelassen.
19
Zur Begründung ihrer Berufungen vertiefen und ergänzen die Klägerinnen ihr bisheriges
Vorbringen. In der Sache heben sie insbesondere hervor: Das Verbot sei nicht
ausreichend bestimmt. Die Entscheidung sei von sachfremden Erwägungen getragen.
Der Bescheidentwurf sei ungeschwärzt an einen unbeteiligten Dritten übersandt
worden. Das Verwaltungsgericht setze sich wie die angefochtenen Bescheide über
wesentliche Sachverhaltsaspekte hinweg und verkenne die rechtlichen Vorgaben. Der
Begriff der Entscheidung erfasse weder Vorentscheidungen noch das Vorfeld oder die
Nachbereitung einer Entscheidung. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut, der Systematik,
der historischen und insbesondere gemeinschaftsrechtlich orientierten Auslegung sowie
aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Im Übrigen seien die Erwägungen des
Verwaltungsgerichts zu einer wesentlichen Bestimmung des Inhalts von
Entscheidungen aufgrund der streitigen Rechtsberatung und -vertretung nicht tragfähig.
Für die Konzernjuristen bestehe nicht die Möglichkeit, den Entscheidungsprozess
maßgeblich zu steuern. Die Rechtsvertretung und -beratung durch die Konzernjuristen
setze erst ein, wenn die Entscheidungen über Trassenzuweisungen und die
Wegeentgelte gefallen seien. Das gelte auch im Hinblick auf die Beratung im
Zusammenhang mit der Erstellung bzw. Fortentwicklung von Schienennetz-
Nutzungsbedingungen. Die bei der Klägerin zu 1. für die Entscheidungen zuständige
Organisationseinheit sei ausreichend besetzt. Die Beiträge der Konzernjuristen würden
in jedem Fall in vollem Umfang geprüft, bewertet und - wo für notwendig gehalten -
abgeändert. In den Bereichen Trassenzuweisung und Festlegung der Wegeentgelte
stellten sich keine komplexen Rechtsfragen. Im Übrigen verwandele die steigende
Komplexität den Gegenstand einer beratenden Tätigkeit nicht in eine entscheidende
Tätigkeit. Die Zahl der Fälle, in denen Konflikte über Trassenzuweisungen und
Wegeentgelte entschieden werden müssten und eine Beratung bzw. Vertretung durch
die Konzernjuristen anstehe, sei im Ergebnis gering. Auf § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG
könne das Verbot nicht gestützt werden, weil weder behauptet noch nachgewiesen sei,
dass die im Hinblick auf die Entscheidungen über Trassenzuweisungen und die
Wegeentgelte getroffenen unternehmensinternen Regelungen untauglich seien, eine
(unzulässige) Einflussnahme zu verhindern. Das europäische Recht lasse die
Schaffung/Beibehaltung integrierter Eisenbahnunternehmen ausdrücklich zu; daraus
folge unmittelbar die Zulässigkeit typischer Merkmale einer Konzernorganisation wie die
Einrichtung einer zentralen Rechtsabteilung. Der aktienrechtliche Ansatz des
Verwaltungsgerichts sei nicht tragfähig. Das Direktionsrecht des Vorstandes gegenüber
den Konzernjuristen in netzzugangs- und wegeentgeltrelevanten Angelegenheiten sei
durch die ergriffenen Maßnahmen, namentlich die Einschränkung im
Beherrschungsvertrag und die Ergänzungen der Richtlinie 048.2001, wirksam und in
ausreichendem Umfang beschränkt. Dem Aufforderungsschreiben der Kommission der
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Europäischen Gemeinschaften vom 26. Juni 2008 an den Bundesminister des
Auswärtigen in dem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Beklagte Nr. 2008/2094 -
K(2008) 2864 - sei in Bezug auf die aufgeworfenen Fragestellungen kein relevanter
Aussagewert beizumessen. Ohne eigenständige Prüfung habe die Kommission die
unzutreffenden Feststellungen aus dem angefochtenen Bescheid und den Urteilen des
Verwaltungsgerichts übernommen, die Konzernjuristen entschieden über die
nutzungszugangsrelevanten Fragen mit.
Die Klägerinnen beantragen jeweils,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
22
Die Beklagte beantragt jeweils,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtenen Urteile. Die systematische Einbindung der zentralen
Rechtsabteilung GRK 1 in sämtliche Nutzungs- und Regulierungsangelegenheiten laufe
der nach § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG gebotenen organisatorischen Trennung und
Unabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen von
Eisenbahnverkehrsunternehmen zuwider. Daneben seien die Einzelanforderungen aus
Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 und Nr. 5 AEG nicht erfüllt. Dies entspreche auch der
Einschätzung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf den Inhalt der
Gerichtsakten betreffend die vorläufigen Rechtsschutzverfahren (VG Köln 18 L 154/07
bzw. 18 L 157/07) Bezug genommen.
26
Entscheidungsgründe
27
Das Gericht macht von der durch § 93 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch,
Verfahren, die den gleichen Gegenstand betreffen, zur gemeinsamen Entscheidung zu
verbinden. Denn die Angriffe der Klägerinnen gegen den an die Klägerin zu 1.
gerichteten Bescheid des Eisenbahn-Bundesamtes vom 24. November 2006 sind
weitgehend vergleichbar; zugleich werden korrespondierende Betroffenheiten in
organisatorischen Dispositionsbefugnissen als Konzernunternehmen geltend gemacht.
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Die zulässigen Berufungen der Klägerinnern haben Erfolg. Die angefochtenen Urteile
sind zu ändern, und der angefochtene Bescheid des Eisenbahn-Bundesamtes nebst
den jeweiligen Widerspruchsbescheiden ist aufzuheben.
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Die Anfechtungsklagen sind zulässig; insbesondere sind die Klägerinnen klagebefugt.
Für die Klägerin zu 1. leitet sich die nach § 42 Abs. 2 VwGO für die Klagebefugnis
erforderliche subjektive Beschwer daraus ab, dass sie als Adressatin des
angefochtenen Bescheides unmittelbar Handlungsverpflichtete ist. Für die Klägerin zu
2. folgt eine für die Annahme der Klagebefugnis ausreichende Möglichkeit der
Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte ohne weiteres daraus, dass das von
der Klägerin zu 1. geforderte Verhalten, würde es befolgt, zwangsläufig auch bei der
Kläger zu 2. zu organisatorischen Veränderungen führen würde, ohne dass sich im
gegebenen Zusammenhang die rechtliche Relevanz dessen von vornherein
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ausschließen ließe. Insbesondere könnten die angesprochenen Unternehmerinteressen
der Klägerin zu 2. an der Beibehaltung der bisherigen Organisations- und
Arbeitsabläufe betreffend die Rechtsberatung und - vertretung der Klägerin zu 1. einer
wehrfähigen Rechtsposition entspringen, die in ihrer privatrechtlichen Organisationsform
(Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG), namentlich in ihrer gesellschaftsrechtlich abgesicherten
Stellung als beherrschende Konzernholding, gründen. Dies schließt gegebenenfalls die
Freiheit ein, im Rahmen der Gesetze, d.h. insbesondere des nach § 9a Abs. 1 AEG
Zulässigen, gestaltend auf die Geschäftsabläufe konzernzugehöriger Unternehmen
einzuwirken.
Die Klagen sind auch begründet. Das an die Klägerin zu 1. ergangene Verbot, bei
Entscheidungen über den Netzfahrplan, die sonstige Zuweisung von Zugtrassen und
über die Wegeentgelte nebst der Vorbereitung dieser Entscheidungen bei der Klägerin
zu 2. beschäftigten Juristen mit Beratungs- oder Vertretungsaufgaben zu betrauen, nebst
der Verpflichtung, die entsprechenden organisatorischen Veränderungen mitzuteilen, ist
rechtswidrig (1.) und verletzt die Klägerinnern jeweils gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO
in eigenen Rechten (2.).
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1. Das Verbot, findet in den sachlich einschlägigen Vorschriften des § 5a Abs. 2 AEG
i.V.m. § 9a Abs. 1 AEG keine ausreichende normative Grundlage.
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Ein Verstoß gegen die Vorgaben an die Unabhängigkeit der Klägerin zu 1. als
öffentliche Betreiberin der Schienenwege aus Satz 2 des § 9a Abs. 1 AEG, der das
ausgesprochene umfassende Verbot begründen könnte, liegt nicht vor. Dabei sind
entsprechend der Begründung des Bescheides und in Ansehung des Ausspruchs im
Bescheidtenor zur Rechtsfolgenseite ernsthaft allein die Vorgaben aus Nr. 3 und Nr. 5
des Satzes 2 der genannten Bestimmung in den Blick zu nehmen, welche die
Unabhängigkeit des Personals der Klägerin zu 1. betreffen, das mit der
Fahrplanerstellung, der sonstigen Trassenzuweisung und Wegeentgelten befasst ist.
Ein Sachverhalt, der hierauf bezogen ein Einschreiten in der verfügten Form
rechtfertigen würde, ist nicht gegeben (1.1 und 1.2). Weitergehende, von der Klägerin zu
1. missachtete Verhaltensvorgaben ergeben sich auch nicht aus § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG
i.V.m. den in dieser Vorschrift aufgegriffenen Vorgaben der einschlägigen europäischen
Richtlinien (1.3).
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1.1 Nach § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG sind Entscheidungen über den Netzfahrplan, die
sonstige Zuweisung von Zugtrassen und die Entscheidungen über die Wegeentgelte
nur von dem Personal des Betreibers der Schienenwege zu treffen, das keine
Funktionen in Eisenbahnverkehrsunternehmen oder mit diesen verbundenen
Unternehmen ausübt. Die beanstandete Beauftragung von Konzernjuristen steht dazu
nicht in Widerspruch, da sie weder darauf abzielt noch auch nur objektiv darauf führt,
dass Konzernjuristen einschlägige Entscheidungen treffen.
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Schon dem Wortsinn nach beschreibt der Begriff der Entscheidung nur den Abschluss
eines Willensbildungsprozesses mit Anspruch auf Verbindlichkeit und Umsetzung.
Vorarbeiten, wie die Erarbeitung des Sachverhalts einschließlich gegebenenfalls auch
der Aufbereitung des Abwägungsmaterials oder die Vorstellung von
Handlungsalternativen, wie sie bei der Rechtsberatung einschließlich der
Verfahrensvertretung typisch sind, stellen danach keine Entscheidungen dar. Die
Beiträge im Rahmen einer Rechtsberatung zielen auf eine Entscheidungsfindung durch
den Beratenen, weil sei ihre Überzeugskraft und Verbindlichkeit selbst dann, wenn sie
35
auf eine einzige bestimmte Handlungsempfehlung hinauslaufen, gegenüber
demjenigen erst erweisen müssen, der entscheidet. Davon geht im Kern auch die
Beklagte aus, wenn sie im Bescheidtenor die Inanspruchnahme "bei" Entscheidungen
verbietet. Anlass, den Begriff der Entscheidung im gegebenen
Regelungszusammenhang anders als im Wortsinne zu verstehen, sieht der Senat nicht.
Nach der Regelungssystematik des § 9a Abs. 1 Satz 2 AEG soll die europarechtlich
geforderte persönliche Unabhängigkeit von Entscheidungsträgern zum einen durch eine
entsprechende personale Entflechtung der Unternehmen auf Entscheidungsebene (Nr.
3) und zum anderen durch die Forderung nach einem unternehmensinternen
Regelungssystem zur Unterbindung von Einflussnahmen nebst Kontrolle durch einen
Unabhängigkeitsbeauftragten (Nr. 5) gesichert werden. Diese Unterscheidung zwischen
gesetzlichen Anforderungen an die Entscheidungsträger und der Verpflichtung zu
flankierenden Regelungen für die unbeeinflusste Entscheidung führt auch zu einer
hinreichend klaren Abgrenzbarkeit. Wer die Entscheidung trifft, also mit
Geltungsanspruch festlegt und verantwortlich zeichnet, lässt sich leicht ermitteln;
Entsprechendes gilt für das weitere Tatbestandsmerkmal der (weiteren) Funktionen in
Eisenbahnverkehrsunternehmen und/oder mit diesen verbundenen Unternehmen. Die
Einflussnahmemöglichkeiten sind hingegen so vielgestaltig, dass es eines
Regelungsnetzes bedarf, das dann auch vor Ort von einem (unternehmenskundigen)
Beauftragten zu kontrollieren ist.
Der Gesetzesbegründung ist nichts Abweichendes zu entnehmen. Das dort (vgl. BT-Dr.
15/3280, S. 16) verlautbarte Ziel der Vermeidung von Einflussnahmen in der
Vorbereitungsphase betrifft eindeutig die Regelung des § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG. In
Nr. 3 geht es erklärtermaßen um den Ausschluss der (Mit-)Entscheidung von Personen
mit Doppelfunktionen. Das vorstehend zugrunde gelegte Verständnis des Begriffs der
Entscheidung steht mit den europäischen Vorgaben in Einklang. Art. 4 Abs. 2 und Art.
14 Abs. 2 RL 2001/14/EG, auf deren Umsetzung § 9a Abs. 1 Satz 2 AEG zielt, fordern
neben der rechtlichen und organisatorischen Unabhängigkeit auch für integrierte
Unternehmen, (nur) die Unabhängigkeit "in den Entscheidungen". Anzeichen, dass der
Begriff der Entscheidung dabei über den Wortsinn hinausgehend verwandt wird,
erschließen sich nicht. Vielmehr kennen die einschlägigen europäischen Vorschriften
durchaus selbst die Unterscheidung von Vorarbeiten und Entscheidungen. So sind
Vorarbeiten in dem Verzeichnis (Anlage II) der wesentlichen Funktionen, die dem
Trennungsgebot aus Art. 6 Abs. 3 RL 91/440/EWG in der Fassung RL 2001/12/EG
unterliegen, also nur von Stellen oder Unternehmen wahrgenommen werden dürfen, die
selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen, ausdrücklich nur unter dem 1.
Spiegelstrich genannt. Dieser betrifft den hier nicht einschlägigen Bereich der
Zulassung von Eisenbahnunternehmen. Für den Bereich des Netzzugangs und der
Wegeentgelte stellt die Richtlinie nur auf Entscheidungen über die Trassenzuweisung
und über die Wegeentgelte ab (2. und 3. Spiegelstrich). Art. 4 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 2
RL 2001/14/EG fordern insoweit also auch nur die Trennung der Entscheidungsebenen
von Eisenbahninfrastruktur- und Verkehrsunternehmen nebst effektiven Vorkehrungen
gegen sonstige Abhängigkeiten bzw. interessen(fehl)geleitete Beeinflussung derselben.
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Allerdings verdeutlichen die europäischen Vorgaben, insbesondere die ausdrückliche
Einbeziehung der Bestimmung und Beurteilung der Verfügbarkeit von Zugtrassen in die
Funktionen aus Anhang II 2. Spiegelstrich RL 91/440/EWG in der Fassung der RL
2001/12/EG, dass im Rahmen des § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG nicht nur das Personal
im Blick ist, welches die Endentscheidung über den Fahrplan, eine sonstige konkrete
Trassenzuweisung oder die Wegeentgeltfestsetzung im Einzelfall trifft. Angesprochen ist
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auch das Personal, das für eine Mehrzahl von Anwendungsfällen relevante
Fragestellungen mit Anspruch auf Verbindlichkeit abschichtet. Für verbindliche
Festlegungen, die in Rahmenverträgen und Schienennetz-Nutzungsbedingungen ihren
Ausdruck finden und die Trassenvergabe und Wegeentgelte verbindlich vorzeichnen,
gelten deshalb keine Besonderheiten. Über sie hat das Personal der Klägerin zu 1. zu
entscheiden, und dieses darf nicht zugleich eine Funktion in einem
Eisenbahnverkehrsunternehmen oder mit diesem verbundenen Unternehmen ausüben.
Der Umstand, dass nach Art. 3 RL 2001/14/EG die Schienennetz-
Nutzungsbedingungen (stets) vom Infrastrukturunternehmen zu erstellen und zu
veröffentlichen sind - also wohl unabhängig davon, ob die Aufgaben nach Kapitel II und
Kapitel III eventuell wegen Fehlens der Unabhängigkeit des Schienennetzbetreibers
nicht von diesem wahrgenommen werden dürfen - sagt nicht notwendig etwas über die
Kompetenz aus, die einzelnen nach Anhang I RL 2001/14/EG in die Schienennetz-
Nutzungsbedingungen aufzunehmenden Inhalte selbst festlegen zu dürfen. Das betrifft
namentlich die Erarbeitung und Festlegung der Entgeltgrundsätze und Tarife nach Nr. 2
des Anhangs I. Zugleich liegt es nahe, auch in einer Entscheidung, nach erneutem
Aufgreifen an einer in diesen Bereichen getroffenen Entscheidung festzuhalten, eine
Entscheidung zu sehen, die vom Personal des Schienenwegebetreibers zu treffen ist,
das keine Funktion in einem Eisenbahnverkehrsunternehmen oder mit diesem
verbundenen Unternehmen ausübt.
Aber auch dies eingestellt lässt sich in der Inanspruchnahme der Konzernjuristen keine
Entscheidungstätigkeit sehen, die von § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG erfasst wäre. Das
gilt umso mehr, als die Rechtsberatung und -vertretung der Konzernjuristen nach der
einschlägigen Organisationsstruktur auch in Bezug auf die angesprochenen
Entscheidungen im Vorfeld der einzelnen Trassenzuweisung und
Wegeentgeltfestsetzung erst einsetzt, wenn das nach ihrer internen Organisation
ausschließlich zuständige eigene Personal der Klägerin zu 1. eine Entscheidung bereits
getroffen hat. Die einschlägigen Richtlinien der Klägerinnen sind entsprechend
veröffentlicht. Zudem ist durch konzerninterne Reglungen festgelegt, dass die Juristen in
dieser Phase nicht selbständig über den Verfahrens- bzw. Beratungsgegenstand
disponieren dürfen.
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Soweit die Beklagte im Einzelfall eine Umgehung und/oder unzulängliche Beachtung
der Richtlinien befürchtet, hilft auch das nicht weiter. Eine weitere Aufklärung, ob
entsprechende Unzuträglichkeiten in der Vergangenheit bereits aufgetreten sind, ist
nicht veranlasst. Der Vortrag der Beklagten bietet insoweit schon nichts wirklich
Substantielles. Im Übrigen begründeten entsprechende Übertretungen der
Konzernrichtlinien für sich nicht zuletzt unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten
keinen Sachverhalt, der den verfügten umfassenden Ausschluss jeglicher
Inanspruchnahme der Rechtsabteilung rechtfertigt. Entscheidend bleibt, dass die
Juristen der Konzernrechtsabteilung GRK1 ihrer Funktion im Konzern nach gerade
keine Entscheidungsfunktionen in den genannten Angelegenheiten wahrnehmen,
vielmehr - abgesichert durch entsprechende Konzernrichtlinien - eine Bindung an die
Klägerin zu 1. und deren Interessen als Auftraggeberin begründet ist. Zugleich nehmen
sie mit Blick auf die Separierung der Bereiche innerhalb der Rechtsabteilung auch keine
Funktionen für Eisenbahnverkehrsunternehmen wahr; ihre Funktion bei der Klägerin zu
2. beschränkt sich auf die Rechtsberatung und Interessenvertretung der
Infrastrukturunternehmen.
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Etwas anderes könnte allenfalls dann in Betracht gezogen werden, wenn die
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angeführten Entscheidungsstrukturen und Abläufe bei der Klägerin zu 1. schon im
Ansatz nur vorgeschoben oder die Konzernjuristen in den in Rede stehenden
Angelegenheiten sonst tatsächlich mit originärer Entscheidungsmacht ausgestattet
wären. Der Frage, ob ein solcher Sachverhalt den Anwendungsbereich von Nr. 3
beträfe, ist aber ebenso wenig nachzugehen, wie der Frage, ob in einem solchen Fall
nicht vorrangig vor einer Untersagung der Inanspruchnahme der Konzernjuristen andere
Forderungen aufzustellen wären. Denn für eine nur vorgeschobene
Entscheidungsstruktur oder eine sonst faktische Entscheidungsmacht der Juristen ist
hier nichts ersichtlich. Die Personalausstattung der Entscheidungsebene bei der
Klägerin zu 1. bietet hierfür keinen tragfähigen Anhalt. Dies gilt erst recht, wenn man die
Angaben von Herrn Dr. C. und Herrn S. in der erstinstanzlichen mündlichen
Verhandlung und die weiteren Ausführungen der Klägerinnen über die Zahlen streitiger,
eine Beratung erfordernder Fälle einbezieht. Anlass, an den diesbezüglichen Angaben
der Klägerinnen zu zweifeln, besteht nicht. Die Beklagte hat dem nichts an Substanz
entgegengesetzt. Der Hinweis auf die mangelnde Transparenz des Beratungsbedarfs
nach außen hilft insoweit nicht weiter; Erfahrungen aus Regulierungsverfahren, die auf
eine objektiv verschobene Entscheidungsstruktur deuten würden, erschließen sich
ebenfalls nicht.
1.2 In § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG findet die angefochtene Verfügung ebenfalls keine
hinreichende Grundlage. Die Vorschrift fordert die Schaffung, Aufrechterhaltung und
Veröffentlichung von Regelungen, welche die Einflussnahme Dritter, außerhalb des
Betreibers der Schienenwege stehender Personen, auf die Entscheidungen über den
Netzfahrplan, die sonstige Zuweisung von Zugtrassen und Entscheidungen über die
Wegeentgelte unterbinden. Entsprechend ist die regelmäßige Rechtsfolge bei
festzustellenden Unzulänglichkeiten des geschaffenen Reglungswerks die
Verpflichtung, dieses weiter auszubauen. Solches hat die Beklagte aber nicht verfügt,
sondern im Grunde überschießend selbst eine verbindliche Verhaltensregelung
aufgestellt. Zu vernachlässigen wäre dies allenfalls dann, wenn der unterbreitete
Sachverhalt zwingend die Forderung nach einer dem Bescheidausspruch
entsprechenden internen Richtlinie begründen würde, nämlich die, die Rechtsabteilung
in den verfügten Angelegenheiten nicht mehr einzuschalten. Ein solcher Schluss
rechtfertigt sich indes bei der gegebenen Sachlage nicht.
41
Der Begriff der Einflussnahme enthält, gerade auch unter Einbeziehung der Zielvorgabe
des § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG, die Unabhängigkeit der Entscheidung über den
Netzzugang und über Wegeentgelte von Interessen einzelner (konzernzugehöriger)
Eisenbahnverkehrsunternehmen zu erreichen, ein manipulatives Element. Es geht um
die Verhinderung der Steuerung der Willensbildung des Entscheidungsträgers jenseits
von rechtlichen Weisungsmöglichkeiten, die bereits nach § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AEG
unzulässig sind. Zudem sind der Zielsetzung des Gesetzes entsprechend Dritte - im
Konzernverbund - nur solche Personen, die selbst nicht mit den originären Tätigkeiten
des Betreibers der Schienenwege betraut sind, und auch nur, soweit sie potenziell auf
Entscheidungen des Schienenwegebetreibers Einfluss haben und so die
Unabhängigkeit gefährden können. Eine Weiterung wird man allenfalls unter dem
Gesichtspunkt der mit den geforderten Regelwerken verfolgten Transparenz ableiten
können, und zwar dahin, dass bereits solche Sachverhalte regelnd unterbunden werden
sollen, aus denen konkurrierende Eisenbahnverkehrsunternehmen die begründete
Besorgnis entstehender Befangenheiten durch fremde Einflussnahme ableiten könnten.
42
Davon ausgehend lässt sich aus der beanstandeten Beauftragung der Konzernjuristen
43
kein Sachverhalt ableiten, der dieserart Einflussnahmemöglichkeiten Dritter eröffnet,
jedenfalls keine, denen allein durch eine interne, die Rechtsberatung insgesamt
ausschließende Regelung zu begegnen wäre.
Der Arbeit der Juristen, wie sie durch die konzerninternen Regelungen vorgezeichnet
ist, wohnt - der Aufgabenstellung entsprechend ausgeübt - nicht schon für sich ein
besonderes, auf die Durchsetzung der Interessen konzernzugehöriger
Eisenbahnverkehrsdienstleister ausgerichtetes manipulatives Element inne. Dies gilt im
Besonderen, weil die Rechtsberatung in der konkreten Ausgestaltung durch das
bestehende konzerninterne Regelwerk darauf angelegt ist, dass die gewonnenen
Arbeitsergebnisse durch die bei der Klägerin zu 1. verantwortlichen Beschäftigten selbst
nachvollzogen und durchdrungen werden und die Juristen gegenüber der Klägerin zu 1.
weisungsgebunden sind.
44
Aus dem Umstand allein, dass die Juristen bei der Klägerin zu 2. beschäftigt sind, lässt
sich eine insgesamt zu unterbindende konkrete Gefährdungslage nicht ableiten. Das
Beschäftigungsverhältnis begründet nicht schon für sich die eine einschlägige
eisenbahnaufsichtsrechtliche Maßnahme rechtfertigende Befürchtung, der Betreffende
werde die Rechtsberatung nicht - wie auftragsgemäß von ihm zu verlangen -
unbefangen, also vor allem unter Außerachtlassen bekannter Interessen der
konzernzugehörigen Eisenbahnverkehrsunternehmen, wahrnehmen und/oder es könne
sonst entsprechende Befangenheiten auf Seiten des Entscheidungsträgers auslösen.
Ein allein darauf bezogenes, nicht weiter substantiiertes Misstrauen konkurrierender
Eisenbahnverkehrsunternehmen ist - solange die Rechtslage Konzernlösungen erlaubt
- nicht schutzwürdig.
45
Vielmehr erscheinen die aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierenden Gefahren
einer interessen(fehl)geleiteten Arbeit der Juristen, sei es als Folge eigener
Befangenheit, sei es aufgrund von Manipulationen Dritter, durch flankierende
Maßnahmen, wie sie die Klägerinnen ergriffen haben, hinreichend regelbar und zwar in
einer das Vertrauen in eine unabhängige Entscheidung rechtfertigenden Weise. Die in
den hier in Rede stehenden Angelegenheiten beauftragten Konzernjuristen sind allein
für die Klägerin zu 1. und andere Infrastrukturunternehmen tätig. Das Verbot der
Wahrnehmung widerstreitender Interessen ist ausgesprochen; die Juristen unterliegen,
was die Inhalte ihrer Arbeit angeht - soweit sie mit Angelegenheiten der Trassenvergabe
und der Wegeentgelte befasst sind -, allein dem Weisungsrecht der Klägerin zu 1.; sie
sind unmittelbar deren Interessen verpflichtet, zu denen selbstredend das Interesse an
einer gesetzmäßigen, d.h. unabhängigen, Entscheidung zählt. Die der Sicherung einer
unabhängigen Entscheidung dienenden Verhaltensregeln sind in Richtlinien fixiert und
beanspruchen solchermaßen gegenüber den Beschäftigten der Klägerinnen
unmittelbare Geltung. Sie gehören unmittelbar zu den arbeitsvertraglichen Pflichten der
beauftragen Juristen, sind also arbeitsvertraglich abgesichert. Einer ausdrücklichen
Bestimmung in den jeweiligen Anstellungsverträgen bedarf es dazu nicht.
46
Das in den Anstellungsverträgen gründende Weisungsrecht des Konzernvorstandes
gegenüber den Juristen stellt ebenfalls keinen unüberwindbaren Hinderungsgrund für
die Inanspruchnahme von Konzernjuristen durch die Klägerin zu 1. dar. Die daraus
resultierende Möglichkeit der Bestimmung der Arbeitsinhalte wird durch konzerninterne
Bestimmungen beschränkt. Die vom Verwaltungsgericht geäußerten aktienrechtlichen
Bedenken gegen die Wirksamkeit solcherart Beschränkungen teilt der Senat nicht. Die
internen Regelungen, die in Konkretisierung der Verpflichtung aus § 9a Abs. 1 Satz 2
47
Nr. 5 AEG ergriffen worden sind, binden entsprechend den Vorstand auch der Klägerin
zu 2. Rechtliche Grundlagen, die davon abweichend eine Einflussnahme auf die
Arbeitsinhalte der Konzernjuristen in den streitigen Angelegenheiten mit dem Ziel der
Bewahrung der Interessen von Eisenbahnverkehrsunternehmen rechtfertigen oder gar -
unabdingbar - gebieten, fehlen. Die aktienrechtlichen Bestimmungen, soweit ihnen
überhaupt die vom Verwaltungsgericht vorgestellte mögliche Forderung nach einem
einseitig interessengeleiteten Vorgehen zugunsten einzelner Tochterunternehmen
entnommen werden kann, sind insoweit durch die Vorgaben aus § 9a AEG überlagert.
Das betrifft in erster Linie das Weisungsrecht gegenüber der Tochtergesellschaft. Hier
greift § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AEG. Die Regelung erfasst zugleich den Weg indirekter
Weisungen gegenüber den eigenen Beschäftigten mit der Zielrichtung, entsprechende
Weisungen weiterzugeben. Des weiteren enthält § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG für
konzernverbundene Unternehmen jedenfalls indirekt das strikte Verbot der
Einflussnahme. Insoweit regelt § 9a Abs. 1 Satz 2 AEG gesellschaftsrechtliche
Besonderheiten bei Eisenbahnkonzernen. Dass in § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AEG direkt
nur der Betreiber der Schienenwege angesprochen wird, weil die Vorschrift an
Unternehmen i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AEG anknüpft, dass die Regelung also
nicht direkt verbundene Mutter- und Tochtergesellschaften, sondern Unternehmen im
Blick hat, welche die Eisenbahninfrastruktur selbständig betreiben, steht der
Schlussfolgerung nicht entgegen. Interne Regelungen sind zwar in erster Linie von
jenen Unternehmen gefordert. Im Ergebnis ändert das aber nichts daran, dass die in §
9a Abs. 1 und 2 AEG verbindlich festgeschriebene Unabhängigkeitsgarantie eine
Unterordnung der Klägerin zu 1. unter die Weisungsmacht der Klägerin zu 2. in dem hier
einschlägigen Zusammenhang verbietet und zugleich jede fremdinteressengeleitete
Einflussnahme; dies korrespondiert notwendig mit der entsprechenden Einschränkung
der Herrschaftsbefugnisse der im Übrigen konzernmäßig verbundenen Unternehmen. §
9a Abs. 6 AEG stellt passend zum Weisungsausschluss klar, dass die zivilrechtliche
Haftung von Organmitgliedern des Mutterunternehmens aus ihrer Organstellung in
diesen Bereichen nicht greift. Davon, dass es sich hierbei allein um eine Klarstellung
handelt, ist auch der Gesetzgeber ausgegangen. Zutreffend ist in der
Bundestagsdrucksache (BT-Dr. 15/3280, S. 17) ausgeführt, dass eine Haftung nicht in
Betracht kommt, wenn eine Einflussnahme Kraft besonderer gesetzlicher Anordnung
untersagt ist; Entsprechendes gilt für indirekte Weisungen und sonstige
Einflussnahmen.
Soweit die Beklagte darauf abstellt, die vorhandenen Konzern-Richtlinien griffen
inhaltlich nicht weit genug, ist dem nicht weiter nachzugehen. Ob die von den
Klägerinnen ergriffenen Regelungen sich in einzelnen Bereichen effektiver gestalten
ließen, insbesondere die erfassten Vorgänge präziser benannt werden könnten,
und/oder Anlass bestehen könnte, weitere Ausschlusssachverhalte aufzunehmen, mag
dahin stehen. Denn es kann sich letztlich nur um die Klärung von Randunschärfen
handeln. Warum diese nicht regelbar sein sollten, hat die Beklagte nicht verdeutlicht und
ist auch sonst nicht ersichtlich. Entsprechend wäre als gebotene aufsichtsrechtliche
Maßnahme auf der Grundlage des § 5a Abs. 2 AEG allenfalls in Betracht zu ziehen,
dass die Beklagte unter konkreter Benennung etwa gesehener Regelungslücken von
der Klägerin zu 1. die Präzisierung oder Ergänzung des Regelwerkes verlangen kann.
48
Soweit die Beklagte die Effektivität von Regelungen in Bezug auf die Inanspruchnahme
einer konzernzentralen Rechtsabteilung insgesamt anzweifelt und auf einen "bösen
Schein" verweist, den sie allein aus dem Anstellungsverhältnis der Juristen zur Klägerin
zu 2. ableitet, ist sie auf die Regelungssystematik des § 9a Abs. 1 Satz 2 AEG zu
49
verweisen. Danach wird jenseits der hier nicht gegebenen Funktionshäufung von
Entscheidungsträgern zur Abwendung der Gefahr, dass trotz des Weisungsverbotes in
Entscheidungen wettbewerbswidrige Interessen einfließen, die Implementierung
entsprechender Regelungswerke unter flankierender Kontrolle durch einen
Unabhängigkeitsbeauftragten als ausreichend erachtet. Hier sollen - wie bereits
erläutert - namentlich Sachverhalte vermieden werden, die Grund für Befangenheiten
bieten. Erwägungen zu einem verbleibenden "bösen Schein" würden auf
Verallgemeinerungen fußen und nichts betreffen, was bei der vorgegebenen
Gesetzeslage rechtlich wirklich fassbar wäre. Die Rechtsordnung einschließlich
verbindlicher (arbeits-)vertraglicher Verhaltensregelungen, wie sie bei den in § 9a Abs.
1 Satz 2 Nr. 5 AEG ins Auge gefassten Verhaltensvorgaben in Rede stehen, lassen sich
mit dem bloßen Verweis auf die verbleibende Möglichkeit rechtsmissbräuchlichen
Verhaltens immer in Frage stellen. Solcherart spekulative Erwägungen reichen bei
Fehlen einer speziellen, ausdrücklichen gesetzlichen Eingriffsgrundlage für
Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht aus. Denn es ist einzustellen, dass dem
Gesetzgeber ebenso wie dem europäischen Richtliniengeber nicht nur bei der
Bewertung, ob bestimmte Sachverhalte bei pauschalierender Betrachtung eine
besondere Gefahrenlage aufweisen, hier betreffend ein besonderes
Diskriminierungspotential, eine Einschätzungsprärogative zukommt. Entsprechend
verbleibt ihm auch bei der Auswahl der Mittel, mit welchen der Gefahr begegnet werden
soll, ein Spielraum. Nur wenn greifbare Anknüpfungspunkte blieben, dass Regeln über
die Unabhängigkeit, etwa zur Verschwiegenheit, nur zum Schein aufgestellt sind oder
sich - ggf. strukturbedingt - Fälle ergeben, in denen regelmäßig eine durch
Verhaltensregeln nicht auszuschließende echte Interessenkollision eröffnet sein und auf
Seiten konkurrierender konzernfremder Unternehmen tragfähig die Besorgnis
begründen könnte, der Betreffende werde in seiner Tätigkeit die notwendige Distanz zur
Sache trotz der für ihn geltenden arbeitsrechtlichen Vorgaben nicht wahren, bestünde
Anlass zur Beanstandung. Das steht bei den gegenüber der Klägerin zu 1.
weisungsgebundenen Juristen, die ausschließlich für Infrastrukturunternehmen tätig
sind, aber nicht konkret in Rede. Die verbleibenden Möglichkeiten der Juristen - etwa
auf übergeordneten Besprechungen Informationen über
Eisenbahnverkehrsunternehmen und deren Interessen zu erhalten - reichen für das hier
verfügte umfassende Verbot jedenfalls nicht aus.
1.3 Ein Rückgriff auf § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG i.V.m. den durch diese Vorschrift
aufgegriffenen europarechtlichen Vorgaben aus Art. 4 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 2 RL
2001/14/EG führt auf keine andere Bewertung. Ein unbedingtes Verbot der
Inanspruchnahme einer Rechtsberatung und -vertretung durch Konzernjuristen in
netzzugangs- und wegeentgeltrelevanten Angelegenheiten lässt sich auf jene
Regelungen nicht stützen.
50
§ 9a Abs. 1 Satz 1 AEG statuiert die Unabhängigkeit der Infrastrukturunternehmen in
rechtlicher und organisatorischer Hinsicht sowie in der Entscheidung ausdrücklich nur
als Zielvorgabe. Diese Vorgabe wird mit den in § 9a Abs. 1 Satz 2 AEG aufgeführten
Schritten und Maßgaben verfolgt. Die letztgenannte Regelung enthält nicht nur einen
Katalog von Vorschlägen oder Regelbeispielen. Sie umreißt unter Ausnutzung des
gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums vielmehr abschließend die Sachverhalte,
deren Einhaltung nach der Vorstellung des Gesetzgebers zur Erreichung der
europäischen Zielvorgaben an die Unabhängigkeit der Betreiber der Schienenwege von
Eisenbahnverkehrsunternehmen erforderlich ist, und zwar in Anerkennung einerseits
einer zulässigen Konzernstruktur und andererseits einer größtmöglichen
51
Unabhängigkeit. Daraus folgt, dass zur Begründung weiterer Vorgaben, als sie durch §
9a Abs. 1 Satz 2 AEG veranlasst sind, nicht auf § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG zurückgegriffen
werden kann. Was das Gefährdungspotential weiterer, in Satz 2 nicht geregelter
Sachverhalte angeht, gilt es vielmehr grundsätzlich die Bewertung des Gesetzgebers zu
achten.
Etwas anderes könnte nur bei Sachverhalten gelten, hinsichtlich deren der Gesetzgeber
die Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht eingehalten hätte, wofür vorliegend
indes nichts spricht. Vielmehr erhellen die europäischen Regeln, dass weiterhin
integrierte Eisenbahnkonzerne zulässig sind, namentlich die Integration über eine
Holding, wie im Falle der Klägerinnen, erlaubt ist. Gefordert ist insoweit allein eine
Ausgestaltung, bei der die gebotene Unabhängigkeit des Schienenwegebetreibers von
Eisenbahnverkehrsunternehmen gewährleistet bleibt. Das bedeutet, dass dann, wenn
die Mitgliedstaaten bei konzernintegrierten Unternehmen keine unabhängigen
(staatlichen) Stellen einsetzen, sie deren gesellschaftsrechtliche Entflechtung anordnen
müssen. Dabei verbleiben ihnen Gestaltungsfreiräume, was die Umsetzung im
Einzelnen angeht. Für eine Konzernstruktur typische geschäftsübergreifende
Dienstleistungen, wie sie hier mit der streitigen Rechtsabteilung bzw.
Unterrechtsabteilung in Rede stehen, sind nicht von vornherein ausgeschlossen. Das
gilt im Grundsatz auch, soweit diese von Personal in Anspruch genommen werden, das
mit der Wahrnehmung der wesentlichen Funktionen nach Anhang II 2. und 3.
Spiegelstrich RL 91/440/EWG in der Fassung RL 2001/12/EG betraut ist. Greifbare
Anknüpfungspunkte fehlen, dass Art. 4 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 2 RL 2001/14/EG, was
die Sicherung der Unabhängigkeit der Entscheidungen angeht - nur diese Frage ist
vorliegend aufgeworfen -, weiteres fordert als die Trennung der Entscheidungsebenen
und flankierende Maßnahmen, um eine interessen(fehl)geleitete Einflussnahme auch
unterhalb von Weisungen auszuschließen. Solche Anknüpfungen erschließen sich
auch nicht aus dem Schreiben der Europäischen Kommission an den Bundesminister
des Auswärtigen vom 26. Juni 2008 in dem Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2008/2094
- K (2008) 2864 -. Die dort aufscheinenden Forderungen, dass die wesentlichen
Funktionen (nur) vom eigenen Personal des Betreibers der Schienenwege
wahrgenommen werden dürfen und durch interne Regelungen sowie Mitarbeiterverträge
zugleich auf eindeutige Weise der Kontakt dieses Personenkreises mit der
Holdinggesellschaft auf offizielle Mitteilungen beschränkt sein muss, greifen deshalb
nach Auffassung des Senats zu weit. Denn sie führen in der Konsequenz zum
gänzlichen Ausschluss der Inanspruchnahme jedweder konzernzentral angesiedelten
Querschnittsabteilungen durch Personal der Klägerin zu 1., das mit der Wahrnehmung
der wesentlichen Funktionen, d.h. mit Entscheidungen über den Netzzugang und die
Wegeentgelte, beauftragt ist. Als Begründung für die Forderungen der Kommission
verbleibt im Kern nur die Verhinderung jeden "bösen Scheins", was - wie ausgeführt -
auch im gegebenen Regelungskontext der europäischen Richtlinien keine hinreichende
Grundlage hat, insbesondere nicht in den einschlägigen Regelungen vorgezeichnet ist.
Vielmehr hat sich der Richtliniengeber eindeutig dafür entschieden, die Möglichkeit der
Wahrnehmung der wesentlichen Funktionen durch den Betreiber der Schienenwege
auch in Konzernstrukturen bei entsprechender Entflechtung zu eröffnen. Das schließt
die grundsätzliche Zulässigkeit typischer Konzernmerkmale wie zentraler
Dienstleistungen ein. Davon ausgehend ist aber nichts dagegen zu erinnern, wenn - wie
vorliegend - nach der - im gegebenen Zusammenhang lückenlosen - gesetzlichen
Umsetzung der Richtlinien die Wettbewerbsinteressen, die auf eine möglichst
weitgehende Lösung der Klägerin zu 1. aus dem Konzernverbund mit
Eisenbahnverkehrsdienstleistern gerichtet sind, darauf verwiesen bleiben, dass
52
aufsichtsrechtlich im Einzelfall differenzierend die konkrete Ausgestaltung der
Aufgabenstellung der jeweiligen Querschnittsabteilung - hier der Rechtsabteilung - in
den Blick genommen und die Effizienz der zur Absicherung einer unerwünschten
Einflussnahme im Konkreten aufgestellten Verhaltensregeln für die Beschäftigten in den
- überlappenden - Arbeitsbereichen geprüft werden muss.
2. Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig, weil er durch die
einschlägigen Rechtsgrundlagen (§ 5a Abs. 2 i.V.m. § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Nr. 5
AEG) nicht gedeckt ist. Dies verletzt die Klägerin zu 1. in ihrem Recht darauf, nur
solchen Belastungen Folge leisten zu müssen, die ihre Grundlage in einem Gesetz
haben. Auch die Klägerin zu 2. ist durch die streitige Maßnahme in eigenen Rechten
i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt; dies gilt unbeschadet des Umstandes, dass
der Bescheid nicht zugleich an sie gerichtet worden ist.
53
Ob ein Kläger in eigenen, subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist, hängt davon ab, ob
der Rechtsverstoß zugleich eine Rechtsposition betrifft, die diesem kraft öffentlichen
Rechts derart zugeordnet ist, dass er die Einhaltung derselben durch die Verwaltung
ihm gegenüber verlangen kann. Bei Anfechtung durch den Adressaten - wie hier die
Klägerin zu 1. - führt ein materieller Mangel eines Verwaltungsaktes auf die Verletzung
einer solchen Rechtsposition. Es greift das allgemeine Abwehrrecht, wonach jeder
staatliche Eingriffsakt einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage bedarf. Das lässt
sich namentlich aus Art 2 Abs. 1 GG und dem Vorbehalt des Gesetzes ableiten.
54
Vgl. dazu Wolff in: Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006 , § 113 Rdnr. 35f; Bader, VwGO, 4. Aufl.
2007, § 42 Rdnr. 68 ff., jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung.
55
Im Falle bloßer Drittbetroffenheit - wie hier hinsichtlich der Klägerin zu 2. - kommt es
darauf an, ob der Rechtsverstoß sich auf Vorschriften oder allgemeine
Rechtsgrundsätze bezieht, die zumindest auch den Schutz der Interessen des
Drittbetroffenen zum Ziel haben. Andernfalls kann ein Abwehrrecht allein daraus
abgeleitet werden, dass die angegriffene Regelung zu einer relevanten - also
entsprechend gewichtigen - Betroffenheit in einer grundrechtlich geschützten
Rechtsposition führt (sog. normexterne Wirkung der Grundrechte). Weiter ist
vorausgesetzt, dass die Rechtsverletzung in einem adäquaten
Ursachenzusammenhang mit dem angefochtenen Verwaltungsakt steht.
56
Vgl. dazu Sodan, in: Ziekow, a.a.O., § 42 Rdnr. 386, 395 ff; Bader, a.a.O., § 42 Rdnr. 73
ff, 90, jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung.
57
Das zugrundegelegt ist auch die Klägerin zu 2. in ihren Rechten verletzt.
58
Die Verfügung wendet sich zwar nicht unmittelbar imperativ an sie. Sie führte indes,
müsste sie befolgt werden, bei der Klägerin zu 2. notwendig zur teilweisen Aushöhlung
der zentralen Rechtsabteilung und - was entscheidend ist - zu einer Beschränkung ihrer
Möglichkeiten, auf der Grundlage des in gesellschaftsrechtlich zulässiger Weise
begründeten Beherrschungsverhältnisses gegenüber der Klägerin zu 1. dieser
Vorgaben in der Ablaufgestaltung zu machen. Denn ohne das Verbot könnte die
Klägerin zu 2. gegenüber der Klägerin zu 1. gesellschaftsrechtlich abgesichert eine
Fortsetzung der Inanspruchnahme der Konzernjuristen beanspruchen. Der zwischen
den Klägerinnen vereinbarte Weisungsausschluss in Angelegenheiten nach § 9a Abs. 1
AEG reicht nur soweit, wie es die Vorgaben in Absatz 1 Satz 2 fordern.
59
Den gegenteiligen Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu einer weitergehenden
organisatorischen Freiheit der Klägerin zu 1., was die Frage der Inanspruchnahme
konzernzentraler Dienstleister angeht, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die
Rechtsabteilung ist konzernintern angesiedelt; die Organisationsbefugnis der Klägerin
zu 2. ergibt sich aus ihrer Stellung als beherrschendes Unternehmen. Das ist zwischen
den Klägerinnen nicht streitig. Die Organisationsvorgaben der Klägerin zu 2. werden,
gerade auch was die Frage der Beauftragung einer externen Rechtsberatung angeht,
von ihnen als von dem auf der Grundlage des Gewinnabführungs- und
Beherrschungsvertrages eingeräumten Weisungsrecht abgedeckt betrachtet. Eine
weitergehende Einschränkung als sie auf der Grundlage des § 9a Abs. 1 AEG geboten
ist, ist dem Willen der Vertragsparteien nicht zu entnehmen. Ist aber die konkrete
Inanspruchnahme einer Querschnittsabteilung zulässig, korrespondiert damit ein
entsprechendes Weisungsrecht. Gesetzliche Vorgaben werden dadurch nicht verletzt.
Der nach § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AEG geforderte Weisungsausschluss bezieht sich auf
die Entscheidungsebene; es geht um inhaltliche Vorgaben in Bezug auf die
Wahrnehmung der wesentlichen Funktionen des Anhangs II 2. und 3. Spiegelstrich RL
91/440/EWG in der Fassung RL 2001/12/EG. Die Forderung nach einer weitergehenden
vertraglichen Selbständigkeit, was die Frage der Inanspruchnahme von
konzernzentralen Dienstleistern angeht, lässt sich auch nicht aus § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr.
2 AEG ableiten. Die organisatorische Unabhängigkeit bezieht sich auf den
Entscheidungsprozess innerhalb der Klägerin zu 1. Sie hat organisatorisch selbständig
die netzzugangs- und entgeltrelevanten Aufgabenstellungen wahrzunehmen und zu
verantworten. Die Befugnisse, sonstige Verbindungen zu begründen, werden nicht
betroffen. Entsprechend ist auch nichts gegen eine konzernmäßige Einbindung eines
Betreibers der Schienenwege in Bezug auf die Inanspruchnahme einer zentralen
Serviceabteilung zu erinnern, soweit § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AEG beachtet ist und
Regelungen nebst Kontrolle für alle Beschäftigte rechtsverbindlich ins Werk gesetzt
sind.
60
In dieses zwischen den Klägerinnen bestehende, rechtlich abgesicherte
Organisationsverhältnis wirkt das streitige Verbot rechtswidrig ein, weil es über das
nach § 9a Abs. 1 AEG Gebotene hinausgeht und damit vom Gesetz nicht gedeckt ist.
Darin liegt zugleich eine Rechtsverletzung der Klägerin zu 2. Schon mit Blick auf das in
Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG verfassungsrechtlich vorgegebene Handeln als
Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Organisationsform ist es der Klägerin zu 2.
zuzugestehen, dass sie sich in diesem Zusammenhang auf ihre Privatautonomie
berufen kann. Nach Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG werden die Eisenbahnen des Bundes als
eigenständige Rechtsträger geführt; es ist darin jedenfalls dem Grunde nach eine
rechtliche Unabhängigkeit gerade auch gegenüber der hoheitlichen
Eisenbahnverwaltung angelegt. Der Umstand, dass die Beklagte 100 % der Anteile an
der Klägerin zu 2. hält, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Eine Pflicht der
Klägerin zu 2., einen rechtswidrigen Eingriff der Beklagten in ihre, der Klägerin zu 2.,
organisatorischen und vertraglichen Gestaltungsrechte als privates
Wirtschaftsunternehmen zu dulden, lässt sich daraus nicht ableiten. Ob die Klägerin zu
2. sich in anderen Zusammenhängen auf Grundrechte berufen kann, mag dahin stehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die
Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
62
Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen; einen grundsätzlichen
63
Klärungsbedarf sieht der Senat im Hinblick auf die Frage nach der Reichweite der
Zielvorgaben aus § 9a Abs. 1 Satz 1 AEG i.V.m. den einschlägigen europäischen
Richtlinien und im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer konzernzentral
angesiedelten Dienstleistungsabteilung - hier der Rechtsabteilung - durch das Personal
eines konzernverbundenen Betreibers der Schienenwege, das mit der Wahrnehmung
der wesentlichen Funktionen i.S.d. Art. 6 Abs. 3 i.V.m. Anhang II 2. und 3. Spiegelstrich
RL 91/440/EWG in der Fassung RL 2001/12/EG betraut ist.
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