Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.03.2006
OVG NRW: öffentliches interesse, schuldfähigkeit, disziplinarverfahren, dienstliche tätigkeit, steuerhinterziehung, verfügung, selbstanzeige, wahrscheinlichkeit, strafverfahren, neurologie
Oberverwaltungsgericht NRW, 21d A 2169/04.O
Datum:
15.03.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
Disziplinarsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
21d A 2169/04.O
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 31 K 1081/04.O
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
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I.
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Gegen den am 10. Juli 19 geborenen Beamten wurde mit Verfügung vom 15. Oktober
2001 das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er hinreichend verdächtig sein
soll, seine Dienstpflichten pflichtwidrig und schuldhaft dadurch verletzt zu haben, dass
er in den Jahren 1993 bis 1997 durch die Abgabe unvollständiger
Einkommensteuererklärungen Steuerbeträge
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für 1992 in Höhe von 14.219,00 DM 1993 11.893,00 DM 1994 17.272,00 DM 1995
17.235,00 DM 1996 23.620,00 DM hinterzogen und
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für 1997 in Höhe von 44.664,00 DM versucht hat, zu hinterziehen.
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Damit liegt die Summe der Einkommensteuerhinterziehung,
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einschließlich der versuchten, bei 128.903,00 DM.
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Das von der Staatsanwaltschaft für den selben Zeitraum festgestell- te Volumen der
Vermögensteuerhinterziehung beträgt insgesamt 21.445,00 DM.
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Gleichzeitig wurde der Beamte gemäß § 91 DO NRW mit sofortiger Wirkung seines
Dienstes enthoben und die Einbehaltung der Dienstbezüge gemäß § 92 Abs. 1 DO
NRW in Höhe von 50 v.H. angeordnet. Zur Begründung der Einbehaltungsanordnung
führte die Einleitungsbehörde aus: Die gebotene summarische Überprüfung der dem
Beamten vorgeworfenen Pflichtverletzungen führe zu dem Ergebnis, dass trotz der dem
beschuldigten Beamten zuzuerkennenden eingeschränkten Schuldfähigkeit
voraussichtlich auf die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme erkannt werde.
Dieser Umstand, verbunden mit seiner Suspendierung vom Dienst, begründe ein
öffentliches Interesse daran, bereits mit Erlass der Einleitungsverfügung einen Teil der
Dienstbezüge einzubehalten. Es sei dem Dienstherrn billigerweise nicht zuzumuten, die
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vollen Dienstbezüge zu zahlen, wenn der beschuldigte Beamte keinen Dienst mehr
verrichte, weil er eines so schwerwiegenden Dienstvergehens verdächtig sei, dass
seine weitere Dienstverrichtung untunlich sei und er voraussichtlich endgültig aus dem
Dienst entfernt werde. Deshalb müsse sich der Beamte eine Einschränkung seiner
Lebensführung gefallen lassen. Zudem entstünden ihm durch die Suspendierung vom
Dienst auch weniger Aufwendungen. Unter diesen Umständen gehe das öffentliche
Interesse an einer Beschränkung der Alimentation seinem persönlichen Interesse an der
Auszahlung ungekürzter Dienstbezüge vor.
Das wegen dieser Steuerhinterziehungen betriebene sachgleiche Strafverfahren wurde
durch Beschluss des Amtsgerichts L. vom 15. Januar 2004 gegen Zahlung eine
Geldbuße in Höhe von 30.000,00 DM gemäß § 153a StPO endgültig eingestellt.
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Gegen die Einbehaltung der Dienstbezüge hat der Beamte erst am 16. Februar 2004
"Beschwerde" erhoben. Die Disziplinarkammer hat mit Beschluss vom 23. April 2004,
dem Betreuer des Beamten zugestellt am 8. Mai 2004, die Einbehaltungsanordnung
aufrechterhalten.
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Der Beamte hat, vertreten durch seinen Betreuer, dagegen am 27. Mai 2004
Beschwerde eingelegt, der die Disziplinarkammer nicht abgeholfen hat.
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Mit Verfügung vom 10. Februar 2005 hat der Untersuchungsführer die Untersuchung auf
den Verdacht erweitert, dass der Beamte in den Jahren 1985 bis 1991 pflichtwidrig und
schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt habe, indem er durch die Nichtabgabe der
Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1985 bis 1989 bzw. durch
die Abgabe unvollständiger Einkommensteuererklärungen für die
Veranlagungszeiträume 1990 und 1991 Einkommensteuer
13
für 1985 in Höhe von 6.795,00 DM 1986 8.295,00 DM 1987 8.920,00 DM 1988 7.031,00
DM 1989 9.378,00 DM 1990 7.058,00 DM 1991 8.850,00 DM,
14
und damit von insgesamt 56.327,00 DM,
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sowie durch die Nichtabgabe von Vermögensteuererklärungen für die
Veranlagungszeiträume 1986 bis 1991 Vermögensteuer
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für 1986 in Höhe von 1.000,00 DM 1987 1.275,00 DM 1988 1.275,00 DM
1989 1.260,00 DM 1990 1.260,00 DM 1991 1.775,00 DM,
17
und damit von insgesamt 7.845,00 DM
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hinterzogen habe.
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II.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Verfügung der Oberfinanzdirektion E.
über die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge des Beamten ist rechtmäßig.
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Nach § 92 Abs. 1 DO NRW kann die Einleitungsbehörde bei einem Beamten
gleichzeitig mit der vorläufigen Dienstenthebung oder später anordnen, dass ein Teil,
höchstens 50 v.H. der Dienstbezüge einbehalten wird, wenn im Disziplinarverfahren
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voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird.
Das förmliche Disziplinarverfahren wurde durch Verfügung der Oberfinanzdirektion E.
vom 15. Oktober 2001 wirksam eingeleitet. Mit dieser Verfügung wurde der Beamte
zudem vorläufig des Dienstes enthoben. Die Verfügung wurde dem Betreuer des
Beamten wirksam gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Gleiches gilt für die auf Antrag
der Einleitungsbehörde erfolgte Erweiterung des Untersuchungsverfahrens mit
Schreiben vom 10. Februar 2005.
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Der Durchführung des Disziplinarverfahrens steht kein Verfahrenshindernis entgegen.
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Dass die Steuerfahndung I. ihre Ermittlungen bei der Norddeutschen Landesbank
I. rechtswidrig auf das vom Beamten unterhaltene Depot erstreckt habe und die an
das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung E. sowie an die
Oberfinanzdirektion E. weitergegebenen Daten einem Verwertungsverbot unterlägen,
wie der Beamte meint, ist nicht ersichtlich. Das auf ein Spannungsverhältnis der §§ 30a,
208 AO zielende Bedenken des Beamten
25
- vgl. für nicht anonymisierte Zahlungsvorgänge z.B. BFH, Urteil vom 29.
Juni 2005 – II R 3/04
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wird voraussichtlich nicht durchgreifen, und zwar schon deshalb nicht, weil der Beamte
einem Strafverfahren ausgesetzt war, das hätte eingestellt werden müssen, wenn sein
Einwand berechtigt wäre.
27
Vgl. zur Parallelität von Strafverfahren und Besteuerungsverfahren Seer in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, März 2004, § 208 RdNr. 136.
28
Die in dem Ermittlungsverfahren festgestellten steuerlichen Sachverhalte dürfen für
disziplinarische Zwecke weitergegeben werden, weil ein zwingendes öffentliches
Interesse besteht (§§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO, 125 c Abs. 6 BRRG). Ein solches Interesse
liegt nach der ständigen Rechtsprechung der mit Disziplinarsachen befassten Senate
des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen dann vor, wenn die
mitteilende Stelle aufgrund einer Schlüssigkeitsprüfung zu der Überzeugung gelangt,
dass der Sachverhalt geeignet ist, eine im förmlichen Disziplinarverfahren zu
verhängende Maßnahme von Gewicht, insbesondere eine reinigende Maßnahme wie
die Entfernung aus dem Dienst oder eine Degradierung, zu tragen.
29
OVG NRW, Beschluss vom 5. April 2001 - 15d A 878/00.O -, RiA 2002, 43,
44; Urteil vom 21. Mai 2003 –22d A 2672/01.O.
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Daneben kommt es nicht auf ministerielle Erlasse an, durch die - ohne Bindung für
Gerichte - lediglich eine verwaltungsinterne Konkretisierung des unbestimmten
Rechtsbegriffs vorgenommen worden ist.
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Zieht man die ständige obergerichtliche Rechtsprechung heran, stand für das Finanzamt
für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung außer Zweifel, dass im vorliegenden Fall im
Hinblick auf die Höhe der hinterzogenen Abgaben zumindest eine Degradierung zu
verhängen sein wird.
32
OVG NRW, Urteile vom 12. November 2001 - 15d A 5014/99.O - und vom
33
13. November 2002 - 15d A 4131/01.O - (Degradierung in Fällen von
Finanzbeamten, die 25.000,- bzw. 39.000,- DM Steuern hinterzogen und
jeweils eine freiwillige Selbstanzeige erstattet hatten, an der es hier fehlt).
Das dem Beamten vorgeworfene Dienstvergehen rechtfertigt nach Einschätzung des
Senats nach dem bisherigen Erkenntnisstand sogar die Annahme, dass im
Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden
wird.
34
Das Wort "voraussichtlich" beinhaltet, dass im Rahmen der hier zu treffenden
Entscheidung nur eine summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhalts
geboten ist. Das Disziplinargericht muss nicht die Überzeugung gewinnen, dass der
Beamte das Dienstvergehen, das die Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt, mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit begangen hat. Es reicht ein geringerer Grad
der Wahrscheinlichkeit aus. Dieser besteht allerdings nicht schon darin, dass die
Verhängung der schärfsten Disziplinarmaßnahme möglich oder ebenso wahrscheinlich
ist wie die einer milderen Disziplinarmaßnahme. Vielmehr ist erforderlich, dass im
Disziplinarverfahren gegen einen aktiven Beamten mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Die
Dienstentfernung des Beamten muss nach der gebotenen, ihrer Natur nach nur
überschlägig möglichen Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlicher sein als eine
unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. August 2001 6d A 2641/01.O .
36
Der Beamte hat nach den von ihm nicht bezweifelten Feststellungen im behördlichen
Disziplinarverfahren ein Dienstvergehen im Sinne von § 83 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW
begangen, indem er durch unvollständige Angaben hinsichtlich der Kapitalerträge in
den Veranlagungszeiträumen 1985 bis 1997 Einkommensteuer in einer Gesamthöhe
von 185.230, - DM und für die Veranlagungszeiträume 1986 bis 1997 durch
Nichtabgabe von Vermögensteuererklärungen Vermögensteuer in einer Gesamthöhe
von 29.290, - DM hinterzogen hat.
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Dass ein Teil dieser Steuerhinterziehungen bereits vor dem 1. Mai 1990, dem Tag
seiner Versetzung zum Finanzamt L. , im Dienstverhältnis zum Land Niedersachsen
tatbestandlich vollendet wurden, steht ihrer Einbeziehung in das förmliche
Disziplinarverfahren nicht entgegen (vgl. § 2 Abs. 2 DO NRW).
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Weil das außerdienstliche Fehlverhalten des Beamten nach den Umständen des
Einzelfalles in besonderem Maß geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein
Amt oder das Ansehen des Berufsbeamtentums bedeutsamen Weise zu
beeinträchtigen, handelt es sich um ein disziplinarrechtlich bedeutsames
außerdienstliches Dienstvergehen (§§ 57 Satz 3, 83 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW). Hier ist
von Belang, dass der Beamte schon aufgrund seines Beamtenverhältnisses, aber
darüber hinaus auch aufgrund seiner herausgehobenen Funktion innerhalb der
Finanzverwaltung das Vertrauen in seine Amtsführung beeinträchtigt und die Achtung in
einer für sein Amt und das Ansehen des Berufsbeamtentums bedeutsamen Weise
schmälert, wenn er glaubt, alle Rechte aus dem Beamtenverhältnis für sich in Anspruch
nehmen zu können – dies betrifft hier insbesondere die Alimentation und die Beihilfe -,
den geschuldeten Beitrag zum Abgabenaufkommen aber verweigern zu können. Wer es
mit den steuerlichen Verpflichtungen nicht ernst nimmt, erweckt den Eindruck, die
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Rechtsordnung stehe im Interesse des eigenen Vorteils zur Disposition.
Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme für das dem Beamten vorwerfbare
Dienstvergehen wird, da es für die Ahndung eines Dienstvergehens, das die
Hinterziehung von Steuern betrifft, keine alle denkbaren Fallgestaltungen erfassende
Regelmaßnahme gibt,
40
vgl. OVG NRW, Urteile vom 12. November 2001
41
- 15d A 5014/99.O – und vom 10. November 2004
42
– 22d A 1184/03.O ,
43
eine Gesamtwürdigung anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen sein. Es
ist vom Zweck des förmlichen Disziplinarverfahrens ausgehend maßgeblich darauf
abzustellen, inwieweit durch das Dienstvergehen die Funktionsfähigkeit der Verwaltung
und /oder das Ansehen des Berufsbeamtentums, des betroffenen Verwaltungszweiges,
der Dienststelle und des Amtes selbst beeinträchtigt sind. Zwischen Entfernung aus
dem Dienst und erzieherischen Maßnahmen ist daher unter Berücksichtigung der
Gesamtpersönlichkeit des Beamten alternativ danach zu entscheiden, ob der Beamte für
den öffentlichen Dienst noch tragbar ist. Hat ein Beamter im Kernbereich seines
Pflichtenkreises schuldhaft versagt und das Vertrauen seines Dienstherrn endgültig
verloren, ist er für den öffentlichen Dienst objektiv untragbar und sein Verbleiben im
Dienst dem Dienstherrn nicht länger zumutbar. Dies kann entsprechend für eine
außerdienstliche Verfehlung gelten, die nach ihrer Art, insbesondere ihrer Nähe zum
Kernbereich und ihrer Intensität dem Kernbereichsverstoß in nichts nachsteht.
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier voraussichtlich die Höchstmaßnahme
geboten. Bei der erforderlichen abwägenden Gesamtwürdigung gilt es zunächst zu
Lasten des Beamten einzustellen, dass das Dienstvergehen objektiv schwer wiegt. Ein
Beamter, der sich außerhalb des Dienstes der vorsätzlichen Steuerhinterziehung
erheblicher Beträge schuldig gemacht hat, begeht ein schweres Wirtschaftsdelikt.
Disziplinarrechtlich wirkt sich dabei besonders aus, dass er sich durch ein zudem
grundsätzlich strafbares Verhalten unberechtigte Steuervorteile verschafft hat, obwohl
er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hat und durch öffentliche Mittel alimentiert wird.
Das beeinträchtigt in erheblichem Maße sein eigenes Ansehen und das Ansehen der
Beamtenschaft insgesamt, auf das der freiheitliche Rechtsstaat in besonderem Maße
angewiesen ist, wenn er die ihm gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben
sachgerecht erfüllen will.
45
Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1994 - 1 D 57.93 -, BVerwGE 103,
184.
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Über die Ansehensschädigung hinaus führt ein solches Verhalten grundsätzlich auch zu
erheblichen Zweifeln an der für seine dienstliche Tätigkeit gebotenen
Vertrauenswürdigkeit eines Beamten im Übrigen. In gesteigertem Maße gilt dies bei
außerdienstlichem Fehlverhalten, dem der Beamte in seinem konkret-funktionellen Amt
Durchsetzung des Steuerrechts verpflichtet. Dies verleiht dem Dienstvergehen ein
besonderes, für die Maßnahmebemessung außerordentlich bedeutsames Gewicht.
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Ferner spricht gegen den Beamten, dass er nicht nur einmalig versagt, sondern sein
pflichtwidriges Tun über 13 Veranlagungsjahre fortgesetzt hat. Zwischen den einzelnen
Tathandlungen hätte für ihn ausreichend Gelegenheit bestanden, über die
Pflichtwidrigkeit seines Handelns nachzudenken und davon Abstand zu nehmen.
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Schließlich gilt es auch, die Gesamtgrößenordnung der Hinterziehungsbeträge zu
berücksichtigen. Es geht hier um die Hinterziehung von Einkommensteuer in einer
Gesamthöhe von 185.230,00 DM und von Vermögensteuer in einer Gesamthöhe von
29.290,00 DM, zusammen also 214.520,00 DM. Hinterziehungsbeträge in dieser
Größenordnung bewegen sich deutlich jenseits einer etwaigen "Bagatellgrenze" und
verleihen dem Dienstvergehen ein entsprechendes Eigengewicht. In Fällen von
Finanzbeamten des gehobenen und des höheren Dienstes hat der Senat allein im
Hinblick auf die erreichte Größenordnung der Steuerhinterziehungen auf die
Höchstmaßnahme erkannt, in denen es um hinterzogene Beträge von jeweils weit mehr
49
NRW OVG, Urteile vom 9. Juni 2004 – 22d A 1396/02.O – und vom 10.
November 2004 – 22d A 1184/03.O -.
50
bei diesem Personenkreis das Dienstvergehen der Steuerhinterziehung eine besondere
Nähe zu den Kernbereichspflichten aufweist. Ob dem Bundesverwaltungsgericht zu
folgen ist, das bei fehlenden erschwerenden Umständen eine Dienstgradherabsetzung
für angemessen hält, wenn sich der Umfang der hinterzogenen Steuern im fünf- oder
sechsstelligen (DM-)Bereich bewegt, braucht in dieser Allgemeinheit nicht entschieden
zu werden. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2004 – 1 D
18.03 -, ZBR 2005, 91, betraf einen Beamten des gehobenen Dienstes in der
Bundesverwaltungsgericht entschieden worden sind, ging es jeweils nicht um
Finanzbeamte.
51
Z.B. Urteil vom 9. November 1994, a.a.O. (Verwaltungsdirektor).
52
Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht Zollbeamte, die sich an Zollvergehen mit
einer Schadenshöhe von deutlich weniger als 100.000,00 DM beteiligt haben, nicht
degradiert, sondern – wohl auch wegen des engen dienstlichen Bezuges - aus dem
Dienst entfernt.
53
Z.B. Urteil vom 24. November 1998 – 1 D 16.97 – (gewerbsmäßiger
Zigarettenschmuggel, Steuerschaden: 21.750, - DM). Vgl. auch Urteil vom
25. Juni 1998 – 1 D 32.97 – (Steuerhehlerei eines Bahnbeamten,
Steuerschaden: 61.000, - DM).
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Ein Dienstvergehen mit einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren
Hinterziehungssumme ist dem Senat in der letzten Zeit nicht unterbreitet worden. Dies
rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass der Ausgang des Disziplinarverfahrens offen
und deshalb die Einbehaltungsanordnung aufzuheben wäre. Vielmehr zeichnet sich
schon jetzt mit der gebotenen überwiegenden Wahrscheinlichkeit ab, dass bei
hinterzogenen Steuern von (weit) mehr als 200.000,00 DM (= 102.258,37 €) der
Vertrauensverlust endgültig und deshalb die Höchstmaßnahme erforderlich ist.
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In den Fällen, in denen es um die Hinterziehung hoher Steuerbeträge ging, der Senat
aber gleichwohl von der Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme abgesehen
hat, trat als entscheidendes milderndes Kriterium hinzu, dass in die vorzunehmende
Gesamtwürdigung zu Gunsten der Beamten eine vorbehaltlose Selbstanzeige nach
§ 371 AO eingestellt werden konnte. Dieses Kriterium fehlt vorliegend. Wenn der
Beamte geglaubt hat, triftige Gründe dafür zu haben, den Weg der Selbstanzeige nicht
zu beschreiten, so muss er die sich hieraus ergebende Folge – eben das Fehlen dieses
Milderungsgrundes – tragen, ohne dass hier abschließend darüber entschieden werden
müsste, ob dem Beamten vorliegend eine Selbstanzeige entscheidend
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geholfen hätte.
57
Die bisherigen Feststellungen lassen nicht den Schluss zu, dass der Beamte während
der hier erheblichen Veranlagungszeiträume schuldunfähig war. Die eingeholten
fachärztlichen Gutachten begründen nicht einmal Zweifel an der Schuldfähigkeit, die
zugunsten des Beamten durchschlagen könnten. Das nervenärztliche Gutachten des Dr.
med. Q. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 7. Februar 1999 trifft keine
verbindliche Festlegung zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beamten
in der Zeit ab 1992 – und erst recht nicht für die Zeit ab 1985 -, weil Erkenntnisse über
die Entwicklung des Beamten vor der Aufdeckung der Steuerhinterziehung nicht
vorlägen. Allerdings stellt der Gutachter fest, dass bekannte Sachverhalte über die
Lebensführung des Beamten darauf hinwiesen, dass ein Unvermögen, die eigenen
finanziellen Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten realistisch einzuschätzen, und
eine hieraus resultierende überwertige Idee, absehbar einer völligen Verarmung
ausgesetzt zu sein, den Beamten bereits während seines gesamten Erwachsenenalters
beeinflusst hätten. Es bestehe somit zumindest ein ernst zu nehmendes
Verdachtsmoment dahingehend, dass eine wahnevidente handlungsbestimmende
Motivation bei dem Patienten bereits vor dem Aufdecken der Steuerhinterziehung
vorgelegen habe und sich eine Konstellation aus Angsterleben und unkorrigierbarer
Überzeugung, vor dem sozialen Ruin zu stehen, nicht erst durch das Aufkommen des
eingeleiteten juristischen Verfahrens ergeben habe, sondern bereits vor März 1998
entscheidend auf das Motivations-, Denk- und Handlungsgefüge des Beamten
ausgewirkt habe.
58
Im nervenärztlichen Gutachten des Chefarztes des B. Krankenhauses L. , Dr.
med. I1. , Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie, vom 16. Juni
1999 heißt es:
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"Herr Sch. kann als prinzipiell einsichtsfähig bezüglich des Unrechts seiner
Steuerhinterziehung angesehen werden. Zu Einbrüchen in die Einsichtsfähigkeit
kann es allenfalls punktuell und nicht über längere Zeiträume gekommen sein.
Relevanter erscheint die Frage, ob Herr Sch. gemäß dieser Einsichtsfähigkeit
handeln konnte und wie weit es ihm möglich war, sein Verhalten gemäß seiner
Einsicht zu steuern. Hier lässt sich zweifellos sagen, dass es krankheitsbedingt zu
lang anhaltenden Einbrüchen in die Steuerungsfähigkeit gekommen ist, so dass
die Unrechtmäßigkeit seines Handelns für Herrn Sch. weniger maßgeblich war als
das Verfolgen einer inneren auf der psychischen Erkrankung aufbauenden Logik.
Zwischenzeitlich muß Herrn Sch. unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes das
Unrecht der Steuerhinterziehung bewusst geworden sein. Eine zu diesen
Zeitpunkten prinzipiell mögliche Selbstanzeige wäre für Herrn Sch. jedoch im
Rahmen seiner existenziellen Ängste ungleich problematischer gewesen als bei
60
einem psychisch Gesunden. Daraus leitet sich unseres Erachtens eine
hochgradige Schuldminderung gemäß § 21 StGB bei nicht gänzlicher
Schuldunfähigkeit ab."
Die Schuldfähigkeit des Beamten war danach in den Jahren 1985 bis 1997 nicht
ausgeschlossen. Ob die Schuldfähigkeit des Beamten eingeschränkt war, wird
voraussichtlich dahingestellt bleiben können, weil dieser Milderungsgrund
wahrscheinlich nicht zu einer anderen Disziplinarmaßnahme als der Dienstentfernung
führen wird.
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Wenn es sich um die eigennützige Verletzung einer leicht einsehbaren Kernpflicht
handelt, ist es nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht gerechtfertigt,
wegen verminderter Schuldfähigkeit von der eigentlich gebotenen Höchstmaßnahme
abzusehen.
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Z.B. BVerwG, Urteil vom 23. August 1988 – 1 D 136.87 -, NJW 1989, 851.
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In einem solchen Fall muss im Hinblick auf die als selbstverständlich geforderte und
ständig eingeübte korrekte Verhaltensweise von dem Beamten erwartet werden, dass er
auch bei erheblich verminderter Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit noch
genügend Widerstandskraft gegen strafbares Verhalten aufbietet. Eine Parallele zur
weitergehenden Berücksichtigung eingeschränkter Schuldfähigkeit im Strafrecht
verbietet sich hier aufgrund des durch die Sonderrechtsbeziehung begründeten
gegenseitigen Vertrauensverhältnisses.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 D 5.02 - ; BGH Urteil vom
9. Juni 2004 – RiSt(R) 1/02 –, NJW 2004, 2910.
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Mit der dienstlichen Kernpflicht ist freilich nur derjenige Pflichtenkreis des Beamten
gemeint, der im Mittelpunkt der ihm übertragenen und im einzelnen geregelten
dienstlichen Aufgaben steht. Hierzu zählen die Pflichten nicht, die einen Finanzbeamten
bei Abgabe seiner eigenen Steuererklärung treffen. Wie im Strafrecht ist aber auch im
Disziplinarrecht die verminderte Schuldfähigkeit eines Beamten kein zwingender
Milderungsgrund. Das Gericht kann, muss aber keine geringere Disziplinarmaßnahme
aussprechen, wenn verminderte Schuldfähigkeit anzunehmen oder nicht
auszuschließen ist. Der verminderten Schuldfähigkeit kommt auch außerhalb der
eigentlichen Kernpflichten – d.h. bei Pflichtverletzungen innerhalb des Dienstes jenseits
des Kernbereichs und außerdienstlichen Pflichtverletzungen – keine die Maßnahme
mildernde Wirkung zu, wenn das Dienstvergehen in der Verletzung einer elementaren,
selbstverständlichen und einfach zu befolgenden Pflicht besteht und sein objektives
Gewicht so schwer ist, dass der Beamte, der immerhin schuldhaft gehandelt hat, als
objektiv untragbar angesehen werden muss.
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BVerwG, Urteile vom 10. Juli 1996 – 1 D 98.95 – und vom 28. März 2000 -
1 D 8.99 – (jeweils zu außerdienstlichen Vermögensdelikten); OVG
Rheinland – Pfalz, Urteil vom 4. März 2005 – 3 A 12243/04 -, AS 32, 140.
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68
Um eine solche Pflicht geht es hier schon deshalb, weil sie der Kernbereichspflicht des
Beamten sehr nahe kommt, die Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit anzuhalten und
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etwaigen Versuchen der Steuerunehrlichkeit entgegenzutreten.
Eine Kostenentscheidung entfällt in diesem Nebenverfahren.
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