Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.06.2007

OVG NRW: bebauungsplan, offene bauweise, eigentümer, öffentlich, wohnung, rechtfertigung, sicherheit, einverständnis, entstehung, vollstreckbarkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 10 D 134/05.NE
Datum:
01.06.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 D 134/05.NE
Tenor:
Der Bebauungsplan Nr. 982 - C. - der Antragsgegnerin ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der Antragsteller wendet sich mit dem Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan
Nr. 982 - C. - der Antragsgegnerin.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks X.---straße 20 in E. -C. , das innerhalb
des Geltungsbereichs des angegriffenen Bebauungsplans liegt und mit einem
Wohnhaus bebaut ist. Das Plangebiet umfasst die Grundstücke beidseits der von der X.-
--straße nach Norden verlaufenden Q.-----straße in einer Tiefe von jeweils ca. 65m
einschließlich des nördlich gelegenen Waldparkplatzes. Es wird im Westen durch den
M.-------------weg und im Osten durch eine F. (Bahnstrecke nach P. ), im Norden u.a.
durch die I.--------straße und im Süden durch die X.---straße begrenzt. Die Grundstücke
im Plangebiet sind überwiegend mit Wohnhäusern - Ein- und Mehrfamilienhäusern -
bebaut. In seinem Geltungsbereich trifft der Plan keine Festsetzungen zur Art der
baulichen Nutzung. Er setzt Baumaßzahlen, First- und Traufhöhen sowie die offene
Bauweise fest; außerdem wird die Zahl der Wohnungen je Gebäude in Teilen des
Plangebiets auf eine Wohnung begrenzt. In diesem Zusammenhang ist zusätzlich
folgende textliche Festsetzung getroffen:
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"Ausnahmsweise sind im Bereich A entlang der öffentlichen Verkehrsfläche 2
Wohnungen pro Gebäude zulässig, wenn die dazugehörigen Baugrundstücke eine
Mindestgröße von 400m² je Wohnung haben."
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Ziel des Planes ist nach seiner Begründung die Beschränkung der weiteren Bebauung
auf die Errichtung von Ein- und Zweifamilienhäusern. Zusätzlich soll östlich der Q.-----
straße eine zweite Baureihe ermöglicht werden, deren Gartenbereiche unmittelbar an
die Gärten der entlang der Q.-----straße vorhandenen Gebäude anschließen. Die
überbaubaren Grundstücksflächen halten zum Gelände der östlich verlaufenden
Eisenbahnstrecke einen Abstand von 5 m. Im südlichen Teil der Flächen westlich der
Q.-----straße ist ebenfalls eine Bebauung in zweiter Reihe zulässig. Die verkehrliche
Erschließung dieser zweiten Baureihe wird jeweils weder textlich noch zeichnerisch
durch Festsetzungen geregelt und auch in der Planbegründung nicht angesprochen.
Aus den Stellungnahmen der Verwaltung zu den im Aufstellungsverfahren
vorgebrachten Anregungen ergibt sich, dass eine kammartige Erschließung über die
vorderen Grundstücketeile von der Q.-----straße aus, getrennt für jedes
Hinterliegergrundstück, vorgesehen ist.
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Das Planaufstellungsverfahren nahm im Wesentlichen den folgenden Verlauf:
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Der Rat der Antragsgegnerin beschloss am 14. Dezember 1998 - öffentlich bekannt
gemacht am 30. Dezember 1998 - die Aufstellung des Bebauungsplans; dem lag
zunächst das Konzept zu Grunde, das östlich der Q.-----straße gelegene Hintergelände
von Bebauung freizuhalten und nur im südlichen Teil der westlich der Q.-----straße
gelegenen Flächen eine Bebauung in zweiter Baureihe zu ermöglichen. In der sich
anschließenden frühzeitigen Bürgerbeteiligung wurde u.a. vorgetragen, der Plan sei
unnötig, da nur noch wenige Baulücken vorhanden seien; die geplante ausnahmsweise
Möglichkeit, 2 Wohnungen je Gebäude bei einer Mindestgrundstücksgröße von 400m²
je Wohnung zu errichten, sei willkürlich, da sie nur den Interessen eines einzigen
Eigentümers diene. Zusätzlich rügten einige im künftigen Plangebiet gelegenen
Eigentümer die im östlichen Hintergelände geplante Festsetzung einer privaten
Grünfläche als überflüssige Einschränkung einer später vielleicht einmal gegebenen
Baumöglichkeit. Am 12. Juli 2004 beschloss der Rat der Antragsgegner, das Plangebiet
geringfügig zu erweitern und den Entwurf öffentlich auszulegen; zugleich entschied er
über die bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Anregungen und Stellungnahmen von
Bürgern - u.a. des Antragstellers - und Trägern öffentlicher Belange. Diese
Entscheidung wurde den Betroffenen schriftlich mitgeteilt.
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Der Planentwurf, der auf Anregung Betroffener überbaubare Grundstücksflächen auch
auf den östlich der Q.-----straße gelegenen hinteren Grundstücksflächen entlang der
Bahntrasse vorsah, wurde in der Zeit vom 9. August bis zum 10. Sep- tember 2004
öffentlich ausgelegt. Der Antragsteller nahm erneut Stellung und rügte u.a., dass die
östlich der Q.-----straße vorgesehenen Baufenster zahlreiche vorhandene Gebäude
nicht erfassten, während die in zweiter Baureihe vorgesehene Bebauung unzumutbaren
Immissionen ausgesetzt sein werde. Auch das Staatliche Umweltamt E. nahm zu dem
Entwurf kritisch Stellung und rügte die Ausweitung von Baumöglichkeiten aus Gründen
des vorbeugenden Immissionsschutzes.
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In seiner Sitzung am 14. November 2005 entschied der Rat der Antragsgegnerin über
die im Rahmen der Offenlage vorgebrachten Einwendungen und Anregungen und
beschloss den Bebauungsplan samt Begründung als Satzung. Der Beschluss wurde am
12. Dezember 2005 öffentlich bekannt gemacht.
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Der Antragsteller hat am 16. Dezember 2005 den Normenkontrollantrag gestellt und
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trägt vor, der Bebauungsplan sei verfahrensfehlerhaft zustandegekommen,
städtebaulich nicht erforderlich und im Übrigen abwägungsfehlerhaft. Er beantragt,
den Bebauungsplan Nr. 982 - C. - der Stadt E. für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie hält den Plan für formell und materiell rechtmäßig.
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Der Senat hat durch Beschluss gleichen Rubrums vom 24. März 2006 (10 B
2133/05.NE) den Vollzug des Bebauungsplans bis zur Entscheidung des Senats im
vorliegenden Verfahren ausgesetzt. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Der Senat entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung.
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Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.
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Der Antragsteller ist antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), weil er Eigentümer eines
im Plangebiet gelegenen Grundstücks ist.
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Der Normenkontrollantrag ist auch begründet, denn der angegriffene Bebauungsplan ist
materiell fehlerhaft. Ihm fehlt die erforderliche städtebauliche Rechtfertigung, und er
weist Abwägungsfehler auf.
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Jede Bauleitplanung muss auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ausgerichtet
sein und diese gewährleisten. Bauleitpläne dürfen nur aufgestellt werden, sobald und
soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist (§ 1 Abs. 1
und 3 BauGB). Auch wenn die Erforderlichkeit eines Bauleitplans nur bei groben und
einigermaßen offensichtlichen Missgriffen des Plangebers verneint werden kann, muss
doch jede Bauleitplanung auf die Verwirklichung eines nachvollziehbaren
städtebaulichen Konzepts zielen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
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Der Bebauungsplan Nr. 982 - C. - der Antragsgegnerin trägt nicht zur städtebaulichen
Ordnung bei, sondern legt die Grundlage für die mit Sicherheit zu erwartende
Entstehung städtebaulicher Missstände. Durch die Zulässigkeit einer Bebauung in
zweiter Reihe ohne geordnete Erschließung - jede der zahlreichen betroffenen
Bauflächen muss über die straßenseitig gelegenen und mit Wohnhäusern bebauten
Teile der Grundstücke erschlossen werden - wird es absehbar zu unlösbaren
Nachbarrechtskonflikten zwischen den Vorder- und Hinterliegern kommen. Zur
Erschließung der zwischen 36 m und 52 m von der Straßenbegrenzungslinie entfernten
Baufenster setzt der Bebauungsplan weder öffentliche Verkehrsflächen noch mit Geh-,
Fahr- und Leitungsrechten zu belastende Flächen fest, so dass eine Erschließung über
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private Zufahrten entlang der Grundstücksgrenze erforderlich ist. Dies stellt - schon im
Hinblick auf die auch vom Plangeber zu beachtende Wertung des § 51 Abs. 7 BauO
NRW - einen offensichtlichen planerischen Missgriff dar, der erhebliche städtebauliche
Unruhe stiften würde.
Der angegriffene Bauleitplan ist zudem abwägungsfehlerhaft (§ 1 Abs. 7 BauGB). Die
von den Zufahrten zu den rückwärtigen Baufenstern betroffenen Eigentümer würden -
falls nicht die Zufahrten für jeweils zwei Grundstücke zusammengefasst und zwischen
den betroffenen Eigentümern entsprechend abgestimmt würden - an beiden
Nachbargrenzen von Zufahrten betroffen, so dass ihre Grundstücke auf drei Seiten von
verkehrlich genutzten Flächen umgeben wären. Ihr Interesse, von einer solchen
Beeinträchtigung verschont zu bleiben, ist vom Plangeber nicht einmal ansatzweise
bewertet und gegen die für eine zweite Baureihe sprechenden Gesichtspunkte
abgewogen worden. Mängel in der Abwägung ergeben sich ferner daraus, dass
planbedingte Immissionskonflikte nur unzureichend ermittelt und gelöst worden sind.
Der Plangeber hat nicht hinreichend geklärt, welchen Lärmimmissionen von der nur 5m
entfernten F. die Eigentümer der hinteren Baufenster östlich der Q.-----straße ausgesetzt
sein werden. Das der Abwägung zu Grunde liegende Immissionsgutachten geht - wie
der Senat in der Entscheidung im Verfahren 10 B 2133/05.NE im Einzelnen ausgeführt
hat - von einer Auslastung der Strecke aus, die schon hinter dem Maß der tatsächlichen
Nutzung, erst recht aber hinter dem Umfang der nach der Betriebserlaubnis zulässigen
Nutzung deutlich zurückbleibt. Damit ist dieses Gutachten und die daraus entwickelte
Immissionsprognose keine brauchbare Grundlage für die getroffene
Abwägungsentscheidung. Hiervon abgesehen, wäre selbst die in dem Gutachten
ermittelte Belastung von 57,3 dB(A) tags und 56,4 dB(A) nachts zumindest
problematisch. Schließlich ist der Zuschnitt der überbaubaren Grundstücksflächen
abwägungsfehlerhaft, weil mehrere Grundstückseigentümer hinsichtlich ihrer
bestehenden Wohngebäude auf den Bestandsschutz verwiesen werden, so dass ihnen
insbesondere Erweiterungsmöglichkeiten genommen oder zumindest stark
eingeschränkt werden. Es ist nicht erkennbar, dass den durch Art. 14 Abs. 1 GG
geschützten Belangen dieser Eigentümer gleich gewichtige Belange gegenüberstehen,
die es rechtfertigen würden, die Baufenster jenseits der vorhandenen Baukörper
festzusetzen und die Interessen der betroffenen Eigentümer im Rahmen der Abwägung
zurückzustellen. Ein Abwägungsfehler liegt im Übrigen schon darin, dass der Plangeber
weder Gründe für den Verlauf der Baugrenzen noch zur Rechtfertigung der dadurch
bewirkten Einschränkungen genannt, sondern diese durch den Hinweis auf den
"passiven Bestandsschutz" lediglich zur Kenntnis genommen hat. Zu den Einzelheiten
der vorstehenden Begründung wird auf den den Beteiligten bekannten Beschluss des
Senats vom 24. März 2006 - 10 B 2133/05.NE - verwiesen.
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Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass im vorliegenden Fall die
Abwägungsentscheidung des Plangebers auch deshalb zweifelhaft ist, weil die
planbetroffenen Belange nicht umfassend einander gegenübergestellt und
gegeneinander abgewogen worden sind. Denn der Rat der Antragsgegnerin hat in
seiner Sitzung vom 12. Juli 2004 abschließend über die bis dahin vorgebrachten
Anregungen betroffener Bürger entschieden, ohne sie in seiner
Abwägungsentscheidung vom 14. November 2005, die Grundlage des
Satzungsbeschlusses ist, zu berücksichtigen. Damit sind zu keinem Zeitpunkt des
Verfahrens alle Einwendungen und die dadurch artikulierten Belange gegeneinander
abgewogen worden, da jedenfalls die von den Eigentümern der Grundstücke Q.-----
straße 33 und 19 vorgebrachten Einwendungen - die sich nach der Offenlage nicht
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erneut geäußert haben und denen der Plangeber nur teilweise entsprochen hat - in der
abschließenden Abwägungsentscheidung nicht mehr Gegenstand der
Beschlussfassung am 14. November 2005 waren. Der Plangeber hat sich damit der
Möglichkeit beraubt, die Gewichtung der planbetroffenen Belange unter Einbeziehung
aller vorgebrachter Einwendungen vorzunehmen.
Die vorstehenden Abwägungsmängel sind im Sinne des § 214 Abs. 3 BauGB erheblich
und führen zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans insgesamt, da die Anordnung der
Baufenster in den rückwärtigen Grundstücksbereichen einen untrennbaren Teil des
Regelungsgefüges des Bebauungsplans Nr. 982 - C. - darstellt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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