Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.11.1996

OVG NRW (umgebung, kläger, gegenstand des verfahrens, grundstück, verhältnis zu, wohngebäude, 1995, wohnhaus, wirkung, teil)

Oberverwaltungsgericht NRW, 7 A 4820/95
Datum:
07.11.1996
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 A 4820/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 5 K 6533/93
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens als
Gesamtschuldner.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger begehren einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Einfamilienhauses
auf dem Grundstück Gemarkung B. - M. , Flur 4, Flurstücke 33 und 34.
2
Das betreffende Grundstück liegt in einem Bereich, der durch den T. Weg (L 244) im
Osten, den Q. Weg (K 7) im Süden, dem Q. Winkel im Westen sowie wegen seines
rechtwinkligen Verlaufs sowohl im Westen als auch im Norden vom T. Winkel umgrenzt
wird. Die Grundstücke westlich des T. Weges sind ab der Einmündung des Q. Weges
auf einer Strecke von etwa 125 m in nördlicher Richtung durchgehend in überwiegend
geschlossener Bauweise mit Wohnhäusern bebaut, die auf den vorderen
(straßennahen) Grundstücksbereichen ausgeführt wurden. Die Restflächen werden als
Gärten genutzt. Die schmalen, etwa jeweils 40 m tiefen Grundstücke weisen in der
Regel Bebauungstiefen von etwa 20 m auf. In diesem Abschnitt des T. Weges ist
lediglich die Parzelle 41, auf der ein an der straßenabgewandten Grundstücksgrenze
errichtetes älteres eingeschossiges Wohngebäude mit Giebeldach steht, für das keine
Baugenehmigungsakten vorliegen, tiefer bebaut. Dieses Gebäude ist im Katasterplan
aus dem Jahre 1981 als "Wohngebäude ohne Hausnummer" erfaßt. Es ist nicht
eigenständig erschlossen, sondern kann lediglich fußläufig über das auf derselben
Parzelle straßennah errichtete Wohngebäude erreicht werden.
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Die Grundstücke im weiteren Verlauf des T. Weges bis zur Einmündung des T. Winkels
- etwa weitere 145 m - sind durchweg breiter und mit größer dimensionierten
überwiegend wohngenutzten Gebäuden bestanden. Hier werden in der Regel
Bebauungstiefen von bis zu 23 m erreicht. Davon ausgenommen ist lediglich die etwa
30 m nördlich des streitbefangenen Grundstücks liegende Parzelle 26 (Hausnr. 63), auf
der sich hinter der straßennahen Wohnbebauung eine gewerblich genutzte Halle
befand. Die hintere Außenwand dieser zwischenzeitlich abgerissenen Halle lag gut 40
m von der Straße entfernt; nur die ausbetonierten Bodenplatten sind heute in der
Örtlichkeit noch sichtbar.
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Westlich dieser Grundstückszeile entlang des T. Weges, im unmittelbaren Anschluß an
die jeweiligen Grundstücksgrenzen, folgt eine stark verdichtete Wohnbebauung, die
über den T. Winkel erschlossen wird.
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Die Grundstücke nördlich des Q. Weges sind ebenfalls straßennah teils geschlossen,
teils offen mit Wohnhäusern bebaut. Die Parzellen 51 bis 53, 311 und 962 reichen bei
einer Tiefe von 85 m an die südliche Grenze des streitbefangenen Grundstücks heran.
Der unbebaute Teil dieser Grundstücke ist mit Hecken, Bäumen und Gehölzen dicht
bestanden, die Freiflächen sind mit Rasen eingesäht; sie dienen jeweils der
Gartennutzung.
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Westlich dieser Parzellen begrenzt ein mit Wohnhäusern bebautes, stark verdichtetes
Gebiet an, dessen südlicher Teil durch den Q. Winkel und dessen nördlicher Teil durch
den T. Winkel erschlossen wird. Der der vorhandenen Bebauung zugrundeliegende
Bebauungsplan Nr. 720 der Stadt B. ist inzwischen in einem Normenkontrollverfahren
für nichtig erklärt worden.
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Das von den Klägern geplante Bauvorhaben soll hinter den straßennahen
Wohnhäusern T. Weg 55 und 55a errichtet werden. Die hintere Außenwand des
Bauvorhabens überschreitet die Bebauungstiefe der Vorderhäuser von 20 m um gut 30
m. Der zu bebauende Grundstücksteil liegt im Westen etwa 28 m, im Norden etwa 33 m
von den Grenzen der nächstgelegenen bebauten Grundstücke des ehemals durch den
Bebauungsplan Nr. 720 überplanten Gebiets entfernt. Es soll über ein auf dem
Grundstück T. Weg 55a lastendes Wegerecht erschlossen werden, das über das
streitbefangene Grundstück hinweg auch über die westlich anschließende unbebaute
Parzelle 24 verläuft. Wegeberechtigt im Sinne eines Geh- und Fahrrechts sind die
Eigentümer der angrenzenden Parzellen 51 bis 53, 311, 962 und 24.
8
Unter dem 29. April 1992 beantragten die Kläger beim Beklagten die Erteilung eines
Bauvorbescheides zur Errichtung eines eingeschossigen Einfamilienhauses auf dem
streitbefangenen Grundstück. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.
August 1992 ab mit der Begründung, das Grundstück liege im unbeplanten
Innenbereich. Das Vorhaben füge sich wegen seines Standortes im Hintergelände nicht
in den durch die Umgebungsbebauung bestimmten Rahmen ein. Es überschreite die
faktischen Baugrenzen und dringe als Bebauung in der zweiten Reihe in die
Ruhezonen der umliegenden Wohnhäuser ein.
9
Gegen den nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen ablehnenden Bescheid
legten die Kläger am 7. Juni 1993 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie
vortrugen, das Vorhaben füge sich ein. Eine Bebauung in zweiter Reihe sei auch
anderweitig im Umfeld des T. Weges anzutreffen.
10
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 1993 - den Klägern am 7. September
1993 zugestellt - wies die Bezirksregierung L. den Widerspruch im wesentlichen unter
Bezugnahme auf die Begründung des ablehnenden Bescheides zurück.
11
Am 7. Oktober 1993 haben die Kläger unter Bezugnahme auf ihre
Widerspruchsbegründung Klage erhoben und zusätzlich geltend gemacht, die
maßgebliche nähere Umgebung werde auch durch die Bebauung im westlich
gelegenen stark verdichteten Baugebiet geprägt. Zudem befinde sich eine
Hinterlandbebauung schon auf der am T. Weg gelegenen Parzelle 41.
12
Die Kläger haben beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 10. August 1992 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 6. September 1993 zu
verpflichten, die Bauvoranfrage der Kläger vom 29. April 1992 positiv zu bescheiden.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen. Er hat darauf hingewiesen, die ehemaligen Grenzen des für
nichtig erklärten Bebauungsplans Nr. 720 seien anhand der vorhandenen Bebauung
klar abzulesen, so daß die dortige Bebauung nicht in die Beurteilung des klägerischen
Vorhabens einfließen dürfe.
16
Nach einer Inaugenscheinnahme durch den Berichterstatter der Kammer am 3. April
1995 hat das Verwaltungsgericht B. die Klage mit dem dem Prozeßbevollmächtigten der
Kläger am 22. Juni 1995 zugestellten, am 30. Mai 1995 verkündeten Urteil, auf dessen
Inhalt verwiesen wird, abgewiesen.
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Mit ihrer am 20. Juli 1995 eingelegten Berufung machen die Kläger geltend, das
Vorhaben füge sich ein, es überschreite nicht den vorgegebenen Rahmen. Die
Hinterlandbebauung habe in der näheren Umgebung Vorbilder. Zu berücksichtigen sei
die Bebauung östlich des T. Weges in östlicher und westlicher Richtung im Bereich des
nichtigen Bebauungsplans sowie die Hinterlandbebauung durch das zwischenzeitlich
abgerissene gewerblich genutzte Gebäude auf dem Grundstück T. Weg 63. Das
Vorhaben löse keine bewältigungsbedürftigen Spannungen aus. Es sei nicht damit zu
rechnen, daß mit Verwirklichung des Bauvorhabens eine Entwicklung eingeleitet werde,
die nur mittels Bauleitplanung zu steuern wäre.
18
Die Kläger beantragen,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen,
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hilfsweise,
21
die Bebauung entsprechend der mit Schriftsatz vom 31. Oktober 1996 eingereichten
Planvariante vom 16. Oktober 1996 im Wege der Bauvoranfrage zuzulassen.
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Nach der Planvariante ist der Grundriß des Baukörpers verändert. Die Bebauungstiefe
soll nunmehr nur noch gut 42 m betragen.
23
Der Beklagte beantragt,
24
die Berufung in vollem Umfang zurückzu- weisen.
25
Er trägt vor, das ursprüngliche Vorhaben der Kläger sei bauplanungsrechtlich
unzulässig, denn es füge sich nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll,
nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Ein Vorbild für Hinterlandbebauung
fehle. Die stark verdichtete Bebauung im Bereich des Q. Winkels und des T. Winkels
präge die hier maßgebliche Umgebung des streitbefangenen Grundstücks nicht, weil es
eine andere Struktur mit eigener Erschließung durch öffentliche Verkehrsflächen
aufweise. Die von dem abgerissenen Produktionsgebäude auf dem Grundstück T. Weg
63 verbliebene Bodenplatte entfalte keine Vorbildfunktion. Die Verwirklichung des
Vorhabens sei geeignet, bewältigungsbedürftige Spannungen hervorzurufen, weil es in
die großräumige Ruhezone der straßennah bebauten Grundstücke am T. Weg/Q. Weg
eindringe und weitere Bebauung nach sich ziehen werde.
26
Am 24. September 1996 hat der Berichterstatter des Senats die Örtlichkeit in
Augenschein genommen; auf die über den Termin gefertigte Niederschrift wird
verwiesen.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der
Widerspruchsbehörde Bezug genommen.
28
Entscheidungsgründe:
29
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
30
Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Kläger
haben keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheides, denn ihrem
Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen (vgl. §§ 71, 75 Abs. 1 Satz
1 BauO NW). Die Errichtung eines Wohnhauses an dem geplanten Standort ist
planungsrechtlich unzulässig.
31
Die planungsrechtliche Beurteilung richtet sich nach § 34 BauGB, weil das
Antragsgrundstück nach Auswertung des in den Akten befindlichen Kartenmaterials und
nach dem von dem Berichterstatter im Ortstermin gewonnenen und dem Senat
vermittelten Eindruck von der Örtlichkeit innerhalb eines im Zusammenhang bebauten
Ortsteils liegt. Das Vorhaben ist indessen nach § 34 Abs. 1 BauGB planungsrechtlich
unzulässig, weil es sich jedenfalls nicht nach der Grundstücksfläche, die überbaut
werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
32
Die maßgebliche nähere Umgebung wird dadurch ermittelt, daß in zwei Richtungen -
nämlich in der Richtung vom Vorhaben auf die Umgebung sowie in Richtung von der
Umgebung auf das Vorhaben - geprüft wird, wie weit die jeweiligen Auswirkungen
reichen. Dabei ist die Umgebung einmal insoweit zu berücksichtigen, als sich die
Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die
Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder
doch beeinflußt,
33
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 -, BRS 33 Nr. 36;
34
Urteil vom 3. April 1981 - 4 C 61.78 -, BRS 38 Nr. 69; Beschluß vom 4. Februar 1986 - 4
B 7-9.86 -, BRS 46 Nr. 64.
Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten
Bezugsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil diese jeweils eine Prägung mit ganz
unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung entfalten können. Bezüglich des im
vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Merkmals "der Grundstücksfläche, die
überbaut werden soll", mit dem die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen
Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint ist
35
vgl. BVerwG, Beschluß vom 28. September 1988 - 4 B 175.88 -, BRS 48 Nr. 50,
36
wird die nähere Umgebung im Regelfall enger als bei dem Merkmal der Art der
baulichen Nutzung zu bemessen sein. Denn auch die von den überbauten
Grundstücksflächen ausgehende Prägung bleibt in ihrer Reichweite im allgemeinen
hinter den von der Art der baulichen Nutzung ausgehenden Wirkungen zurück.
Maßgeblich ist auch hierbei, wie weit die wechselseitigen Auswirkungen im Verhältnis
von Vorhaben und Umgebung im Einzelfall reichen,
37
vgl. OVG NW, Urteil vom 11. September 1991 - 7 A 1570/89 -.
38
Nach diesen Beurteilungsgrundsätzen gehört bezüglich des Merkmals der
Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, zur näheren Umgebung des
streitbefangenen Grundstücks das Gelände zwischen dem ehemals überplanten
Bereich und dem T. Weg ab der Einmündung des Q. Weges etwa 125 m in nördlicher
Richtung bis zur Grenze des Flurstücks 26 (Hausnr. 63), weil nur insoweit eine
gegenseitige Einflußnahme und Prägung der Grundstücke nach der örtlichen Situation
vorgegeben ist. Die Grundstücke im weiteren Verlauf des T. Weges bis zur Einmündung
des T. Winkels und die Grundstücke innerhalb der ehemaligen Grenzen des nichtigen
Bebauungsplanes 720 der Stadt B. nehmen im hier maßgeblichen Sinne nicht an der
wechselseitigen Prägung teil, denn die städtebauliche Situation dieser Bereiche ist nicht
vergleichbar. Nach dem Eindruck, den der Berichterstatter in der Örtlichkeit gewonnen
und dem Senat vermittelt hat, sowie nach dem vorliegenden Kartenmaterial hat sich im
räumlichen Geltungsbereich des nichtigen Bebauungsplans und im nördlichen
Abschnitt des T. Weges beginnend mit der Parzelle 26 (Hausnr. 63) jeweils eine
städtebauliche Entwicklung eigener Struktur vollzogen. Die Struktur der Bebauung
innerhalb des ehemaligen Plangebiets ist auch nach außen hin erkennbar
gekennzeichnet durch eine verdichtete Bebauung mit Wohnhäusern, deren Grundstücke
über ein verzweigtes System von Stichwegen erschlossen werden. Demgegenüber
findet sich in dem Bereich östlich des ehemaligen Plangebebiets und westlich des T.
Weges vornehmlich eine straßennahe Bebauung mit Wohnhäusern bei einer
Bebauungstiefe von in der Regel etwa 20 m und Grundstückstiefen bis zu 85 m. Die
damit verbleibenden der Gartennutzung dienenden Frei- und Ruheflächen sind im
Vergleich zu den Grundstücken im ehemaligen Plangebiet unverhältnismäßig größer.
Die beiden angesprochenen Bereiche lassen sich in der Örtlichkeit - wie insbesondere
das dem Senat vorliegende Luftbild eindrucksvoll belegt - wegen ihrer unterschiedlichen
Bebauungsdichte und der Standorte der Baukörper klar voneinander abgrenzen.
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Auch die Bebauung im Verlauf des T. Weges zwischen der Einmündung des Q. Weges
bis zur Parzelle 26 (Hausnr. 63) einerseits und im weiteren Verlauf bis zur Einmündung
des T. Winkels andererseits weist unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt der
40
Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, wesentliche strukturelle Unterschiede auf,
die eine wechselseitige städtebauliche Prägung ausschließen. Die Grundstücke entlang
des T. Weges besitzen in diesem Sinne Gemeinsamkeiten nur hinsichtlich der
Grundstückstiefen. Die Bebauungsdichte ist hingegen unterschiedlich. Während der
südliche Abschnitt entlang des T. Weges ab der Einmündung des Q. Weges zunächst
durch eine geschlossene Bebauung auf schmalen Grundstücken geprägt wird,
herrschen im nördlichen Bereich ab der Parzelle 26 (Hausnr. 63) größer dimensionierte
Baukörper auf großzügiger geschnittenen Grundstücken vor. Wie das vorliegende
Karten- und Lichtbildmaterial eindrucksvoll belegt, ist der letztgenannte Bereich aber
insbesondere dadurch gekennzeichnet, daß in der Örtlichkeit die verdichtete
kleinräumige Bebauung innerhalb der ehemaligen Grenzen des nichtigen
Bebauungsplans bis an die jeweiligen hinteren Grundstücksgrenzen herangerückt ist.
Damit setzt sich dieser Bereich, dem die ausgedehnte hintere Freizone fehlt, in der
Örtlichkeit deutlich von der Struktur des südlichen Bereichs ab, dessen Hintergelände
weiträumig von gärtnerisch genutzten Freiflächen geprägt wird. Dies wird untermauert
durch die derzeitige Nutzung des Grundstücks T. Weg 63 im rückwärtigen Bereich, die,
obwohl noch nicht mit Hochbauten bestanden, jedenfalls trennende Wirkung hat.
Das Vorhaben der Kläger überschreitet den aus der maßgeblichen Umgebung
hervorgehenden Rahmen. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, daß die Hauptgebäude
straßennah bis zu einer Grundstückstiefe von ca. 20 m errichtet worden sind und auf den
rückwärtigen Grundstücksflächen entweder im wesentlichen nur völlig untergeordnete
Nebenanlagen anzutreffen sind, die in funktionalem Zusammenhang mit der Nutzung
der Hauptgebäude stehen oder vollkommen von Bebauung frei sind und der reinen
Gartennutzung dienen. Hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ist
das geplante Wohnhaus ohne Vorbild. Denn es soll - anders als die vorhandenen
straßennahen Hauptgebäude - jenseits der von diesen eingenommenen
Bebauungstiefen in einem Abstand von 42 m bis 55 m zur Straße und damit gleichsam
"in zweiter Reihe" errichtet werden. Es überschreitet folglich den Rahmen, den die
maßgebliche Umgebungsbebauung aufweist.
41
An dieser Beurteilung können die von den Klägern ins Feld geführten baulichen
Anlagen auf den Parzellen 26 und 41 nichts ändern.
42
Wie bereits oben dargelegt, gehört die Parzelle 26 (Hausnr. 63), auf der ehemals eine
gewerblich genutzte Halle stand, unter dem Gesichtspunkt der Grundstücksfläche, die
überbaut werden soll, schon nicht zur näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1
Satz 1 BauGB und kann somit den hier maßgeblichen städtebaulichen Rahmen nicht
mitprägen.
43
Demgegenüber gehört das Wohngebäude im Hintergelände der Parzelle 41 zwar von
seinem Standort her zur maßgeblichen näheren Umgebung. Dennoch hat es
hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, keine den Rahmen
mitbestimmende Wirkung.
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Bei der Betrachtung der maßgeblichen näheren Umgebung ist zunächst zwar alles in
den Blick zu nehmen, was in ihr tatsächlich vorhanden ist, die Betrachtung muß dann
jedoch auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Auszusondern sind dabei zum einen
solche Anlagen, die von ihrem Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht
die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, zum anderen
aber auch solche Anlage, die zwar die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber als
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Fremdkörper ihrer Qualität nach völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren
Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Unbeachtliche Fremdkörper in
diesem Sinne sind namentlich singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu
der sie umgebenden, im wesentlichen homogenen Bebauung stehen, soweit sie nicht
ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 4 C 23.86 -, BRS 50 Nr. 75 = NVwZ 1990,
755; OVG NW, Urteil vom 15. Mai 1991 - 7 A 1362/89 -, Seite 11 des amtlichen
Umdrucks; Urteil vom 28. Januar 1991 - 7 A 2494/87 -, Seite 17 des amtlichen
Umdrucks.
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Hiernach ist das genannte Wohnhaus, das allerdings die Erheblichkeitsschwelle
angesichts seiner Größe offensichtlich überschreitet, bei der Bestimmung der Eigenart
der näheren Umgebung als Fremdkörper auszuklammern, weil es wegen seiner
Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter seiner Umgebung letztlich nicht
beeinflussen kann. Unter dem Gesichtspunkt der Grundstücksfläche, die überbaut
werden soll, ist die Umgebung homogen bebaut, denn sie zeichnet sich durch eine
durchgehende nahezu vollständig geschlossen errichtete Straßenrandbebauung mit fast
einheitlichen faktischen hinteren Baugrenzen aus. Gegenüber der
Umgebungsbebauung erscheint das Wohnhaus wegen seiner von der straßennahen
Bebauung deutlich abgesetzten exponierten Lage im Hintergelände als singuläre
Anlage. Das Gebäude ist ca. 33 m und damit deutlich von der straßennahen Bebauung
abgesetzt, was auch hinsichtlich der Tiefe der Bebauung der Parzelle im übrigen, die
von der Straße gemessen etwa bis zu 15 m erreicht, gilt. Das Gebäude fällt damit unter
Berücksichtigung der allenfalls bis zu einer Tiefe von etwa 20 m verspringenden
faktischen hinteren Baugrenze im Straßenhinterland klar aus dem Rahmen. Dabei wird
die insoweit bestehende Wirkung als singuläre Anlage durch die Entfernungen zur
Bebauung am Q. Weg im Süden (ca. 40 m und mehr), zum Q. Winkel im Westen (ca. 50
m) und im Norden bis zur Parzelle 26 (etwa 75 m) verstärkt. Durch die umliegenden
Freiflächen wirkt es von der übrigen Bebauung gleichsam isoliert. Dieser Eindruck der
Isoliertheit wird noch durch die gegenüber der Umgebungsbebauung geringere
Dimension des Baukörpers und der Besonderheiten der Erschließung unterstrichen.
Das Wohngebäude ist nicht unmittelbar an öffentliche Verkehrsflächen angeschlossen;
die Ver- und Entsorgung kann nur fußläufig über das auf demselben Grundstück
straßennah errichtete Wohngebäude erfolgen.
47
Trotz seiner Andersartigkeit und Einzigartigkeit ist das Wohnhaus aber auch nicht etwa
deshalb als prägend zu berücksichtigen, weil es mit seiner Umgebung eine Einheit
bildete - dies ist schon wegen der abgesetzten Position des Gebäudes nicht der Fall -
oder weil es seinerseits ein solches Gewicht enthielte, daß es trotz seiner
herausstechenden Andersartigkeit tonangebend wirkte. Davon kann hier schon wegen
der geringen Größe des Baukörpers im Verhältnis zur Umgebungsbebauung keine
Rede sein. Die geringe Größe hat zur Folge, daß sich die Wirkung des Gebäudes, auch
was seine Position angeht, auf sich selbst beschränkt und nicht auch sein Umfeld als
rückwärtig für eine Bebauung geprägt erscheinen läßt.
48
Das den Gegenstand des Verfahrens bildende Vorhaben fügt sich auch nicht
ausnahmsweise trotz der Rahmenüberschreitung in die Eigenart der näheren
Umgebung ein. Das Erfordernis des Einfügens hindert zwar nicht schlechthin daran, den
vorgegebenen Rahmen zu überschreiten; es hindert jedoch daran, dies in einer Weise
zu tun, die - sei es durch das Vorhaben selbst oder sei es infolge der Vorbildwirkung -
49
geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige
Spannungen zu begründen oder die vorhandenen Spannungen zu erhöhen. Ein
Vorhaben, das im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen
begründet oder erhöht, das - in diesem Sinne - "verschlechtert", "stört", "belastet", bringt
die ihm vorgegebene Situation gleichsam in Bewegung. Es stiftet eine "Unruhe", die
potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich zieht.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C 9.77 -, BRS 33 Nr. 36;
Urteil vom 3. April 1981 - 4 C 61.78 -, BRS 38 Nr. 69; siehe auch Urteil vom 17. Juni
1993 - 4 C 17.91 -, BRS 55 Nr. 72.
50
Dabei führt allerdings der Umstand, daß sich ein Vorhaben - wie hier - als sog.
Hinterlandbebauung darstellt, die in der näheren Umgebung noch nicht rahmenbildend
vorhanden ist, als solche noch nicht zur Unzulässigkeit des Vorhabens. Vielmehr ist im
Einzelfall darauf abzustellen, ob das Vorhaben aus sich heraus oder wegen seiner
Vorbildwirkung die städtebauliche Situation verschlechtert.
51
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 1980 - 4 C 30.78 -, BRS 36 Nr. 56.
52
Im vorliegenden Fall erfolgte eine Überschreitung des Rahmens in einer Weise, die
bodenrechtliche Spannungen begründen oder solche Spannungen erhöhen kann.
Dabei mag auf sich beruhen, ob schon das Vorhaben selbst - wofür allerdings wenig
spricht - bewältigungsbedürftige Spannungen begründet bzw. erhöht. Es ist jedenfalls
mit einer Vorbildwirkung verbunden, weil es wegen der planungsrechtlich
vergleichbaren Situation der umliegenden Grundstücksflächen geeignet ist,
entsprechende Bauwünsche der Eigentümer der Nachbargrundstücke auszulösen und
damit eine "zweite", angesichts der geplanten Bebauungstiefe möglicherweise sogar
"dritte Baureihe" anzustoßen. Die damit verbundenen Störungen können voraussichtlich
nur durch eine ausgleichende städtebauliche Planung aufgefangen werden.
53
Die Nachbargrundstücke sind in eine mit der dem Grundstück der Kläger vergleichbare
städtebauliche Situation gestellt. Ihre rückwärtigen Flächen sind wie die der Kläger im
wesentlichen von Bebauung frei, aber tatsächlich mit weiteren Hauptgebäuden
bebaubar. Es stellen sich auch keine unüberwindbaren Erschließungsprobleme
tatsächlicher Art. Zwar herrscht am T. Weg und am Q. Weg eine geschlossene
Bebauung vor. Durch die Beseitigung untergeordneter Nebenanlagen ließen sich
jedoch ohne größeren Aufwand genügend Zufahrtmöglichkeiten in das Hintergelände
schaffen. Es kommt hinzu, daß nach den Angaben der Kläger sowohl ihr Grundstück als
auch die im Hintergelände liegende Parzelle 24 mit Wegerechten zugunsten der für eine
Bebauung in Frage kommenden Grundstücke belastet sind. Wird das Vorhaben der
Kläger zugelassen, bestimmt es den oben beschriebenen Rahmen der dann
vorhandenen Bebauung mit, so daß sich eine geplante Nachbarbebauung auf ein
Vorbild berufen könnte, sich mithin im Rahmen hielte und voraussichtlich zugelassen
werden müßte. Damit würde der gesamte Bereich der Freiflächen im Hintergelände mit
einer Vielzahl von Gebäuden mit mehr oder weniger großer Grundfläche "vollaufen".
Eine solche Entwicklung riefe allein schon mit Blick auf das Erschließungsaufkommen
Spannungen hervor, da die weitere Erschließung nur - wie die geplante Bebauung des
Grundstücks zeigt - über tief in das Hinterland hineinreichende Zuwegungen und
Erschließungsanlagen vom T. Weg, vom Q. Weg und vom Q. Winkel aus sichergestellt
werden könnte und damit sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht
"Unruhe" im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung in die bisherigen Ruhezonen
54
getragen würde. Das Hintergelände würde seinen Charakter als großzügige Ruhezone
verlieren und selbst Quelle der von intensiver Wohnnutzung ausgehenden
Lebensäußerungen werden. Mit der Erschließung würde erstmals Verkehrslärm von
beachtlicher Qualität in das bislang unbeeinträchtigte Hintergelände hineingetragen.
Die damit verbundenen Störungen können voraussichtlich nur durch eine
ausgleichende städtebauliche Planung aufgefangen werden.
Die danach ausgleichsbedürftigen Spannungen sind nicht etwa deshalb unbeachtlich,
weil sie nicht durch das Vorhaben der Kläger, sondern erst durch die Folgebebauung
verstärkt oder hervorgerufen werden würden und dementsprechend nicht ihrem
Vorhaben, sondern erst der Folgebebauung entgegengehalten werden könnten. Für
eine planungsrechtlich zu mißbilligende Vorbildwirkung reicht es zwar nicht schon aus,
wenn (erst) die Folgebebauung die einen potentiellen Planungsbedarf auslösenden
Spannungen erzeugt oder erhöht; vielmehr setzt die "Unruhe" im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in diesem Zusammenhang zusätzlich
voraus, daß die Differenzierung zwischen der beantragten und der Folgebebauung
durch Genehmigung im einen und Versagung der Genehmigung im anderen Fall zu
mißbilligen ist, weil sie zur Bevorzugung des einen Baubewerbers führen würde,
obgleich sich sein Grundstück und sein Vorhaben von den Grundstücken und Vorhaben
anderer Eigentümer nicht wesentlich unterscheiden.
55
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 1980 - 4 C 30.78 -, BRS 36 Nr. 56.
56
Im vorliegenden Fall liegt aber auch diese zusätzliche Voraussetzung, wie sich schon
aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, vor. Denn die benachbarten Grundstücke
sind nach Lage und Zuschnitt dem der Kläger so ähnlich, daß eine Differenzierung
hinsichtlich ihrer rückwärtigen Bebaubarkeit zu mißbilligen wäre.
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Somit ist das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig.
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Mit dem im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag ist die Klage unzulässig. Es kann
insoweit auf sich beruhen, ob die in der Stellung des Hilfsantrags liegende
Klageänderung nach § 91 VwGO zulässig ist. Die geänderte Klage ist jedenfalls
unzulässig, weil damit ein Vorhaben, das gegenüber dem bisher im Streit Befindlichen
wesensverschieden ist, zur gerichtlichen Prüfung gestellt worden ist, für das ein
Verwaltungsverfahren fehlt.
59
Die Kläger haben unter dem 29. April 1992 die Erteilung eines Vorbescheides für ein
bestimmtes Vorhaben beantragt und nach Ablehnung mit der Klage einen Anspruch auf
Erteilung der Bebauungsgenehmigung dafür gerichtlich verfolgt. Mit dem Hilfsantrag
haben sie einen Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheides für ein anderes Vorhaben
geltend gemacht. Ein anderes Vorhaben ("aliud") liegt dann vor, wenn die Entscheidung
über die Zulässigkeit von anderen materiell- rechtlichen Voraussetzungen abhängen
kann. So liegt es hier. Die Entscheidung über die planungsrechtliche Zulässigkeit von
Vorhaben im Hintergelände eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils hängt
entscheidend davon ab, ob das Vorhaben sich nach der Grundstücksfläche, die
überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (vgl. § 34 Abs. 1
Satz 1 BauGB). Es liegt auf der Hand, daß eine Verschiebung des zur Prüfung
gestellten und gerade im Hinblick auf seine Position streitigen Baukörpers um über 10 m
potentiell zu einer anderen rechtlichen Bewertung eines Vorhabens führen kann. Dies
gilt im konkreten Einzelfall umso mehr, als der Baukörper nach der Planvariante in etwa
60
die Bautiefe des Wohngebäudes auf der Parzelle 41 einhält und deshalb eine
entsprechende Bebauung potentiell zu weniger gravierenden planungsrechtlichen
Spannungen im o.g. Sinne führen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
61
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
62
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
63