Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 21.02.2003
OVG NRW: nationalität, pass, ukraine, sowjetunion, gespräch, familie, geburt, kiew, anhörung, ausstellung
Oberverwaltungsgericht NRW, 2 A 3340/01
Datum:
21.02.2003
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 A 3340/01
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 19 K 8583/97
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin ist am 1. Februar 1939 in S. , Gebiet Lugansk, in der Ukraine geboren. Ihre
Eltern sind der 1918 geborene und 1977 verstorbene russische Volkszugehörige J. C.
und die 1920 geborene und 1994 verstorbene deutsche Volkszugehörige N. C. , geb. V.
.
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Mit Antrag vom 9. August 1995, eingegangen beim Bundesverwaltungsamt am 13.
September 1995, beantragte die Klägerin ihre Aufnahme nach dem
Bundesvertriebenengesetz. In dem Aufnahmeantrag ist unter anderem angegeben, sie
habe ab ihrer Geburt im Elternhaus Deutsch gelernt. Auch heute verstehe sie auf
Deutsch fast alles und spreche Deutsch in einer für ein einfaches Gespräch
ausreichenden Weise. Dem Aufnahmeantrag beigefügt war die Fotografie eines im Juli
1995 in der Ukraine neu ausgestellten Passes sowie die Fotografie einer
Bescheinigung des Standesamtes der Stadt M. vom 26. Juli 1995, nach der der Tochter
der Klägerin am 19. Mai 1995 eine neue Geburtsurkunde mit der von "Russisch" in
"Deutsch" geänderten Nationalität ihrer Mutter ausgestellt worden ist.
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Am 24. März 1997 wurde die Klägerin in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
Kiew angehört. Als Ergebnis des durchgeführten Sprachtests ist in dem
Anhörungsprotokoll festgestellt, dass die Klägerin auf Deutsch fast alles verstehe und
Deutsch in einer für ein einfaches Gespräch ausreichenden Weise spreche. Weiterhin
ist in dem Protokoll vermerkt, die Klägerin habe bei der Anhörung angegeben, in ihrem
ersten Inlandspass als "Russin" geführt worden zu sein.
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Durch Bescheid vom 2. Mai 1997, der Klägerin zugestellt am 1. Juli 1997, lehnte das
Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei
keine deutsche Volkszugehörige, weil sie sich anlässlich der Ausstellung ihres ersten
Inlandspasses zum russischen Volkstum bekannt habe. Dies folge aus der Eintragung
der russischen Nationalität in diesen Inlandspass. Daran ändere die Tatsache nichts,
dass sie den Nationalitäteneintrag im Inlandspass im Juli 1995 auf Deutsch habe
ändern lassen. Denn diese Änderung sei in eindeutigem zeitlichem Zusammenhang mit
der Antragstellung im Aussiedleraufnahmeverfahren erfolgt.
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Hiergegen erhob die Klägerin am 24. Juli 1997 Widerspruch. Zur Begründung führte sie
aus: Ihr russischer Vater sei während des Zweiten Weltkrieges zum einfachen Soldaten
degradiert worden, da er mit einer Volksfeindin, nämlich ihrer deutschen Mutter,
verheiratet gewesen sei. Ihre Mutter und ihre Großmutter seien 1941 nicht deportiert
worden, weil die Mutter in einem Militärhospital gearbeitet habe und die Großmutter
schwer erkrankt gewesen sei. Während des Krieges sei die Mutter in von Deutschen
besetztes Gebiet geraten und als eine Deutsche zur Arbeit im Versorgungsamt
herangezogen worden. Nach der Rückeroberung des Gebietes durch die Rote Armee
sei ihre Mutter im März 1943 verhaftet, danach in verschiedenen Gefängnissen
festgehalten und schließlich in das Dorf N. im Gebiet Omsk verbannt worden. 1944
hätten sie, die Klägerin, und die Großmutter dorthin umsiedeln können. 1947 habe ihr
Vater seine Familie ausfindig gemacht. In der Geburtsurkunde ihres im Dezember 1947
geborenen Bruders X. sei ihre Mutter als "Russin" eingetragen worden. Man habe ihr
dabei erklärt, noch einen Deutschen brauche man nicht. Im Juni 1953 habe die Familie
N. verlassen dürfen. Im Februar 1955 habe sie ihren ersten Pass erhalten. Darin sei sie
als Russin eingetragen gewesen. Ihre Mutter habe vor Freude geweint, weil sie der
Meinung gewesen sei, dass ihre Tochter nun nicht mehr befürchten müsse, in Zukunft
als Deutsche verfolgt zu werden. Trotz ihrer Eintragung als Russin habe sie, die
Klägerin, ihre deutsche Abstammung nie aufgegeben. Sie nehme, ebenso wie ihre
Tochter, aktiv an der Arbeit der Gesellschaft "Wiedergeburt" teil.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1997, zugestellt am 27. August 1997, wies
das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch zurück.
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Die Klägerin hat am 24. September 1997 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ihr
Vorbringen aus dem Aufnahmeverfahren bezüglich des familiären Schicksals wiederholt
und vertieft. Ergänzend hat die Klägerin ausgeführt: In ihren ersten Inlandspass sei die
russische Nationalität eingetragen worden, weil ihr Vater Russe gewesen sei und sie
einen russischen Namen gehabt habe. Nur mit behördlicher Genehmigung habe damals
die deutsche Nationalität nach der Mutter eingetragen werden können. Einwendungen
habe sie dagegen nicht erhoben, weil sie dies als sinnlos angesehen habe. Auch hätten
ihre Eltern verhindern wollen, dass ihre Tochter in Zukunft hätte verfolgt werden können.
Alle hätten damals noch Angst vor Repressionen gehabt, weil der Krieg erst zehn Jahre
vorbei gewesen sei. Als Deutsche hätte sie keine Möglichkeit gehabt, an einem Institut
zu studieren. Die von ihr später erreichte berufliche Stellung als stellvertretende
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Direktorin einer Fabrik hätte sie als Deutsche ebenfalls nicht erlangen können.
Tatsächlich sei sie immer eine Deutsche geblieben. 1994 habe sie sich an die
Passbehörde gewandt mit dem Antrag, die Nationalität in ihrem Pass zu ändern.
Diesem Ansinnen sei auch entsprochen worden, wegen des Mangels an
Passformularen habe man ihr aber nur eine vorläufige Bescheinigung ausgestellt.
Danach habe sie auch einen Antrag auf Namensänderung gestellt, dem gleichfalls
entsprochen worden sei. Erst danach habe sie ihren neuen Pass erhalten, in dem aber
keine Nationalität mehr vermerkt sei.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 2.
Mai 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1997 zu
verpflichten, ihr einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug
genommen und ergänzend vorgetragen: Der Klägerin sei es 1955 zumutbar gewesen,
sich zum deutschen Volkstum zu bekennen. Stattdessen habe sie sich freiwillig für die
russische Nationalität nach ihrem Vater entschieden. Das Bundesvertriebenengesetz
verlange aber die tatsächliche Vermittlung bestätigender Merkmale auch unter den
Bedingungen der Nachkriegszeit und das aktuelle Bekenntnis zum deutschen Volkstum
in den Aussiedlungsgebieten als Voraussetzung für die Anerkennung als deutscher
Volkszugehöriger. Wer von vorn herein auf die Weitergabe bestätigender Merkmale an
seine Kinder oder auf die Abgabe einer Erklärung zum deutschen Volkstum verzichtet
habe, um dem typischen Schicksal der deutschen Volkszugehörigen unter den
Verhältnissen in den Aussiedlungsgebieten zu entgehen, der habe nicht das typische
Kriegsfolgenschicksal erlitten, das das Bundesvertriebenengesetz in seinem Rahmen
ausgleichen wolle. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum sei 1955 in der ehemaligen
Sowjetunion nicht generell unzumutbar gewesen. Eine Gefahr für Leib oder Leben oder
schwerwiegende berufliche oder wirtschaftliche Nachteile infolge eines solchen
Bekenntnisses seien im Fall der Klägerin nicht erkennbar. Darüber hinaus sei bei ihr der
Wille, der deutschen Volksgruppe anzugehören, nicht ersichtlich. Nach 1955 sei sie
nicht von ihrem Bekenntnis zum russischen Volkstum abgerückt. Anhaltspunkte für
einen ernsthaften Bewusstseinswandel lägen nicht vor.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der
Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
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Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Beklagte weiter die
Klageabweisung. Zur Begründung trägt sie vor: Bei der Klägerin liege keine Erklärung
zur deutschen Nationalität vor. Eine solche habe sie nicht im Zusammenhang mit der
Ausstellung ihres ersten Inlandspasses 1955 abgegeben. Aus ihrem 1995 ausgestellten
Pass könne ebenfalls nicht auf eine solche Erklärung geschlossen werden, da der Pass
entsprechend den in der Ukraine nunmehr geltenden Passbestimmungen keinen
Nationalitäteneintrag mehr enthalte. Das einzige Dokument, das die Klägerin mit
deutscher Nationalität ausweise, sei die neu ausgestellte Geburtsurkunde ihrer Tochter.
Es könne aber nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Eintragung eine
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Nationalitätserklärung der Klägerin zu Grunde liege. Weiterhin lägen die
Voraussetzungen für die Fiktion eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum nicht
vor.
Die Beklagte beantragt,
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dass angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Dem Eintrag der russischen Nationalität
in ihren Inlandspass liege kein Bekenntnis gegen das deutsche Volkstum zugrunde,
denn 1955 sei es nicht zumutbar gewesen, sich in der ehemaligen Sowjetunion zum
deutschen Volkstum zu bekennen. Ein Bekenntnis ausschließlich zur deutschen
Volkszugehörigkeit ergebe sich schon daraus, dass sie sich in jeder erdenklichen
Weise darum bemüht habe, die deutsche Volkszugehörigkeit wiederherzustellen und im
Inlandspass mit deutscher Nationalität geführt zu werden. Nach der Änderung der
Passvorschriften in der Ukraine habe aber nur noch die Geburtsurkunde der Tochter
geändert werden können. Für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum genügten aber
auch nach außen hervortretende Bemühungen um eine behördliche Anerkennung als
Volksdeutsche.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat, wie das
Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, Anspruch auf Erteilung des begehrten
Aufnahmebescheides. Der ablehnende Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 2.
Mai 1997 und dessen Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1997 sind rechtswidrig und
verletzten die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Erteilung
eines Aufnahmebescheides sind §§ 26, 27 des Gesetzes über die Angelegenheiten der
Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz - BVFG) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 2. Juni 1993, BGBl. I S. 829, zuletzt geändert durch das Gesetz
zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom
30. August 2001, BGBl. I 2266. Da die Klägerin noch in den Aussiedlungsgebieten
wohnt, ist das nunmehr geltende Recht anzuwenden. Eine verfassungsrechtlich
unzulässige Rückwirkung liegt darin nicht.
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Vgl. für die Änderung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 7. März 2002 - 5 B 60.01 - unter
Hinweis auf die Urteile vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, Amtliche Sammlung der
Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE) 99, 133 (135) und - 5 C 17.00 - BVerwGE
114, 116 (118).
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß § 27
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Abs. 1 Satz 1 BVFG, weil sie nach der Aufgabe ihres Wohnsitzes und dem Verlassen
des Aussiedlungsgebietes die Voraussetzungen als Spätaussiedlerin erfüllt.
Spätaussiedler aus dem hier in Rede stehenden Aussiedlungsgebiet der ehemaligen
Sowjetunion kann nach § 4 Abs. 1 BVFG nur sein, wer deutscher Volkszugehöriger ist.
Da die Klägerin nach dem 31. Dezember 1923 geboren ist, ist sie nach § 6 Abs. 2 Satz 1
BVFG deutsche Volkszugehörige, wenn sie von einem deutschen Staatsangehörigen
oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen des
Aussiedlungsgebietes durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf
vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des
Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Weitere Voraussetzung gemäß §
6 Abs. 2 Satz 2 BVFG ist, dass das Bekenntnis zum deutschen Volkstum oder die
rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität bestätigt werden muss durch die
familiäre Vermittlung der deutschen Sprache. Diese ist nur festgestellt, wenn jemand im
Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches
Gespräch auf Deutsch führen kann (§ 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG).
Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin erfüllt. Ihre Mutter war, was auch von
der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird, deutsche Volkszugehörige. Die Klägerin
hat sich auch wirksam im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG zum deutschen Volkstum
bekannt. Sie hat dazu angegeben, im Jahr 1994 bei den zuständigen ukrainischen
Behörden einen Antrag auf Änderung ihrer im Pass eingetragenen Nationalität in
Deutsch gestellt zu haben. Diesem Antrag sei entsprochen worden. Wegen des damals
herrschenden Mangels an Passformularen sei ihr darüber aber nur eine vorläufige
Bescheinigung ausgestellt worden. Nach Änderung der Passvorschriften in der Ukraine
sei ihr dann im Juli 1995 ein Pass ausgestellt worden, in dem keine Nationalität mehr
eingetragen sei. Der Senat hat keinen Zweifel, dass dieser Sachvortrag zutreffend ist,
auch wenn ein unmittelbarer Nachweis über die ausgestellte vorläufige Bescheinigung
seitens der Klägerin nicht erfolgt ist. Ihr Vortrag fügt sich, was auch von der Beklagten
nicht in Zweifel gezogen wird, in die historischen Zusammenhänge bezüglich der
Entwicklung der Passvorschriften und der Verwaltungspraxis in der Ukraine Mitte der
90er Jahre ein. Zudem hat die Klägerin eine Bescheinigung des Standesamtes M.
vorgelegt, aus der sich ergibt, dass ihrer Tochter 1995 eine neue Geburtsurkunde
ausgestellt worden ist, in der die Nationalität der Mutter von Russisch in Deutsch
geändert worden ist. Eine solche Änderung in der Geburtsurkunde der Tochter setzt
voraus, dass die Klägerin gegenüber den ukrainischen Behörden auf Grund einer
entsprechenden Erklärung eine amtliche Änderung ihrer ursprünglich russischen
Nationalität erreicht hat. Insoweit liegt diesen erfolgreichen Änderungsbemühungen der
Klägerin eine im Rahmen von § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG ausreichende
Bekenntniserklärung der Klägerin zu Grunde. Dass die Nationalität in dem 1995
ausgestellten Pass der Klägerin entsprechend den geänderten Passvorschriften nicht
mehr eingetragen werden konnte und deshalb nicht erfolgt ist, ist insoweit rechtlich
unerheblich.
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Einer wirksamen Bekenntniserklärung der Klägerin zum deutschen Volkstum im Jahr
1994 steht nicht entgegen, dass in ihrem ersten im Februar 1955 ausgestellten
sowjetischen Inlandspass die russische Nationalität eingetragen war. Da die
Nationalität im Inlandspass im Regelfall auf einen entsprechenden Eintrag im
Passantragsformular (sog. Forma Nr. 1) von der Passbehörde eingetragen wird, lässt
die Eintragung im Pass regelmäßig auf eine entsprechende Angabe vor der
Passbehörde schließen. Zwar liegt in der Angabe einer anderen als der deutschen
Nationalität gegenüber amtlichen Stellen grundsätzlich ein Gegenbekenntnis zu einem
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anderen Volkstum. Das ist allerdings dann nicht der Fall, wenn die nichtdeutsche
Nationalität gegen den ausdrücklichen Willen oder ohne eine entsprechende Erklärung
des Aufnahmebewerbers in den Inlandspass eingetragen wurde.
Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99,
133, sowie Urteil vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, BVerwGE 102, 214.
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Gleiches gilt unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG,
wenn das Bekenntnis zum deutschen Volkstum mit Gefahr für Leib und Leben oder
schwerwiegenden beruflichen Nachteilen verbunden gewesen wäre. Von einer
derartigen Unzumutbarkeit der Erklärung zur deutschen Nationalität und damit
zumindest von einer Erklärung ohne Willen der Klägerin zur russischen Nationalität ist
zumindest (noch) für das Jahr 1955, an dessen Anfang die Klägerin, die mit ihrer Mutter
auch nach der Rückkehr in die Ukraine wieder unter Kommandantur stand, ihren ersten
Inlandspass erhalten hat, aufgrund der in dieser Zeit für deutsche Volkszugehörige in
der ehemaligen Sowjetunion seit dem 22. Juni 1941 bestehenden allgemein bekannten
schwierigsten Umstände auszugehen. Denn erst der offiziell nicht veröffentlichte und
auch in der Presse nicht erschienene Erlass "Über die Aufhebung der Beschränkungen
in der Rechtsstellung der Deutschen und ihrer Familienangehörigen, die sich in
Sondersiedlungen befinden" vom 13. Dezember 1955 legte den rechtlich-politischen
Status der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg
überhaupt dahingehend neu fest, dass sie zumindest in rechtlicher Hinsicht wieder
vollwertige sowjetische Bürger werden konnten, wenngleich ihnen auch danach noch
einige selbst in der sowjetischen Verfassung garantierten Rechte versagt blieben.
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Vgl. Urteil des Senats vom 17. Mai 2002 - 2 A 3706/99 -.
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Liegt der Eintragung der russischen Nationalität in den ersten Inlandspass der Klägerin
kein Gegenbekenntnis zugrunde, kann auch nach der Neufassung des
Bundesvertriebenengesetzes in der späteren auf Änderung des Nationalitäteneintrages
abzielenden Erklärung gegenüber den Behörden ein wirksames Bekenntnis zum
deutschen Volkstum gesehen werden. Die Einfügung des Wortes "nur" in den
Gesetzestext der beiden ersten Bekenntnisalternativen dient allein dem Zweck, die nach
der vertriebenenrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 6
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG in der bis zum 6. September 2001 geltenden Fassung
bestehende Möglichkeit der so genannten "Revidierung des Gegenbekenntnisses" bei
einem Nachweis der besonderen Ernsthaftigkeit des revidierten Bekenntnisses in
Abgrenzung zum bloßen Lippenbekenntnisses zukünftig auszuschließen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2002 - 5 B 33.02 -, sowie Urteil des Senats vom
18. Oktober 2001 - 2 A 4580/96 -.
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Auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG sind bei der Klägerin
erfüllt. Anlässlich ihrer Anhörung in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kiew
am 24. März 1997 wurde festgestellt, dass sie auf Deutsch fast alles versteht und
Deutsch in einer für ein einfaches Gespräch ausreichenden Weise spricht. Die bei ihr
vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse beruhen zumindest auch auf einer
innerfamiliären Vermittlung während der Kinder- und Jugendzeit. Denn die Klägerin hat
im Aufnahmeverfahren durchgehend erklärt, bis zu ihrer Selbständigkeit in der Familie
auch Deutsch gesprochen zu haben. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit
dieser nicht bestrittenen Angaben zu zweifeln.
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Die Klägerin erfüllt auch die übrigen in § 4 Abs. 1 BVFG genannten
Stichtagsvoraussetzungen, weil sie seit ihrer Geburt im Jahr 1939 und ihre Mutter von
ihrer Geburt bis zu ihrem Tod in der ehemaligen Sowjetunion gelebt haben, und somit
die Stichtagsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BVFG gegeben sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 10, 711 ZPO erfolgt.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
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