Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.05.2006
OVG NRW: aufschiebende wirkung, windkraftanlage, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, wider besseres wissen, firma, beschwerdeschrift, wohnhaus, lärm, schattenwurf, messung
Oberverwaltungsgericht NRW, 8 B 2122/05
Datum:
22.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 B 2122/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 3 L 1770/05
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e:
1
I.
2
Die Antragstellerin unterhält auf dem im Außenbereich gelegenen und mit einem
Wohnhaus, einer Reithalle, Pferdeboxen und anderen Nebengebäuden bebauten
Grundstück L. Straße 12 in W. auf einer ca. 25 ha großen Fläche einen
Vollerwerbsbetrieb für Pferdezucht und -dressur und beherbergt dort ständig etwa 30
Pferde. Durch Bescheid vom 12. November 2003 erteilte der Antragsgegner der Firma
T. Windkraft GmbH eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Windkraftanlage des
Typs GE Wind Energy 1.5SL (mit einer Nabenhöhe von 100 m und einem
Rotordurchmesser von 77 m) auf dem Grundstück Gemarkung M. , Flur 3, Flurstück 351.
Der Abstand von dem Standort der inzwischen errichteten Windkraftanlage zu dem
Wohnhaus der Antragstellerin beträgt ca. 360 m und zu dem Außendressurplatz ca. 200
m. Der Baugenehmigung waren verschiedene Nebenbestimmungen beigefügt.
Insbesondere wurde festgelegt, dass an bestimmten Immissionspunkten in der Nähe
des Wohnhauses und des Betriebes der Antragstellerin die Immissionsrichtwerte von
tagsüber 60 dB (A) und nachts 45 dB (A) nicht überschritten werden dürfen. Am 5. Mai
2005 erfolgte ein Bauherrenwechsel auf die Beigeladene. Gegen die Baugenehmigung
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erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 22. August 2005 Widerspruch, über den
noch nicht entschieden ist. Mit Schreiben vom 20. September 2005 ordnete das
Staatliche Umweltamt Düsseldorf auf Antrag der Beigeladenen die sofortige Vollziehung
des Genehmigungsbescheides vom 12. November 2003 an. Den von der Antragstellerin
gegen das Staatliche Umweltamt Düsseldorf gerichteten Antrag auf Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde. Während des
Beschwerdeverfahrens ist auf der Seite des Antragsgegners mit Zustimmung des
jetzigen Antragsgegners ein Beteiligtenwechsel erfolgt.
Durch Ordnungsverfügung vom 9. Februar 2006 untersagte das Staatliche Umweltamt
Düsseldorf den Betrieb der in Rede stehenden Windkraftanlage für die Nachtzeit
zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, nachdem das Landesumweltamt bei einer Nachmessung
eine Tonhaltigkeit der Immissionen festgestellt hatte, die einen Einzeltonzuschlag von
mindestens 3 dB(A) rechtfertige.
4
II.
5
Die Beschwerde mit dem sinngemäß gestellten Antrag,
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unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. Dezember
2005 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die
erteilte Baugenehmigung vom 12. November 2003 zur Errichtung einer Windkraftanlage
des Typs GE Wind Energy 1.5SL (mit einer Nabenhöhe von 100 m und einem
Rotordurchmesser von 77 m) auf dem Grundstück in W. , Gemarkung M. , Flur 3,
Flurstück 351, anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
8
1. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die Antragstellerin die Anordnung der nach § 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212 a Abs. 1 BauGB bereits kraft Gesetzes
ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die
Baugenehmigung vom 12. November 2003. Dem steht nicht entgegen, dass nach der
am 1. Juli 2005 in Kraft getretenen Neuregelung in § 67 Abs. 9 Satz 1 BImSchG
9
- Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2003/105/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der
Richtlinie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen
mit gefährlichen Stoffen vom 25. Juni 2005 (BGBl. I S. 1865) -
10
Baugenehmigungen für Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50
Metern, die "bis zum 1. Juli 2005" (gemeint ist offensichtlich: vor dem 1. Juli 2005) erteilt
worden sind, als Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz gelten.
Denn auf Baugenehmigungen, die - wie hier - vor dem 1. Juli 2005 für Windkraftanlagen
mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern erteilt worden sind, findet nach ständiger
Rechtsprechung des Senats unbeschadet der gesetzlichen Fiktion in § 67 Abs. 9 Satz 1
BImSchG weiterhin § 212 a Abs. 1 BauGB Anwendung.
11
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. April 2006 - 8 B 125/06 -, vom 15. November 2005
- 8 B 981/05 -, vom 20. Oktober 2005 - 8 B 158/05 - und vom 14. September 2005 - 8 B
96/05 -, NWVBl. 2006, 97.
12
Die unter dem 20. September 2005 erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung des
streitbefangenen Genehmigungsbescheides durch das Staatliche Umweltamt
Düsseldorf geht insoweit ins Leere, da dem Widerspruch der Antragstellerin schon kraft
Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt.
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2. Die Antragstellerin ist als Gesellschaft bürgerlichen Rechts Trägerin der
Rechtspositionen, die ihren einzelnen Gesellschaftern als Gesamthandgemeinschaft -
einschließlich der in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB und in den §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1, 22
Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verankerten nachbarschützenden Rechte - zustehen und damit
auch in einer Nachbarstreitigkeit nach § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2004 - 9 A 1.03 -, NuR 2005, 177; Sächsisches
OVG, Beschluss vom 16. Juli 2001 - 1 B 113/01 -, NJW 2002, 1361; OVG Sachsen-
Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2005 - 2 K 278/02 -, BauR 2005, 1815; Kopp/ Schenke,
VwGO, 14. Aufl. 2005, § 61 Rdnr. 9; Czybulka, in: Sodan/ Ziekow, VwGO 2. Aufl. 2006, §
61 Rdnr. 24 (für § 61 Nr. 1 VwGO); grundlegend: BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 - II
ZR 331/00 -, BGHZ 146, 341; ferner BVerfG, Beschluss vom 2. September 2002 - 1 BvR
1103/02 -, NJW 2002, 3533.
15
3. Der Antrag ist zu Recht gegen den - im Beschwerdeverfahren mit dessen Zustimmung
ausgewechselten - Antragsgegner als Baugenehmigungsbehörde gerichtet. Unter
Berücksichtigung der Parallelität der für Anfechtungs- und Verpflichtungssituationen
maßgeblichen Regelungen in § 67 Abs. 9 Satz 1 und Satz 3 BImSchG bleibt die
Behörde, die die von einem Dritten angefochtene Baugenehmigung erlassen hat,
ebenso wie die Baugenehmigungsbehörde, die für die Erteilung einer Baugenehmigung
in einem aufgrund der Übergangsregelung nach altem Recht fortzusetzenden Verfahren
zuständig ist, alleinige Herrin des Verfahrens. Das gilt bis zum unanfechtbaren
Abschluss des Verfahrens.
16
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Januar 2006
17
- 8 B 125/06 - und vom 14. September 2005 - 8 B 96/05 -, a.a.O.
18
4. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach Maßgabe des § 146
Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angefochtenen Beschluss des
Verwaltungsgerichts nicht in Frage.
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Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht den auf §§ 80 Abs. 5
und 80 a Abs. 3 VwGO gestützten Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die
angefochtene Genehmigung im Einklang mit den immissionsschutzrechtlichen
Regelungen ergangen und die Antragstellerin hierdurch nicht in nachbarschützenden
Vorschriften verletzt sei. Das Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren
gibt keine Veranlassung, abweichend von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
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a) Die Rüge der Antragstellerin, ihr sei kein Einblick in die Data-logs der
Windkraftanlage gewährt worden, vermag die Entscheidung des Verwaltungsgerichts
nicht in Frage zu stellen. Eine Beiziehung der Datenaufzeichnungen über den Betrieb
der Anlage ist für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungsrelevant. Die
Antragstellerin wendet sich mit diesem Verfahren gegen die Rechtmäßigkeit der
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erteilten Genehmigung. Die Data-logs werden aber von den Behörden zur
Überwachung der Anlage herangezogen, um abzuklären, ob sich die
Immissionsentwicklung im Rahmen der genehmigungsrechtlichen Vorgaben hält. Die
Data-logs sind damit lediglich ein Mittel der Kontrolle, geben aber keinen Aufschluss
darüber, ob die Voraussetzungen für eine Genehmigungserteilung vorgelegen haben.
b) Die Beschwerdeschrift zeigt auch nicht auf, dass von der hier in Rede stehenden
Windkraftanlage unzumutbare optische und akustische Wirkungen auf den
Pferdebetrieb der Antragstellerin ausgehen und damit die wirtschaftliche Nutzbarkeit
ihres Betriebsgeländes beeinträchtigt ist.
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aa) Soweit die Antragstellerin unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten
von Dr. A. -G. vom 22. Dezember 2005 vorträgt, dass der Schattenwurf von
Windkraftanlagen zu Stresssituationen bei Pferden führen könne und dass der
Außendressurplatz nur in etwa 200 m Entfernung zu der Windkraftanlage liege, stellt
dies die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht in Frage. Denn mit einem
Schattenwurf, der durch die streitbefangene Windkraftanlage verursacht wird, ist auf
dem Gelände der Antragstellerin schon aufgrund der geographischen Lage nicht zu
rechnen, da die Windkraftanlage nördlich der Betriebsgebäude und der Außenanlagen
der Antragstellerin gelegen ist. Diese Feststellung wird auch durch die
Schattenwurfprognose der Firma f. GmbH vom 4. Juni 2003 und die zugehörige
Schattenwurfkarte vom 3. Juni 2003 belegt. Im Übrigen ist das
Sachverständigengutachten von Dr. A. -G. auch zu pauschal, um unzumutbare
Beeinträchtigungen für den Pferdebetrieb der Antragstellerin durch den Schattenwurf
einer Windkraftanlage zu belegen. Insbesondere enthält es keine Angaben darüber, wie
stark die jeweilige Reizeinwirkung sein muss, um eine stressbedingte Reaktion bei
einem Pferd auszulösen oder welche Nähe zu einer Windkraftanlage überhaupt als
problematisch angesehen wird.
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bb) Das von der Antragstellerin vorgelegte Gutachten zeigt auch nicht auf, dass von der
hier in Rede stehenden Windkraftanlage eine unzumutbare Beeinträchtigung der Pferde
durch Infraschall ausgeht. Zwar kann messtechnisch nachgewiesen werden, dass
Windkraftanlagen Infraschall verursachen können. Das Gutachten von Dr. A. -G. gibt
jedoch keinen wissenschaftlich belegten Nachweis dafür, dass von einer
Windkraftanlage derart hohe Infraschallimmissionen ausgehen können, dass mit
gesundheitsrelevanten und nicht hinnehmbaren Auswirkungen bei den Pferden auf dem
Gelände der Antragstellerin gerechnet werden könnte. Soweit die Gutachterin auf
Untersuchungen von Auswirkungen des von Windkraftanlagen ausgehenden
Infraschalls auf den Menschen abstellt, ist festzustellen, dass insoweit bislang ebenfalls
keine den wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Hinweise für eine
beeinträchtigende Wirkung gefunden wurden.
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Vgl. Windenergieanlagen und Immissionsschutz, Herausgeber: Landesumweltamt
Nordrhein-Westfalen, Materialien Nr. 63, 2002, S. 19, im Internet verfügbar unter
http://www.lua.nrw.de, m.w.N.; vgl. auch OVG NRW, Urteile vom 6. August 2003 - 7a D
100/01.NE - und vom 18. November 2002 - 7 A 2127/00 -, NVwZ 2003, 756.
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c) Auch die Einwände der Antragstellerin gegen die der Genehmigung zugrunde
liegenden Schallimmissionsprognose des Ingenieurbüros S. & I. vom 30. September
2003 - im Folgenden: Immissionsprognose - sowie der Referenzmessung der Firma L1.
D. F. bezüglich Windkraftanlagen gleichen Typs am Standort Windpark D1. -I1. vom 23.
26
Juli 2001 - im Folgenden: Referenzmessung - greifen nicht durch.
aa) Anhaltspunkte für eine Befangenheit des Dipl.-Ing. T1. von der Firma L1. D. F. , die
eine Berücksichtigung der von ihm erstellten Messberichte im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren ausschließen könnte, sind nicht ersichtlich. Die von der Antragstellerin nicht
näher substantiierte Behauptung, dieses Ingenieurbüro habe eine immense Nähe zur
Windindustrie und würde für die Windkraftanlagenhersteller eine Vielzahl von
Erstvermessungen durchführen, begründet allein noch keine Zweifel an der
Unparteilichkeit des Gutachters. Abgesehen davon erfolgen solche Messungen anhand
einschlägiger technischer Regelwerke und können daher auch von Dritten zumindest
auf Schlüssigkeit und Plausibilität hin überprüft werden. Das Beschwerdevorbringen
legt auch nicht dar, dass der 10. oder 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein- Westfalen entsprechende Referenzmessungen der Firma L1. D. F. als
nicht verwertbar angesehen haben. Der 10. Senat hat in dem von der Antragstellerin
zitierten Verfahren,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. November 2003 - 10 B 2566/03 -,
28
vielmehr darauf hingewiesen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass das
Ingenieurbüro L1. D. F. in der Vergangenheit Gutachten parteiisch oder wider besseres
Wissen erstellt habe. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht auf der Grundlage
des Beschwerdevorbringens in diesem Verfahren. Der Vortrag der Antragstellerin liefert
keinen hinreichend substantiierten Anhalt dafür, dass von einer Voreingenommenheit
des Dipl.-Ing. T1. oder anderer Beschäftigter des Ingenieurbüros L1. D. F. ausgegangen
werden könnte.
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bb) Die Beschwerdeschrift zeigt auch im Übrigen keine Zweifel an der inhaltlichen
Plausibilität der der Genehmigung zugrunde liegenden Immissionsprognose auf, die
insbesondere unter Hinzuziehung des Landesumweltamtes im Genehmigungsverfahren
eingehend geprüft wurde.
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(1) Der Vortrag der Antragstellerin, ihr Wohnhaus sei nicht in die Immissionsprognose
einbezogen worden, stellt deren Richtigkeit und Verwertbarkeit nicht in Frage, da der
Immissionspunkt 1 und die Lage des Wohnhauses der Antragstellerin von der
Immissionsbelastung her vergleichbar sind. Dies belegt zum einen das ergänzende
schalltechnische Gutachten des Ingenieurbüros S. & I. vom 1. September 2005, in dem
für den Immissionspunkt 11 - dem Wohnhaus der Antragstellerin - ebenso wie am
Immissionspunkt 1 zur Nachtzeit ein Beurteilungspegel inklusive der Abschätzung des
oberen Vertrauensbereichs von 42,4 dB (A) prognostiziert worden ist. Zum anderen hat
auch das Landesumweltamt hierzu eine Vergleichsberechnung vorgenommen und
kommt in seiner Stellungnahme vom 15. September 2005 zu dem Ergebnis, dass der
Immissionspunkt 1 und der Standort des Wohnhauses der Antragstellerin hinsichtlich
der durch die Windkraftanlage zu erwartenden Immissionsbelastung gleichwertig sind.
31
(2) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist auch nicht zu beanstanden, dass im
maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung kein Zuschlag für eine
Tonhaltigkeit der Windkraftanlage in Ansatz gebracht worden ist. Der der
Immissionsprognose zugrunde liegende Messbericht ging im Nahbereich von einer
Tonhaltigkeit von "KTN = 2 dB" bei 95 % der Nennleistung aus (Seite 38), die im
Fernbereich ab 400 m nicht immissionsrelevant sei (Seite 42). Auch wenn für die
Lärmimmissionsprognose von Windkraftanlagen der Schallleistungspegel beim
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Betriebszustand mit dem höchsten Beurteilungspegel maßgeblich ist,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - 8 B 158/05 - und Urteil vom 18.
November 2002 - 7 A 2127/00 -, a.a.O.,
33
schließt dies bei der im vorliegenden Verfahren allein vorzunehmenden summarischen
Prüfung nicht die Befugnis aus, die bei 95 % der Nennleistung gemessene
Schallemission in die Prognose einzustellen. Denn nach dem aktuellen Erkenntnisstand
dienen die bei 95 % der Nennleistung ermittelten Daten als hinreichende Näherung für
die erzeugten Geräuschemissionen im Nennleistungsbereich, bei dem die höchsten
Beurteilungspegel im Sinne der TA Lärm auftreten.
34
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - 8 B 158/05 - und vom 7. Januar
2004 - 22 B 1288/03 -, NVwZ-RR 2004, 408.
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Darüber hinaus ist in dem Messbericht festgehalten, dass nach dem subjektiven
Höreindruck das Anlagengeräusch im Nahbereich kurzzeitig schwach und im
Fernbereich nicht tonhaltig gewesen sei, was auf sehr niedrige windinduzierte
Geräusche an den Messpunkten zurückzuführen sei. Vor dem Hintergrund, dass nicht
jede noch so geringe Tonhaltigkeit die Vergabe eines Tonzuschlages rechtfertigt und
auch nach dem Anhang A.3.3.5 der TA Lärm dem Höreindruck Bedeutung zukommt, ist
die Schlussfolgerung des Ingenieurbüros L1. D. F. hinsichtlich des hier in Rede
stehenden Anlagentyps keinen allgemeinen Tonzuschlag zu vergeben, nicht zu
beanstanden. Vor diesem Hintergrund bestehen auch keine Bedenken, dass das
Ingenieurbüro S. & I. in seiner Immissionsprognose für die hier streitbefangene Anlage
keinen Tonzuschlag in Ansatz gebracht hat. Da bei der Referenzmessung ein
Tonhaltigkeitswert im Nahbereich von lediglich "KTN = 2 dB" festgestellt wurde, war im
Hinblick auf die Regelung in Nr. 5.3.1 des bei der Erstellung des Messberichts
maßgeblichen Windenergie-Erlasses vom 3. Mai 2002 (MBl. NRW. S. 742), die insoweit
mit derjenigen in Nr. 5.1.1 des Windkraftanlagen-Erlasses vom 21. Oktober 2005 (MBl.
NRW. S. 1288) übereinstimmt, kein Tonzuschlag zu vergeben.
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Vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 10. April 2006 - 8 B 125/06 -.
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(3) Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass die errichtete Anlage bereits
konstruktionsbedingt typischerweise tonhaltig sei, und hierzu in der Beschwerdeschrift
auf die Gegendarstellung des Herrn Q. vom 18. Dezember 2005 zum Schreiben des
Landesumweltamtes vom 21. November 2005 Bezug nimmt, rechtfertigt dies keine
andere Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die Darlegungen des Herrn Q. in
dessen Schreiben vom 7. Oktober 2005 der Sache nach als unsubstantiiert eingestuft,
da insoweit weder die Messungen noch ihre Beurteilung offengelegt wurden. Dies ist
auch in Anbetracht der Gegendarstellung vom 18. Dezember 2005 nicht zu
beanstanden, da ohne Offenlegung der Messergebnisse nicht einmal nachvollzogen
werden kann, wie Herr Q. bei seinen Messungen die Anlagengeräusche von den u.a.
windabhängigen Fremdgeräuschen getrennt hat. Entsprechendes gilt für die Annahme
des Herrn Q. , dass bei der Schallimmissionsprognose Reflexionen nicht berücksichtigt
worden seien und dass insoweit im Mittel Schallpegelerhöhungen von 5 bis 7 dB (A) zu
erwarten seien. Denn die der Genehmigung zugrunde liegende Immissionsprognose ist
auf der Grundlage der DIN ISO 9613-2 erstellt worden und im Rahmen dieses
Berechnungsverfahrens (vgl. Nr. 7.5) werden physikalische Effekte, wie z.B. auch
Schallreflexionen, als sog. Spiegelquellen in die Prognoseberechnung einbezogen.
38
(4) Hinsichtlich des hier in Rede stehenden Windkraftanlagetyps GEW 1.5SL hat es -
auf der Grundlage der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes insofern allein
möglichen summarischen Prüfung - auch weder im Zeitpunkt der Erstellung des
Messberichts noch im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung einen hinreichend
konkreten objektiven Anhaltspunkt dafür gegeben, dass nicht nur einzelne Anlagen
dieses Typs, sondern der Anlagentyp generell tonhaltige Geräusche entwickelt.
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Dies zeigt die vom Staatlichen Umweltamt Düsseldorf eingeholte Stellungnahme des
Landesumweltamtes vom 12. August 2003, in der mitgeteilt worden ist, dass das
Landesumweltamt nach Prüfung der unabhängigen Messberichte und bei Einhaltung
der Zusage des Herstellers, zukünftig das Getriebe eines bestimmten Herstellers nicht
mehr einzusetzen, davon ausgehe, dass die geplante Windkraftanlage keine
immissionsrelevante Tonhaltigkeit aufweisen werde.
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Gegen eine generelle Tonhaltigkeit dieses Anlagentyps spricht auch das
Immissionsgutachten des TÜV Rheinland vom 5. September 2005 an Windkraftanlagen
des gleichen Typs im Windpark H. , bei denen weder ton- noch impulshaltige
Geräusche festgestellt wurden. Durchgreifende Bedenken gegen die Unparteilichkeit
des TÜV Rheinland zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf. Die Antragstellerin belässt es
bei der nicht näher substantiierten Behauptung, der "TÜV" sei wegen einer vom
Landesumweltamt in Frage gestellten Messung an einer anderen Anlage als parteilich
und für eine objektive Messung ungeeignet zurückzuweisen.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landesumweltamt im Rahmen
einer Messung am 21. Dezember 2005 nunmehr festgestellt hat, dass die hier in Rede
stehende Windkraftanlage einzeltonhaltige Geräusche aufweist, die bei einer
Beurteilung nach der TA Lärm durch einen Einzeltonzuschlag von 3 dB (A) zu
berücksichtigen seien. Aus dieser Feststellung kann lediglich abgeleitet werden, dass
die vorliegende Anlage nicht entsprechend den Vorgaben in der Baugenehmigung
betrieben wird. Dieser Umstand ist aber für die Frage der von der Antragstellerin mit
diesem Verfahren in Zweifel gezogenen Rechtmäßigkeit der Genehmigung unerheblich.
Dem nicht genehmigungskonformen Betrieb der Anlage hat im Übrigen das Staatliche
Umweltamt Düsseldorf als zuständige Überwachungsbehörde Rechnung getragen,
indem es der Beigeladenen durch Ordnungsverfügung vom 9. Februar 2006 bis auf
Weiteres den Betrieb der Windkraftanlage zur Nachtzeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00
Uhr untersagt hat, da an den Immissionspunkten 6 und 8 (L. Straße 46 und 14) der für
die Nachtzeit festgelegte Immissionsrichtwert von 45 dB (A) unter Hinzurechnung eines
Tonhaltigkeitszuschlags von 3 dB (A) um 1 dB (A) überschritten wurde. Anhaltspunkte
dafür, dass der Tagesimmissionsrichtwert von 60 dB (A) an einem der Immissionspunkte
- insbesondere bei der Antragstellerin - überschritten wird, bestehen danach nicht.
Dieser Vorgang zeigt außerdem, dass die Nebenbestimmungen A020 in der
angefochtenen Baugenehmigung eine ausreichende und effektive Handhabe dafür
bieten, um im Rahmen der Überwachung des Betriebs der Anlage den Schutz der
Nachbarschaft vor unzumutbaren Immissionen zu gewährleisten.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind aus Gründen der Billigkeit
erstattungsfähig, weil sie sich mit der Antragstellung dem sich aus § 154 Abs. 3 VwGO
ergebenden Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG und orientiert
sich an Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in
der Fassung von Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525 = NVwZ 2004, 1327).
44
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 und 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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