Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 03.12.2001

OVG NRW: jugendhilfe, zusammenarbeit, ermessensausübung, jugendamt, bestimmtheit, aufgabenbereich, unterlassen, form, sozialarbeiter, erfüllung

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 853/00
Datum:
03.12.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 853/00
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 21 K 10739/95
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Keiner der geltend gemachten
Zulassungsgründe liegt vor.
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1. Die Zulassungsschrift führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn durch das
zu berücksichtigende Rechtsbehelfsvorbringen Bedenken von solchem Gewicht gegen
die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung hervorgerufen werden, dass deren
Ergebnis ernstlich in Frage gestellt ist.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. März 2001 - 12 B 1284/00 - mit weiteren
Nachweisen.
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Das ist hier nicht der Fall.
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Die Vorinstanz hat das Rechtsschutzbegehren des Klägers trotz seiner Erklärung, den
ursprünglichen Förderantrag vom 21. Februar 1995 nicht mehr weiter zu verfolgen, als
zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage angesehen. Diese sei indes unbegründet. Die
Ablehnung einer finanziellen Förderung des vom Kläger betriebenen
Pflegekinderdienstes sei von § 74 SGB VIII gedeckt. § 77 SGB VIII, in dem die
Kostenabwicklung bei individueller Inanspruchnahme durch Leistungsberechtigte
geregelt werde, komme als Anspruchsgrundlage für das Förderbegehren vom 21.
Februar 1995 von vornherein nicht in Betracht.
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Den Ausführungen des Verwaltungsgerichts setzt der Kläger entgegen: Mit der
Stellenausweitung im Jahre 1995 und der darauf fußenden Ablehnung einer
Kooperation mit dem Kläger sowie einer anteiligen Finanzierung des
Pflegekinderdienstes habe der Beklagte seine Pflichten aus § 4 Abs. 2 SGB VIII verletzt.
Der Beklagte sei gehalten gewesen, von eigenen Maßnahmen zum Ausbau eines
Pflegekinderdienstes abzusehen und die aus dieser Vorschrift folgenden Gebote im
Rahmen der Ausübung seines Ermessens bei Anwendung der §§ 74, 77 SGB VIII zu
beachten. An einer so geprägten fehlerfreien Ermessensausübung fehle es, da der
Gesichtspunkt, der öffentliche Träger werde selbst die erforderlichen Dienste schaffen
oder ausbauen, so dass kein Bedarf für den Dienst des privaten Trägers bestehe,
gerade keine zulässige Ermessenserwägung sei. Weitergehend habe sogar vieles dafür
gesprochen, dass eine Reduzierung des Ermessens des Beklagten auf Null in dem
Sinne vorgelegen habe, dass er den klägerischen Pflegekinderdienst jedenfalls in Höhe
der veranschlagten zehn Wochenstunden zu 47.000,-- DM hätte (anteilig) mitfinanzieren
müssen.
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Ob dieses Vorbringen geignet ist, die Richtigkeit der Ausführungen des
Verwaltungsgerichts zur Ermessensausübung bei Anwendung des § 74 SGB VIII,
insbesondere zur Auswirkung von § 4 Abs. 1 und 2 SGB VIII auf die
Ermessensausübung in Frage zu stellen, kann dahinstehen. Die Abweisung der Klage
begegnet nämlich aus anderen, bereits im erstinstanzlichen Verfahren und im
Zulassungsverfahren berührten Gründen keinen ernstlichen Zweifeln (vgl. den in § 144
Abs. 4 VwGO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken). Die vom Kläger weiter
verfolgte Fortsetzungsfeststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung, dass der
Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 9. November 1995 rechtswidrig war, ist unzulässig.
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Allerdings ist § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, der für den Fall der Erledigung des durch
Anfechtungsklage angegriffenen Verwaltungsakts die Möglichkeit vorsieht, die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes feststellen zu lassen, auf die
Verpflichtungsklage in ihren beiden Formen (§ 42 Abs. 1 VwGO) entsprechend
anwendbar, und zwar auch dann, wenn sich das Verpflichtungsbegehren vor Erhebung
der verwaltungsgerichtlichen Klage erledigt hat.
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Vgl. Gerhardt, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. II, Stand: Januar 2001,
§ 113 Rdnrn. 100ff.; Kuntze, in Bader, VwGO, § 113 Rdnr. 48 m.w.N.
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Dem Kläger fehlt indessen das Feststellungsinteresse für die Verfolgung der
Fortsetzungsfeststellungsklage. Sein über die begehrte Rechtswidrigkeitsfeststellung
hinausgehendes ursprüngliches Rechtsschutzziel, das sich nur aus einem erledigten
Verpflichtungsbegehren ergeben könnte, bleibt letztlich unklar. Das steht deshalb einem
Feststellungsinteresse entgegen, weil eine Verpflichtungsklage, an deren Stelle im
Falle der Erledigung die Fortsetzungsfeststellungsklage treten soll, nur bei
hinreichender Bestimmtheit des Verpflichtungsziels zulässig wäre. Auch wenn an Stelle
einer Verpflichtungsklage eine Fortsetzungsfeststellungsklage durchgeführt wird, bleibt
essentiell für die Zulässigkeit die Angabe einer erstrebten bestimmten - von der Behörde
abgelehnten oder schlicht unterlassenen - durch Verwaltungsakt zu treffenden
Regelung.
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Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, München 2000, 12. Aufl., § 113 Rdnr. 109. Im gesamten
Verlauf des vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Streitverfahrens in erster und zweiter
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Instanz ist nicht hinreichend deutlich geworden, auf was genau sich eine durch das
Gericht auszusprechende Verpflichtung hätte richten sollen, wenn nicht, wie vom Kläger
ausgeführt, durch Ablauf des Haushaltsjahres 1995 Erledigung eingetreten wäre. Wie
den erstinstanzlichen Schriftsätzen des Klägers vom 3. und 29. November 1999 zu
entnehmen ist, ist dem Kläger in erster Linie an der Feststellung eines Verstoßes des
Beklagten gegen die in § 4 für die Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe mit der
freien Jugendhilfe aufgestellten Regeln gelegen. Diesen Verstoß erblickt der Kläger
insbesondere in der in der Rheinischen Post vom 18. Februar 1995 erschienenen
Stellenanzeige, mit der der Beklagte "eine/n Sozialarbeiterin/Sozialarbeiter oder eine/n
Sozialpädagogin/Sozialpädagogen für den Aufgabenbereich 'Pflegekinderwesen' im
Jugendamt" suchte, der nachfolgenden Stellenbesetzung und in dem Unterlassen einer
Zusammenarbeit mit dem Pflegekinderdienst des Klägers. Der Kläger wendet sich
insbesondere dagegen, dass der Beklagte die ausgeschriebene Stelle geschaffen und
besetzt sowie in keiner Weise auf das Angebot des Klägers zur Zusammenarbeit mit
ihm eingegangen ist. Mit dem bereits erwähnten Schriftsatz vom 3. November 1999 hat
der Kläger klar gestellt, ihm gehe es ausschließlich um seinen Antrag vom 9. März 1995
an den Beklagten, nicht also (auch oder allein) um seinen beim Beklagten gestellten
Antrag vom 21. Februar 1995. Im Schreiben vom 9. März 1995 stellte der Kläger den ?
Antrag auf Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem freien Träger der
Jugendhilfe..., unseren bestehenden Dienst zu berücksichtigen und keinen erweiterten
Dienst beim Jugendamt einzurichten.? Im Schreiben vom 21. Februar 1995 war als
Antrag formuliert worden: ?Wir beantragen hiermit umgehend die Kostenerstattung einer
halben Stelle unseres Pflegekinderdienstes.? Dass der Kläger das mit diesem Antrag
unterbreitete Begehren nicht weiter verfolgen wollte, brachte er schon gegenüber dem
Beklagten durch seine Rechtsauffassung zum Ausdruck, hinsichtlich der Erfüllung
jugendhilferechtlicher Pflichtaufgaben, um die es sich beim Pflegekinderdienst handele,
sei nicht der eine unmittelbare Förderung - also auch eine unmittelbare
Personalkostenbezuschussung - regelnde § 74 SGB VIII sondern § 77 SGB VIII
(Entgeltvereinbarung) maßgeblich. Diese Klarstellungen zum Streitgegenstand sind
aber dadurch relativiert worden, dass formelles Angriffsziel der Klage von vornherein,
fortwährend und ausschließlich der Bescheid des Beklagten vom 11. Juli 1995 in der
Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 9. November 1995 war. Diese Bescheide
regeln ausschließlich die Frage einer Förderung des Pflegekinderdienstes des Klägers
nach § 74 SGB VIII und betreffen demgemäß lediglich den Antrag vom 21. Februar
1995. Weder zur stellenmäßigen Ausweitung des Pflegekinderdienstes beim Beklagten
noch zur Frage, ob der Beklagte und der Kläger nach § 77 SGB VIII eine Vereinbarung
über die Höhe der Kosten der Inanspruchnahme des vom Kläger betriebenen
Pflegekinderdienstes treffen sollten, enthalten die zum Gegenstand der vorliegenden
Klage gemachten Bescheide eine Regelung. Dem entsprechend hat der Kläger in
seinem Schriftsatz vom 29. November 1999 die Auffassung vertreten, mit dem Bescheid
vom 11. Juli 1995 sei der Beklagte auf seinen mit Schreiben mit 9. März 1999 gestellten
Antrag auf Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem freien Träger der
Jugendhilfe nicht eingegangen. Stattdessen habe der Beklagte aus dem Schreiben des
Klägers vom 9. März 1995 einen "Antrag auf Personalkostenbezuschussung für eine
halbe Stelle des Pflegekinderdienstes" gedeutet.
Mit seiner Zulassungsschrift bringt der Kläger zwar sinngemäß vor, die Klage betreffe
neben der Ausweitung des Pflegekinderdienstes beim Beklagten und der Frage des
Abschlusses einer Entgeltvereinbarung nach § 77 SGB VIII auch die Frage einer - durch
seinen Antrag beim Beklagten vom 21. Februar 1995 begehrten - Förderung nach § 74
SGB VIII. Damit knüpft der Kläger an die verwaltungsgerichtliche Beurteilung an,
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wonach die Zweifel daran, dass es dem Kläger wirklich um die rechtliche Qualifizierung
des Bescheides vom 11. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.
November 1995 gehe, letztlich nicht durchgriffen. Abgesehen von Bedenken dagegen,
diese Neuformulierung des Rechtsschutzziels im Fortsetzungsfeststellungsstadium bzw.
im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen, führt aber auch die gegenüber dem
erstinstanzlichen Vorbringen neue Argumentation nicht zu einer hinreichenden
Bestimmtheit und Eindeutigkeit des Rechtsschutzziels. Nach wie vor bleibt unklar, um
was es dem Kläger gerade im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 11. Juli 1995 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1995 geht.
Eine solche Präzisierung des Verpflichtungsziels ist auch nicht im Hinblick auf die
allgemein oder konkretisierend die Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen und
freien Jugendhilfe regelnden jugendhilferechtlichen Rechtssätze entbehrlich. Diese
Rechtssätze sind auf verschiedene Rechtsfolgen gerichtet. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SGB
VIII soll die öffentliche Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe zum Wohl junger
Menschen und ihrer Familien partnerschaftlich zusammenarbeiten. Gemäß § 4 Abs. 2
SGB VIII soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen, soweit
geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der
freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können. Die
(auch finanzielle) Förderung der freien Jugendhilfe ist in § 74 SGB VIII geregelt. Nach
dessen Abs. 3 Satz 1 entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe über die Höhe
der Förderung im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem
Ermessen. Schließlich sind § 77 Satz 1 SGB VIII zufolge Vereinbarungen über die Höhe
der Kosten der Inanspruchnahme zwischen der öffentlichen und der freien Jugendhilfe
anzustreben, wenn Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Jugendhilfe in
Anspruch genommen werden. Diese Vielfalt jugendhilferechtlicher
Aktionsmöglichkeiten erfordert eine Präzisierung des jeweiligen Anliegens. Das gilt
ungeachtet der Frage, ob und inwieweit in § 4 SGB VIII justiziable Rechte des freien
Trägers der Jugendhilfe geregelt werden.
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Vgl. Wiesner, 2. Aufl., München 2000, § 4 Rdnrn. 1 und 7; Papenheim in Lehr- und
Praxiskommentar SGB VIII, Baden-Baden 1998 § 4 Rdnrn. 18 f., 37;
Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, Stand Juni 2001, § 4 Rdnrn. 5 f., 41
ff.
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Auch wenn, wofür hier vieles spricht, das schlichte Ignorieren eines Angebots auf
Zusammenarbeit im ?Pflegekinderwesen? gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verstößt,
wird dadurch die genaue Präzisierung eines Begehrens etwa auf eine bestimmte Form
und einen bestimmten Umfang der Zusammenarbeit nicht verzichtbar. Nach Erhalt des
Bescheides vom 11. Juli 1995 wäre es am Kläger gewesen, sein durch diesen Bescheid
nicht erfasstes Begehren weiter zu präzisieren, um darauf eventuell eine
verwaltungsgerichtliche Klage aufzubauen. Eine solche Präzisierung hätte, ohne dass
zu den Erfolgsaussichten in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren hier etwas
ausgeführt werden kann, beispielsweise unter Berücksichtigung des Wunsch- und
Wahlrechts der jeweils Berechtigten nach § 5 SGB VIII darauf zielen können, den
Beklagten zu bitten, bei neu anhängig werdenden Pflegekinderfällen auch auf den
Pflegekinderdienst des Klägers hinzuweisen. Hinsichtlich einer finanziellen Förderung
hätte es nicht nur im Hinblick auf die unterschiedlichen Unterstützungsformen des § 74
SGB VIII einerseits und des § 77 SGB VIII andererseits, sondern auch im Hinblick darauf
einer Präzisierung bedurft, dass der Pflegekinderdienst des Klägers in den örtlichen
Zuständigkeitsbereichen mehrerer öffentlicher Jugendhilfeträger tätig wurde und die
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1995 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten entfaltete Tätigkeit vergleichsweise
gering war.
Zu den möglichen Präzisierungen eines Antrag auf Zusammenarbeit vgl. VG Hannover,
Beschluss vom 2. Juli 1992 - 3 B 60/92 Hi -, RsDE Heft 24, S. 57 ff.; OVG Lüneburg,
Beschluss vom 11. September 1992 - 4 M 3953/92 -, RsDE Heft 24, S. 64 ff.
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2. Schließlich kommt der vorliegenden Rechtssache nicht die vom Kläger geltend
gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.
Abgesehen davon, dass schon zweifelhaft ist, ob der Kläger wenigstens sinngemäß
eine in dem zukünftigen Rechtsmittelverfahren klärungsfähige und klärungsbedürftige
Rechtsfrage formuliert hat, kommt es wegen der Unzulässigkeit der weiter verfolgten
Fortsetzungsfeststellungsklage unter keinem Gesichtspunkt auf die Klärung einer Frage
nach Auslegung und Anwendung jugendhilferechtlicher Vorschriften an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 10. Dezember 1999 rechtskräftig (§ 124 a Abs. 2
Satz 3 VwGO).
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