Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.11.2001
OVG NRW: kongruenz, verfügung, rüge, form, gefahr, datum
Oberverwaltungsgericht NRW, 8 A 2152/01.A
Datum:
19.11.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 A 2152/01.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 9 K 3392/98.A
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 23. April 2001 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
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Die mit der Antragsschrift allein geltend gemachte Verletzung des Rechts auf
Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, § 138 Nr. 3 VwGO) führt
nicht zur Zulassung der Berufung.
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Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass ein Gericht nur solche Tatsachen und
Beweisergebnisse - auch Presseberichte und Behördenauskünfte - verwertet, die von
den Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand
des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 2 BvR 982/00 -, AuAS 2001, 201; Beschluss
vom 06. Juli 1993 - 2 BvR 514/93 -, AuAS 1993, 249 (zum Fall einer thematisch nicht
gegliederten Erkenntnisliste).
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Dementsprechend dürfen Gerichte eigene Entscheidungen in anderen Verfahren oder
Entscheidungen anderer Gerichte nur dann als Grundlage für tatsächliche
Feststellungen in Bezug nehmen, wenn diese Entscheidungen oder die ihnen zu
Grunde liegenden Erkenntnisquellen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemacht oder in anderer Weise - etwa durch Übersendung einer Liste mit den
Erkenntnisquellen und Entscheidungen, deren tatsächliche Erkenntnisse zu Grunde
gelegt werden sollen - vollständig in das Verfahren eingeführt wurden; dies gilt selbst
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dann, wenn den Beteiligten die verwerteten Entscheidungen anderweitig bekannt sind.
BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1983 - 9 C 847.82 -, Buchholz 310 § 108 Nr. 132; Urteil
vom 1. Oktober 1985 - 9 C 20.85 -, Buchholz 402.25 § 1 Nr. 37.
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Einer Einführung von Gerichtsentscheidungen in das Verfahren bedarf es allerdings
dann nicht, wenn auf sie nicht mit dem Ziel verwiesen wird, sich die dort verwertete
Tatsachenbasis zu Eigen zu machen, sondern wenn lediglich die eigene Rechtsansicht
belegt oder darauf hingewiesen werden soll, dass die auf Grund der ausgewerteten
Erkenntnisquellen gewonnene Einschätzung der asylrelevanten Lage in der zitierten
Rechtsprechung geteilt wird.
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BVerwG, Urteil vom 22. März 1983 - 9 C 860.82 -, Buchholz 310 § 108 Nr. 133; OVG
NRW, Beschluss vom 13. Februar 1995 - 25 A 439/95.A -, NWVBl. 1995, 232.
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Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht den Beteiligten mit der Ladung eine
umfangreiche und inhaltlich gegliederte Erkenntnismittelliste übersandt, während es
sich in den Entscheidungsgründen ohne Angabe einzelner Erkenntnisquellen auch zur
Begründung seiner eigenen Bewertung der die Entscheidung tragenden tatsächlichen
Erkenntnisse auf die Leitentscheidung des beschließenden Senats vom 25. Januar
2000 sowie - zur Gefahr einer politischen Verfolgung unter dem Aspekt der Sippenhaft
in der Türkei - auf eine weitere Senatsentscheidung stützt (S. 9, 16 und 17 der
Urteilsabschrift).
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OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -; Beschluss vom 31. März 1998
- 25 A 5198/96.A - .
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Darin allein liegt indes keine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Denn wenn sich die im Einzelnen in Form einer Erkenntnismittelliste in das Verfahren
eingeführten Quellen mit den Erkenntnissen decken, auf denen die in der
verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zitierte Rechtsprechung beruht, wird das Recht
der Verfahrensbeteiligten, sich zu den tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung zu
äußern, nicht verkürzt. Besteht allerdings keine Übereinstimmung zwischen den in das
Verfahren eingeführten und in der Entscheidung - ggf. über die Bezugnahme auf eine
Leitentscheidung - zitierten Quellen, haben die Beteiligten nicht mehr die Möglichkeit,
vor der Entscheidung auf die maßgeblichen Erkenntnisse einzugehen, sie zu
kommentieren, in Zweifel zu ziehen und ggf. mit anderen, dem Verwaltungsgericht nicht
bekannten Quellen zu konfrontieren, da ihnen lediglich die eingeführten, nicht aber die
erst in der Entscheidung zitierten Erkenntnisse bekannt sind.
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Hiervon ausgehend hat der Kläger die geltend gemachte Gehörsversagung nicht
hinreichend dargelegt. Zur ordnungsgemäßen Begründung dieser Rüge ist die
Darlegung erforderlich, aus welchen Umständen sich das Vorliegen einer
Gehörsversagung ergibt und was der Kläger bei ausreichender Gewährung rechtlichen
Gehörs vorgetragen hätte; nur auf der Grundlage eines solchen Vortrages kann nämlich
geprüft und entschieden werden, ob auszuschließen ist, dass die Gewährung
rechtlichen Gehörs zu einer anderen, dem Kläger günstigeren Entscheidung geführt
hätte.
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Vgl. BVerfG; Beschluss vom 13. März 1993 - 2 BvR 1988/92-, InfAuslR 1993, 300, 302;
BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 1985 - 9 B 71.85 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28;
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OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 1995 - 25 A 439/95.A -, NWVBl. 1995, 232.;
abweichend Hess. VGH, Beschluss vom 21. März 1994 - 12 UZ 2311/93 - (S. 6 der
Beschlussabschrift m.w.N.).
In einem Fall wie dem vorliegenden muss daher in geeigneter Weise belegt werden,
dass die ins Verfahren eingeführten und die der angegriffenen Entscheidung zu Grunde
gelegten Erkenntnisse nicht deckungsgleich sind. Die Anforderungen an die Darlegung
dessen, was der Kläger bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen
hätte, richten sich nach der Art und Reichweite der im Einzelfall gerügten
Gehörsversagung: Wird die mangelnde Kongruenz der ins Verfahren eingeführten, aber
nicht zitierten und der in der Entscheidung zitierten, aber nicht ins Verfahren
eingeführten Erkenntnisquellen gerügt, muss dargelegt werden, in welcher Weise der
Kläger gerade durch diesen Umstand in seiner Rechtsverfolgung gehindert worden ist,
was er also vorgetragen hätte, wenn ihm nicht nur die ins Verfahren eingeführten
Erkenntnisse zur Verfügung gestanden hätten, sondern auch die vom
Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zitierten, aber nicht ordnungsgemäß ins
Verfahren eingeführten. Diese Darlegung muss - ohne dass hier die Anforderungen
überspannt werden dürfen - umso detaillierter sein, je geringer die Unterschiede
zwischen eingeführten und zitierten Erkenntnissen sind.
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Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift nicht. Sie legt lediglich dar, dass die
insbesondere auf den Seiten 16 und 17 der Urteilsabschrift zitierten Entscheidungen
des OVG NRW nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt wurden. Mit diesen
Angaben wird eine Gehörsversagung nicht aufgezeigt. Zu einer ordnungsgemäßen
Begründung der Gehörsrüge hätte darüber hinaus dargelegt werden müssen, dass die
in der Erkenntnismittelliste enthaltenen und damit ordnungsgemäß ins Verfahren
eingeführten Erkenntnisquellen andere seien als diejenigen, die in den im Urteil des
Verwaltungsgerichts für die Einschätzung der tatsächlichen Verfolgungssituation
zitierten Entscheidungen verwendet wurden.
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Auch die bloße Behauptung, der Kläger hätte bei rechtzeitiger Möglichkeit zur
Stellungnahme "dazu vorgetragen, dass keine der zum Gegenstand des Verfahrens
gemachten Erkenntnisquellen die (vom Verwaltungsgericht) getroffene Feststellung
tragen", lässt nicht erkennen, was der Kläger bei ausreichender Gewährung rechtlichen
Gehörs vorgetagen hätte. Dies gilt auch für die weitere schlichte Behauptung, "eine
Verfolgungsgefahr (bestehe) bereits dann, wenn nahe Verwandte in der Türkei
Verfolgung zu erwarten haben, weil den Angehörigen unterstellt wird, dass sie im
Ausland mit den Verwandten zusammengearbeitet ... haben".
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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