Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.09.2007
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Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 2696/06
Datum:
11.09.2007
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 A 2696/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 7 K 3665/04
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Mai 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des
beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe
Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt die Genehmigung für Errichtung und Betrieb einer Windkraftanlage
vom Typ Enercon E-66/18.70 mit einer Nennleistung von 1,8 MW, einer Nabenhöhe von
114 m und einem Rotordurchmesser von 70 m auf dem Grundstück Gemarkung Bad
Sassendorf, Flur , Flurstück . Der geplante Standort der Anlage liegt ca. 2 km nordöstlich
des Ortskerns von Bad Sassendorf in einem von den Kreisstraßen K 1, K 2 und K 3
umschlossenen, landwirtschaftlich intensiv genutzten Areal, das von Süden nach
Norden leicht ansteigt und in der flach gewellten Landschaft der Unteren Hellwegbörde
als schwache Kuppenlage in Erscheinung tritt. Nach Westen hin grenzt das
beschriebene Areal an den von Gehölz- und Grünstreifen gesäumten Einschnitt der
Rosenaue, eines durch ordnungsbehördliche Verordnung der Beklagten vom 8.
Dezember 2004 unter Landschaftsschutz gestellten Bachlaufs; nach Osten hin schließt
sich die ebenfalls unter den Schutz der genannten Verordnung gestellte Auelandschaft
2
der Ahse an, die in einem Teilbereich nördlich der Ortschaft Lohne zusätzlich als
Naturschutzgebiet ausgewiesen ist. Unmittelbar nördlich des Vorhabenstandorts wird
das bezeichnete Areal von einer in Ost-West-Richtung verlaufenden
Hochspannungsleitung gequert. Südlich verläuft eine Eisenbahnlinie. Das gesamte ca.
250 ha große Areal gehört - wie der weit überwiegende Teil des Gemeindegebiets der
Beigeladenen - zu dem unter dem 17. Dezember 2004 bekannt gemachten (MBl. NRW
vom 26. Januar 2005, S. 66), insgesamt ca. 500 qkm großen Europäischen
Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde". Zweck der Unterschutzstellung dieses Gebiets ist
die "Erhaltung und Entwicklung der durch Offenheit, Großräumigkeit, weitgehende
Unzerschnittenheit und überwiegende ackerbauliche Nutzung geprägte Agrarlandschaft
als Brutgebiet insbesondere für Wiesen- und Rohrweihe und Wachtelkönig sowie als
Rast- und Durchzugsgebiet insbesondere für Goldregenpfeifer, Mornellregenpfeifer,
Kornweihe und Rotmilan."
Im Verfahren zur 35. Änderung ihres Flächennutzungsplans untersuchte die
Beigeladene ihr Gemeindegebiet im Hinblick auf die Schaffung von
Konzentrationszonen für die Nutzung der Windkraft. Als Ergebnis dieser Planung wies
die Beigeladene eine ca. 10 ha große Fläche südöstlich des Ortsteils C. an der Grenze
zum Gebiet der Gemeinde Erwitte als Konzentrationszone aus. Die Beigeladene
beschränkte die dort zulässigen Anlagen auf eine Gesamthöhe von 100 m. Die 35.
Änderung des Flächennutzungsplans der Beigeladenen trat im Januar 1999 in Kraft. Die
ausgewiesene Konzentrationszone wurde in der Folgezeit mit vier Windkraftanlagen
bebaut; vier weitere Windkraftanlagen entstanden in unmittelbarer Nachbarschaft auf
dem Gebiet der Gemeinde Erwitte.
3
Unter dem 3. Dezember 2002 beantragte der Kläger beim Landrat des Kreises T. die
Erteilung einer Baugenehmigung für die streitgegenständliche Anlage. Dem Antrag
fügte er u.a. eine Untersuchung des Ingenieurbüros Landschaft & Wasser Dr. M. von
Oktober 2003 zur standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3 c Abs. 1
UVPG bei, in die die Auswirkungen von drei weiteren geplanten Windkraftanlagen
einbezogen waren, darunter eine nördlich des hier in Rede stehenden Standorts
geplante Anlage, die Gegenstand des Verfahrens 8 A 2697/06 ist. Mit Schreiben vom
17. Dezember 2002 versagte die Beigeladene unter Bezugnahme auf die in der 35.
Änderung ihres Flächennutzungsplans an anderer Stelle ausgewiesene
Konzentrationszone für Windkraftanlagen das gemeindliche Einvernehmen.
4
Nachdem das Verwaltungsgericht Arnsberg in einem anderen
Verwaltungsstreitverfahren Bedenken gegen die Wirksamkeit der 35. Änderung des
Flächennutzungsplans der Beigeladenen geäußert hatte, beschloss der Gemeinderat
der Beigeladenen im März 2003, das Verfahren zur Ermittlung und Ausweisung von
Konzentrationszonen für Windkraftanlagen zu wiederholen und dabei die
Bauleitplanung an geänderte rechtliche Bedingungen, neue landschaftsfachliche
Beurteilungen und den Gemeinsamen Runderlass des Ministeriums für Städtebau und
Wohnen, Kultur und Sport, des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und
Verkehr und der Staatskanzlei vom 3. Mai 2002 (MBl. NRW S. 742) - Windenergieerlass
- anzupassen. Aus den geänderten Beurteilungskriterien, insbesondere der
Berücksichtigung des Wiesenweihe-Schutzprogramms, einer im März 2003 zwischen
dem Land Nordrhein-Westfalen und mehreren Gemeinden sowie weiteren
Vertragspartnern geschlossenen Vereinbarung, folgerte die Beigeladene, dass ihr
Gemeindegebiet keine für die Aufstellung von Windkraftanlagen geeigneten Flächen
aufweise; die bereits bestehende Konzentrationszone solle jedoch unter Beibehaltung
5
der Höhenbegrenzung auf 100 m aus Gründen des Bestandsschutzes bestehen
bleiben. Mit Beschluss vom 25. Juni 2003 stellte der Gemeinderat der Beigeladenen die
dargelegten Erwägungen als 1. Änderung zur 35. Änderung des Flächennutzungsplans
fest. Der Beschluss wurde am 5. November 2003 bekannt gemacht.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2003 lehnte der Landrat des Kreises T. den Bauantrag
des Klägers ab. Diesen Bescheid hob der Landrat im weiteren Verlauf des Verfahrens
auf.
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Der Kläger hat am 22. Mai 2004 - zunächst gegen den Landrat des Kreises T. als
Baugenehmigungsbehörde gerichtet - Klage erhoben.
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Im September 2004 beschloss der Rat der Beigeladenen, ein weiteres Verfahren zur
Änderung des Flächennutzungsplans bezüglich der Ausweisung von
Konzentrationszonen für Windkraftanlagen einzuleiten. Im Rahmen der Offenlage zu
dieser weiteren Änderung, die eine Verkleinerung der bestehenden Konzentrationszone
um ca. 3 ha vorsah, wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen die
beabsichtigte Planung und regte insbesondere an, das oben bezeichnete Areal, in dem
der Standort der geplanten Anlage liegt, als Konzentrationszone auszuweisen. Zur
weiteren Begründung legten die Prozessbevollmächtigten des Klägers eine gutachtliche
Stellungnahme des Büros Dr. M. von Januar 2005 zum Konfliktpotential der geplanten
Windkraftanlage mit europarechtlich geschützten Vogelarten in der Hellwegbörde vor.
8
In seiner Sitzung vom 22. Juni 2005 befasste sich der Rat der Beigeladenen unter
Berücksichtigung der von den Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgebrachten
Einwände erneut mit den für die Ausweisung der Konzentrationszone maßgeblichen
Gesichtspunkten und stellte die 2. Änderung zur 35. Änderung des
Flächennutzungsplans entsprechend den in der Begründung von März 2005
formulierten Vorschlägen fest. In der Begründung des Ratsbeschlusses heißt es u.a., die
Flächen innerhalb des Vogelschutzgebietes "Hellwegbörde" seien generell für die
Nutzung der Windkraft ungeeignet. Jedenfalls entspreche es den städtebaulichen Zielen
des Flächennutzungsplans, Kollisionen zwischen dem öffentlichen Belang der
Auswirkungen auf Tiere, Landschaft und die biologische Vielfalt dadurch aufzulösen,
dass dem Naturschutz Vorrang vor der Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien
gegeben werde.
9
Im weiteren Verlauf des Genehmigungsverfahrens legte der Kläger der Beklagten eine
im Dezember 2005 vom Büro Dr. M. erstellte FFH- Verträglichkeitsprüfung für die
geplante Windkraftanlage vor. Dazu nahm der Landrat des Kreises T. als Untere
Landschaftsbehörde unter dem 24. Januar 2006 Stellung. Wegen der Einzelheiten wird
auf Beiakte Heft 5 sowie die Blätter 243 bis 245 der Gerichtsakte des Verfahrens 8 A
2697/06 verwiesen.
10
Der Kläger hat zur Begründung der Klage im Wesentlichen vorgetragen: Die
Bauleitplanung der Beigeladenen entfalte für die streitgegenständliche Windkraftanlage
nicht die Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, da die Ausweisung von
Konzentrationszonen für Windkraftanlagen sowohl in der 35. Änderung des
Flächennutzungsplans als auch in den beiden weiteren Teilfortschreibungen
abwägungsfehlerhaft und somit unwirksam sei. Der generelle Ausschluss sämtlicher im
Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde" liegender Flächen lasse sich nicht rechtfertigen.
Zum Einen müsse die erhebliche Gesamtgröße dieses Vogelschutzgebiets
11
berücksichtigt werden. Zum Anderen ergebe sich aus den vom Kläger in Auftrag
gegebenen avifaunistischen Untersuchungen und Stellungnahmen des Büros Dr. M.
von Oktober 2003, Januar und Dezember 2005 sowie dessen Gegendarstellung zur
Stellungnahme der Unteren Landschaftsbehörde vom 24. Januar 2006, dass der
Vogelschutz am geplanten Standort der streitigen Anlage der Nutzung der Windkraft
nicht entgegenstehe. Dies gelte nach den Darlegungen des Büros Dr. M. selbst dann,
wenn man das Vorhaben an den Voraussetzungen des für sogenannte faktische
Vogelschutzgebiete geltenden Verschlechterungsverbots nach Art. 4 Abs. 4 der EU-
Vogelschutzrichtlinie messe. Dieses strenge Schutzregime gelte indessen nach der
Bekanntmachung des Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" nicht mehr. Der Maßstab sei
seitdem § 48 c Abs. 5 LG NRW zu entnehmen, dessen Schutz nur durch erhebliche
Beeinträchtigungen des Festsetzungszwecks ausgelöst werde. Die Festsetzung des
Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" bezwecke nicht den Schutz jedes einzelnen
Brutstandorts. Bereits aus der Größe des Vogelschutzgebiets ergebe sich, dass nicht
bereits der mögliche Verlust einzelner Standorte eine erhebliche Beeinträchtigung des
Zwecks der weiträumigen Unterschutzstellung bedeute. Gerade die am
Vorhabenstandort in erster Linie zu schützende Wiesenweihe verhalte sich variabel und
könne deshalb problemlos auf andere Brutplätze ausweichen. Der beantragten Anlage
stünden auch keine anderen öffentlichen Belange entgegen. Eine Verunstaltung des
Landschaftsbildes oder eines Ortsbildes sei nicht zu befürchten. Es sei zu
berücksichtigen, dass Windkraftanlagen naturgemäß auf Freiflächen und Anhöhen
errichtet werden müssten und deshalb typischerweise weithin sichtbar seien. In der
Umgebung des Vorhabenstandorts finde sich keine wegen ihrer Schönheit besonders
schutzwürdige Landschaft. Was naturschutzfachliche Belange angehe, sei zu
berücksichtigen, dass die Vereinbarung zum Schutz der Wiesenweihe nicht geeignet
sei, die gesetzlichen Anforderungen des § 48 c Abs. 5 LG NRW zu verschärfen.
Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger die Klage durch
Auswechslung des jeweils Beklagten wiederholt geändert, nämlich erstens durch
Umstellung auf die Beklagte als Immissionsschutzbehörde im Hinblick auf das
sogenannte Windfarm-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2004 - 4 C
9.03 -, des Weiteren durch Rückkehr zum ursprünglichen Beklagten nach der
Rücknahme zweier weiterer Bauanträge für Windkraftanlagen in dem oben
beschriebenen Areal und schließlich durch erneute Inanspruchnahme des Beklagten
nach der zum 1. Juli 2005 eingetretenen Rechtsänderung. Wegen der Einzelheiten wird
auf den Tatbestand des verwaltungsgerichtlichen Urteils verwiesen.
12
In letzter Fassung hat der Kläger beantragt,
13
die Beklagte zu verpflichten, ihm eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für
Errichtung und Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-66/18.70 auf dem
Gebiet der Gemeinde Bad Sassendorf, Gemarkung Sassendorf, Flur , Flurstück , zu
erteilen,
14
hilfsweise,
15
die Beklagte zu verpflichten, ihm einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für die
bezeichnete Windenergieanlage unter Ausklammerung von Erschließungsfragen zu
erteilen,
16
weiter hilfsweise,
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die Beklagte zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu
bescheiden.
18
Die Beklagte und die Beigeladene haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
20
Die Beigeladene hat im Wesentlichen vorgetragen: Die Klage sei unzulässig. Ihr fehle
bereits die Grundlage eines bescheidungsfähigen Antrags im behördlichen Verfahren,
da infolge der mehrfachen Klageänderungen die Identität des begehrten Vorhabens mit
dem ursprünglich gestellten Bauantrag verloren gegangen sei. In der Sache selbst stehe
dem beantragten Vorhaben die wirksame Ausweisung einer Konzentrationszone für
Windkraftanlagen an anderer Stelle des Gemeindegebiets entgegen. Die Beibehaltung
der Konzentrationszone bei dem Ortsteil C. beruhe auf einer Abstimmung mit dem
Landrat des Kreises T. als Unterer Landschaftsbehörde. Über dessen in einer
Stellungnahme vom 24. Januar 2006 nochmals bekräftigte und unter anderem auf einem
Schreiben der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis T. e.V. (ABU)
fußende Bedenken habe man sich bezüglich des übrigen Gemeindegebiets nicht
hinwegsetzen können. Selbst wenn man die Unwirksamkeit des Flächennutzungsplans
annehme, sei das Vorhaben wegen einer Beeinträchtigung des Vogelschutzgebiets
"Hellwegbörde" unzulässig. Auch der Schutz des Landschaftsbildes stehe dem
Vorhaben als öffentlicher Belang entgegen.
21
Das Verwaltungsgericht hat die Klage nach vorangegangenem Ortstermin durch Urteil
vom 18. Mai 2006 abgewiesen. Es hat die Zulässigkeit der Klage offen gelassen und zur
Sache ausgeführt: Das Vorhaben des Klägers verunstalte das Landschaftsbild und
beeinträchtige dadurch öffentliche Belange. Der von der geplanten Anlage betroffene
Bereich sei wegen seiner Schönheit und Funktion besonders schutzwürdig. Die
geplante Anlage stelle auch einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild dar.
Das Areal zwischen den Kreisstraßen K 1, K 2 und K 3 selbst sei zwar an natürlichen
Strukturen verarmt und in mehrfacher Hinsicht durch technische Bauwerke vorbelastet.
Eine verunstaltende Wirkung entfalte die streitige Windkraftanlage aber auf Grund ihrer
beträchtlichen Höhe, die im gesamten Gebiet des Kreises T. kein Vorbild habe und eine
erhebliche Fernwirkung entfalte. Auf Grund der Fernwirkung würden auch weiter
entfernte Bereiche, die landschaftlich reizvoll seien, beeinträchtigt. Dies gelte
insbesondere für die Bachläufe der Rosenaue und der Ahse, die unter
Landschaftsschutz stünden. Hinzu komme eine Beeinträchtigung des
Naturschutzgebietes "Ahse nördlich Lohne", das unter anderem wegen der Seltenheit,
besonderen Eigenart und hervorragenden Schönheit des Gebiets ausgewiesen worden
sei. Entlang der beiden Bachläufe entfalteten die vorhandenen Vorbelastungen eine
deutlich geringere Wirkung als in der unmittelbaren Umgebung des Vorhabenstandorts.
Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes werde dabei nicht nur von der absoluten
Höhe, sondern vor allem auch von der beträchtlichen Größe des Rotors bzw. der vom
Rotor bestrichenen Fläche bewirkt.
22
Auf Antrag des Klägers ist die Berufung mit Beschluss vom 8. Februar 2007 zugelassen
worden.
23
Der Kläger wiederholt mit der Berufung seinen erstinstanzlichen Vortrag. Ergänzend
und vertiefend macht er geltend: Die mehrfachen Klageänderungen seien als
24
Reaktionen auf Änderungen der Sach- bzw. Rechtslage erforderlich gewesen und daher
sachdienlich. Er sei mit den wiederholten Auswechslungen des Beklagten stets der
Erlasslage und behördlichen Praxis bzw. richterlichen Hinweisen gefolgt, um mit
möglichst geringem Aufwand zu einer Sachentscheidung zu gelangen. In der Sache
selbst habe das Verwaltungsgericht den Prüfungsmaßstab des § 35 BauGB verkannt
und die konkrete örtliche Situation falsch bewertet. Die vom Verwaltungsgericht
gewertete Fernwirkung der Anlage auf die Bachläufe von Rosenaue und Ahse habe
nicht das Gewicht einer Verunstaltung.
Der Kläger beantragt,
25
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 18.
Mai 2006 zu verpflichten, ihm eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die
Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E- 66/18.70 auf
dem Gebiet der Gemeinde Bad Sassendorf, Gemarkung Sassendorf, Flur , Flurstück , zu
erteilen,
26
hilfsweise,
27
Beweis zu erheben über die Behauptungen, dass
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1. der Vorhabenstandort nicht innerhalb eines traditionellen Brut- oder Jagdgebiets der
Wiesenweihe liegt und dass die Errichtung der streitgegenständlichen Anlage nicht zu
einer Barrierewirkung für die Wiesenweihe oder andere geschützte Vogelarten führt,
29
2. nach wie vor ein günstiger Erhaltungszustand der Wiesenweihe innerhalb des
Vogelschutzgebiets Hellwegbörde besteht und dass der Bestand der Weisenweihe in
der Hellwegbörde in diesem Jahr nicht zurückgegangen ist,
30
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
31
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
32
die Berufung zurückzuweisen.
33
Die Beklagte macht geltend, das streitige Vorhaben sei mit den Erhaltungszielen des
Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" unvereinbar und deshalb nicht zu
genehmigen.
34
Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen der Beklagten unter Beibehaltung ihres
erstinstanzlichen Vortrags an.
35
Der Senat hat in einem Ortstermin am 9. August 2007 den geplanten Standort der
streitigen Windkraftanlage sowie dessen Umgebung in Augenschein genommen und in
der mündlichen Verhandlung Beweis durch Vernehmung von Sachverständigen
erhoben. Wegen der Ergebnisse wird auf das Protokoll des Ortstermins und das
Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
36
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakte des Verfahrens 8 A
2697/06 Bezug genommen.
37
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
38
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
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I. Die Klage ist zulässig.
40
Das im Berufungsverfahren weiter verfolgte immissionsschutzrechtliche
Verpflichtungsbegehren genügt den Anforderungen an eine Klageänderung nach § 91
Abs.1 VwGO. Der (erneute) Wechsel auf der Beklagtenseite von der Bau- zur
Immissionsschutzbehörde ist gemäß § 67 Abs. 9 Satz 4 BImSchG in der ab dem 1. Juli
2005 geltenden Gesetzesfassung als sachdienlich anzusehen. Dem lassen sich die in
erster Instanz zwischenzeitlich erklärten weiteren Klageänderungen nicht
entgegenhalten. Selbst wenn man unterstellt, dass diese Klageänderungen nicht
sachdienlich gewesen sind, schließen sie die Rückkehr zu dem sachgerechten
Klageantrag unter dem vom Gedanken der Prozessökonomie bestimmten Gesichtspunkt
der Sachdienlichkeit nicht aus. Der Prozessstoff ist dadurch im Kern nicht
ausgewechselt worden.
41
Die wiederholten Klageänderungen haben auch nicht dazu geführt, dass eine
ablehnende behördliche Entscheidung in Bestandskraft erwachsen ist. Der einzige
insoweit in Betracht zu ziehende Verwaltungsakt, nämlich der Versagungsbescheid des
ehemals beklagten Landrats des Kreises T. vom 9. Dezember 2003, ist von diesem
aufgehoben worden.
42
Einer Sachentscheidung des Senats steht schließlich nicht entgegen, dass der Kläger
keinen eigenständigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrag an die
Beklagte gerichtet hat. Das würde das Rechtschutzbedürfnis des Klägers nur
ausschließen, wenn die Beklagte deshalb bislang nicht hinreichend Gelegenheit gehabt
hätte, über das Genehmigungsbegehren des Klägers zu entscheiden. So liegt es
indessen nicht. Die Beklagte ist vom Landrat des Kreises T. unter Vorlage der
Antragsunterlagen mit dem streitigen Begehren befasst worden. Dies entspricht der
Intention des § 67 Abs. 9 Satz 4 BImSchG, nach der die Immissionsschutzbehörde in
das einheitliche, bisher von der Baubehörde geführte Verfahren eintritt und in dem
baurechtlichen Verfahren vorgenommene Verfahrensschritte Bestandteile des nunmehr
nach dem Immissionsschutzrecht fortzuführenden Verfahrens bleiben.
43
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2006 - 8 A 2672/03 -, ZfBR 2006, 474.
44
II. Die Klage ist unbegründet.
45
Der Kläger kann die mit seinem Hauptantrag erstrebte Verpflichtung der Beklagten zur
Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die streitige
Windkraftanlage nicht beanspruchen. Die hilfsweise gestellten Beweisanträge sind
abzulehnen, da es der begehrten Einholung weiterer Sachverständigengutachten nicht
bedarf.
46
Rechtsgrundlage für die begehrte immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist § 6 Abs.
1 i.V.m. § 5 BImSchG. Nach diesen Vorschriften ist die - hier nach § 4 BImSchG i.V.m.
Nr. 1.6 des Anhangs zur Vierten BImSchV in der seit dem 1. Juli 2005 geltenden
Fassung (BGBl. I, S. 1687) - erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu
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erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten
erfüllt werden und andere öffentlich- rechtliche Vorschriften und Belange des
Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Die
sich hiernach ergebenden Genehmigungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Senat
lässt offen, ob die Genehmigung der streitigen Windkraftanlage aus den das
erstinstanzliche Urteil tragenden Gründen des Landschaftsschutzes zu versagen ist.
Ebenso kann dahinstehen, ob das Vorhaben an der mit einer seinem Standort
entgegenstehenden Flächennutzungsplanung verbundenen Ausschlusswirkung nach §
35 Abs. 3 Satz 3 BauGB scheitern muss. Ihm steht nämlich jedenfalls der Schutz des
Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" gemäß den durch § 48 c und § 48 d
des Landschaftsgesetzes NRW (LG NRW) umgesetzten Bestimmungen der Richtlinie
92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume
sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. EG L 206, S. 7) - FFH-RL -, zuletzt
geändert durch VO EG 1882/2003 vom 29. September 2003 (ABl. EG L 284, S. 1),
entgegen, weil nicht auszuschließen ist, dass es zu einer erheblichen Beeinträchtigung
des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" in den für dessen Schutzzweck
maßgeblichen Bestandteilen führen würde.
Der Standort der geplanten Anlage liegt in dem auf Grundlage von Art. 4 Abs. 1 der
Richtlinie 79/409/EWG vom 2. April 1979 (ABl. EG L 103, S. 1) - Europäische
Vogelschutzrichtlinie (VS-RL) -, zuletzt geändert durch VO EG 807/2003 vom 14. April
2003 (ABl. EG L 122, S. 36), ausgewiesenen Europäischen Vogelschutzgebiet
"Hellwegbörde". Gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 3 LG NRW gelten in Umsetzung der
Vogelschutz-Richtlinie, auch in Verbindung mit der FFH-Richtlinie, in den Europäischen
Vogelschutzgebieten Abs. 4 und § 48 d und e LG NRW. Die sich aus diesen
Bestimmungen ergebenden Beschränkungen für Vorhaben, die wie Windkraftanlagen
baurechtlicher bzw. - wie vorliegend - immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen
bedürfen (§ 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 LG NRW), beruhen auf der Umsetzung von Art. 6
FFH-RL. Das davon abweichende Regime des Art. 4 Abs. 4 VS-RL ist mit dem
Wirksamwerden der Ausweisung des Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" durch die
Bekanntmachung gemäß § 48 c Abs. 5 Satz 1 LG NRW hinter das Schutzregime des
Art. 6 FFH-RL zurückgetreten.
48
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, NuR 2007, 336 = ZUR 2007,
307 = UPR 2007, 239, vom 16. März 2006 - 4 A 1075.04 -, BVerwGE 125, 116 (310),
und vom 1. April 2004 - 4 C 2.03 -, BVerwGE 120, 276 = NuR 2004, 524.
49
§ 48 c Abs. 5 und § 48 d LG NRW genügen den sich aus Art. 6 FFH-RL ergebenden
gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Sie entsprechen inhaltlich der Regelung des § 34
des Bundesnaturschutzgesetzes vom 25. März 2002 - BGBl. I S. 1193 - (BNatSchG), die
nach § 11 Satz 1 BNatSchG rahmenrechtlicher Natur ist, und setzen den in Art. 6 Abs. 3
und 4 FFH-RL angeordneten Gebietsschutz, der als speziellere Norm dem allgemeinen
Störungs- und Verschlechterungsverbot nach § 6 Abs. 2 FFH-RL vorgeht,
50
vgl. auch EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Rn. 35), NuR 2004, 788,
51
wirksam in nationales Recht um. Etwaige Umsetzungsdefizite, die sich auf die
Beurteilung des vorliegenden Falles auswirken könnten, sind durch eine
gemeinschaftskonforme Auslegung des Landesrechts vermeidbar.
52
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 13.
53
Juli 2006 - 20 D 80/05.AK -, NuR 2007, 48.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind Vorhaben, die ein Europäisches
Vogelschutzgebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder
Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, gemäß § 48 d Abs. 1 bis 3 LG NRW durch
die für die Genehmigung zuständige Behörde einer Prüfung ihrer Verträglichkeit mit den
Erhaltungszielen des geschützten Gebiets zu unterziehen (FFH-
Verträglichkeitsprüfung). Die dazu erforderlichen Angaben sind von dem
Vorhabenträger zu machen (§ 48 d Abs. 3 Satz 1 LG NRW). Die Genehmigungsbehörde
trifft ihre Entscheidung im Benehmen mit der Landschaftsbehörde (§ 48 d Abs. 2 Satz 1
LG NRW). Die Bewertung der Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung durch
die Genehmigungsbehörde unterliegt, soweit es um die Beurteilung geht, ob durch das
Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung in den für den Schutzzweck der
Gebietsfestsetzung maßgeblichen Belangen eintreten würde, der vollen gerichtlichen
Nachprüfung.
54
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O (Juris Rn. 38); zum
naturschutzfachlichen Beurteilungsspielraum vgl. im Übrigen BVerwG, Urteile vom 21.
Juni 2006 - 9 A 28.05 -, BVerwGE 126, 166 = NuR 2006, 779, und vom 14. November
2002 - 4 A 15.02 -, BVerwGE 117, 149 = NuR 2003, 360.
55
Materiell-rechtlich unterliegt das Vorhaben den Anforderungen der im Wesentlichen
gleichlautenden Bestimmungen des § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG
NRW sowie den weiteren Verbotstatbeständen des § 48 c Abs. 5 Nr. 2 bis 4 LG NRW.
56
§ 48 c Abs. 5 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW bestimmen, dass Vorhaben, die zu
erheblichen Beeinträchtigungen u.a. eines Europäischen Vogelschutzgebietes in
seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen
führen können, vorbehaltlich der in § 48 d Abs. 5 bezeichneten Ausnahmen unzulässig
sind.
57
Mit dem Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Beeinträchtigungen" knüpft das
nordrhein-westfälische Recht an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL an.
Pläne oder Projekte können im Sinne dieser gemeinschaftsrechtlichen Norm das Gebiet
erheblich beeinträchtigen, "wenn sie drohen, die für dieses Gebiet festgelegten
Erhaltungsziele zu gefährden."
58
Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Rn. 49), a.a.O.
59
Daraus folgt, dass Pläne oder Projekte nur dann zuzulassen sind, wenn die Gewissheit
besteht, dass diese sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches
auswirken. Grundsätzlich ist somit jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen
erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebiets als solches gewertet werden.
Unerheblich dürften im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur Beeinträchtigungen sein,
die kein Erhaltungsziel nachteilig berühren.
60
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O (Juris Rn. 41).
61
Ob ein Vorhaben nach dem so konkretisierten Prüfungsmaßstab des § 48 c Satz 5 Nr. 1
bzw. § 48 d Abs. 4 LG NRW zu "erheblichen Beeinträchtigungen" führen kann, ist
danach vorrangig eine naturschutzfachliche Fragestellung, die anhand der Umstände
62
des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden muss. Mit Blick auf die Erhaltungsziele
des FFH-Gebiets stellt insofern der günstige Erhaltungszustand der geschützten
Lebensräume und Arten ein geeignetes Bewertungskriterium dar. Es ist also zu fragen,
ob sicher ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand trotz Durchführung des Vorhabens
stabil bleiben wird. Beim günstigen Erhaltungszustand einer vom Erhaltungsziel des
FFH-Gebiets umfassten Tier- oder Pflanzenart geht es um ihr Verbreitungsgebiet und
ihre Populationsgröße; in beiden Bereichen soll langfristig gesehen eine
Qualitätseinbuße vermieden werden. Die damit beschriebene Reaktions- und
Belastungsschwelle kann unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des
Einzelfalls gewisse Einwirkungen zulassen. Diese berühren das Erhaltungsziel nicht
nachteilig, wenn es etwa um den Schutz von Tierarten geht, die sich nachweisbar von
den in Rede stehenden Beeinträchtigungen nicht stören lassen. Bei einer
entsprechenden Standortdynamik der betroffenen Tierart führt nicht jeder Verlust eines
lokalen Vorkommens oder Reviers zwangsläufig zu einer Verschlechterung des
Erhaltungszustands. Selbst eine Rückentwicklung der Population mag nicht als
Überschreitung der Reaktions- und Belastungsschwelle zu werten sein, so lange sicher
davon ausgegangen werden kann, dass dies eine kurzzeitige Episode bleiben wird.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 45).
63
Der günstige Erhaltungszustand eines im FFH-Gebiet geschützten Lebensraums wird in
Art. 1 Abs. 2 Buchst. e 1. Anstrich FFH-RL dahingehend definiert, dass "sein natürliches
Verbreitungsgebiet" sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig
sind oder sich ausdehnen. Davon ausgehend sind Vorhaben, die einen direkten
Flächenverlust für ein in den Schutzzweck der Gebietsausweisung einbezogenes
Biotop bewirken, in besonderer Weise dazu geeignet, das Erhaltungsziel des Gebiets
zu gefährden.
64
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 50); Halama,
NVwZ 2001, 506, 510; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504.
65
Ob in Fällen eines direkten Flächenverlustes eine Bagatellschwelle, die den
Flächenverbrauch zu rechtfertigen vermag, anzuerkennen ist, ist in der Rechtsprechung
bislang nicht geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage in seiner
Entscheidung vom 17. Januar 2007
66
- 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 51) -
67
ausdrücklich offen gelassen. In diesem Zusammenhang hat das
Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass bei der Kartierung von
Biotopvorkommen aus naturschutzfachlichen Gesichtspunkten angesetzte
"Mindestflächengrößen" für die Rechtfertigung einer nachträglichen Verkleinerung oder
sonstigen Beeinträchtigung eines Schutzgebiets naturschutzfachlich und rechtlich nicht
geeignet sind.
68
Allerdings ist nicht jeder Flächenverlust, den ein FFH-Gebiet infolge eines Vorhabens
erleidet, notwendig mit einer Abnahme des Verbreitungsgebiets gleichzusetzen, weil
der Gebietsschutz insoweit ein dynamisches Konzept verfolgen dürfte. Denn weiteres
Ziel des Erhaltungszustands ist nach der FFH-Richtlinie, dass das "natürliche
Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich
abnehmen wird" (2. Anstrich in Absatz 2 von Art. 1 Buchst. i FFH-RL). So ist es denkbar,
69
dass die betroffene Art mit einer Standortdynamik ausgestattet ist, die es ihr unter den
gegebenen Umständen gestattet, Flächenverluste selbst auszugleichen. Wenn auch der
Erhaltung vorhandener Lebensräume regelmäßig Vorrang vor ihrer Verlagerung
zukommt, kann in diesem Fall im Wege der Kompensation durch die Schaffung
geeigneter Ausweichhabitate der günstige Erhaltungszustand der betroffenen Art
gewährleistet werden.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 45), und vom
17. Mai 2002 - 4 A 28.01 -, BVerwGE 116, 254 = NuR 2002, 739; vgl. auch EuGH, Urteil
vom 14. September 2006 - C-244/05 - (Rn. 46), NVwZ 2007, 61.
70
Indem § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW auf die "für die
Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile" abstellen,
schränken sie den durch sie gewährten Schutz auf die Arten nach Anhang II der FFH-
RL, aufgrund derer das Gebiet ausgewählt wurde, sowie die in den geschützten
Lebensraumtypen vorkommenden charakteristische Arten ein. Die Bestimmung des
Begriffs der Erhaltungsziele ist § 3 b LG NRW i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG zu
entnehmen. Danach gelten als Erhaltungsziele die Festlegungen zur Erhaltung oder
Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der in einem FFH-Gebiet
vorkommenden Lebensräume und Arten nach den Anhängen I und II der FFH-RL bzw.
in Vogelschutzgebieten der Vogelarten, die in Anhang I der VS-RL aufgeführt oder in
Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie genannt sind. Nach § 48 c Abs. 2 LG NRW bestimmt die
Schutzausweisung den Schutzzweck entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen
und die erforderlichen Gebietsabgrenzungen. Fehlt es an einem festgelegten
Schutzzweck, sind die Erhaltungsziele bis auf weiteres der Gebietsmeldung zu
entnehmen.
71
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 73, 75).
72
Der im Rahmen der Vorschriften des § 48 c Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und § 48 b Abs. 4 LG
NRW erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung des geschützten
Gebiets ist dann erreicht, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen
werden kann, dass ein Vorhaben das fragliche Gebiet in dieser Weise beeinträchtigt.
Diese Auslegung ergibt sich aus dem Vorsorgegrundsatz, der in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL
eingeschlossen ist. Die Vorschrift konkretisiert zusammen mit ihrem Abs. 2 das
Vorsorgeprinzip des Art. 124 Abs. 2 Satz 2 EG für den Gebietsschutz im Rahmen von
"Natura 2000". Nach Art. 124 Abs. 2 EG zielt die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf ein
hohes Schutzniveau ab und beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung,
auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu
bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.
73
BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 58); OVG NRW,
Urteil vom 13. Juli 2006 - 20 D 80/05.AK -, NuR 2007, 48; EuGH, Urteile vom 10. Januar
2006 - C-98/03 - (Rn. 40 ff.), NuR 2006, 166, und vom 7. September 2004 - C-127/02 -
(Rn. 44), a.a.O.
74
Das gemeinschaftsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt nicht, die FFH-
Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen
unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte.
Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel,
dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das
75
Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine
Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher
Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 60); EuGH,
Urteile vom 20. Oktober 2005 - C-6/04 -, NuR 2006, 494, und vom 7. September 2004 -
C-127/02 -, a.a.O.
76
Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Vorsorgegrundsatz ergibt sich, dass bestehende
wissenschaftliche Unsicherheiten nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden
müssen. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen
erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH- Verträglichkeitsprüfung
Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische
Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Art. 6 Abs. 3 FFH- RL gebietet vielmehr
nur den Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten
wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb
angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für
die Befunde einzuschätzen.
77
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 66).
78
Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der
Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben ohne
Rückgriff auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit
darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches
auswirkt. Die zu fordernde Gewissheit liegt nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher
Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten
werden. In Ansehung des Vorsorgegrundsatzes ist dabei die objektive
Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen im Grundsatz nicht
anders einzustufen als die Gewissheit eines Schadens. Wenn bei einem Vorhaben
aufgrund der Vorprüfung nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger
Auswirkungen entstanden ist, kann dieser Verdacht nur durch eine schlüssige
naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis
geführt wird. Dieser Gegenbeweis misslingt zum Einen, wenn die Risikoanalyse, -
prognose und -bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum
Anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse
derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass
erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Derzeit nicht ausräumbare
wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind allerdings dann
kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn das Schutzkonzept ein wirksames
Risikomanagement entwickelt hat. Außerdem ist es zulässig, mit
Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich
gemacht und begründet werden. Ein Beispiel für eine gängige Methode dieser Art ist
auch der Analogieschluss, bei dem bei Einhaltung eines wissenschaftlichen Standards
bestehende Wissenslücken überbrückt werden. Zur Abschätzung der Auswirkungen des
Vorhabens auf die Erhaltungsziele des Gebiets können häufig sogenannte
Schlüsselindikatoren verwendet werden. Als Form der wissenschaftlichen Schätzung ist
ebenso eine Worst-Case-Betrachtung zulässig, die zweifelsfrei verbleibende negative
Auswirkungen des Vorhabens unterstellt; denn diese ist nichts anderes als eine in der
Wissenschaft anerkannte konservative Risikoabschätzung. Allerdings muss dadurch ein
Ergebnis erzielt werden, das hinsichtlich der untersuchten Fragestellung "auf der
79
sicheren Seite" liegt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, a.a.O. (Juris Rn. 63, 64); EuGH,
Urteile vom 20. Oktober 2005 - C-6/04 - (Rn. 53), NuR 2006, 494, und vom 7. September
2004 - C-127/02 - (Rn. 53 ff.), a.a.O.
80
Ausgehend von diesen Maßstäben ist keine Verträglichkeit des streitigen Vorhabens mit
den Schutzzwecken des Europäischen Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" gegeben.
Die vom Kläger vorgelegte FFH-Verträglichkeitsprüfung und die weiteren
Stellungnahmen des Gutachters Dr. M. setzen den vom Landesamt für Natur, Umwelt
und Verbraucherschutz NRW (LANUV), der Unteren Landschaftsbehörde und der
Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis T. e.V. (ABU) sowie den in der
mündlichen Verhandlung gehörten Sachverständigen Dr. X. und J. vorgebrachten
vogelkundlichen Bedenken nicht in allen Punkten hinreichend gesicherte
wissenschaftliche Erkenntnisse entgegen und vermögen daher dem Senat nicht die
erforderliche Überzeugung vom voraussichtlichen Ausbleiben erheblicher
Beeinträchtigungen des Erhaltungszustands sämtlicher durch die Gebietsausweisung
geschützter Vogelarten zu vermitteln.
81
Der Senat stützt sich dabei jeweils selbständig tragend auf die Bewertung seiner
Erkenntnisse zu Wiesenweihe, Goldregenpfeifer und Rotmilan. Ob daneben die
Erhaltungszustände weiterer Vogelarten durch das Vorhaben beeinträchtigt werden,
lässt der Senat offen, so dass es der hilfsweise beantragten Einholung weiterer
Sachverständigengutachten insoweit nicht bedarf.
82
Sowohl im Hinblick auf die durch die Anlage verursachten Beeinträchtigungen des
geschützten Lebensraums von Wiesenweihe (dazu 1.) und Goldregenpfeifer (dazu 2.)
als auch hinsichtlich der Gefahr des Verlustes einzelner Individuen des Rotmilans durch
Vogelschlag (dazu 3.) fehlt es an gesicherten, das heißt von ausreichenden empirischen
Daten getragenen und fachkundlich im Wesentlichen übereinstimmend bewerteten
Erkenntnissen, die eine "auf der sicheren Seite" liegende Abschätzung der Folgen des
streitigen Vorhabens erlauben würden.
83
1. Die Sachverständigen Dr. X. und J. haben in der mündlichen Verhandlung
entsprechend den von LANUV und ABU gefertigten schriftlichen Stellungnahmen im
Wesentlichen übereinstimmend die ernsthafte Besorgnis dargelegt, dass von dem
Vorhaben ein die Flugbewegungen der Wiesenweihe in dem Raum zwischen den
Ortschaften C: und X: erheblich störender Barriereeffekt ausgehend könnte, der in
seinen Auswirkungen über den Verlust einer einzelnen Fläche in der näheren
Umgebung der geplanten Anlage als Nahrungs- und Bruthabitat hinausreichen und
durch die teilweise Verriegelung einer Kernzone des Schutzgebiets dessen besondere
Habitatfunktion als weiträumige und offene Ackerfläche wesentlich beeinträchtigen
würde. Diese fachliche Beurteilung lässt Mängel in methodischer Hinsicht oder den
Einfluss fachfremder Kriterien nicht erkennen.
84
Der von den Sachverständigen Dr. X. und J. zu der Frage der Beeinträchtigung des
Lebensraums der Wiesenweihe vertretene Standpunkt ist im Hinblick auf die dem Senat
von diesen Sachverständigen und dem Gutachter Dr. M. übereinstimmend vermittelten
Informationen zu Lebensbedingungen und Verhalten der Wiesenweihe in sich
folgerichtig und nachvollziehbar. Danach ist die Hellwegbörde ein Kernlebensraum
dieser vom Aussterben bedrohten Art, in dem regelmäßig ca. 40 Brutpaare anzutreffen
85
sind. Der Vorhabenbereich wird von der Wiesenweihe regelmäßig zur Jagd, bislang
aber allenfalls sporadisch als Brutplatz genutzt. In den Jahren 1993 bis 2007 wurde dort
nach Aufzeichnungen eines Mitarbeiters von ABU lediglich eine Brut festgestellt. Der
Umstand, dass der Eigentümer des betroffenen Grundstücks seinerzeit über diese Brut
nicht informiert worden ist, stellt nicht durchgreifend infrage, dass es diese - vom Kläger
in Zweifel gezogene - Brut gegeben hat. Darauf kommt es aber letztlich nicht an, weil
der Vorhabenbereich jedenfalls als Nahrungshabitat für die Wiesenweihe bedeutsam
ist. In der Zeit von 1999 bis 2007 wurden nördlich des Vorhabenbereichs sechs
Brutplätze gezählt. Bei der Jagd entfernt sich die Wiesenweihe bis zu zehn Kilometern
von ihrem Brut- oder Schlafplatz. Geschlossene Ortschaften überfliegt sie dabei nicht.
Auf ihrem Weg von den bevorzugten Brutgebieten nördlich des Vorhabenbereichs zu
ihren Hauptjagdgebieten der höheren Lagen des Haarstrangs südlich der A 44 bzw. B 1
passieren regelmäßig Wiesenweihen den ca. 1,5 km breiten Korridor zwischen C. und
X. . Bei den beobachteten Passagen handelt es sich teilweise um Pendelflüge der
Wiesenweihe zur Versorgung ihrer Jungtiere, die von jagenden Einzelindividuen
mehrfach täglich unternommen werden.
Vgl. M. , FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 12, 26, 43 und 50 sowie Karte Bl. 2; ABU,
Stellungnahme vom 26. August 2005, S. 3, 5.
86
Wie sich aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kartenmaterial und den
fachkundigen Erläuterungen dazu ergibt, variieren die Brutstandorte der Wiesenweihe
im Schutzgebiet "Hellwegbörde" in Abhängigkeit vom Nahrungsangebot in der Art eines
Pulsierens: Während sich die Wiesenweihen in mäusereichen Jahren mit gutem
Nahrungsangebot zu Brutkolonien zusammenfinden, verteilen sich die Brutplätze in
Jahren mit schlechtem Nahrungsangebot in der Feldflur.
87
Über das Konfliktpotential von Windkraftanlagen fehlen in Bezug auf die Wiesenweihe
aussagekräftige Untersuchungen. Speziell über das Meideverhalten im Flug fehlt es an
belastbaren wissenschaftlichen Daten. Für ein eher ausgeprägtes Meideverhalten
spricht generell, dass die Wiesenweihe eine sogenannte Offenlandart ist.
88
Vgl. M. , Januar 2005, S. 22.
89
Hinsichtlich der Barrierewirkungen von Windkraftanlagen auf den Vogelzug gibt es
bislang kaum systematische Untersuchungen, so dass sich über das Maß der durch
Barriereeffekte verursachten Schädigungen von Habitaten keine wissenschaftlich
gesicherten Aussagen treffen lassen.
90
Vgl. M. , FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 35.
91
Die angeführten Erkenntnisse widersprechen nicht der von den Sachverständigen Dr. X.
und J. dargelegten Auffassung, nach der sich ein relevantes Meideverhalten der
Wiesenweihe durch das Vorhaben auf der Grundlage des bisherigen
Forschungsstandes nicht ausschließen lasse.
92
Der von LANUV und ABU schriftlich dargelegte und von den Sachverständigen Dr. X.
und J. in der mündlichen Verhandlung vertiefte Standpunkt gewinnt zudem an
Plausibilität, wenn man die beschriebenen Summationswirkungen des geplanten
Vorhabens mit den Wirkfaktoren der bereits vorhandenen Hochspannungsleitung und
des nahe gelegenen Windparks C. in Betracht zieht. Die Abschätzung von
93
Summationseffekten ist - wie in der mündlichen Verhandlung von allen
Sachverständigen übereinstimmend ausgeführt worden ist - wegen der Vielgestalt
denkbarer Kombinationen fachlich generell schwierig. Auch vor diesem Hintergrund
fehlen bislang belastbare wissenschaftliche Untersuchungen, die eine gesicherte
Prognose erlauben würden. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die FFH-
Verträglichkeitsprüfung Hochspannungsleitungen, wie sie sich im Vorhabenbereich
finden, generell eine starke Barrierewirkung zuschreibt (S. 36). Nicht von der Hand zu
weisen ist auch der von dem Sachverständigen Dr. X. in der mündlichen Verhandlung
angeführte Gesichtspunkt der vertikalen Staffelung der in Rede stehenden Hindernisse,
nämlich der zwischen den Masten durchhängenden Stromleitungen und den darüber
befindlichen Rotoren. Hinzu kommen die den Flugraum zwischen C. und X. nach Osten
hin abriegelnden Anlagen des Windparks C. .
Der Kläger hat durch den von ihm beauftragten Gutachter Dr. M. die durch die
Sachverständigen Dr. X. und J. aufgeworfenen Zweifel an der Verträglichkeit des
Vorhabens mit dem Schutz der Wiesenweihe nicht ausräumen können. Den fachlichen
Ausführungen dieses Gutachters ist zwar nach Auffassung des Senats nicht weniger
Gewicht beizumessen als denen von LANUV oder ABU. Seine prognostische
Einschätzung in dem hier entscheidenden Punkt, von dem Vorhaben gehe kein
nennenswerter Barriereeffekt auf die Flugbewegungen der Wiesenweihe aus, ist aber
nicht in einer Weise wissenschaftlich abgesichert, die vernünftige Zweifel an der von
den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung dargelegten Besorgnis
ausräumen könnte. Die eigenen Beobachtungen von Herrn Dr. M. , der Wiesenweihen
in Windparks gesehen hat und feststellen konnte, dass in einem Windpark bei Werl
Brutstandorte von der Wiesenweihe nicht aufgegeben worden sind, lassen sich auch
nach seiner eigenen Einschätzung nicht als belastbare wissenschaftliche
Untersuchungen zum Thema werten. Was die Situation in dem Windpark bei X. angeht,
ist zu berücksichtigen, dass die dortigen Anlagen in ihrer Größe mit dem vorliegend zu
beurteilenden Vorhaben nicht verglichen werden können.
94
Die im Hinblick auf einen möglichen Barriereeffekt des Vorhabens bestehenden
Wissenslücken verlieren ihre Bedeutung auch nicht durch das von Dr. M. erwähnte
Wiesenweihe-Schutzprogramm. Im Rahmen dieses Programms können zwar, wie der
Gutachter nachvollziehbar dargelegt hat, durch Flächenstilllegungen oder die Förderung
des Anbaus bestimmter Feldfrüchte im Wege des Vertragsnaturschutzes Verluste
einzelner potentieller Brut- und Nahrungshabitate kompensiert werden. Ein
Risikomanagement im Sinne der oben dargelegten rechtlichen Maßstäbe, das die
darüber hinaus zu besorgende Beeinträchtigung des Raums zwischen C. und X. in
seiner Funktion als Teil der weiträumigen und offenen Ackerflur und zentral gelegenes
Bindeglied zwischen weiteren wichtigen Habitaten der Wiesenweihe mindern könnte,
ergibt sich aus dem Wiesenweihe- Schutzprogramm indessen nicht. Darauf hat der
Sachverständige Dr. X. in der mündlichen Verhandlung zutreffend hingewiesen.
95
Aus den vorstehenden Erwägungen ist zusammenfassend abzuleiten, dass die reale
Gefahr einer teilweisen Verriegelung des Zug- und Lebensraums der Wiesenweihe
zwischen C. und X. und der dadurch bedingten wesentlichen Einbuße der ökologischen
Funktion dieses Areals besteht. Erst recht gilt dies, wenn man das im Parallelverfahren -
8 A 2697/06 - streitige Vorhaben der Errichtung einer 180 m hohen Windkraftanlage im
selben Vorhabenbereich als zusammenwirkenden Risikofaktor berücksichtigt, wie Art. 6
Abs. 3 Satz 1 FFH-RL und diese Bestimmung umsetzend § 48 d Abs. 4 LG NRW
vorgeben; dieses Vorhaben ist als nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz
96
genehmigungsbedürftige Anlage ein "Projekt" im Sinne dieser Normen (§§ 4 Abs. 2
Satz 3 i.V.m. 19 a Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG).
Vgl. zu den Anforderungen an Pläne und Projekte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1
FFH-RL: EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 -, a.a.O., Rn. 22 ff.
97
Lassen sich danach die beschriebenen Auswirkungen auf die Wiesenweihe nicht mit
der erforderlichen Gewissheit ausschließen, liegt eine im Sinne von § 48 c Abs. 5 Satz 4
Nr. 1 und § 48 d Abs. 4 LG NRW erhebliche Beeinträchtigung vor, da - wie oben bereits
ausgeführt - jede nachteilige Auswirkung auf den Erhaltungszustand als im Sinne dieser
Norm erheblich zu qualifizieren ist. Dass der Erhaltungszustand der Wiesenweihe, also
die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der
Population dieser Art in dem Schutzgebiet auswirken können (Art. 1 i Satz 1 FFH-RL),
unabhängig von der von dem Sachverständigen J. angesprochenen Frage einer
aktuellen Bestandsverminderung im Schutzgebiet durch die Gefahr der in Rede
stehenden Auswirkungen betroffen ist, wird u.a. dadurch belegt, dass die Zielpopulation
von 50 bis 60 Brutpaaren, die in der Beweisaufnahme genannt worden ist, bei weitem
noch nicht erreicht worden ist. Wegen des oben beschriebenen dynamischen
Verhaltens der Wiesenweihe- Population ist eine ungünstige Entwicklung von Erhalt
und Verbreitung dieser Art schon infolge der beschriebenen Funktionseinbuße des
Vorhabenbereichs zu besorgen. Die Frage, ob darüber hinaus hinreichende
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass allein der Verlust eines potentiellen Brutareals im
Vorhabenbereich den Erhaltungszustand beeinträchtigen würde, kann danach offen
bleiben. Die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung, der Vorhabensstandort liege
nicht innerhalb eines traditionellen Brutgebiets der Wiesenweihe (Ziff. 1 des
Beweisantrags), kann somit als wahr unterstellt werden, ohne dass sich die rechtliche
Bewertung des Sachverhalts ändern würde.
98
Ausgehend von dieser nicht sicher auszuschließenden Einwirkung auf das
Schutzgebiet stützt der Senat seine rechtliche Bewertung auch nicht auf die vom
Sachverständigen J. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Beobachtung eines
Rückgangs der Wiesenweihe-Population im Jahr 2007. Der zu besorgende
Funktionsverlust des Schutzgebiets durch die mögliche Verriegelung des
Vorhabenbereichs bringt - wie dargelegt - die unwiderlegte Gefahr einer von
kurzfristigen Bestandsschwankungen unabhängigen, dauerhaften Beeinträchtigung des
Erhaltungszustands der Wiesenweihe mit sich.
99
Unabhängig davon kann von der Einholung weiterer Sachverständigengutachten bzw.
eines "Obergutachtens" zur Frage der Beeinträchtigung des Erhaltungszustands der
Wiesenweihe auch deshalb abgesehen werden, weil die im Verfahren bereits
gewonnenen Ermittlungsergebnisse eine hinreichende Grundlage für die rechtliche
Beurteilung des Falles bilden. Die Entscheidung darüber, ob ein - weiteres - Gutachten
eingeholt werden soll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1
VwGO) im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Reicht ein bereits eingereichtes
Gutachten aus, um das Gericht in die Lage zu versetzen, die entscheidungserheblichen
Fragen sachkundig beurteilen zu können, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens
oder "Obergutachtens" weder notwendig noch veranlasst.
100
Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Februar 1999 - 9 B 381.98 -, DVBl. 1999, 1206, und vom
6. Februar 1985 - 8 C 15.84 -, BVerwGE 71, 38.
101
Für die vom Senat nach den oben dargelegten rechtlichen Maßstäben zu beurteilende
Frage, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzzwecks des Europäischen
Vogelschutzgebiets "Hellwegbörde" mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen
sind, bedarf es keiner Sachverhaltsfeststellungen, mit denen
Meinungsverschiedenheiten zwischen den bisherigen Gutachten überwunden und die
wissenschaftlichen Streitfragen einer letztendlichen Klärung zugeführt würden. Es reicht
vielmehr aus, dass vernünftige Zweifel an dem günstigen Erhaltungszustand der
Wiesenweihe bestehen. Solche Zweifel sind - wie oben dargelegt - durch die
Sachverständigen Dr. X. und J. sowie die von Seiten der ABU und des LANUV
abgegebenen schriftlichen Stellungnahmen in nachvollziehbarer, methodisch nicht zu
beanstandender und unwiderlegter Weise vorgetragen worden.
102
Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass ein weiterer Sachverständiger wesentliche neue
Erkenntnisse beitragen oder unter Anwendung anderer oder neuerer Methoden zu
anderen Ergebnissen gelangen würde.
103
2. Bezüglich des Goldregenpfeifers vertreten die Sachverständigen Dr. X. und J.
ebenfalls den Standpunkt, dass es durch das Vorhaben - ähnlich wie bei der
Wiesenweihe (vgl. oben) - zu einem relevanten Barriereeffekt kommen wird, der sich
wesentlich auf die Funktionen des Raums zwischen C. und X. als Durchzugs- und
Lebensraum dieser Art auswirken würde. Auch diese fachliche Einschätzung begegnet
keinen Bedenken.
104
Der Goldregenpfeifer kommt im Schutzgebiet nur als Durchzügler vor. Zur Zugzeit ist er
überall in den Feldfluren des Schutzgebiets anzutreffen. Die Hellwegbörde ist aufgrund
der Anzahl der dort beobachteten Goldregenpfeifer als bevorzugtes Rastgebiet dieser
Art zu bewerten, wenngleich die größten Schwärme des Goldregenpfeifers eher im
Süden des Schutzgebiets anzutreffen sind. Der Goldregenpfeifer zieht und rastet in
Schwärmen, in denen sich Goldregenpfeifer und Kiebitze häufig vermischen. Nördlich
und südlich des Vorhabenbereichs befindet sich jeweils ein Rastplatz dieser Art, der
regelmäßig von Schwärmen aus mehreren tausend Einzelexemplaren frequentiert wird.
Die Flugrichtungen vom nahe beim Vorhabenbereich gelegenen nördlichen Rastplatz
führen über den Vorhabenbereich hinweg. Es ist wahrscheinlich, dass es neben dem
regelmäßigen Zug der Schwärme Flugbewegungen einzelner Exemplare im Sinne
eines funktionalen Austauschs zwischen den beiden erwähnten Rastplätzen gibt.
Wissenschaftlich gesichert ist dies jedoch nicht. Bei Störungen fliegt stets der gesamte
Schwarm auf. Es ist übereinstimmende Auffassung der in der mündlichen Verhandlung
befragten Sachverständigen, dass die Empfindlichkeit des Schwarms mit dessen Größe
zunimmt. Dann wechselt der ganze Schwarm zu einem möglichst nahe gelegenen
anderen Rastplatz.
105
Vgl. M. , FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 12, 32, 46 und 47, Karte Bl. 3; ABU,
Stellungnahme vom 26. August 2005, S. 8.
106
Der Goldregenpfeifer weist eine vergleichsweise hohe Empfindlichkeit gegen
Windkraftanlagen auf. Für rastende Schwärme sind Meidungsradien von 200 bis 500 m,
in Einzelfällen sogar von 800 m beobachtet worden. Die Meidungsradien während des
Fluges sind wissenschaftlich nicht geklärt, so dass über das tatsächliche Ausmaß der
Störungen des Vogelzugs dieser Art durch Windkraftanlagen keine fachlich gesicherten
Aussagen getroffen werden können.
107
Vgl. M. , FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 39, 58; M. , Januar 2005, S. 11.
108
Bei dieser Erkenntnislage ist die Schlussfolgerung der Sachverständigen Dr. X. und J.
nachvollziehbar, es sei plausibel, dass durch das Vorhaben ein bevorzugter Flugraum
des Goldregenpfeifers verriegelt würde, was - zumindest nach Auffassung des
Sachverständigen J. - auf Dauer zu einer Aufgabe des Rastplatzes im Norden des
Vorhabenbereichs führen könne. Beide Sachverständigen weisen mit der gebotenen
Vorsicht darauf hin, dass die genauen Auswirkungen auf den Goldregenpfeifer in
quantitativer Hinsicht keinesfalls sicher vorhergesehen werden könnten. Für deren
dargelegte Besorgnis spricht die von dem Sachverständigen J. mitgeteilte Beobachtung,
dass in der Nähe von Windkraftanlagen, die auf dem Haarstrang errichtet worden seien,
Rastplätze der Goldregenpfeifer und Kiebitze komplett verloren gegangen seien. Was
die Plausibilität dieser Einschätzung weiter stützt, ist die bereits hinsichtlich der
Wiesenweihe oben erörterte Summationswirkung, die insbesondere im Hinblick auf die
bestehende Hochspannungsleitung Gewicht erlangen dürfte. Es ist auch nicht von der
Hand zu weisen, dass sich die Drehbewegung des Rotors einer Windkraftanlage in
besonderem Maße auf das Flugverhalten eines Schwarms auswirken kann.
109
Die Gegenauffassung von Dr. M. , der eine erhebliche Beeinträchtigung des
Goldregenpfeifers durch das Vorhaben bezweifelt, vermag die von den
Sachverständigen Dr. X. und J. sowie seitens ABU und LANUV dargelegten
Besorgnisse fachlich nicht zu widerlegen. Sie ist vielmehr - wie Dr. M. selbst einräumt -
mangels ausreichender wissenschaftlicher Grundlagen zum Meideverhalten des
Goldregenpfeifers gegenüber Windkraftanlagen ebenso wenig fachlich abgesichert wie
die Prognose der Sachverständigen Dr. X. und J. .
110
Nach dem Gesagten ist nicht sicher auszuschließen, dass die angestammten
Rastplätze des Goldregenpfeifers im Norden und Süden des Vorhabenbereichs in ihrer
Funktion gestört oder - was insbesondere für den Rastplatz im Norden zu besorgen ist -
sogar ganz aufgegeben würden. Damit ist eine erhebliche Beeinträchtigung des
Erhaltungszustands dieser Art in dem oben dargelegten Sinn zu bejahen. Anhaltspunkte
dafür, dass die Population des Goldregenpfeifers die drohenden Habitatverluste ohne
Einbußen an Bestand und Verbreitungsgebiet durch die Inanspruchnahme anderer
Flächen ausgleichen könnte, sind nicht dargelegt worden. Die dahingehende
Einschätzung von Dr. M. ist nicht durch fachliche Erkenntnisse hinreichend abgesichert.
Gegen sie spricht im Übrigen, dass die beiden Sachverständigen und Dr. M.
übereinstimmend erklärt haben, dass der Goldregenpfeifer bestimmten Rastplätzen treu
bleibt. Um solche traditionellen Rastplätze handelt es sich bei denen nördlich und
südlich des Vorhabenbereichs. Wenn man hinzu nimmt, dass die bisherigen
Beobachtungen kein vollständiges Bild von der Anzahl der Individuen des
Goldregenpfeifers und deren Verteilung im Schutzgebiet ergeben,
111
vgl. M. , FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 47,
112
fehlt es an einer hinreichenden Grundlage für die Annahme, dass die Rastplätze im
Schutzgebiet ohne Weiteres ersetzt werden könnten.
113
Der hilfsweise beantragten Einholung weiterer Sachverständigengutachten bedarf es
hinsichtlich der Frage einer den Goldregenpfeifer beeinträchtigenden Barrierewirkung
nicht, weil die bereits vorliegenden Gutachten und die Ergebnisse der in der mündlichen
Verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme dem Senat die zur rechtlichen
114
Bewertung des Falles erforderliche Sachkunde vermitteln. Auf die obigen Ausführungen
zur Wiesenweihe wird insoweit Bezug genommen.
3. Auch die Gefahr einer Beeinträchtigung des Erhaltungszustands des Rotmilans ist
nicht mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen. Die Besorgnis der Gefährdung
der Population des Rotmilans im Schutzgebiet gründet sich auf folgende, von den
beteiligten Sachverständigen und Dr. M. übereinstimmend dargelegte Erkenntnisse:
Das Vogelschutzgebiet "Hellwegbörde" hat als Rast- und Durchzugsquartier für den
Rotmilan eine besondere Bedeutung. Deutschland trägt mit 60 % des Weltbestandes
dieser Art eine ganz besondere Verantwortung für deren Erhaltung. In NRW, das einen
Anteil von ca. 4 % am deutschen Bestand hat, geht die Zahl der Rotmilane seit einigen
Jahren zurück. In der Hellwegbörde sind regelmäßig jährlich 15 bis 30 Brutpaare
anzutreffen. Das Vorhabengebiet gehört zum regelmäßigen Nahrungshabitat dieser Art.
Im Abstand von drei bis vier Kilometern zum Vorhabenbereich sind Brutplätze des
Rotmilans festgestellt worden. Der Rotmilan benötigt eine Offenlandstruktur mit kleinen
Gehölzen. Die Hellwegbörde erfüllt diese Habitatansprüche, auch wenn es noch
geeignetere Lebensräume im Lippischen Bergland und Hochsauerlandkreis gibt. In der
Zugzeit, das heißt in der zweiten Hälfte August und der ersten Hälfte des September,
wird das Schutzgebiet besonders häufig von Rotmilanen frequentiert. Dort konzentrieren
sich die Durchzügler wegen des im Süden mit dem Haarstrang beginnenden
Mittelgebirgszugs.
115
Vgl. M. , FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 12, 31 und 46.
116
Nach Beobachtungen des Sachverständigen J. sind im Frühjahr 2007 auf einem Drittel
der Fläche der Hellwegbörde 80 Rotmilane gezählt worden, von denen anzunehmen
sei, dass sie nicht alle im Vogelschutzgebiet brüteten.
117
Der Rotmilan wird häufiger als jede andere Vogelart an Windkraftanlagen tot
aufgefunden. Die weitaus meisten Kollisionsopfer sind aus den neuen Bundesländern
bekannt; die Ursache für diese Häufung ist wissenschaftlich bislang nicht erforscht.
118
Vgl. M. , FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 40, 41, 49 und 50.
119
Die daraus abzuleitende Gefährdung des Rotmilans durch Vogelschlag an der
geplanten Windkraftanlage wird dadurch noch verstärkt, dass es sich hier um einen im
oberen Größenbereich der bisher in Deutschland realisierten Windkraftanlagen
liegenden Anlagentyp handelt. Die in das Verfahren eingeführte Studie des
Naturschutzbunds Deutschland (NABU) von Oktober 2006,
120
"Auswirkungen des Repowering von Windkraftanlagen auf Vögel und Fledermäuse",
Gliederungspunkt 4.2.1,
121
gibt Grund zu der Annahme, dass die Kollisionsrate bei Vögeln generell mit der
Gesamthöhe der Anlage zunimmt.
122
Die Besorgnis, dass es durch das streitige Vorhaben zu Verlusten von Rotmilanen
durch Vogelschlag kommen wird, wird von Dr. M. nicht hinreichend ausgeräumt. Es
verbleiben vielmehr trotz seiner plausiblen Erklärungsansätze vernünftige Zweifel
daran, dass Schäden durch Vogelschlag ausbleiben bzw. zu einem theoretischen
Risiko gemindert würden. Dass die Ursache für die Häufung von an Windkraftanlagen
123
tot aufgefundenen Rotmilanen in Brandenburg mit der Agrarstruktur der ehemaligen
DDR zusammenhängt, ist denkbar, aber - wie Dr. M. in der mündlichen Verhandlung
selbst eingeräumt hat - aus dem vorhandenen Datenmaterial nicht zwingend zu folgern.
Die hohe Zahl tot aufgefundener Rotmilane an Windkraftanlagen in Brandenburg kann
ausschließlich oder teilweise auf der dort durchgeführten intensiveren Suche beruhen,
wie der Sachverständige Dr. X. in Übereinstimmung mit den in der Antwort der
Bundesregierung vom 30. März 2005 auf eine Kleine Anfrage
- BT-Drucks. 15/5188 -
124
dargelegten Erkenntnissen ausgeführt hat. Vögel, die Opfer von Kollisionen mit
Windkraftanlagen geworden sind, bleiben nach der übereinstimmenden Auffassung der
Sachverständigen und Dr. M. nicht lange im Gelände liegen, sondern werden von
Räubern alsbald beseitigt. Das heißt, dass aussagekräftige Daten zum Vogelschlag nur
durch systematische Untersuchungen gewonnen werden können, die nach Angaben
von Dr. X. in NRW bislang nicht durchgeführt worden sind; dem haben der
Sachverständige J. und Dr. M. in der mündlichen Verhandlung nicht widersprochen. Vor
diesem Hintergrund ist der Feststellung in der FFH- Verträglichkeitsprüfung (S. 50), in
NRW sei bislang erst ein toter Rotmilan an einer Windkraftanlage aufgefunden worden,
kein entscheidendes Gewicht für die Bewertung des Vogelschlagrisikos beizumessen.
Der gegenwärtige wissenschaftliche Kenntnisstand erlaubt somit keine gesicherten
Aussagen über den Zusammenhang der topographischen Gegebenheiten und des
spezifischen Unfallrisikos für Rotmilane an Windkraftanlagen. Die Annahme einer
besonderen Gefährdung gerade des Rotmilans drängt sich aber auf.
125
Auch wenn der bisherige Forschungsstand eine genaue populationsökologische
Bewertung der Auswirkungen von Windkraftanlagen durch Vogelschlag auf den
Rotmilan nicht zulässt,
126
so auch die Antwort der Bundesregierung vom 30. März 2005 auf eine Kleine Anfrage,
a.a.O.,
127
gibt es Anhaltspunkte dafür, dass schon der Verlust einzelner Exemplare dieser Art -
insbesondere zur Brutzeit - nicht ohne Auswirkungen auf den lokalen Bestand dieser
seltenen Vogelart bleiben und damit deren Erhaltungszustand beeinträchtigen würde.
128
Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 16. März 2006 - 1 A 10884/05 -, NVwZ-RR 2007, 309 =
NuR 2006, 520; zum Vogelschlagrisiko des Rotmilans an Windkraftanlagen vgl. auch
Bay. VGH, Urteil vom 30. Juni 2005 - 26 B 01.2833 -, Juris, und VG Stuttgart, Urteil vom
3. Mai 2005 - 13 K 5609/03 -, NuR 2005, 673.
129
Probleme für die Bestandsentwicklung des Rotmilans durch Einzelverluste ergeben sich
vor allem deshalb, weil - wie der Sachverständige J. in der mündlichen Verhandlung
erläutert hat - diese Art langlebig ist und zugleich eine niedrige Reproduktionsrate
aufweist.
130
Vgl. auch M. , Januar 2005, S. 10; ABU vom 26. August 2005, S. 10.
131
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 sowie 162 Abs. 3 VwGO. Die
Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entspricht der
Billigkeit, weil die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich daher einem eigenen
132
Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den
§§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
133
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen
nicht vor.
134
135