Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.05.2010

OVG NRW (kläger, verwaltungspraxis, beschwerde, einbürgerung, verwaltungsgericht, ermessensausübung, mindestaufenthalt, bad, härte, ermessen)

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 E 655/09
Datum:
26.05.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 E 655/09
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 1 K 252/08
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerde-verfahrens.
G r ü n d e :
1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den
Prozesskostenhilfeantrag der Kläger zu Recht mit der Begründung abgelehnt, die Klage
habe keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO). Das
Beschwerdevorbringen, welches sich ausschließlich auf die Ermessenseinbürgerung
nach § 8 StAG bezieht, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
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Ohne Erfolg machen die Kläger geltend, die Verwaltungspraxis verlange für § 8 StAG
"nunmehr als Voraussetzung ein[en] achtjährige[n] rechtmäßige[n] Aufenthalt" und setze
sich damit in Widerspruch zum Gesetzestext dieser Vorschrift sowie zu den
rechtssystematischen Unterschieden zwischen § 8 und § 10 StAG.
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Sollten die Kläger damit meinen, die bundesweite Verwaltungspraxis sehe die genannte
Aufenthaltsdauer bereits als Tatbestandsvoraussetzung des § 8 Abs. 1 StAG an, läge
darin eine unzutreffende Unterstellung. Denn in Wahrheit versteht die
Verwaltungspraxis die achtjährige Mindestfrist nach Nr. 8.1.2.2 Satz 1 der vorläufigen
Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 19. 10. 2007 (VAH) als
einen allgemeinen Grundsatz der Ermessensausübung, wie sich aus der Überschrift zu
Nr. 8.1.2 VAH ergibt. Folgerichtig widerspricht diese Mindestfrist entgegen der
Auffassung der Kläger auch nicht dem Gesetzestext des § 8 Abs. 1 StAG. Dieser fordert
mit der von ihnen zitierten Wendung "ein Ausländer, der rechtmäßig seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat" lediglich als Tatbestandsvoraussetzung einen
rechtmäßigen gewöhnlichen Inlandsaufenthalt, der (als Tatbestandsvoraussetzung) nur
im Zeitpunkt der Einbürgerung vorliegen muss. Ebenso folgerichtig haben weder die
Einbürgerungsbehörde noch das Verwaltungsgericht in Zweifel gezogen, dass die
Kläger dieses Tatbestandsmerkmal erfüllen.
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Lediglich auf der Rechtsfolgenseite, also bei der Ausübung des
Einbürgerungsermessens, hat die Bezirksregierung B. als ehemalige Beklagte den
Klägern entgegengehalten, dass diese den in ständiger Verwaltungspraxis geforderten
achtjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt nicht aufweisen. Dabei hat sie die Zeiten
der Aufenthaltsgestattungen von März 1992 bis November 1993 sowie der Duldungen
zwischen Mai 1994 und Dezember 2003 unberücksichtigt gelassen.
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Diese Verwaltungspraxis, die Einbürgerung nach § 8 StAG grundsätzlich von einem
achtjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt abhängig zu machen, ist rechtlich nicht zu
beanstanden. Nach höchstrichterlich gebilligter obergerichtlicher Rechtsprechung
dürfen die Einbürgerungsbehörden im Rahmen ihrer Ermessensausübung bei der
Einbürgerung nach § 8 Abs. 1 StAG die Einordnung in die deutschen
Lebensverhältnisse prüfen und diese von einer bestimmten Mindestdauer des
rechtmäßigen Inlandsaufenthalts abhängig machen. Sie dürfen dabei grundsätzlich die
in den hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften festgelegten langjährigen
Aufenthaltszeiten zu Grunde legen.
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BVerwG, Beschluss vom 20. 8. 1996 1 B 138.96 , juris, Rdn. 2; Nds. OVG,
Urteil vom 17. 4. 1996 13 L 5084/95 , juris, Rdn. 21 f. (jeweils zum
10jährigen Mindestaufenthalt, den die Verwaltungspraxis bis Ende 1999
nach Nr. 3.2.1 EinbRL forderte); Bad.-Württ. VGH, Urteil vom 16. 10. 2008
13 S 313/08 , juris, Rdn. 25 (zum 8jährigen Mindestaufenthalt nach
Nr. 8.1.2.2 Satz 1 VAH).
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Auch der rechtssystematische Unterschied zwischen § 8 Abs. 1 StAG als
Ermessensermächtigung und § 10 Abs. 1 StAG als zwingender Anspruchsnorm steht
dem nicht entgegen. Dieser Unterschied bewirkt lediglich, dass die Verwaltungspraxis
bei § 8 Abs. 1 StAG, sofern dessen tatbestandliche Mindestvoraussetzungen erfüllt sind,
im Rahmen der Vorgaben des § 40 VwVfG NRW nach sachgerechten Kriterien,
Mindestfristen und Anrechnungsregeln für einen mehr- oder langjährigen rechtmäßigen
gewöhnlichen Inlandsaufenthalt festlegen darf. Demgegenüber knüpft § 10 StAG den
Einbürgerungsanspruch in Abs. 1 von Gesetzes wegen zwingend an einen achtjährigen
rechtmäßigen gewöhnlichen Inlandsaufenthalt und lässt eine Verkürzung dieser
Aufenthaltsdauer nur unter den Voraussetzungen des Abs. 3 zu.
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Der genannte rechtssystematische Unterschied verwehrt es der Verwaltungspraxis auch
nicht, ihr Ermessen nach § 8 Abs. 1 StAG grundsätzlich an der gestaffelten
Aufenthaltsdauer nach § 10 Abs. 1 und 3 StAG auszurichten und damit beide
Einbürgerungsarten im praktischen Ergebnis einander in diesem Punkt anzugleichen.
Ebenso wenig ist die Verwaltungspraxis im Rahmen ihres Ermessens nach § 8 StAG
gehindert, für die Berechnung der jeweils einschlägigen Mindestdauer des
rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts dieselben Anrechnungsregeln heranzuziehen,
die nach der Rechtsprechung des BVerwG für den Begriff des rechtmäßigen
Inlandsaufenthalts in den §§ 4 Abs. 3, 10 Abs. 1 StAG zwingend gelten. Die
Verwaltungspraxis darf außerdem Duldungszeiten unberücksichtigt lassen. Die
gegenteilige Auffassung des VG Stuttgart
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Urteil vom 5. 11. 2007 11 K 4416/07 , juris, Rdn. 36; insoweit korrigiert
durch Bad.Württ. VGH, Urteil vom 16. 10. 2008 13 S 313/08 , juris, Rdn. 23,
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schränkt demgegenüber den Ermessensspielraum der Behörden zu stark ein.
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Der Beklagte hat sein Ermessen nach § 8 Abs. 1 StAG rechtmäßig ausgeübt. Im
Ablehnungsbescheid hat die Bezirksregierung B1. zwar nur diejenigen
Verkürzungsgründe für den grundsätzlich achtjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt
in Betracht gezogen, die im Fall der Kläger ohnehin nicht erfüllt sind und auf die sich die
Kläger auch gar nicht berufen hatten (Asylberechtigung, Integrationskurs). Von
vornherein gar nicht erst erwähnt hat sie hingegen denjenigen Verkürzungsgrund, auf
den sich die Kläger in ihrer Anhörungsstellungnahme vom 17. 12. 2007 berufen hatten:
Nach Satz 3 der ergänzenden Anmerkung zu Nr. 8.1.2.3 Sätze 1 bis 3 VAH (Fassung
Oktober 2007) kann nämlich vom Grundsatz des achtjährigen Aufenthalts auch dann
abgewichen werden, wenn die Nichtanrechnung von Gestattungs- und Duldungszeiten
zu Härtefällen führt. Einen solchen Härtefall hatten die Kläger der Sache nach geltend
gemacht und zur Begründung auf die Auskunft des BMI verwiesen, dass "die
Nichtanrechenbarkeit von Gestattungs- und Duldungszeiten ... vor allem bei langjährig
Geduldeten eine Härte bedeuten" könne.
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Insoweit hat die Bezirksregierung B2. jedoch ihre Ermessenserwägungen nach
§ 114 Satz 2 VwGO im erforderlichen Umfang ergänzt. Mit ihrer Klageerwiderung vom
1. 2. 2008 hat sie ausgeführt, die Nichtanrechnung der Gestattungs- und Duldungszeiten
bedeute im Einzelfall der Kläger keine Härte, weil bei ihnen keine besonderen
Integrationsleistungen vorlägen und bei ihnen nach dem Sprachtest im November 2007
auch ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nicht vorhanden seien. Der
Beklagte hat sich diese Ergänzung nach seinem Eintritt in das Klageverfahren durch
Schriftsatz vom 7. 10. 2008 zu eigen gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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