Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 14.11.2000
OVG NRW: sri lanka, politische verfolgung, amnesty international, ausreise, inhaftierung, verdacht, gefahr, körperliche unversehrtheit, freilassung, einreise
Oberverwaltungsgericht NRW, 21 A 457/98.A
Datum:
14.11.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
21 A 457/98.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 4a K 1524/95.A
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3.
Februar 1995 verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen der Kläger und die
Beklagte jeweils zur Hälfte; die Kosten des zweitinstanzlichen
Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Der am 1974 in Punkudutivu geborene Kläger ist srilankischer Staatsangehöriger
tamilischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Angaben verließ er sein Heimatland am
26. November 1994 mit dem Flugzeug und reiste am 3. Dezember 1994 auf dem
Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
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Am 29. Dezember 1994 stellte er beim Grenzschutzamt Frankfurt/Main einen Asylantrag,
nachdem er dort wegen eines missbräuchlich benutzten kanadischen Flüchtlingspasses
festgenommen worden war. Bei seiner Vernehmung gab er an, er habe sich seit dem 3.
Dezember 1994 zunächst im Bundesgebiet aufgehalten und habe von Frankfurt aus
über Paris nach Kanada fliegen wollen. Am 21. Dezember 1994 sei er von den
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französischen Grenzbehörden von Paris nach Frankfurt/Main zurückgewiesen worden.
Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt führte der Kläger
am 30. Dezember 1994 im Wesentlichen aus: Er habe in Sri Lanka zehn Jahre lang die
Schule besucht und diese ohne Abschluss 1990 beendet. Am 5. Oktober 1991 hätten
sich srilankische Soldaten seinem Heimatort Punkudutivu genähert. Deshalb sei er mit
seiner Familie noch am gleichen Tage nach Jaffna geflohen. Am 9. Oktober 1991 sei er
nach Punkudutivu zurückgekehrt, um einige Sachen zu holen. Er sei dabei von den
Soldaten festgenommen und in das Lager Karainagar gebracht worden. Dort sei er ca.
zwei Jahre lang inhaftiert worden und erst am 30. Oktober 1993 entlassen worden. Die
srilankischen Soldaten hätten ihn verdächtigt, der LTTE anzugehören. Man habe ein
entsprechendes schriftliches Geständnis vorbereitet, wonach er LTTE-Mitglied sei. Er
habe sich jedoch geweigert, dies zu unterschreiben. Er sei nie Mitglied einer
Organisation oder Partei gewesen. Während der zweijährigen Inhaftierung sei er
gefoltert und immer wieder gefragt worden, ob er Mitglied der LTTE sei. Außerdem habe
er Sandsäcke füllen müssen. Seine Mutter habe vergeblich versucht, ihn
freizubekommen. Sie habe auch einen Anwalt aus Colombo beauftragt, der dies jedoch
nicht geschafft habe. Sie habe dann das Rote Kreuz eingeschaltet, mit dessen Hilfe er
schließlich freigekommen sei. Von der Haftzeit gebe es nichts besonderes zu berichten.
Anfangs habe man ihn verhört und auch geschlagen. Er sei die ganze Zeit über in dem
Lager der srilankischen Soldaten untergebracht und dort als Hilfskraft eingesetzt
worden. Man habe ihm auch vorgeworfen, dass er in den Jahren zuvor nicht die EPRLF
unterstützt habe.
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Nach seiner Haftentlassung sei er zusammen mit seiner Mutter von Karainagar per
Schiff nach Trincomalee gefahren und dann von Trincomalee nach Colombo gereist.
Dort seien er und seine Mutter etwa eine Woche lang geblieben. Danach seien sie nach
Jaffna zurückgekehrt. Nach etwa einer Woche hätten LTTE- Angehörige ihr Haus
durchsucht. Sie hätten ihn verdächtigt, weil er bei den Soldaten gewesen sei und weil er
die srilankischen Soldaten unterstütze sowie Informationen sammle und weitergebe.
Zusammen mit seiner Mutter sei er dann nach Colombo zurückgefahren, wo er am 9.
November 1994 angekommen sei. Unterwegs bei einer Kontrolle in Vavuniya sei er
kurzzeitig von seiner Mutter getrennt worden, weil er keine ID-Card gehabt habe. In
Colombo sei er bei einer Kontrolle in der Pension, in der sie gewohnt hätten, von der
Polizei festgenommen und in der Zeit vom 15. bis 21. November 1994 unter dem
Vorwurf, LTTE-Mitglied zu sein, inhaftiert worden. Nachdem sich ein katholischer
Priester für ihn eingesetzt habe, sei er freigelassen worden. Während der Haftzeit sei er
geschlagen worden.
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Am 26. November 1994 sei er von Colombo aus mit dem Flugzeug nach Moskau
geflogen. Bei der Ausreise habe es keine Schwierigkeiten gegeben. Anschließend sei
er mit einem Pkw vom 27. November bis 3. Dezember 1994 durch ihm unbekannte
Länder unterwegs gewesen und am 3. Dezember 1994 in Deutschland eingetroffen.
Vom 3. bis zum 20. Dezember 1994 habe er sich beim Schlepper aufgehalten. Sein
Onkel habe ihn am 20. Dezember 1994 nach Frankfurt gebracht. Ab Frankfurt sei er mit
dem ihm ausgehändigten kanadischen Reisepass nach Paris geflogen und von dort
nach Frankfurt zurückgeschickt worden. Beim Abflug aus Frankfurt habe er den
kanadischen Pass vorgezeigt, der auf den Namen S. (Vorname) S. (Nachnamen),
geboren am 1973 in Jaffna, ausgestellt gewesen sei. In Paris habe er keinen Asylantrag
gestellt.
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Er befürchte, im Falle seiner Rückkehr werde man ihm seitens der LTTE vorwerfen,
dass er unzutreffenderweise angegeben habe, er müsse seine Mutter bis Colombo
begleiten, weil diese krank sei. Er könne auch nicht in Colombo bleiben. Als junger
Tamile müsse er dort mit seiner Verhaftung rechnen.
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Mit Bescheid vom 3. Februar 1995 lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab und
verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.
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Am 27. Februar 1995 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 3. Februar 1995 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen sowie festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 des Ausländergesetzes und Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG
vorliegen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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In der mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 1997 hat der Kläger zu seinen
Asylanträgen ergänzend vorgetragen: Während seiner Schulzeit sei er bei der
Schülerorganisation der "Tiger" in deren Mitgliederliste geführt worden. Zu den
Aufgaben der Schülerorganisation habe u.a. gehört, Plakate zu kleben. Im Armeelager
Karainagar, in das er am 9. Oktober 1991 von srilankischen Soldaten gebracht worden
sei, sei er mit dem Vorwurf konfrontiert worden, Mitglied der LTTE zu sein. Er sei dort
geschlagen und getreten worden. An den darauf folgenden Tagen sei er bei
unterschiedlichen Arbeiten, z.B. beim Füllen von Sandsäcken, eingesetzt worden. Wenn
die LTTE Angriffe durchgeführt habe, seien er und die anderen Tamilen im Lager
misshandelt worden. Er sei wiederholt verhört worden. Als er sich geweigert habe, ein
Schreiben zu unterzeichnen, mit dem er habe zugeben sollen, Mitglied der LTTE zu
sein, sei er ebenfalls misshandelt worden, indem man ihn z.B. mit dem Kopf nach unten
aufgehängt oder mit unterschiedlichen Gegenständen geschlagen habe. Dass er
schließlich mit Hilfe des Roten Kreuzes am 30. Oktober 1993 entlassen worden sei,
führe er darauf zurück, dass das Rote Kreuz argumentiert habe, er müsse spätestens ein
Jahr nach dem Tod seines Vaters als dessen ältester Sohn den Beisetzungsritus
ausrichten. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass es sich lediglich um eine
vorübergehende Entlassung gehandelt habe. Die erlittene Haft habe erhebliche
Folgewirkungen, insbesondere psychischer Art für ihn gehabt. Er habe deshalb den
Wunsch gehabt, Sri Lanka zu verlassen, zumal er auch von der LTTE mit dem Verdacht
konfrontiert worden sei, Spion der Armee zu sein. In Colombo, wo er am 15. November
1994 von srilankischen Polizisten in der Lodge festgenommen worden sei, sei er
verdächtigt worden, mit der LTTE etwas zu tun zu haben. Er sei in der Kottahena-
Polizeistation verhört worden. Die Ausreise sei mit einem auf seinen Namen
ausgestellten Pass erfolgt. In Deutschland habe er keinen Kontakt zur LTTE. Er habe
jedoch schon an Demonstrationen teilgenommen, die sich für bessere Bedingungen in
Sri Lanka einsetzten.
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Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen.
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Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 7. Oktober 1998 seine
Berufung zugelassen, soweit er begehrt, die Verpflichtung der Beklagten festzustellen,
dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
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Zur Begründung trägt der Kläger ergänzend vor: Er sei vorverfolgt aus Sri Lanka
ausgereist. Sein Entschluss zur Ausreise sei von ihm bereits während der Inhaftierung
im Karainagar-Lager gefasst worden, wo man ihn ohne Grund zwei Jahre lang
festgehalten, körperlich schwer misshandelt und zu Zwangsarbeiten herangezogen
habe. Seine Verhaftung durch die Polizei in Colombo sei am 5. oder 6. Tag seines
Aufenthaltes erfolgt, und zwar wegen des Verdachtes, Verbindungen zur LTTE zu
haben. Während der Verhöre in der Polizeistation Kottahena sei er vier bis fünf Mal mit
Schuhen getreten und mit Gewehrkolben traktiert worden. Er habe zwar keine äußeren
Verletzungen erlitten, jedoch starke Schmerzen in der Brust gehabt. Die Freilassung sei
unter Meldeauflagen nur vorläufig erfolgt. Es sei damals sehr deprimiert gewesen und
habe geglaubt, in Sri Lanka keine Sicherheit mehr zu finden. Im Falle seiner Rückkehr
nach Sri Lanka sei er vor erneuter politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise von § 53 AuslG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Das Verwaltungsgericht habe das
Begehren des Klägers zu Recht abgewiesen. Die Zweifel an der persönlichen
Glaubwürdigkeit des Klägers, wie sie das Verwaltungsgericht dargelegt habe, seien
berechtigt. Die unsubstantiierte, detailarme Schilderung der angeblichen Haft vom 9.
Oktober 1991 bis zum 30. Oktober 1993 könne nicht mit der Behauptung mangelhafter
Befragung begründet werden. Ausweislich des Anhörungsprotokolles sei er insgesamt
vier Mal nach den genauen Umständen seiner Haft befragt worden. Unglaubwürdig
seien auch seine unsubstantiierten, detailarmen Ausführungen zur angeblichen Haft
vom 15. bis zum 21. November 1994. Die in der Anhörung beim Bundesamt geäußerte
Behauptung, während dieser Haft geschlagen worden zu sein, sei in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht einmal wiederholt, geschweige denn
konkretisiert worden. Im Übrigen sei auch nicht einsichtig, warum der Kläger nicht sofort
nach seiner Einreise im Bundesgebiet Asyl beantragt habe. Da er mit Hilfe eines
Schleppers eingereist sei, seien ihm die rechtliche und damit auch tatsächliche
Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus in Deutschland und damit auch die mögliche
Gefahr einer Abschiebung in sein Heimatland sehr wohl bekannt gewesen. Wäre er, wie
er behaupte, von einer de-facto-Sicherheit ausgegangen, hätte er zudem keinen
gefälschten Pass benutzt.
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Der Beteiligte stellt keinen Antrag.
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Die Verfahrensbeteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
als Einzelrichter einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
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Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der
Ausländerbehörde Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, zu Gunsten des
Klägers festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Sri
Lankas vorliegen. Der anders lautende Bescheid des Bundesamtes ist insoweit
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Urteil
des Verwaltungsgerichts ist dementsprechend zu ändern.
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1. Der Kläger darf gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht nach Sri Lanka abgeschoben werden,
da dort sein Leben oder seine Freiheit aus den in der Vorschrift genannten Gründen,
namentlich wegen seiner tamilischen Volkszugehörigkeit und seines Alters, bedroht ist.
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Wegen der für die Beurteilung des Klagebegehrens maßgeblichen Ansatzpunkte und
Kriterien wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 - 2
BvR 502, 1000, 961/86 - (BVerfGE 80, 315) verwiesen. Die dort unter B I für die
Asylberechtigung dargestellten rechtlichen Grundsätze gelten, soweit vorliegend
relevant, auch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
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Vgl. zur Deckungsgleichheit von Verfolgungshandlung, geschütztem Rechtsgut sowie
politischem Charakter der Verfolgung bei Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. = Art. 16 a Abs. 1
GG und § 51 Abs. 1 AuslG BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, NVwZ
1992, 892, sowie zur Deckungsgleichheit des politischen Charakters bei Art. 16 a Abs. 1
GG, § 51 Abs. 1 AuslG und bei Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Genfer Konvention (GK) BVerwG,
Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497, 498 f.
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Für die Beurteilung, ob der Kläger als politisch Verfolgter Schutz beanspruchen kann, ist
darauf abzustellen, ob er bei Rückkehr in sein Heimatland vor politischer Verfolgung
hinreichend sicher ist; denn er ist wegen erlittener und wegen unmittelbar drohender
weiterer politischer Verfolgung ausgereist mit der Folge, dass er als vorverfolgt
anzusehen ist.
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Vgl. zu den Maßstäben BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 344 und
BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 145.90 -, BVerwGE 88, 367, 369 m.w.N. sowie
Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 166.
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Bei der Prüfung und Beurteilung erlittener oder unmittelbar drohender Vorverfolgung ist
entscheidend auf das Vorbringen der Asylbewerber abzustellen. Da sie allein die
bestimmenden Gründe für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es
ihnen, die tatsächliche Grundlage für eine politische Verfolgung selbst in schlüssiger
Form vorzutragen. Dabei haben sie bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden
Umstände, insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer
Einzelheiten eine in sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben, während
hinsichtlich der allgemeinen Umstände im Herkunftsland eine Darstellung von
Tatsachen genügt, aus denen sich die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergibt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG
Nr. 42, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1
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VwGO Nr. 212.
2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. a) Das Gericht hat mit der nach § 108 Abs. 1
VwGO erforderlichen Gewissheit aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die
Überzeugung gewonnen, dass der Kläger im November 1994 unter dem Druck erlittener
und ihm unmittelbar drohender weiterer politischer Verfolgung, vor der innerhalb des
Heimatlandes auszuweichen ihm nicht zumutbar war, mithin aus einer durch politische
Verfolgung bedingten ausweglosen Lage Sri Lanka verlassen hat.
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Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass dem Kläger sowohl während seiner mehr
als zweijährigen Inhaftierung in dem auf der Insel Karaitivu gelegenen Militär-Camp der
srilankischen Streitkräfte bei Karainagar (vgl. dazu u.a. KK 28.11.1997 S.1) von Oktober
1991 bis Ende Oktober 1993 als auch während seiner Inhaftierung in der Polizeistation
Kottahena in Colombo vom 15. bis 21. November 1994 schwerwiegende
Rechtsgutverletzungen zugefügt wurden. Nach seinen glaubhaften Angaben war er
Anfang Oktober 1991 von seinem Heimatort Punkudutivu (auf der gleichnamigen Insel
Punkudutivu) aus zusammen mit anderen Familienangehörigen vor srilankischen
Soldaten zunächst nach Jaffna geflüchtet. Als er sich am 9. Oktober 1991 mit dem
Fahrrad zurück auf den Weg nach Punkudutivu machte, um noch einige Wertsachen,
die zurückgeblieben waren, zu holen, wurde er in der Nähe von Velanai von
srilankischen Soldaten unter dem Verdacht, Mitglied oder Anhänger der LTTE zu sein,
festgenommen und anschließend in das Militärlager Karainagar gebracht, wo er dann
bis zum 30. Oktober 1993 festgehalten wurde. Bereits diese mehr als zweijährige
Inhaftierung durch das srilankische Militär stellte einen gravierenden Eingriff in die
Freiheit des Klägers dar, der um so schwerer wiegt, als konkrete Anhaltspunkte für ein
präventiv abzuwehrendes oder repressiv zu verfolgendes Fehlverhalten des Klägers
nicht ersichtlich sind. Hinzu kommt, dass der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben
während seiner Inhaftierung im Militärlager Karainagar von den srilankischen Soldaten
mehrfach körperlich misshandelt wurde. Nach seinen Bekundungen wurde er bereits bei
der Verhaftung und kurz nach der Ankunft im Lager mit Gewehrkolben traktiert. Auch in
der Folgezeit wurde er nach seinen Angaben viele Male mit Stöcken, Gewehrkolben
und gelegentlich auch mit Stromkabeln geschlagen und damit in schwerwiegender
Weise in seiner körperlichen Integrität verletzt.
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Auch die während seiner Inhaftierung in der Polizeistation Kottahena in Colombo in der
Zeit vom 15. bis 21. November 1994 erlittenen körperlichen Misshandlungen stellen
schwerwiegende Rechtsgutverletzungen dar. Zwar mag der Umstand, dass der Kläger
während seines Aufenthaltes in Colombo ausweislich seiner eigenen Angaben über
keine Identitätskarte oder andere Ausweispapiere verfügte, der srilankischen Polizei
hinreichende Veranlassung gegeben haben, seine Identität näher abzuklären und ihn
zu diesem Zweck zu sistieren. Dies rechtfertigte jedoch keinesfalls die körperlichen
Misshandlungen, denen der Kläger während seiner Inhaftierung auf der Polizeistation
ausgesetzt war. Nach seinen Angaben wurde er dort nicht nur verhört und mit dem
Vorwurf konfrontiert, für die LTTE zu arbeiten und tamilischer Spion zu sein. Vielmehr
wurde er mehrfach mit Schuhen getreten und mit Gewehrkolben traktiert, so dass er
starke Schmerzen in der Brust verspürte.
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Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Klägers, die er
namentlich in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren gemacht hat und die
in ihrem Kern mit seinen früheren Äußerungen gegenüber dem Bundesamt und
gegenüber dem Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Verfahren übereinstimmen.
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Bereits bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt hatte er
am 30. Dezember 1994 ausweislich der hierzu gefertigten Niederschrift von seiner am 9.
Oktober 1991 erfolgten Festnahme und der anschließenden mehr als zweijährigen
Inhaftierung im Militärlager von Karainagar berichtet. Dabei gab er auf wiederholte
Fragen präzise an, dass die Inhaftierung vom 9. Oktober 1991 bis zum 30. Oktober 1993
dauerte. Ebenso berichtete er bereits damals von den während der etwa zweijährigen
Haft erlittenen körperlichen Misshandlungen, wobei allerdings auffällt, dass er
ausweislich der vorliegenden Niederschrift über deren Art sowie ihre näheren Umstände
keine konkretisierten Angaben machte. Worauf die damalige Detailarmut seiner
Angaben, auf die die Beklagte im Berufungsverfahren zu Recht hingewiesen hat,
letztlich beruhte, hat das Gericht nicht (mehr) feststellen können. Es spricht jedoch vieles
dafür, dass sie jedenfalls auch darauf zurückzuführen ist, dass der Kläger bei der
Anhörung am 30. Dezember 1994 insoweit nicht hinreichend befragt worden ist.
Nachdem er nämlich erklärt hatte, er sei während der zweijährigen Haft im Militärlager
von Karainagar durch die srilankischen Soldaten "gefoltert" und "immer gefragt" worden,
ob er Mitglied der LTTE sei, ist er ausweislich des Protokolls insbesondere nicht um
eine nähere Konkretisierung seiner Ausführungen hinsichtlich der behaupteten
Folterung gebeten worden. Stattdessen ist ihm unmittelbar im Anschluss daran
ausweislich des Protokolls lediglich die Frage gestellt worden, ob er "sonst noch etwas"
von der Haftzeit "vortragen" könne. Diese Frage konnte er nach ihrem objektiven
Erklärungswert so verstehen, dass er um die Schilderung von - neben der Folterung -
weiteren Vorfällen während der Haft ("sonst noch etwas") gebeten wurde, wobei er sich
dann insoweit auf die Antwort beschränkte, da gebe es "nichts Besonderes zu
berichten"; anfangs habe man ihn verhört "und auch geschlagen"; mehr könne er "von
dem zweijährigen Haftaufenthalt nicht vortragen". Nachfragen, mit denen diese
Fehlrezeption des Klägers hätte ausgeschlossen werden können, unterblieben.
Angesichts dessen kann zwar davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei der
Anhörung damals Gelegenheit gegeben wurde, weitere Angaben zu seiner mehr als
zweijährigen Inhaftierung zu machen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden,
dass ihm die Notwendigkeit einer weiteren Konkretisierung und Detailierung seiner
Ausführungen zu erlittenen körperlichen Misshandlungen ("gefoltert") nicht hinreichend
bewusst war und dass er deshalb zur Angabe diesbezüglicher nachvollziehbarer
Einzelheiten keine Veranlassung sah. Als der Kläger dann in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11. Dezember 1997 näher zu den
behaupteten körperlichen Misshandlungen im Lager von Karainagar befragt worden ist,
hat er hierzu detailliertere Angaben gemacht, die im Kern mit seinen späteren
Bekundungen in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren übereinstimmen.
Beide Male hat er angegeben, dass er während der Befragungen im Militärlager von
Karainagar wiederholt geschlagen und getreten worden sei. Außerdem hat er beide
Male davon berichtet, dass er einmal kopfüber aufgehängt und verhört worden sei, als er
sich geweigert habe, ein schriftlich vorbereitetes "Geständnis" zu unterschreiben.
Ebenso konnte er sich bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung im
Berufungsverfahren an einzelne Szenen erinnern, in denen er mit Gewehrkolben
traktiert oder durch Drohungen eingeschüchtert wurde. Dabei muss berücksichtigt
werden, dass seit jenen Vorgängen nunmehr mehr als 7 Jahre vergangen und damit
Erinnerungsschwächen und -lücken unvermeidlich geworden sind. Für die
Glaubhaftigkeit des diesbezüglichen Vorbringens des Klägers spricht jedoch insgesamt
namentlich der persönliche Eindruck, den das Gericht von ihm in der mündlichen
Verhandlung hat gewinnen können. Die ihm gestellten Fragen hat er nachvollziehbar
beantwortet, ohne dass dabei verbale oder nonverbale Unsicherheiten, die auf unwahre
Angaben hindeuten könnten, erkennbar geworden sind. Auch auf Nachfragen zu
Einzelpunkten ist er im Kern bei seiner Darstellung der hier relevanten Vorfälle
geblieben und hat mehrfach seine diesbezüglichen Angaben glaubhaft bekräftigt.
Erinnerungslücken hat er offen eingeräumt und nicht zu kaschieren versucht.
Unausräumbare Widersprüche oder Ungereimtheiten sind in seinem Vorbringen nicht
zu Tage getreten. Auch aus den Angaben, die der Kläger zu den Vorgängen nach
seiner Entlassung aus dem Militärlager von Karainagar gemacht hat, lassen sich keine
durchgreifenden Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens herleiten.
Soweit er angegeben hat, er sei nach seiner am 30. Oktober 1993 erfolgten Freilassung
zusammen mit seiner Mutter per Schiff nach Trincomalee gefahren und von dort
zunächst weiter nach Colombo gereist, wo sie etwa eine Woche lang geblieben seien,
ehe sie nach Jaffna zurückgefahren seien, mag eine solche Reiseroute ungewöhnlich
sein. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt noch
relativ jung war, die letzten zwei Jahre vorher in einem Lager der srilankischen
Streitkräfte zugebracht hatte und damit während dieser Zeit letztlich von der Außenwelt
abgeschnitten war, so dass er nur rudimentäre Kenntnisse über die damalige
Bürgerkriegssituation im Bereich der Jaffna-Halbinsel sowie insbesondere über Reise-
und Passiermöglichkeiten hatte. Angesichts dessen ist sein Vorbringen nachvollziehbar,
dass er damals ganz dem Rat seiner Mutter vertraute und ihre Entscheidungen und
Anordnungen unbesehen befolgte. Welche Gründe seine Mutter im Einzelnen
bestimmten, zunächst nach Trincomalee und nach Colombo zu reisen, bevor sie mit
dem Kläger anschließend nach Jaffna zurückkehrte, lässt sich nachträglich schon
deshalb nicht mehr ermitteln, weil ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort unbekannt ist und der
Kläger seit seiner Ausreise keinerlei Kontakt mehr mit ihr hat. Dies kann jedoch nicht zu
seinen Lasten gehen.
Auch die Angaben des Klägers hinsichtlich der im November 1994 durch die
srilankische Polizei erfolgten Inhaftierung in der Polizeistation Kottahena in Colombo
und die dabei mehrfach erlittenen körperlichen Misshandlungen sind nach der vom
Gericht gewonnenen Überzeugung glaubhaft. Der Kläger hat nachvollziehbar die
näheren Umstände seiner Verhaftung sowie die ihm wesentlich erscheinenden
Vorgänge in der Polizeistation geschildert. Auch insoweit sind hinsichtlich des
Kerngeschehens gravierende Widersprüche zu seinem früheren Vorbringen nicht
erkennbar. Bereits bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 30. Dezember 1994
hatte er präzise die Dauer der Inhaftierung angegeben und berichtet, dass er während
der Haftzeit in Colombo "geschlagen" worden sei. Da er damals ausweislich der
Niederschrift über diese Anhörung nicht um Konkretisierung und Präzisierung
hinsichtlich der Art und der näheren Umstände der angeführten körperlichen
Misshandlungen gebeten worden war, geht es nicht an, die Detailarmut seiner
damaligen Angaben als durchgreifendes Indiz für ihre mangelnde Glaubhaftigkeit zu
werten. Denn die Knappheit seiner Ausführungen vor dem Bundesamt kann
insbesondere auf die Art der Befragung und das Unterbleiben einschlägiger präziser
Nachfragen zurückzuführen sein. Zwar ist der Kläger auch bei seiner am 11. Dezember
1997 erfolgten Vernehmung durch das Verwaltungsgericht, wie sich aus der
Niederschrift ergibt, nicht mehr von sich aus auf die gegenüber dem Bundesamt
angeführten körperlichen Misshandlungen in der Polizeistation in Colombo zu sprechen
gekommen. Auch hier ist er danach jedoch nicht näher befragt worden. Entscheidend ist
letztlich auch hinsichtlich dieser Vorgänge während der Polizeihaft in Colombo, dass
seine im Kern widerspruchsfreien Bekundungen, die er in der mündlichen Verhandlung
im Berufungsverfahren gemacht hat, dem Gericht insbesondere aufgrund des
gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger die erforderliche Gewissheit vermittelt
haben, dass sie der Wahrheit entsprechen. Der Umstand, dass der Kläger nicht sofort
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nach seiner ersten Ankunft in Deutschland am 3. Dezember 1994 einen Asylantrag
stellte, sondern zunächst versuchte, von Frankfurt aus über Paris nach Kanada weiter zu
fliegen, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens. Denn es ist
naheliegend, dass er ein Asylbegehren erst dann anbrachte, als sich sein
ursprüngliches Ziel, Kanada zu erreichen, nicht realisieren ließ. Ohne durchgreifende
Relevanz hinsichtlich der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens ist auch, dass er keine
sicheren Angaben hinsichtlich der näheren Umstände und des Zeitpunktes des Todes
seines Vaters zu machen vermochte. Denn er war nicht zugegen, als sein Vater zu Tode
kam und konnte und kann sich demzufolge insoweit nur auf Informationen Dritter,
Gerüchte oder Mutmaßungen stützen.
Die im Streitkräftelager von Karainagar und in der Polizeistation Kottahena in Colombo
erfolgten Inhaftierungen und die dabei erlittenen schwerwiegenden körperlichen
Misshandlungen des Klägers waren Akte der politischen Verfolgung. Sie knüpften an
dem asylrelevanten Merkmal der tamilischen Volkszugehörigkeit und an dem
pauschalen Vorwurf der LTTE-Unterstützung an. Hinsichtlich des Klägers lagen keine
über allgemeine Merkmale wie Volkszugehörigkeit und Alter hinausgehenden
objektiven Verdachtsmomente vor,
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vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C 74.90 -, BVerwGE 87,
152 (154); Beschluss vom 10. Juni 1992 - 9 B 176.91 -.
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Die srilankischen Soldaten und Polizeikräfte stellten für ihre Maßnahmen - ohne
konkrete Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit des Klägers mit der LTTE zu haben -
allein auf seine tamilische Volkszugehörigkeit und sein Alter ab. Insbesondere mit der
erfolgten menschenrechtswidrigen Behandlung gingen sie über die bloße Verfolgung
eines Ermittlungsinteresses hinaus. Die Festnahmen und Inhaftierungen - verbunden
mit schweren körperlichen Misshandlungen - waren bei objektiver Betrachtungsweise
dazu bestimmt, dem Kläger in Anknüpfung an die genannten asylrelevanten Merkmale
gezielte Rechtsgutverletzungen zuzufügen, die ihn ihrer Intensität nach ausgrenzten und
somit in eine ausweglose Lage brachten. Die Maßnahmen der Soldaten und der
srilankischen Polizei gingen, auch wenn sie Reaktionen auf Übergriffe im Rahmen der
Auseinandersetzung mit militanten tamilischen Separatisten gewesen sein sollten,
entscheidend über das hinaus, was noch der Bekämpfung von Terrorismus zugeordnet
werden konnte, zumal der Kläger aus seiner Person oder seinen familiären
Verhältnissen heraus keine Anknüpfungspunkte für eine Einbindung in die
terroristischen Aktivitäten der LTTE geboten hatte.
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Die dem Kläger sowohl in dem Militärlager Karainagar als auch in der Polizeistation in
Colombo zugefügten schweren Rechtsgutverletzungen sind dem srilankischen Staat
zuzurechnen. Sowohl die Verhaftung des Klägers im Oktober 1981 als auch die
anschließende etwa zweijährige Inhaftierung im Militärlager von Karainagar (vgl. dazu
KK 28.11.1997 S. 1) erfolgten in einem Gebiet, in dem die srilankische Staatsmacht
effektive Gebietsgewalt hatte. Dies trifft jedenfalls für die Insel Kayts, wo die Verhaftung
des Klägers in der Nähe des Ortes Velanai erfolgte, und für die Insel Karaitivu zu, auf
der sich das Militärlager Karainagar befindet (vgl. dazu u. a. AA 30.08.1991 S. 2; Dr.
Wingler, 17.05.1993 S. 7). Die Zurechnung der gegenüber dem Kläger im Militärlager
Karainagar und in der Polizeistation in Colombo erfolgten Übergriffe zum staatlichen
Handeln des srilankischen Staates ist auch nicht unter dem Aspekt des exzesshaften
Fehlverhaltens einzelner Amtsträger zu verneinen. Zwar kann nicht verlässlich
konstatiert werden, dass diese Übergriffe von der Armee- und Staatsführung gebilligt
42
und gefördert wurden. Der srilankische Staat war aber jedenfalls nicht in der Lage, die in
Rede stehenden Übergriffe ihrer Art nach effektiv in einem solchen Maße zu
unterbinden, dass nur noch von nicht gänzlich auszuschließenden Ausnahmefällen
gesprochen werden konnte. Eine nachhaltige Verhinderung und durchgreifende
negative Sanktionierung der Übergriffe sind jedenfalls für den damaligen Zeitpunkt nicht
feststellbar.
b) Für den Kläger war bis zu seiner im November 1994 erfolgten Ausreise weder in
Colombo noch in anderen Landesteilen Sri Lankas eine inländische Fluchtalternative
gegeben.
43
Soll ein Asylsuchender auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, so
setzt dies die verlässliche Feststellung darüber voraus, dass der Betroffene dort nicht in
eine ausweglose Lage gerät. Er muss danach in dem in Betracht kommenden Gebiet
nicht nur vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein; es dürfen ihm dort auch
keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere
einer asylerheblichen oder im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG relevanten
Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese
existentielle Gefährdung am Herkunftsort nicht bestünde.
44
Vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989, a.a.O., 343f, und vom 24. März
1997 - 2 BvR 1024/95 -, NVwZ 1997 Beilage 9, S. 65 (66) m.w.N.
45
Die hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung wird allerdings nicht bereits
durch jede geringe Möglichkeit eines Verfolgungseintritts ausgeschlossen; zu ihrer
Verneinung müssen an der Sicherheit des Betroffenen mindestens ernsthafte Zweifel
bestehen, müssen über eine theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden,
hinaus objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als
durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen.
46
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1995 - 9 B 18.95 -, InfAuslR 1996, 29 und Urteile
vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 173 und vom 8.
September 1992 - 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191.
47
aa) Nach diesen Kriterien konnte der Kläger eine hinreichende Sicherheit vor politischer
Verfolgung in dem von der Regierung beherrschten Staatsgebiet Sri Lankas im Süden
und Westen sowie im zentralen Hochland, insbesondere auch im Großraum Colombo,
wo er sich nach seinen Angaben nach der Entlassung aus der Polizeihaft bis zu der am
26. November 1994 erfolgten Ausreise aufhielt, nicht finden.
48
Zur Lage von jungen männlichen Tamilen in diesen Landesteilen in der damaligen Zeit
hat der Senat in den Urteilen vom 8. Juli 1992 - 21 A 364/91.A - (hierzu Urteil des
BVerwG vom 13. Mai 1993 - 9 C 59.92 -, InfAuslR 1993, 354) und 21. Dezember 1992 -
21 A 2350/91.A - sowie - 21 A 2107/92.A - in Auswertung von auch in das vorliegende
Verfahren eingeführtem Auskunftsmaterial - auf das Wesentliche zusammengefasst -
ausgeführt: Für diese Personen bestand wegen ihrer Volkszugehörigkeit, ihres Alters,
ihres Geschlechtes sowie ihrer regionalen Herkunft - wenn auch nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit - die Gefahr, in die Suche nach Angehörigen oder Unterstützern der
LTTE einbezogen und so Maßnahmen staatlicher Verfolgung ausgesetzt zu werden. Es
konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sie in einer Razzia, bei Personenkontrollen
oder infolge Denunziation wegen Verdachts der LTTE-Unterstützung festgenommen,
49
möglicherweise auch unter Folter verhört und getötet wurden. Groß angelegte Razzien
waren trotz eines zwischenzeitlichen zahlenmäßigen Rückganges festzustellen und zu
besorgen, da sich Bombenattentate wiederholen konnten und die Razzien auch
unabhängig von solchen konkreten Anlässen stattfanden. Im Übrigen hatte sich die
Gefährdung teilweise von den Razzien auf sonstige Kontrollen verlagert. Zur
Vermeidung eines Verdachts, an den sich Maßnahmen mit erheblichen
Rechtsgutverletzungen anschließen konnten, war ein triftiger Grund oder eine plausible
Erklärung für den Aufenthalt erforderlich. Die Möglichkeit von Verhören mit Folterungen
und eventuell weiteren menschenrechtswidrigen Maßnahmen betraf insbesondere
junge Tamilen; sie war nicht als ganz entfernt, sondern als durchaus real anzusehen.
Auch waren Einzelfälle von Verhaftungen aus sonstigen Anlässen - die Zahl der
Inhaftierten wurde in Auskünften mit einigen Hundert angegeben - festzustellen; auch
wenn der Umfang der Übergriffe aus sonstigen Anlässen nicht genau auszumachen
war, war jedenfalls die reale Möglichkeit asylerheblicher Rechtsgutverletzungen nicht
auszuschließen.
In der Folgezeit trat insoweit jedenfalls bis zu der Ende November 1994 erfolgten
Ausreise des Klägers keine grundlegende Änderung ein. Nach vorliegenden
Erkenntnisquellen (vgl. u.a. ai 22.08.1994 S. 2f) verschärfte sich die
Verfolgungsbetroffenheit von jungen Tamilen und Tamilinnen im Jahre 1992 und in der
Folgezeit erheblich. Die größte Verhaftungswelle erfolgte im Oktober 1993, nachdem
nach Angaben des Verteidigungsministers am Strand nördlich von Colombo eine
"Körperbombe" gefunden worden war. Die Verhaftungen fanden im Rahmen von
Massenrazzien statt; in vielen Fällen wurde auch von Folter berichtet. Schwerpunkt
dieser Razzien und Verhaftungen war unter anderem gerade Colombo. Diese wurden
auch 1994 fortgeführt (ai 25.08.1994 S. 2). Von Misshandlungen von aufgegriffenen
Tamilen durch die srilankische Polizei und verschiedene Teile der srilankischen
Sicherheitskräfte sowie von Fällen des Verschwindens von Personen im Gewahrsam
staatlicher Organe wurde weiterhin berichtet (vgl. u.a. Dr. Wingler 21.09.1994 S. 14),
auch wenn sich die Situation von Tamilen im Großraum Colombo insoweit nach der
Regierungsübernahme durch die "Peoples Alliance" und den Amtsantritt von
Präsidentin Kumaratunga seit September 1994 kurzzeitig verbesserte (vgl. u.a. KK
28.02.1995 S. 31; AA 27.03.1995 S. 2 ff). Dennoch kam es auch im Oktober/November
1994 nach vorliegenden Berichten wieder zu verstärkten Festnahmen von aus dem
Norden/Osten stammenden jungen Tamilen und Tamilinnen im Großraum von Colombo
und in den südlichen Landesteilen. Am 23./24. Oktober 1994 wurden nach vorliegenden
Berichten 185 aus dem Norden/Osten stammende Tamilen und Tamilinnen in Colombo
festgenommen und 35 davon längerfristig inhaftiert und "eingehend gegrillt", d. h.
körperlich misshandelt (vgl. Dr. Wingler --.11.1994 S. 12).
50
Die von dem Kläger in Colombo gemachten persönlichen Erfahrungen belegen dies.
Denn er wurde bereits wenige Tage nach seiner Ankunft am 15. November 1994 in
Colombo bei einer Ausweiskontrolle verhaftet und für insgesamt 7 Tage inhaftiert, wobei
es dann zu den festgestellten körperlichen Misshandlungen kam. Der Umstand, dass
der Kläger nach 7 Tagen aufgrund der Vorsprache eines katholischen Priesters
freigelassen wurde, belegt nicht, dass damit die Verfolgungsgefahr entfallen war. Denn
der bloßen Tatsache der Freilassung kommt ohne Berücksichtigung der vielfältigen
Faktoren, die für einen berechtigterweise empfundenen Verfolgungsdruck und für die
Unzumutbarkeit eines Verbleibens im Heimatland nach einem im Sinne des § 51 Abs. 1
AuslG erheblichen Übergriff von Bedeutung sind, kein Aussagegehalt zu.
51
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. November 1999 - 21 A 117/99 - S. 7.
52
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren glaubhaft und
nachvollziehbar dargelegt, dass er seinen Aufenthalt in Colombo als bedrohlich und in
hohem Maße unsicher empfand und große Angst hatte. Das Gericht hat keinen
konkreten Anlass, hieran zu zweifeln.
53
bb) Für den Kläger bestand damals auch im Norden und Osten Sri Lankas keine
hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung. Für junge männliche Tamilen (im
Alter bis zu 40 Jahren) hat dies der Senat für die damalige Zeit, jedenfalls für die Jahre
1992 und 1993, wiederholt entschieden (vgl. u.a. die Urteile vom 8. Juli und 21.
Dezember 1992). In der Ostprovinz Sri Lankas drohte seinerzeit, ab Mitte 1990, wie der
Senat durch Urteile vom 8. Juli 1992 - 21 A 364/91.A - (vgl. hierzu Urteil des BVerwG
vom 13. Mai 1993 - 9 C 59.92 -, InfAuslR 1993, 354), ferner vom 21. Dezember 1992 - 21
A 2350/91.A - und - 21 A 2107/92.A - entschieden hat und woran festgehalten wird,
jungen männlichen Tamilen - im Alter zwischen 11 und 35 bis 40 Jahren (vgl.
Senatsurteile vom 6. November 1992 - 21 A 1340/91.A - und vom 28. April 1993 - 21 A
3721/91.A -), wobei die Bestimmung der Altersgrenze auf einer vorsichtigen
Abschätzung der Gefahrenlage beruhte - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung. Hierzu hat der Senat in den Urteilen vom 8. Juli und 21. Dezember 1992 -
auf das Wesentliche zusammengefasst - unter Auswertung von umfassendem
Auskunftsmaterial, das auch in das vorliegende Verfahren eingeführt ist, ausgeführt: Die
Verhältnisse, die sich nach dem Abzug der indischen Truppen ab Mitte 1990
entwickelten, stellten sich im nördlichen Teil der Ostprovinz und in dem nicht von der
tamilischen Separatistenorganisation LTTE beherrschten Teil der Nordprovinz,
insbesondere in den Bezirken Trincomalee und Batticaloa, so dar, dass die Regierung
effektive Gebietsgewalt nur über die Ortschaften und Hauptverkehrswege ausübte. Die
staatlichen Sicherheitskräfte waren dort Guerilla-Angriffen der LTTE ausgesetzt. Die
staatlichen Streit- und sonstigen Sicherheitskräfte wie besondere Polizeikommandos
sowie mit der Regierung zusammenarbeitende tamilische Organisationen führten den
Kampf gegen die LTTE mit großer Härte, wobei die am Kampfgeschehen unbeteiligte
tamilische Zivilbevölkerung schweren Übergriffen ausgesetzt war. Großrazzien zur
Aufgreifung von Mitgliedern oder Helfern der LTTE, die manchmal sämtliche Bewohner
eines Dorfes oder Flüchtlingslagers einbezogen, führten bei nur vagen
Verdachtsmomenten zu Festnahmen zahlreicher Personen, vor allem junger Tamilen.
Gewaltanwendung gegen die auf diese Weise Festgenommenen waren an der
Tagesordnung, Folter kam insbesondere bei LTTE-Verdacht vor. Viele der bei den
Großrazzien Festgenommenen, vorrangig junge Männer, verschwanden, ohne jemals
wieder aufzutauchen. Als weitere Elemente prägten das Verschwinden einzelner oder
mehrerer Personen Entführungen und Morde - auch losgelöst von Großrazzien und
sonstigen konkreten Anlässen - die Gefahrenlage. Es gab häufige Leichenfunde u.a. in
Flüssen und Gräben sowie an Straßenrändern. Die Zahl der Opfer erreichte unter
Berücksichtigung einer Dunkelziffer anhand der Auskünfte mehrere Tausend. Tötungen
mit Verbrennen der Opfer oder Vergraben unter Beteiligung von Angehörigen der Armee
waren seit Juni 1990 im Osten häufig, wobei sich in der Folgezeit noch eine Steigerung
ergab. Schließlich prägten die Gefahrenlage auch Maßnahmen des sog. Gegenterrors
wie insbesondere die Zerstörung ganzer Siedlungen unter Massakern an der
tamilischen Bevölkerung und Exzesse einzelner Einheiten der staatlichen Kräfte. In
besonderer Gefahr, längere Freiheitsentziehungen, Prügel sowie Folter erleiden zu
müssen oder im Wege des "Verschwindenlassens" umgebracht zu werden, standen
junge männliche Tamilen, die nach den von den Sicherheitskräften angelegten
54
vordergründigen Kriterien weithin im Verdacht standen, der LTTE oder dem sie
unterstützenden Umfeld anzugehören. Neben der nicht zuletzt durch die hohe Zahl der
verschwundenen Personen bestimmten Häufung waren vor allem die Intensität der
Übergriffe - wie schon bei vagen Verdachtsmomenten drohende Folter und die bei
zahlreichen Verschwundenen konkret zu besorgende Tötung -, ferner die Willkürlichkeit
und Unberechenbarkeit im Hinblick auf Zeit und Ort der Übergriffe und schließlich die
völlige Rechtsunsicherheit, wenn nicht sogar Rechtlosigkeit des einzelnen für die Lage
bestimmend. Die Aktionen der Sicherheitskräfte und die gezielten, dem srilankischen
Staat zuzurechnenden schweren Rechtsgutverletzungen waren darauf gerichtet, die am
Konflikt nicht unmittelbar beteiligten tamilischen Volkszugehörigen unter den Druck
brutaler Gewalt zu setzen. Ganze Bevölkerungskreise sollten durch gewaltsame
unberechenbare Maßnahmen unterdrückt, eingeschüchtert und gefügig gemacht
werden, ohne dass damit ein konkreter Schritt zur Wiederherstellung der staatlichen
Friedensordnung getan wurde. Diese Übergriffe knüpften teils an die bloße tamilische
Volkszugehörigkeit, im Übrigen an Geschlecht und Alter der Opfer an.
An dieser Lage hatte sich in der Folgezeit jedenfalls bis zu der Ende November 1994
erfolgten Ausreise des Klägers aus Sri Lanka nichts Grundlegendes geändert (vgl. u.a.
ai 22.08.1994 S. 3; KK 20.02.1995 S. 6f). In einer solchen Situation, die von noch
größerer Unsicherheit geprägt war als die Lage im Raum Colombo, zu verbleiben oder
sich gar - von Colombo aus - dorthin zu begeben, war dem Kläger nicht zuzumuten.
55
c) Angesichts des Fehlens hinreichender Sicherheit vor politischer Verfolgung in Sri
Lanka hat der Aufenthalt des Klägers in Colombo bis zum 26. November 1994 den für
die Bejahung einer Vorverfolgung notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der
erlittenen politischen Verfolgung einerseits und der Ausreise andererseits nicht
unterbrochen. Denn der Kläger hat alsbald, nämlich nur wenige Tage nach der vom 15.
bis 21. November 1994 in Colombo erfolgten Inhaftierung und den dabei erlittenen
körperlichen Misshandlungen, die vor dem Hintergrund der bereits im Militärlager
Karainagar von Oktober 1991 bis Ende Oktober 1993 erlittenen - und auch in der
Folgezeit bei ihm nachwirkenden - politischen Verfolgungsmaßnahmen gesehen
werden müssen, unter dem sich daraus ergebenden Druck der erlittenen Verfolgung Sri
Lanka verlassen.
56
Vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen u.a. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 -
BVerwG 9 C 72.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135, S. 56
57
Denn der Verfolgungsdruck bestand bis zu diesem Zeitpunkt fort. Die Ausreise stellt sich
somit bei objektiver Betrachtungsweise und ihrem äußeren Erscheinungsbild nach als
unter dem Druck der in der Heimatregion, jedenfalls aber der in Colombo erlittenen
Verfolgung durchgeführte Flucht dar. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger vor
seiner Ausreise auf Dauer angelegt mit der Situation in Colombo arrangierte und
hinreichende Bemühungen entfaltete, um dort Fuß zu fassen und sich auf Dauer in die
dortigen Lebensverhältnisse einzugliedern, sind nicht festzustellen. Der Kläger blieb
nach seiner Freilassung aus der Polizeihaft nach seinen glaubhaften Angaben nur so
lange in Colombo, wie dies zur Arrangierung der Ausreise unbedingt erforderlich war.
Unter diesen Umständen war der zeitliche und kausale Zusammenhang zwischen der
erlittenen politischen Verfolgung und der Ausreise noch nicht verbraucht.
58
3. Ist der Kläger mithin vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, kommt es für sein
Begehren auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG darauf an, ob er im Fall
59
seiner Rückkehr nach Sri Lanka derzeit und in der absehbaren Zukunft vor politischer
Verfolgung hinreichend sicher ist. Dies ist nach den zuvor dargestellten rechtlichen
Beurteilungsmaßstäben für alle Landesteile Sri Lankas, insbesondere für den Großraum
Colombo, zu verneinen, weil für den Kläger die reale Möglichkeit besteht, insbesondere
wegen seiner Volkszugehörigkeit und seines Alters sowie seiner regionalen Herkunft in
die Suche nach Angehörigen oder Unterstützern der LTTE einbezogen und so
asylerheblichen Maßnahmen ausgesetzt zu werden. Es besteht eine latente
Gefährdungslage, die der Bejahung hinreichender Sicherheit weiterhin entgegensteht.
Namentlich lässt sich die reale Möglichkeit nicht ausschließen, dass der Kläger im Falle
seiner Rückkehr - wie schon vor seiner Ausreise - wegen des Verdachts einer
Verbindung oder Zusammenarbeit mit der LTTE festgenommen und längerfristig
inhaftiert wird sowie dabei schwerwiegende Rechtsgutverletzungen erleidet, die als
Maßnahmen politischer Verfolgung zu qualifizieren sind. Es besteht mithin die reale
Möglichkeit, dass er in eine Situation gerät, die einer Bejahung hinreichender Sicherheit
entgegensteht (vgl. in Bezug auf junge männliche Tamilen OVG NRW, Urteile vom 15.
Januar 1999 - 21 A 4748/94.A - und vom 15. Oktober 1999 - 21 A 889/96.A ; OVG
Lüneburg Urteil vom 19. September 1996 - 12 L 2005/96 -). Soweit in anderer
obergerichtlicher Rechtsprechung -
vgl. u.a. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 1998 - A 16 S 60/97 -, OVG
Berlin, Urteil vom 15. Dezember 1997 - OVG 3 B 9.95 -, OVG Rheinland - Pfalz, Urteil
vom 8. Juli 1998 - 11 A 10.473/98.OVG -, BayVGH, Urteil vom 6. Juli 1998 - 20 B.
97.31531 -, Hess VGH, Urteile vom 10. November 1998 - 10 UE 3035/95 und 29. August
2000 - 10 UE 3556/96.A - sowie OVG des Saarlandes, Urteil vom 7. Mai 1996 - 1 R
213/96 -
60
selbst für junge männliche Tamilen, die aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehren,
im Großraum Colombo die hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung -
vorbehaltlich besonderer Umstände - bejaht wird, folgt das erkennende Gericht der darin
abweichenden Bewertung des im wesentlichen identischen Tatsachenmaterials bei
seiner Überzeugungsbildung nicht.
61
Vgl. dazu u.a. OVG NW, Urteile vom 15. Januar 1999 - 21 A 4748/94.A - und vom 15.
Oktober 1999 - 21 A 889/96.A -
62
a) Aus dem Ausland über den Flughafen Colombo zurückkehrende Tamilen müssen mit
einer eingehenden Identitätsprüfung rechnen, insbesondere wenn sie - wie bei
Abschiebungen häufig - lediglich mit einem von einer srilankischen Auslandsvertretung
ausgestellten Heimreisedokument (Emergency Certificate) ausgestattet sind. Dabei sind
vorübergehende Verhaftungen zur Klärung der Identität nach den Feststellungen des
Auswärtigen Amtes "nicht auszuschließen" (AA 11.07.2000 S. 1), mithin also real
möglich. In manchen Stellungnahmen wird die Lage dahin eingeschätzt, dass es seit
einiger Zeit - verglichen mit den Jahren zuvor - zu einer erheblichen Zunahme von
Inhaftierungen bei der Einreise gekommen ist, wobei besonders gerade solche
Rückkehrer betroffen sind, die mit so genannten "Emergency Certificates" einreisen,
weil besonders bei diesem Personenkreis davon ausgegangen wird, dass die Ausreise
illegal, d. h. mit gefälschten Papieren stattgefunden hat (KK 18.02.2000 S. 4). Auch wird
berichtet, dass seit dem 1. Januar 2000 von den weltweit etwa 3000 nach Sri Lanka
abgeschobenen Tamilen etwa 2000 in Untersuchungshaft genommen worden seien,
mehr als 100 davon kämen aus Deutschland (Busch 02.11.2000 S. 4). Vertreter
westlicher Botschaften sind häufig am Flughafen präsent. Sie beobachten das
63
Einreiseverfahren bei abgeschobenen Asylbewerbern und nehmen, wenn es im
Zusammenhang mit der Einreise zu Festnahmen kommt, mitunter auch als Beobachter
an entsprechenden Gerichtsverfahren teil (AA 28.04.2000 S. 24). Wenn die
Personenüberprüfung nicht innerhalb von Stunden oder eines Tages abgeschlossen
werden kann, erfolgt (innerhalb von 24 Stunden) eine Vorführung vor den örtlich
zuständigen Haftrichter in Negombo (Magistrate's Court), der darüber entscheidet, ob
ein weiteres Festhalten durch die Polizei zulässig ist, sei es zum ausschließlichen
Zweck der Personenüberprüfung (AA 28.04.2000 S. 23), sei es wegen eines Verstoßes
gegen Einreise- oder Ausreisevorschriften (Busch 02.11.2000 S. 4). Liegen in Fällen der
Personenüberprüfung bis dahin - wie in der Regel - keine Erkenntnisse gegen den
Betroffenen vor, wird das Überprüfungsverfahren eingestellt (AA 28.04.2000 S. 23). Das
deckt sich im Ergebnis mit Informationen, nach denen offenbar auch im Falle der
Anordnung von Untersuchungshaft sodann regelmäßig eine Freilassung gegen eine
Kaution, für die ein Verwandter durch Unterschrift garantieren muss und die erst bei
einem Verstoß gegen die gleichzeitig vom Gericht gemachten Auflagen fällig wird
(Busch 02.11.2000 S. 4). Es kann auch vorkommen, dass rückgeführte Personen
zunächst mehrere Tage festgehalten werden, wie es etwa am 15./16.3.2000 bei einer
"Sammelrückführung" von zwanzig Personen aus Deutschland geschah, als zwar
achtzehn der Betroffenen, die ohne Reisepass eingereist waren (AA 25.05.2000 S. 2),
nach einer Vorführung vor dem Haftrichter noch am Ankunftstag gegen Kaution auf
freien Fuß gesetzt wurden (AA 25.05.2000 S. 2), zwei Betroffene jedoch auf Antrag der
Kriminalpolizei bis zum 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommen und erst dann
gegen Kaution freigelassen wurden (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2); ein weiterer
Rückgeführter aus der Gruppe wurde erst später am 21. März 2000 in
Untersuchungshaft genommen und anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 28.04.2000
S. 23). Nach Angaben von amnesty international sollen die beiden vom 16. bis 21. März
2000 in Untersuchungshaft genommenen Rückkehrer aus Deutschland, deren
Verfahren vom Gericht Monate später endgültig eingestellt wurde (ai 18.07.2000 S. 1),
(körperlichen) Angriffen seitens des Gefängnispersonals bzw. anderer Insassen
ausgesetzt gewesen sein (AA 28.04.2000 S. 24); Dr. Wingler berichtet davon, die
beiden seien "nachweislich gefoltert worden" (Dr. Wingler --.05.2000 S. 4), ohne dafür
allerdings hinreichende Belege anzugeben; von einem dritten am 15./16. März 2000
Rückgeführten wurde hierzu angegeben, dass einem der zuvor Genannten im
Gefängnis von einem Polizisten ein Schlag versetzt worden sei (AA 28.04.2000 S. 24;
25.05.2000 S. 3). Ferner berichtet amnesty international, dass mehrere jüngere Männer
aus der Gruppe der achtzehn Rückgeführten, die ohne Reisepass waren, während ihrer
Befragung durch den CID (Criminal Investigation Department) am Flughafen
geschlagen worden seien (so auch KK 27.07.2000 S. 2 mit Anlage, Ziff. 17 und 18
sowie 10.09.2000 S. 2), wobei die Schläge in ihrer Intensität allerdings nicht das
Ausmaß von Folter erreicht hätten (ai 18.07.2000 S. 1).
Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes kommt es allein wegen eines
Verstoßes gegen die Ausweispflicht beim Richter (Magistrate's Court) in Negombo "in
der Praxis nicht" zur Verhängung von Haftstrafen (AA 28.04.2000 S. 23). Allerdings ist
es in der Vergangenheit jedenfalls in Einzelfällen dennoch vorgekommen, das aus
Deutschland abgeschobene Personen im Zusammenhang mit Ausweisdelikten
strafrechtlich verfolgt wurden; dies war etwa dann der Fall, wenn mit einem Emergency
Certificate nach Sri Lanka zurückgesandte Personen bei der Identitätsüberprüfung am
Flughafen durch die srilankischen Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei (CID) ein
Geständnis in Bezug auf die im Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung
von Ausweispapieren ablegten oder wenn das in Deutschland gefundene gefälschte
64
Reisedokument den Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt wurde und so der
srilankischen Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangte;
strafrechtlich nicht verfolgt werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt
und andere illegale Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach
mit "Schleppungen" einhergehen (AA 28.04.2000 S. 24).
Die Sondervorschriften zur Terrorismusbekämpfung werden bei Verhaftungen im
Zusammenhang mit der Einreise aus dem Ausland nach den Erkenntnissen des
Auswärtigen Amtes in aller Regel nicht angewandt (AA 28.04.2000 S. 23). Es gibt
jedoch auch Berichte, wonach aus dem Ausland abgeschobene Tamilen nach ihrer
Ankunft in Sri Lanka auf der Grundlage des "Prevention of Terrorism Act" (PTA) oder der
"Emergency Regulations" (ER) oder unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen
Ausreisevorschriften inhaftiert wurden und nach gerichtlicher Verurteilung Haftstrafen
verbüßen mussten (KK 18.02.2000 S. 5 f. mit Anlagen der Listen A bis 4); darunter
sollen sich auch Rückkehrer aus Deutschland befunden haben (KK 18.02.2000 S. 6).
65
Das Risiko, im Zusammenhang mit einem Strafverfahren oder bei der Strafvollstreckung
wegen Verstoßes gegen die Ein- oder Ausreisebestimmungen misshandelt oder
gefoltert zu werden, wird von den vorliegenden Erkenntnisquellen sehr unterschiedlich
eingeschätzt. Nach Sri Lanka einreisende Personen, denen von den Sicherheitskräften
Beziehungen zur LTTE unterstellt werden, haben jedoch nach der Einschätzung von
amnesty international "aller Wahrscheinlichkeit nach" bei der Ankunft in Colombo mit
der Verhaftung und längeren Inhaftierung zu rechnen (ai 01.03.1999 S. 2). Im Falle einer
solchen Inhaftierung besteht das Risiko körperlicher Misshandlungen und sogar von
Folter. In Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten wird
davon berichtet, dass Folter und körperliche Misshandlungen in Sri Lanka "nach wie vor
weit verbreitet" sind (ai --.06.1999 S. 1; Wingler --.05.2000 S. 1). Auch die in London
ansässige "Medical Foundation" schätzt die Lage abgelehnter Asylbewerber, die nach
Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass diese mit einer Inhaftierungsdauer von mehr als
zwei Tagen rechnen müssten, falls sie bei ihrer Einreise oder danach von den
srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt werden, die LTTE zu unterstützen; in der
Haft bestünde dann für sie das Risiko von körperlicher Misshandlung und Folter
(Medical Foundation --.06.2000, S. 44, 53). Dabei nimmt die Gefahr von Folter bei
längeren Inhaftierungen zu (vgl. u. a. ai 01.03.1999 S. 2; KK 04.01.1996 S. 56). Vor
allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten und individualisierten LTTE- Verdachts
muss mit Folter gerechnet werden (AA 28.04.2000 S. 18: "schwerwiegende Verstöße
kommen ... weiter vor"; ai --.06.1999 S. 8 f., 01.03.2000 S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1 ff.;
UNHCR --.07.1998 S. 2).
66
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht der LTTE- Unterstützung gerät und deshalb
nicht nur kurzfristig für ein bis zwei Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit der
Gefahr schwerer körperlicher Misshandlung und Folterung inhaftiert wird, lässt sich
aufgrund des vorliegenden Erkenntnismaterials nur schwer feststellen und nicht
generalisierend und fallübergreifend beantworten. Als - in jedem konkreten Einzelfall zu
würdigende - Risikofaktoren für das Erleiden von schwerer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung gelten nach den vorliegenden Erkenntnissen für
Tamilinnen und Tamilen - neben fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen
Ausweispapieren - im allgemeinen folgende Kriterien: Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren, geringe singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel.
67
Ankunft in Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiunterlagen festgehaltener Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft, Identifikation als
LTTE-Mitglieder durch Informationen der Sicherheitskräfte, Vorhandensein körperlicher
Wunden (Medical Foundation --.06.2000 S. 41 unter Berufung auf einen Länderbericht
des britischen Innenministeriums; ähnlich KK 18.02.2000 S. 2).
Die im Berufungsverfahren getroffenen Feststellungen zu den Gesamtumständen des
Falles des Klägers tragen die Schlussfolgerung, dass er zu diesem Personenkreis zu
rechnen ist. Der Kläger gehört zu den unter 35 - 40jährigen, auf der Jaffna-Halbinsel
geborenen Tamilen und spricht die singhalesische Sprache nicht. Es bestehen auch
hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass bereits vor seiner im Jahre 1994 erfolgten
Ausreise bei den srilankischen Streitkräften und der srilankischen Polizei ein gegen ihn
gerichteter und in Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der dortigen
Sicherheitskräfte festgehaltener Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft oder -Unterstützung
existierte. Denn bereits vor seiner am 26. November 1994 erfolgten Ausreise aus Sri
Lanka wurde er - wie dargelegt - durch das srilankische Militär im Lager von Karainagar
für mehr als zwei Jahre sowie vom 15. bis 21. November 1994 in Colombo durch die
srilankische Polizei festgenommen und unter dem Vorwurf inhaftiert, der tamilischen
Tigerbewegung anzugehören, diese unterstützt zu haben und zu unterstützen.
68
Auf der Grundlage seines glaubhaften Vorbringens und den getroffenen Feststellungen
zur Situation in seinem Heimatland ist er jedenfalls nicht hinreichend davor sicher, dass
der vor seiner Ausreise ihm gegenüber erhobene Verdacht bei den srilankischen
Sicherheitskräften bis heute nicht ausgeräumt ist. Denn seine Freilassung erfolgte
damals aufgrund der Fürsprache Dritter, ohne dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe
entkräftet worden waren. Ist aber aufgrund der dargelegten Umstände davon
auszugehen, dass der Kläger seinerzeit mehrfach verhaftet und unter dem Verdacht von
LTTE-Unterstützungshandlungen inhaftiert wurde, so lässt sich die Gefahr nicht
leugnen, dass hierüber bei den srilankischen Sicherheitskräften noch Unterlagen
vorhanden sind, auf die gegebenenfalls zurückgegriffen werden kann. Damit besteht die
reale Möglichkeit, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Sri Lanka erneut mit
diesem Verdacht konfrontiert wird, was das Risiko einer Inhaftierung erhöht. Denn nach
dem "Prevention of Terrorism Act" und den "Emergency Regulations" ist jeder Einsatz
für die LTTE strafbar, auch so genannte untergeordnete Tätigkeiten. In einer jüngeren
gutachtlichen Stellungnahme wird davon berichtet, dass zahlreiche Fälle bekannt
geworden sind, in denen Tamilen verurteilt wurden, weil sie z. B. Essen an LTTE-
Kämpfer verteilt oder aber Informationen, über die sie verfügten, nicht an die
Sicherheitskräfte weitergeleitet hatten (KK 23.03.2000 S. 2).
69
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben
gegenwärtig weder über einen gültigen srilankischen Reisepass noch über eine gültige
Identity Card verfügt. Er muss mithin damit rechnen, mit dem Vorwurf eines Verstoßes
gegen die srilankischen Ausreise-, Einreise- und Passbestimmungen konfrontiert zu
werden, was nach den vorliegenden Erkenntnisquellen die Gefahr begründet,
intensiven Befragungen und Verhören unterworfen zu werden. Soweit dabei der
Verdacht eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des "Immigrants und Emigrants
Act" erhoben und erhärtet werden sollte, muss er - wie dargelegt - mit der Anordnung
von Untersuchungshaft rechnen, wobei eine sofortige Freilassung gegen Kaution kaum
in Betracht kommen dürfte, da der Kläger nach seinen Angaben über keine Verwandten
oder sonstige Angehörigen in Colombo verfügt, die eine entsprechende
Kautionserklärung abgeben können. Sollte im Verlaufe der Verhöre und Abklärungen
70
bei der Einreise oder danach von den srilankischen Stellen dann der vor seiner 1994
erfolgten Ausreise gegen ihn bestehende Verdacht einer LTTE-Unterstützung erneut
aufgegriffen werden, muss er mit einer längeren Inhaftierung rechnen, die nach den
verfügbaren aktuellen Erkenntnisquellen das erhöhte Risiko von körperlichen
Misshandlungen und auch Folter beinhaltet.
Die Übergriffe, vor denen der Kläger im Großraum Colombo wie auch in den sonstigen
südlichen und westlichen Landesteilen nicht hinreichend sicher ist, sind politische
Verfolgung. Längerfristige Inhaftierung und Folter, die gravierende Verletzungen der
bedeutenden Rechtsgüter Freiheit und körperliche Unversehrtheit darstellen, haben die
für eine Verfolgung erforderliche Intensität. Sie sind auch auf asylerhebliche Merkmale
gerichtet. Die Opfer sind gerade durch die tamilische Volkszugehörigkeit
hervorgehoben. Ferner legen die Sicherheitskräfte im Rahmen der Bekämpfung
terroristischer Aktivitäten der LTTE und auch für die in Rede stehenden Übergriffe im
Hinblick darauf, dass diese Organisation überwiegend junge tamilische Männer, aber
auch junge Frauen (vgl. dazu KK 04.06.1999 S. 2) für die Ausführung von Anschlägen
im Bereich Colombo einsetzt oder im unterstützenden Umfeld gewinnt und verwendet
und in den Gebieten im Norden und Osten, die sie kontrolliert oder in denen sie aktiv ist,
als Kämpfer oder Helfer rekrutiert, allgemein - neben der tamilischen Volkszugehörigkeit
- die Kriterien des (einsatzfähigen) Alters und der regionalen Herkunft an, sind also Alter
und regionale Herkunft mithin persönlichkeitsbestimmende Merkmale, die für den
Einzelnen unverfügbar sind, maßgebend.
71
Die Übergriffe sind auch nicht als Maßnahmen der präventiven oder repressiven
Bekämpfung des von der LTTE unter den oben dargestellten Umständen praktizierten
Terrorismus im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung aus
dem Bereich der asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen auszuklammern. Auch unter
Berücksichtigung der objektiven Schwierigkeiten der staatlichen Sicherheitskräfte in der
angespannten Sicherheitslage, den der LTTE- Mitgliedschaft bzw. der Täterschaft oder
der Unterstützung terroristischer Aktivitäten verdächtigen Personenkreis der Tamilen
anhand verläßlicher objektivierbarer Anhaltspunkte einzugrenzen, rechtfertigt es das
allgemeine Ziel der Terrorismusbekämpfung nicht, Angehörige dieses Personenkreises
über den zur Abklärung der Identität, des Grundes für den Aufenthalt in Colombo und
eventueller Verbindungen zur LTTE verhältnismäßigen Rahmen hinaus längerfristig zu
inhaftieren und menschenrechtswidrig zu misshandeln. Auf der Stufe dieser Übergriffe
schlägt die Zielrichtung des Vorgehens der srilankischen Sicherheitskräfte, soweit es
bei den Kontrollen und Verhaftungsmaßnahmen zur Abklärung von Identität und
Aufenthaltsgrund auf die Terrorismusabwehr gerichtet ist, dahin um, dass die Übergriffe
auf die tamilische Volkszugehörigkeit und die weiteren asylerheblichen Merkmale der
Betroffenen gerichtet sind.
72
Schließlich ist die Zurechnung der Übergriffe zum staatlichen Handeln nicht unter dem
Aspekt des exzesshaften Fehlverhaltens einzelner Amtsträger zu verneinen. Zwar kann
angesichts der geschaffenen gesetzlichen Verbote und Sicherheitsvorkehrungen nicht
verlässlich konstatiert werden, dass die Übergriffe gebilligt und gefördert würden. Eine
nachhaltige Verhinderung und durchgreifende Sanktionierung der Übergriffe sind aber
nicht festzustellen. Die Gegenmaßnahmen greifen nicht durchgängig. Es zeigt sich,
dass der srilankische Staat nicht in der Lage ist, die in Rede stehenden Übergriffe
effektiv in einem solchen Maße zu unterbinden, dass nur noch von nicht gänzlich
auszuschließenden Ausnahmefällen gesprochen werden könnte (ai --.06.1999 S. 4 ff
und 8 ff). Es begründet seine Verantwortlichkeit im asylrechtlichen Sinne, dass es trotz
73
manifester Mängel sowie öffentlicher Proteste und Kritik in Presse und Parlament und
von Menschenrechtsorganisationen (KK 12.01.1998 S. 6) über einen längeren Zeitraum
hin bei Armee und Polizeikräften noch zur Verwendung von Dienstkräften kommt, bei
deren Handeln für den staatlichen Belang der öffentlichen Sicherheit mit der realen
Möglichkeit asylerheblicher Übergriffe zu rechnen ist (vgl. u.a. ai --.06.1999 S. 8 ff. und
S. 25 ff.).
b) Für den Kläger besteht auch in den übrigen Landesteilen Sri Lankas keine
hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung.
74
Ein Aufsuchen der von den srilankischen Streitkräften zurückeroberten tamilischen
Siedlungsgebiete im Norden, namentlich auf der Halbinsel Jaffna, ist derzeit faktisch
nahezu unmöglich (KK 24.02.1997 S. 1, 08.12.1998 S. 10), da die einzige derzeitige
Verbindung für Zivilisten auf dem Seeweg mit einem unregelmäßig verkehrenden
Passagier-/Frachtschiff besteht, das die Jaffna-Halbinsel von Trincomalee aus mit
Geleitschutz der Marine anläuft. Die Benutzung des Seeweges ab Trincomalee setzt
zuvor ein Durchqueren des von der Regierung kontrollierten Staatsgebiets bis zum
Osten voraus, wobei Kontrollen der Sicherheitskräfte und daran anschließende
Inhaftierungen mit den zum Raum Colombo erörterten Folgen nicht hinreichend sicher
auszuschließen sind. Für die Schiffspassage ist zudem eine Genehmigung der
Sicherheitskräfte erforderlich, deren Erteilung an Rückkehrer aus dem Ausland wegen
besonderer Anspruchsvoraussetzungen unwahrscheinlich (KK 24.02.1997 S. 1,
08.12.1998 S. 8 f.) oder jedenfalls sehr schwierig ist und eine strikte
Sicherheitsüberprüfung voraussetzt, für die das oben Gesagte gilt. Eine
Verkehrsverbindung auf dem Landweg existiert wegen des militärischen Konflikts im
Norden nicht (AA 28.04.2000 S. 16). Der Landweg einschließlich des Elephanten-
Passes ist aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Wanni-Region
(Wingler 30.01.1998 S. 14, 31.05.1998 S. 16 ff., 30.09.1998 S. 19; AA 06.04.1998 -
Lagebericht - S. 12), die um die Straßenverbindung von Vavuniya nach Kilinochchi
geführt werden, und angesichts der zwischenzeitlichen Eroberung des
Elephantenpasses durch die LTTE nicht passierbar (KK 24.02.1997 S. 1, 08.12.1998 S.
8 f.; AA 28.04.2000 S. 16), allenfalls unter Inkaufnahme lebensgefährlicher und deshalb
unzumutbarer Umstände. Zwar besteht eine Luftverbindung durch Flugzeuge der
srilankischen Luftwaffe; vor der Buchung ist jedoch eine spezielle Genehmigung des
Verteidigungsministeriums einzuholen (AA 28.04.2000 S. 16). Angesichts dessen, dass
bei einer Reise zur Jaffna-Halbinsel intensive Sicherheitsüberprüfungen stattfinden,
sind die zum Aufenthalt in Colombo angeführten Gefährdungen auch insoweit nicht
hinreichend sicher auszuschließen.
75
Ein staatliches Programm zur Rückführung von aus dem Ausland zurückgekehrten
Tamilen in die nördlichen Siedlungsgebiete besteht nicht (Wingler 30.09.1998 S. 7).
Andere Regionen der Nordprovinz wären ebenfalls nur mit großen Schwierigkeiten und
Restriktionen der Sicherheitskräfte erreichbar. Vor diesem Hintergrund ist auch eine
Reise in die von der LTTE kontrollierten Gebiete in der umkämpften Wanni-Region, in
der politische Verfolgung in Gestalt der zum Süden und Westen des Landes erörterten
Maßnahmen des srilankischen Staates gegenwärtig nicht zu besorgen ist, unzumutbar.
Auch hierfür wären Kontrollen im Übergangsbereich zwischen den nördlichen und
südlichen Landesteilen bei Vavuniya mit strengen Sicherheitsüberprüfungen zu
passieren (AA 06.04.1998 - Lagebericht - S. 7, 04.11.1998), bei denen
Rechtsgutverletzungen bis hin zu Folter nicht ausgeschlossen werden können (Wingler
30.09.1998 S. 3; ai 23.02.2000 S. 1f; ai --.06.1999 S.23; Medical Foundation --.06.2000
76
S.23 ff). Hier könnte - was jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen
ist - ein Tamile oder eine Tamilin durch die Tatsache, in "LTTE-Gebiet" gelangen zu
wollen, Verdacht mit der Folge asylerheblicher Übergriffe hervorrufen.
Schließlich wäre der Kläger auch im Osten Sri Lankas vor politischer Verfolgung nicht
hinreichend sicher. Hier ist die gegenwärtige Situation (vgl. dazu Senatsurteile vom 13.
November 1998 - 21 A 4412/96.A - , 28. Juli 1999 - 21 A 4359/96.A - und 17. Dezember
1999 - 21 A 4263/96.A -) im Kern geprägt durch Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen
tamilische Zivilisten als Akte der Vergeltung für Übergriffe und Anschläge der LTTE mit
Tötungen und in einigen Fällen von Verschwinden. Es kommt zu Anschlägen und
Angriffen der LTTE mit in Einzelfällen hoher Zahl an Opfern vor allem unter der
singhalesischen Bevölkerung und den Sicherheitskräften und in deren Folge zu
Festnahmen bei Kontrollen und Verhaftungsaktionen, die in diesem Landesteil ebenfalls
- wenn auch in geringerem Ausmaß als in den südlichen und westlichen Landesteilen -
durchgeführt werden. Auch hier ist aber angesichts der unterschiedlichen
Bevölkerungsstruktur, der wesentlich größeren Präsenz von LTTE- Kadern und der sehr
angespannten Sicherheitslage nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass
junge männliche Tamilen im Anschluss an Verhaftungen in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale der Gefahr von Rechtsgutverletzungen in einem solchen Maß
ausgesetzt sind, dass aus den zur Situation im Süden und Westen des Landes
ausgeführten Gründen die hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung nicht
bejaht werden kann. Hierbei ist auch für den Osten zu berücksichtigen, dass die
Größenordnung den Umständen gemäß und wegen der mangelnden präzisen
Erfassung und Zusammenfassung sowie Mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle
nur wenig zuverlässig angegeben werden kann, mithin zum berichteten Vorkommen der
Übergriffe eine situationsbedingte Unsicherheit hinzutritt, die unter Berücksichtigung des
Kriteriums der Zumutbarkeit die reale Möglichkeit des Betroffenseins von politischer
Verfolgung und die begründete Furcht davor nicht ausgeschlossen erscheinen lässt.
77
c) Besondere individuelle Umstände, die eine so weitreichende Verminderung der
Gefährdung des Klägers ergeben könnten, dass diese als ganz entfernt liegende, nicht
mehr reale Möglichkeit unbeachtlich wäre, liegen nicht vor. Nach seinen Angaben in der
mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren kann nicht einmal zugrundegelegt
werden, dass er bei Rückkehr nach Sri Lanka in Colombo oder in sonstigen Bereichen
im Westen, Süden oder im zentralen Hochland im Falle einer Inhaftierung auf die Hilfe
von benachrichtigten Familienangehörigen oder Bekannten zurückgreifen könnte, die
etwa unter rechtzeitigem Einschalten eines Anwalts oder einer
Menschenrechtsorganisation sich für eine alsbaldige Freilassung einsetzen.
78
d) Zwischen den Akten politischer Verfolgung, vor denen der Kläger bei einer Rückkehr
nach Sri Lanka nicht hinreichend sicher ist, und der Vorverfolgung besteht der innere
Zusammenhang, der es unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit dem humanitären
Charakter des Asyls bzw. des Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG
entsprechend rechtfertigt, den Nachweis drohender Verfolgung durch Anwendung des
herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu erleichtern. Der innere
Zusammenhang ist gegeben, wenn die Gefahr der Wiederholung einer gleichartigen
Verfolgung nicht auszuschließen ist. Hierfür sind etwa die fortbestehenden politischen
und staatsrechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat sowie die Gerichtetheit der
Verfolgungsmaßnahmen auf dieselben asylerheblichen Merkmale maßgebend, wobei
es nicht darauf ankommt, dass zukünftige Verfolgungsmaßnahmen unter anderen
Umständen und an anderen Orten erfolgen oder dass sie nach der Vorgehensweise der
79
Verfolger ein anderes äußeres Erscheinungsbild tragen.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Juli 1990 - 9 C 78.89 -, BVerwGE 85, 266 und 18. Februar
1997 - 9 C 9.96 -, DVBl 1997, 908 sowie Beschluss vom 11. März 1998 - 9 B 757.97 -.
80
Dieser innere Zusammenhang ist hier nicht zweifelhaft. Die unmittelbare Gefährdung,
vor der der Kläger aus seiner Heimatregion und dann aus Colombo seinerzeit geflohen
ist, resultierte aus dem - bis heute fortdauernden - Konflikt des srilankischen Staates mit
der separatistischen LTTE und den überschießenden Reaktionen der repressiven und
präventiven Bekämpfung des Terrorismus der LTTE und war insofern auf die
bezeichneten asylerheblichen Merkmale gerichtet ebenso wie die nach den
vorstehenden Gründen asylerheblichen Übergriffe, vor denen der Kläger bei einer
Rückkehr nicht hinreichend sicher wäre. Darauf, dass die asylerheblichen Übergriffe
heute teilweise ein anderes äußeres Erscheinungsbild als zum Zeitpunkt der Ausreise
des Klägers tragen, kommt es nicht an.
81
e) Insgesamt kann danach im Hinblick auf die Schwere der Rechtsgutverletzungen -
längerfristige Freiheitsentziehung und Verletzung der körperlichen Integrität durch
Misshandlungen und unter Umständen auch Folter -, die im Falle eines Zugriffs
eintreten können, bei zusammenfassender Betrachtung unter Einbeziehung des
Kriteriums der Zumutbarkeit des vorverfolgt ausgereisten Klägers die Rückkehr in sein
Heimatland nicht zugemutet werden.
82
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
83
5. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
84
Rechtsmittelbelehrung
85
Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
86
Die Beschwerde ist beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen,
Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses
Urteils einzulegen. Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
87
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu
begründen. Die Begründung ist bei dem oben genannten Gericht einzureichen.
88
Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die
Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte
durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als
Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und
Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen. Dr. Deiseroth
OBERVERWALTUNGSGERICHT
89
FÜR DAS LAND NORDRHEIN- WESTFALEN
90
IM NAMEN DES VOLKES
91
URTEIL
92
21 A 457/98.A 4a K 1524/95.A Gelsenkirchen In dem Verwaltungsrechtsstreit des Herrn
Kanagarathnam A k i l a k u m a r , alias Suvendran Selvanajagam, Egestorfer Straße
133, 30890 Barsinghausen, Klägers,
93
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Pausch und Heim, Friedrich-Ebert- Straße 17,
40210 Düsseldorf,
94
gegen
95
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern,
dieses vertreten durch den Präsidenten des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge, Frankenstraße 210, 90461 Nürnberg, Az.: B 1943394-431,
Beklagte,
96
Beteiligter: Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, Rothenburger Straße 29,
90513 Zirndorf,
97
wegen Asylrechts
98
hat der 21. Senat
99
auf die mündliche Verhandlung
100
vom 14. November 2000
101
durch den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
102
auf die mit Beschluss des Senats vom 7. Oktober 1998 zugelassene Berufung des
Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 11. Dezember
1997
103
für Recht erkannt:
104
Das angefochtene Urteil wird teilweise geändert.
105
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 3. Februar 1995 verpflichtet festzustellen,
dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
106
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur
Hälfte; die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens trägt die Beklagte.
107
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
108
Die Revision wird nicht zugelassen.
109
Tatbestand:
110
Der am 12. September 1974 in Punkudutivu geborene Kläger ist srilankischer
Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Angaben verließ er sein
Heimatland am 26. November 1994 mit dem Flugzeug und reiste am 3. Dezember 1994
auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
111
Am 29. Dezember 1994 stellte er beim Grenzschutzamt Frankfurt/Main einen Asylantrag,
nachdem er dort wegen eines missbräuchlich benutzten kanadischen Flüchtlingspasses
festgenommen worden war. Bei seiner Vernehmung gab er an, er habe sich seit dem 3.
Dezember 1994 zunächst im Bundesgebiet aufgehalten und habe von Frankfurt aus
über Paris nach Kanada fliegen wollen. Am 21. Dezember 1994 sei er von den
französischen Grenzbehörden von Paris nach Frankfurt/Main zurückgewiesen worden.
112
Bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt führte der Kläger
am 30. Dezember 1994 im Wesentlichen aus: Er habe in Sri Lanka zehn Jahre lang die
Schule besucht und diese ohne Abschluss 1990 beendet. Am 5. Oktober 1991 hätten
sich srilankische Soldaten seinem Heimatort Punkudutivu genähert. Deshalb sei er mit
seiner Familie noch am gleichen Tage nach Jaffna geflohen. Am 9. Oktober 1991 sei er
nach Punkudutivu zurückgekehrt, um einige Sachen zu holen. Er sei dabei von den
Soldaten festgenommen und in das Lager Karainagar gebracht worden. Dort sei er ca.
zwei Jahre lang inhaftiert worden und erst am 30. Oktober 1993 entlassen worden. Die
srilankischen Soldaten hätten ihn verdächtigt, der LTTE anzugehören. Man habe ein
entsprechendes schriftliches Geständnis vorbereitet, wonach er LTTE-Mitglied sei. Er
habe sich jedoch geweigert, dies zu unterschreiben. Er sei nie Mitglied einer
Organisation oder Partei gewesen. Während der zweijährigen Inhaftierung sei er
gefoltert und immer wieder gefragt worden, ob er Mitglied der LTTE sei. Außerdem habe
er Sandsäcke füllen müssen. Seine Mutter habe vergeblich versucht, ihn
freizubekommen. Sie habe auch einen Anwalt aus Colombo beauftragt, der dies jedoch
nicht geschafft habe. Sie habe dann das Rote Kreuz eingeschaltet, mit dessen Hilfe er
schließlich freigekommen sei. Von der Haftzeit gebe es nichts besonderes zu berichten.
Anfangs habe man ihn verhört und auch geschlagen. Er sei die ganze Zeit über in dem
Lager der srilankischen Soldaten untergebracht und dort als Hilfskraft eingesetzt
worden. Man habe ihm auch vorgeworfen, dass er in den Jahren zuvor nicht die EPRLF
unterstützt habe.
113
Nach seiner Haftentlassung sei er zusammen mit seiner Mutter von Karainagar per
Schiff nach Trincomalee gefahren und dann von Trincomalee nach Colombo gereist.
Dort seien er und seine Mutter etwa eine Woche lang geblieben. Danach seien sie nach
Jaffna zurückgekehrt. Nach etwa einer Woche hätten LTTE- Angehörige ihr Haus
durchsucht. Sie hätten ihn verdächtigt, weil er bei den Soldaten gewesen sei und weil er
die srilankischen Soldaten unterstütze sowie Informationen sammle und weitergebe.
Zusammen mit seiner Mutter sei er dann nach Colombo zurückgefahren, wo er am 9.
November 1994 angekommen sei. Unterwegs bei einer Kontrolle in Vavuniya sei er
kurzzeitig von seiner Mutter getrennt worden, weil er keine ID-Card gehabt habe. In
Colombo sei er bei einer Kontrolle in der Pension, in der sie gewohnt hätten, von der
Polizei festgenommen und in der Zeit vom 15. bis 21. November 1994 unter dem
Vorwurf, LTTE-Mitglied zu sein, inhaftiert worden. Nachdem sich ein katholischer
Priester für ihn eingesetzt habe, sei er freigelassen worden. Während der Haftzeit sei er
geschlagen worden.
114
Am 26. November 1994 sei er von Colombo aus mit dem Flugzeug nach Moskau
geflogen. Bei der Ausreise habe es keine Schwierigkeiten gegeben. Anschließend sei
er mit einem Pkw vom 27. November bis 3. Dezember 1994 durch ihm unbekannte
Länder unterwegs gewesen und am 3. Dezember 1994 in Deutschland eingetroffen.
Vom 3. bis zum 20. Dezember 1994 habe er sich beim Schlepper aufgehalten. Sein
Onkel habe ihn am 20. Dezember 1994 nach Frankfurt gebracht. Ab Frankfurt sei er mit
dem ihm ausgehändigten kanadischen Reisepass nach Paris geflogen und von dort
nach Frankfurt zurückgeschickt worden. Beim Abflug aus Frankfurt habe er den
kanadischen Pass vorgezeigt, der auf den Namen Suvendran (Vorname)
Selvanayagam (Nachnamen), geboren am 16. November 1973 in Jaffna, ausgestellt
gewesen sei. In Paris habe er keinen Asylantrag gestellt.
115
Er befürchte, im Falle seiner Rückkehr werde man ihm seitens der LTTE vorwerfen,
dass er unzutreffenderweise angegeben habe, er müsse seine Mutter bis Colombo
begleiten, weil diese krank sei. Er könne auch nicht in Colombo bleiben. Als junger
Tamile müsse er dort mit seiner Verhaftung rechnen.
116
Mit Bescheid vom 3. Februar 1995 lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab und
verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.
117
Am 27. Februar 1995 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
118
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 3. Februar 1995 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen sowie festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 des Ausländergesetzes und Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG
vorliegen.
119
Die Beklagte hat beantragt,
120
die Klage abzuweisen.
121
In der mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 1997 hat der Kläger zu seinen
Asylanträgen ergänzend vorgetragen: Während seiner Schulzeit sei er bei der
Schülerorganisation der "Tiger" in deren Mitgliederliste geführt worden. Zu den
Aufgaben der Schülerorganisation habe u.a. gehört, Plakate zu kleben. Im Armeelager
Karainagar, in das er am 9. Oktober 1991 von srilankischen Soldaten gebracht worden
sei, sei er mit dem Vorwurf konfrontiert worden, Mitglied der LTTE zu sein. Er sei dort
geschlagen und getreten worden. An den darauf folgenden Tagen sei er bei
unterschiedlichen Arbeiten, z.B. beim Füllen von Sandsäcken, eingesetzt worden. Wenn
die LTTE Angriffe durchgeführt habe, seien er und die anderen Tamilen im Lager
misshandelt worden. Er sei wiederholt verhört worden. Als er sich geweigert habe, ein
Schreiben zu unterzeichnen, mit dem er habe zugeben sollen, Mitglied der LTTE zu
sein, sei er ebenfalls misshandelt worden, indem man ihn z.B. mit dem Kopf nach unten
aufgehängt oder mit unterschiedlichen Gegenständen geschlagen habe. Dass er
schließlich mit Hilfe des Roten Kreuzes am 30. Oktober 1993 entlassen worden sei,
führe er darauf zurück, dass das Rote Kreuz argumentiert habe, er müsse spätestens ein
Jahr nach dem Tod seines Vaters als dessen ältester Sohn den Beisetzungsritus
ausrichten. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass es sich lediglich um eine
122
vorübergehende Entlassung gehandelt habe. Die erlittene Haft habe erhebliche
Folgewirkungen, insbesondere psychischer Art für ihn gehabt. Er habe deshalb den
Wunsch gehabt, Sri Lanka zu verlassen, zumal er auch von der LTTE mit dem Verdacht
konfrontiert worden sei, Spion der Armee zu sein. In Colombo, wo er am 15. November
1994 von srilankischen Polizisten in der Lodge festgenommen worden sei, sei er
verdächtigt worden, mit der LTTE etwas zu tun zu haben. Er sei in der Kottahena-
Polizeistation verhört worden. Die Ausreise sei mit einem auf seinen Namen
ausgestellten Pass erfolgt. In Deutschland habe er keinen Kontakt zur LTTE. Er habe
jedoch schon an Demonstrationen teilgenommen, die sich für bessere Bedingungen in
Sri Lanka einsetzten.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen.
123
Auf den Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 7. Oktober 1998 seine
Berufung zugelassen, soweit er begehrt, die Verpflichtung der Beklagten festzustellen,
dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
124
Zur Begründung trägt der Kläger ergänzend vor: Er sei vorverfolgt aus Sri Lanka
ausgereist. Sein Entschluss zur Ausreise sei von ihm bereits während der Inhaftierung
im Karainagar-Lager gefasst worden, wo man ihn ohne Grund zwei Jahre lang
festgehalten, körperlich schwer misshandelt und zu Zwangsarbeiten herangezogen
habe. Seine Verhaftung durch die Polizei in Colombo sei am 5. oder 6. Tag seines
Aufenthaltes erfolgt, und zwar wegen des Verdachtes, Verbindungen zur LTTE zu
haben. Während der Verhöre in der Polizeistation Kottahena sei er vier bis fünf Mal mit
Schuhen getreten und mit Gewehrkolben traktiert worden. Er habe zwar keine äußeren
Verletzungen erlitten, jedoch starke Schmerzen in der Brust gehabt. Die Freilassung sei
unter Meldeauflagen nur vorläufig erfolgt. Es sei damals sehr deprimiert gewesen und
habe geglaubt, in Sri Lanka keine Sicherheit mehr zu finden. Im Falle seiner Rückkehr
nach Sri Lanka sei er vor erneuter politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher.
125
Der Kläger beantragt,
126
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise von § 53 AuslG festzustellen.
127
Die Beklagte beantragt,
128
die Berufung zurückzuweisen.
129
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Das Verwaltungsgericht habe das
Begehren des Klägers zu Recht abgewiesen. Die Zweifel an der persönlichen
Glaubwürdigkeit des Klägers, wie sie das Verwaltungsgericht dargelegt habe, seien
berechtigt. Die unsubstantiierte, detailarme Schilderung der angeblichen Haft vom 9.
Oktober 1991 bis zum 30. Oktober 1993 könne nicht mit der Behauptung mangelhafter
Befragung begründet werden. Ausweislich des Anhörungsprotokolles sei er insgesamt
vier Mal nach den genauen Umständen seiner Haft befragt worden. Unglaubwürdig
seien auch seine unsubstantiierten, detailarmen Ausführungen zur angeblichen Haft
vom 15. bis zum 21. November 1994. Die in der Anhörung beim Bundesamt geäußerte
Behauptung, während dieser Haft geschlagen worden zu sein, sei in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht einmal wiederholt, geschweige denn
konkretisiert worden. Im Übrigen sei auch nicht einsichtig, warum der Kläger nicht sofort
130
nach seiner Einreise im Bundesgebiet Asyl beantragt habe. Da er mit Hilfe eines
Schleppers eingereist sei, seien ihm die rechtliche und damit auch tatsächliche
Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus in Deutschland und damit auch die mögliche
Gefahr einer Abschiebung in sein Heimatland sehr wohl bekannt gewesen. Wäre er, wie
er behaupte, von einer de-facto-Sicherheit ausgegangen, hätte er zudem keinen
gefälschten Pass benutzt.
Der Beteiligte stellt keinen Antrag.
131
Die Verfahrensbeteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
als Einzelrichter einverstanden erklärt.
132
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der
Ausländerbehörde Bezug genommen.
133
Entscheidungsgründe:
134
Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, zu Gunsten des
Klägers festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Sri
Lankas vorliegen. Der anders lautende Bescheid des Bundesamtes ist insoweit
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Urteil
des Verwaltungsgerichts ist dementsprechend zu ändern.
135
1. Der Kläger darf gemäß § 51 Abs. 1 AuslG nicht nach Sri Lanka abgeschoben werden,
da dort sein Leben oder seine Freiheit aus den in der Vorschrift genannten Gründen,
namentlich wegen seiner tamilischen Volkszugehörigkeit und seines Alters, bedroht ist.
136
Wegen der für die Beurteilung des Klagebegehrens maßgeblichen Ansatzpunkte und
Kriterien wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juli 1989 - 2
BvR 502, 1000, 961/86 - (BVerfGE 80, 315) verwiesen. Die dort unter B I für die
Asylberechtigung dargestellten rechtlichen Grundsätze gelten, soweit vorliegend
relevant, auch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
137
Vgl. zur Deckungsgleichheit von Verfolgungshandlung, geschütztem Rechtsgut sowie
politischem Charakter der Verfolgung bei Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. = Art. 16 a Abs. 1
GG und § 51 Abs. 1 AuslG BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1992 - 9 C 59.91 -, NVwZ
1992, 892, sowie zur Deckungsgleichheit des politischen Charakters bei Art. 16 a Abs. 1
GG, § 51 Abs. 1 AuslG und bei Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Genfer Konvention (GK) BVerwG,
Urteil vom 18. Januar 1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497, 498 f.
138
Für die Beurteilung, ob der Kläger als politisch Verfolgter Schutz beanspruchen kann, ist
darauf abzustellen, ob er bei Rückkehr in sein Heimatland vor politischer Verfolgung
hinreichend sicher ist; denn er ist wegen erlittener und wegen unmittelbar drohender
weiterer politischer Verfolgung ausgereist mit der Folge, dass er als vorverfolgt
anzusehen ist.
139
Vgl. zu den Maßstäben BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O., S. 344 und
BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 145.90 -, BVerwGE 88, 367, 369 m.w.N. sowie
Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 166.
140
Bei der Prüfung und Beurteilung erlittener oder unmittelbar drohender Vorverfolgung ist
entscheidend auf das Vorbringen der Asylbewerber abzustellen. Da sie allein die
bestimmenden Gründe für das Verlassen ihres Herkunftslandes kennen, obliegt es
ihnen, die tatsächliche Grundlage für eine politische Verfolgung selbst in schlüssiger
Form vorzutragen. Dabei haben sie bezüglich der in ihre eigene Sphäre fallenden
Umstände, insbesondere ihrer persönlichen Erlebnisse, unter Angabe genauer
Einzelheiten eine in sich stimmige Sachverhaltsschilderung zu geben, während
hinsichtlich der allgemeinen Umstände im Herkunftsland eine Darstellung von
Tatsachen genügt, aus denen sich die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer
Verfolgung ergibt.
141
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1982 - 9 C 74.81 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG
Nr. 42, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1
VwGO Nr. 212.
142
2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. a) Das Gericht hat mit der nach § 108 Abs. 1
VwGO erforderlichen Gewissheit aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die
Überzeugung gewonnen, dass der Kläger im November 1994 unter dem Druck erlittener
und ihm unmittelbar drohender weiterer politischer Verfolgung, vor der innerhalb des
Heimatlandes auszuweichen ihm nicht zumutbar war, mithin aus einer durch politische
Verfolgung bedingten ausweglosen Lage Sri Lanka verlassen hat.
143
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass dem Kläger sowohl während seiner mehr
als zweijährigen Inhaftierung in dem auf der Insel Karaitivu gelegenen Militär-Camp der
srilankischen Streitkräfte bei Karainagar (vgl. dazu u.a. KK 28.11.1997 S.1) von Oktober
1991 bis Ende Oktober 1993 als auch während seiner Inhaftierung in der Polizeistation
Kottahena in Colombo vom 15. bis 21. November 1994 schwerwiegende
Rechtsgutverletzungen zugefügt wurden. Nach seinen glaubhaften Angaben war er
Anfang Oktober 1991 von seinem Heimatort Punkudutivu (auf der gleichnamigen Insel
Punkudutivu) aus zusammen mit anderen Familienangehörigen vor srilankischen
Soldaten zunächst nach Jaffna geflüchtet. Als er sich am 9. Oktober 1991 mit dem
Fahrrad zurück auf den Weg nach Punkudutivu machte, um noch einige Wertsachen,
die zurückgeblieben waren, zu holen, wurde er in der Nähe von Velanai von
srilankischen Soldaten unter dem Verdacht, Mitglied oder Anhänger der LTTE zu sein,
festgenommen und anschließend in das Militärlager Karainagar gebracht, wo er dann
bis zum 30. Oktober 1993 festgehalten wurde. Bereits diese mehr als zweijährige
Inhaftierung durch das srilankische Militär stellte einen gravierenden Eingriff in die
Freiheit des Klägers dar, der um so schwerer wiegt, als konkrete Anhaltspunkte für ein
präventiv abzuwehrendes oder repressiv zu verfolgendes Fehlverhalten des Klägers
nicht ersichtlich sind. Hinzu kommt, dass der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben
während seiner Inhaftierung im Militärlager Karainagar von den srilankischen Soldaten
mehrfach körperlich misshandelt wurde. Nach seinen Bekundungen wurde er bereits bei
der Verhaftung und kurz nach der Ankunft im Lager mit Gewehrkolben traktiert. Auch in
der Folgezeit wurde er nach seinen Angaben viele Male mit Stöcken, Gewehrkolben
und gelegentlich auch mit Stromkabeln geschlagen und damit in schwerwiegender
Weise in seiner körperlichen Integrität verletzt.
144
Auch die während seiner Inhaftierung in der Polizeistation Kottahena in Colombo in der
Zeit vom 15. bis 21. November 1994 erlittenen körperlichen Misshandlungen stellen
schwerwiegende Rechtsgutverletzungen dar. Zwar mag der Umstand, dass der Kläger
während seines Aufenthaltes in Colombo ausweislich seiner eigenen Angaben über
145
keine Identitätskarte oder andere Ausweispapiere verfügte, der srilankischen Polizei
hinreichende Veranlassung gegeben haben, seine Identität näher abzuklären und ihn
zu diesem Zweck zu sistieren. Dies rechtfertigte jedoch keinesfalls die körperlichen
Misshandlungen, denen der Kläger während seiner Inhaftierung auf der Polizeistation
ausgesetzt war. Nach seinen Angaben wurde er dort nicht nur verhört und mit dem
Vorwurf konfrontiert, für die LTTE zu arbeiten und tamilischer Spion zu sein. Vielmehr
wurde er mehrfach mit Schuhen getreten und mit Gewehrkolben traktiert, so dass er
starke Schmerzen in der Brust verspürte.
Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Klägers, die er
namentlich in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren gemacht hat und die
in ihrem Kern mit seinen früheren Äußerungen gegenüber dem Bundesamt und
gegenüber dem Verwaltungsgericht im erstinstanzlichen Verfahren übereinstimmen.
Bereits bei seiner Anhörung im Rahmen der Vorprüfung durch das Bundesamt hatte er
am 30. Dezember 1994 ausweislich der hierzu gefertigten Niederschrift von seiner am 9.
Oktober 1991 erfolgten Festnahme und der anschließenden mehr als zweijährigen
Inhaftierung im Militärlager von Karainagar berichtet. Dabei gab er auf wiederholte
Fragen präzise an, dass die Inhaftierung vom 9. Oktober 1991 bis zum 30. Oktober 1993
dauerte. Ebenso berichtete er bereits damals von den während der etwa zweijährigen
Haft erlittenen körperlichen Misshandlungen, wobei allerdings auffällt, dass er
ausweislich der vorliegenden Niederschrift über deren Art sowie ihre näheren Umstände
keine konkretisierten Angaben machte. Worauf die damalige Detailarmut seiner
Angaben, auf die die Beklagte im Berufungsverfahren zu Recht hingewiesen hat,
letztlich beruhte, hat das Gericht nicht (mehr) feststellen können. Es spricht jedoch vieles
dafür, dass sie jedenfalls auch darauf zurückzuführen ist, dass der Kläger bei der
Anhörung am 30. Dezember 1994 insoweit nicht hinreichend befragt worden ist.
Nachdem er nämlich erklärt hatte, er sei während der zweijährigen Haft im Militärlager
von Karainagar durch die srilankischen Soldaten "gefoltert" und "immer gefragt" worden,
ob er Mitglied der LTTE sei, ist er ausweislich des Protokolls insbesondere nicht um
eine nähere Konkretisierung seiner Ausführungen hinsichtlich der behaupteten
Folterung gebeten worden. Stattdessen ist ihm unmittelbar im Anschluss daran
ausweislich des Protokolls lediglich die Frage gestellt worden, ob er "sonst noch etwas"
von der Haftzeit "vortragen" könne. Diese Frage konnte er nach ihrem objektiven
Erklärungswert so verstehen, dass er um die Schilderung von - neben der Folterung -
weiteren Vorfällen während der Haft ("sonst noch etwas") gebeten wurde, wobei er sich
dann insoweit auf die Antwort beschränkte, da gebe es "nichts Besonderes zu
berichten"; anfangs habe man ihn verhört "und auch geschlagen"; mehr könne er "von
dem zweijährigen Haftaufenthalt nicht vortragen". Nachfragen, mit denen diese
Fehlrezeption des Klägers hätte ausgeschlossen werden können, unterblieben.
Angesichts dessen kann zwar davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei der
Anhörung damals Gelegenheit gegeben wurde, weitere Angaben zu seiner mehr als
zweijährigen Inhaftierung zu machen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden,
dass ihm die Notwendigkeit einer weiteren Konkretisierung und Detailierung seiner
Ausführungen zu erlittenen körperlichen Misshandlungen ("gefoltert") nicht hinreichend
bewusst war und dass er deshalb zur Angabe diesbezüglicher nachvollziehbarer
Einzelheiten keine Veranlassung sah. Als der Kläger dann in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11. Dezember 1997 näher zu den
behaupteten körperlichen Misshandlungen im Lager von Karainagar befragt worden ist,
hat er hierzu detailliertere Angaben gemacht, die im Kern mit seinen späteren
Bekundungen in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren übereinstimmen.
Beide Male hat er angegeben, dass er während der Befragungen im Militärlager von
146
Karainagar wiederholt geschlagen und getreten worden sei. Außerdem hat er beide
Male davon berichtet, dass er einmal kopfüber aufgehängt und verhört worden sei, als er
sich geweigert habe, ein schriftlich vorbereitetes "Geständnis" zu unterschreiben.
Ebenso konnte er sich bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung im
Berufungsverfahren an einzelne Szenen erinnern, in denen er mit Gewehrkolben
traktiert oder durch Drohungen eingeschüchtert wurde. Dabei muss berücksichtigt
werden, dass seit jenen Vorgängen nunmehr mehr als 7 Jahre vergangen und damit
Erinnerungsschwächen und -lücken unvermeidlich geworden sind. Für die
Glaubhaftigkeit des diesbezüglichen Vorbringens des Klägers spricht jedoch insgesamt
namentlich der persönliche Eindruck, den das Gericht von ihm in der mündlichen
Verhandlung hat gewinnen können. Die ihm gestellten Fragen hat er nachvollziehbar
beantwortet, ohne dass dabei verbale oder nonverbale Unsicherheiten, die auf unwahre
Angaben hindeuten könnten, erkennbar geworden sind. Auch auf Nachfragen zu
Einzelpunkten ist er im Kern bei seiner Darstellung der hier relevanten Vorfälle
geblieben und hat mehrfach seine diesbezüglichen Angaben glaubhaft bekräftigt.
Erinnerungslücken hat er offen eingeräumt und nicht zu kaschieren versucht.
Unausräumbare Widersprüche oder Ungereimtheiten sind in seinem Vorbringen nicht
zu Tage getreten. Auch aus den Angaben, die der Kläger zu den Vorgängen nach
seiner Entlassung aus dem Militärlager von Karainagar gemacht hat, lassen sich keine
durchgreifenden Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens herleiten.
Soweit er angegeben hat, er sei nach seiner am 30. Oktober 1993 erfolgten Freilassung
zusammen mit seiner Mutter per Schiff nach Trincomalee gefahren und von dort
zunächst weiter nach Colombo gereist, wo sie etwa eine Woche lang geblieben seien,
ehe sie nach Jaffna zurückgefahren seien, mag eine solche Reiseroute ungewöhnlich
sein. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt noch
relativ jung war, die letzten zwei Jahre vorher in einem Lager der srilankischen
Streitkräfte zugebracht hatte und damit während dieser Zeit letztlich von der Außenwelt
abgeschnitten war, so dass er nur rudimentäre Kenntnisse über die damalige
Bürgerkriegssituation im Bereich der Jaffna-Halbinsel sowie insbesondere über Reise-
und Passiermöglichkeiten hatte. Angesichts dessen ist sein Vorbringen nachvollziehbar,
dass er damals ganz dem Rat seiner Mutter vertraute und ihre Entscheidungen und
Anordnungen unbesehen befolgte. Welche Gründe seine Mutter im Einzelnen
bestimmten, zunächst nach Trincomalee und nach Colombo zu reisen, bevor sie mit
dem Kläger anschließend nach Jaffna zurückkehrte, lässt sich nachträglich schon
deshalb nicht mehr ermitteln, weil ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort unbekannt ist und der
Kläger seit seiner Ausreise keinerlei Kontakt mehr mit ihr hat. Dies kann jedoch nicht zu
seinen Lasten gehen.
Auch die Angaben des Klägers hinsichtlich der im November 1994 durch die
srilankische Polizei erfolgten Inhaftierung in der Polizeistation Kottahena in Colombo
und die dabei mehrfach erlittenen körperlichen Misshandlungen sind nach der vom
Gericht gewonnenen Überzeugung glaubhaft. Der Kläger hat nachvollziehbar die
näheren Umstände seiner Verhaftung sowie die ihm wesentlich erscheinenden
Vorgänge in der Polizeistation geschildert. Auch insoweit sind hinsichtlich des
Kerngeschehens gravierende Widersprüche zu seinem früheren Vorbringen nicht
erkennbar. Bereits bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 30. Dezember 1994
hatte er präzise die Dauer der Inhaftierung angegeben und berichtet, dass er während
der Haftzeit in Colombo "geschlagen" worden sei. Da er damals ausweislich der
Niederschrift über diese Anhörung nicht um Konkretisierung und Präzisierung
hinsichtlich der Art und der näheren Umstände der angeführten körperlichen
Misshandlungen gebeten worden war, geht es nicht an, die Detailarmut seiner
147
damaligen Angaben als durchgreifendes Indiz für ihre mangelnde Glaubhaftigkeit zu
werten. Denn die Knappheit seiner Ausführungen vor dem Bundesamt kann
insbesondere auf die Art der Befragung und das Unterbleiben einschlägiger präziser
Nachfragen zurückzuführen sein. Zwar ist der Kläger auch bei seiner am 11. Dezember
1997 erfolgten Vernehmung durch das Verwaltungsgericht, wie sich aus der
Niederschrift ergibt, nicht mehr von sich aus auf die gegenüber dem Bundesamt
angeführten körperlichen Misshandlungen in der Polizeistation in Colombo zu sprechen
gekommen. Auch hier ist er danach jedoch nicht näher befragt worden. Entscheidend ist
letztlich auch hinsichtlich dieser Vorgänge während der Polizeihaft in Colombo, dass
seine im Kern widerspruchsfreien Bekundungen, die er in der mündlichen Verhandlung
im Berufungsverfahren gemacht hat, dem Gericht insbesondere aufgrund des
gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger die erforderliche Gewissheit vermittelt
haben, dass sie der Wahrheit entsprechen. Der Umstand, dass der Kläger nicht sofort
nach seiner ersten Ankunft in Deutschland am 3. Dezember 1994 einen Asylantrag
stellte, sondern zunächst versuchte, von Frankfurt aus über Paris nach Kanada weiter zu
fliegen, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens. Denn es ist
naheliegend, dass er ein Asylbegehren erst dann anbrachte, als sich sein
ursprüngliches Ziel, Kanada zu erreichen, nicht realisieren ließ. Ohne durchgreifende
Relevanz hinsichtlich der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens ist auch, dass er keine
sicheren Angaben hinsichtlich der näheren Umstände und des Zeitpunktes des Todes
seines Vaters zu machen vermochte. Denn er war nicht zugegen, als sein Vater zu Tode
kam und konnte und kann sich demzufolge insoweit nur auf Informationen Dritter,
Gerüchte oder Mutmaßungen stützen.
Die im Streitkräftelager von Karainagar und in der Polizeistation Kottahena in Colombo
erfolgten Inhaftierungen und die dabei erlittenen schwerwiegenden körperlichen
Misshandlungen des Klägers waren Akte der politischen Verfolgung. Sie knüpften an
dem asylrelevanten Merkmal der tamilischen Volkszugehörigkeit und an dem
pauschalen Vorwurf der LTTE-Unterstützung an. Hinsichtlich des Klägers lagen keine
über allgemeine Merkmale wie Volkszugehörigkeit und Alter hinausgehenden
objektiven Verdachtsmomente vor,
148
vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C 74.90 -, BVerwGE 87,
152 (154); Beschluss vom 10. Juni 1992 - 9 B 176.91 -.
149
Die srilankischen Soldaten und Polizeikräfte stellten für ihre Maßnahmen - ohne
konkrete Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit des Klägers mit der LTTE zu haben -
allein auf seine tamilische Volkszugehörigkeit und sein Alter ab. Insbesondere mit der
erfolgten menschenrechtswidrigen Behandlung gingen sie über die bloße Verfolgung
eines Ermittlungsinteresses hinaus. Die Festnahmen und Inhaftierungen - verbunden
mit schweren körperlichen Misshandlungen - waren bei objektiver Betrachtungsweise
dazu bestimmt, dem Kläger in Anknüpfung an die genannten asylrelevanten Merkmale
gezielte Rechtsgutverletzungen zuzufügen, die ihn ihrer Intensität nach ausgrenzten und
somit in eine ausweglose Lage brachten. Die Maßnahmen der Soldaten und der
srilankischen Polizei gingen, auch wenn sie Reaktionen auf Übergriffe im Rahmen der
Auseinandersetzung mit militanten tamilischen Separatisten gewesen sein sollten,
entscheidend über das hinaus, was noch der Bekämpfung von Terrorismus zugeordnet
werden konnte, zumal der Kläger aus seiner Person oder seinen familiären
Verhältnissen heraus keine Anknüpfungspunkte für eine Einbindung in die
terroristischen Aktivitäten der LTTE geboten hatte.
150
Die dem Kläger sowohl in dem Militärlager Karainagar als auch in der Polizeistation in
Colombo zugefügten schweren Rechtsgutverletzungen sind dem srilankischen Staat
zuzurechnen. Sowohl die Verhaftung des Klägers im Oktober 1981 als auch die
anschließende etwa zweijährige Inhaftierung im Militärlager von Karainagar (vgl. dazu
KK 28.11.1997 S. 1) erfolgten in einem Gebiet, in dem die srilankische Staatsmacht
effektive Gebietsgewalt hatte. Dies trifft jedenfalls für die Insel Kayts, wo die Verhaftung
des Klägers in der Nähe des Ortes Velanai erfolgte, und für die Insel Karaitivu zu, auf
der sich das Militärlager Karainagar befindet (vgl. dazu u. a. AA 30.08.1991 S. 2; Dr.
Wingler, 17.05.1993 S. 7). Die Zurechnung der gegenüber dem Kläger im Militärlager
Karainagar und in der Polizeistation in Colombo erfolgten Übergriffe zum staatlichen
Handeln des srilankischen Staates ist auch nicht unter dem Aspekt des exzesshaften
Fehlverhaltens einzelner Amtsträger zu verneinen. Zwar kann nicht verlässlich
konstatiert werden, dass diese Übergriffe von der Armee- und Staatsführung gebilligt
und gefördert wurden. Der srilankische Staat war aber jedenfalls nicht in der Lage, die in
Rede stehenden Übergriffe ihrer Art nach effektiv in einem solchen Maße zu
unterbinden, dass nur noch von nicht gänzlich auszuschließenden Ausnahmefällen
gesprochen werden konnte. Eine nachhaltige Verhinderung und durchgreifende
negative Sanktionierung der Übergriffe sind jedenfalls für den damaligen Zeitpunkt nicht
feststellbar.
151
b) Für den Kläger war bis zu seiner im November 1994 erfolgten Ausreise weder in
Colombo noch in anderen Landesteilen Sri Lankas eine inländische Fluchtalternative
gegeben.
152
Soll ein Asylsuchender auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden, so
setzt dies die verlässliche Feststellung darüber voraus, dass der Betroffene dort nicht in
eine ausweglose Lage gerät. Er muss danach in dem in Betracht kommenden Gebiet
nicht nur vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein; es dürfen ihm dort auch
keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere
einer asylerheblichen oder im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG relevanten
Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese
existentielle Gefährdung am Herkunftsort nicht bestünde.
153
Vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989, a.a.O., 343f, und vom 24. März
1997 - 2 BvR 1024/95 -, NVwZ 1997 Beilage 9, S. 65 (66) m.w.N.
154
Die hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung wird allerdings nicht bereits
durch jede geringe Möglichkeit eines Verfolgungseintritts ausgeschlossen; zu ihrer
Verneinung müssen an der Sicherheit des Betroffenen mindestens ernsthafte Zweifel
bestehen, müssen über eine theoretische Möglichkeit, Opfer eines Übergriffs zu werden,
hinaus objektive Anhaltspunkte einen Übergriff als nicht ganz entfernt und damit als
durchaus reale Möglichkeit erscheinen lassen.
155
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1995 - 9 B 18.95 -, InfAuslR 1996, 29 und Urteile
vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 173 und vom 8.
September 1992 - 9 C 62.91 -, NVwZ 1993, 191.
156
aa) Nach diesen Kriterien konnte der Kläger eine hinreichende Sicherheit vor politischer
Verfolgung in dem von der Regierung beherrschten Staatsgebiet Sri Lankas im Süden
und Westen sowie im zentralen Hochland, insbesondere auch im Großraum Colombo,
wo er sich nach seinen Angaben nach der Entlassung aus der Polizeihaft bis zu der am
157
26. November 1994 erfolgten Ausreise aufhielt, nicht finden.
Zur Lage von jungen männlichen Tamilen in diesen Landesteilen in der damaligen Zeit
hat der Senat in den Urteilen vom 8. Juli 1992 - 21 A 364/91.A - (hierzu Urteil des
BVerwG vom 13. Mai 1993 - 9 C 59.92 -, InfAuslR 1993, 354) und 21. Dezember 1992 -
21 A 2350/91.A - sowie - 21 A 2107/92.A - in Auswertung von auch in das vorliegende
Verfahren eingeführtem Auskunftsmaterial - auf das Wesentliche zusammengefasst -
ausgeführt: Für diese Personen bestand wegen ihrer Volkszugehörigkeit, ihres Alters,
ihres Geschlechtes sowie ihrer regionalen Herkunft - wenn auch nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit - die Gefahr, in die Suche nach Angehörigen oder Unterstützern der
LTTE einbezogen und so Maßnahmen staatlicher Verfolgung ausgesetzt zu werden. Es
konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sie in einer Razzia, bei Personenkontrollen
oder infolge Denunziation wegen Verdachts der LTTE-Unterstützung festgenommen,
möglicherweise auch unter Folter verhört und getötet wurden. Groß angelegte Razzien
waren trotz eines zwischenzeitlichen zahlenmäßigen Rückganges festzustellen und zu
besorgen, da sich Bombenattentate wiederholen konnten und die Razzien auch
unabhängig von solchen konkreten Anlässen stattfanden. Im Übrigen hatte sich die
Gefährdung teilweise von den Razzien auf sonstige Kontrollen verlagert. Zur
Vermeidung eines Verdachts, an den sich Maßnahmen mit erheblichen
Rechtsgutverletzungen anschließen konnten, war ein triftiger Grund oder eine plausible
Erklärung für den Aufenthalt erforderlich. Die Möglichkeit von Verhören mit Folterungen
und eventuell weiteren menschenrechtswidrigen Maßnahmen betraf insbesondere
junge Tamilen; sie war nicht als ganz entfernt, sondern als durchaus real anzusehen.
Auch waren Einzelfälle von Verhaftungen aus sonstigen Anlässen - die Zahl der
Inhaftierten wurde in Auskünften mit einigen Hundert angegeben - festzustellen; auch
wenn der Umfang der Übergriffe aus sonstigen Anlässen nicht genau auszumachen
war, war jedenfalls die reale Möglichkeit asylerheblicher Rechtsgutverletzungen nicht
auszuschließen.
158
In der Folgezeit trat insoweit jedenfalls bis zu der Ende November 1994 erfolgten
Ausreise des Klägers keine grundlegende Änderung ein. Nach vorliegenden
Erkenntnisquellen (vgl. u.a. ai 22.08.1994 S. 2f) verschärfte sich die
Verfolgungsbetroffenheit von jungen Tamilen und Tamilinnen im Jahre 1992 und in der
Folgezeit erheblich. Die größte Verhaftungswelle erfolgte im Oktober 1993, nachdem
nach Angaben des Verteidigungsministers am Strand nördlich von Colombo eine
"Körperbombe" gefunden worden war. Die Verhaftungen fanden im Rahmen von
Massenrazzien statt; in vielen Fällen wurde auch von Folter berichtet. Schwerpunkt
dieser Razzien und Verhaftungen war unter anderem gerade Colombo. Diese wurden
auch 1994 fortgeführt (ai 25.08.1994 S. 2). Von Misshandlungen von aufgegriffenen
Tamilen durch die srilankische Polizei und verschiedene Teile der srilankischen
Sicherheitskräfte sowie von Fällen des Verschwindens von Personen im Gewahrsam
staatlicher Organe wurde weiterhin berichtet (vgl. u.a. Dr. Wingler 21.09.1994 S. 14),
auch wenn sich die Situation von Tamilen im Großraum Colombo insoweit nach der
Regierungsübernahme durch die "Peoples Alliance" und den Amtsantritt von
Präsidentin Kumaratunga seit September 1994 kurzzeitig verbesserte (vgl. u.a. KK
28.02.1995 S. 31; AA 27.03.1995 S. 2 ff). Dennoch kam es auch im Oktober/November
1994 nach vorliegenden Berichten wieder zu verstärkten Festnahmen von aus dem
Norden/Osten stammenden jungen Tamilen und Tamilinnen im Großraum von Colombo
und in den südlichen Landesteilen. Am 23./24. Oktober 1994 wurden nach vorliegenden
Berichten 185 aus dem Norden/Osten stammende Tamilen und Tamilinnen in Colombo
festgenommen und 35 davon längerfristig inhaftiert und "eingehend gegrillt", d. h.
159
körperlich misshandelt (vgl. Dr. Wingler --.11.1994 S. 12).
Die von dem Kläger in Colombo gemachten persönlichen Erfahrungen belegen dies.
Denn er wurde bereits wenige Tage nach seiner Ankunft am 15. November 1994 in
Colombo bei einer Ausweiskontrolle verhaftet und für insgesamt 7 Tage inhaftiert, wobei
es dann zu den festgestellten körperlichen Misshandlungen kam. Der Umstand, dass
der Kläger nach 7 Tagen aufgrund der Vorsprache eines katholischen Priesters
freigelassen wurde, belegt nicht, dass damit die Verfolgungsgefahr entfallen war. Denn
der bloßen Tatsache der Freilassung kommt ohne Berücksichtigung der vielfältigen
Faktoren, die für einen berechtigterweise empfundenen Verfolgungsdruck und für die
Unzumutbarkeit eines Verbleibens im Heimatland nach einem im Sinne des § 51 Abs. 1
AuslG erheblichen Übergriff von Bedeutung sind, kein Aussagegehalt zu.
160
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. November 1999 - 21 A 117/99 - S. 7.
161
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren glaubhaft und
nachvollziehbar dargelegt, dass er seinen Aufenthalt in Colombo als bedrohlich und in
hohem Maße unsicher empfand und große Angst hatte. Das Gericht hat keinen
konkreten Anlass, hieran zu zweifeln.
162
bb) Für den Kläger bestand damals auch im Norden und Osten Sri Lankas keine
hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung. Für junge männliche Tamilen (im
Alter bis zu 40 Jahren) hat dies der Senat für die damalige Zeit, jedenfalls für die Jahre
1992 und 1993, wiederholt entschieden (vgl. u.a. die Urteile vom 8. Juli und 21.
Dezember 1992). In der Ostprovinz Sri Lankas drohte seinerzeit, ab Mitte 1990, wie der
Senat durch Urteile vom 8. Juli 1992 - 21 A 364/91.A - (vgl. hierzu Urteil des BVerwG
vom 13. Mai 1993 - 9 C 59.92 -, InfAuslR 1993, 354), ferner vom 21. Dezember 1992 - 21
A 2350/91.A - und - 21 A 2107/92.A - entschieden hat und woran festgehalten wird,
jungen männlichen Tamilen - im Alter zwischen 11 und 35 bis 40 Jahren (vgl.
Senatsurteile vom 6. November 1992 - 21 A 1340/91.A - und vom 28. April 1993 - 21 A
3721/91.A -), wobei die Bestimmung der Altersgrenze auf einer vorsichtigen
Abschätzung der Gefahrenlage beruhte - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung. Hierzu hat der Senat in den Urteilen vom 8. Juli und 21. Dezember 1992 -
auf das Wesentliche zusammengefasst - unter Auswertung von umfassendem
Auskunftsmaterial, das auch in das vorliegende Verfahren eingeführt ist, ausgeführt: Die
Verhältnisse, die sich nach dem Abzug der indischen Truppen ab Mitte 1990
entwickelten, stellten sich im nördlichen Teil der Ostprovinz und in dem nicht von der
tamilischen Separatistenorganisation LTTE beherrschten Teil der Nordprovinz,
insbesondere in den Bezirken Trincomalee und Batticaloa, so dar, dass die Regierung
effektive Gebietsgewalt nur über die Ortschaften und Hauptverkehrswege ausübte. Die
staatlichen Sicherheitskräfte waren dort Guerilla-Angriffen der LTTE ausgesetzt. Die
staatlichen Streit- und sonstigen Sicherheitskräfte wie besondere Polizeikommandos
sowie mit der Regierung zusammenarbeitende tamilische Organisationen führten den
Kampf gegen die LTTE mit großer Härte, wobei die am Kampfgeschehen unbeteiligte
tamilische Zivilbevölkerung schweren Übergriffen ausgesetzt war. Großrazzien zur
Aufgreifung von Mitgliedern oder Helfern der LTTE, die manchmal sämtliche Bewohner
eines Dorfes oder Flüchtlingslagers einbezogen, führten bei nur vagen
Verdachtsmomenten zu Festnahmen zahlreicher Personen, vor allem junger Tamilen.
Gewaltanwendung gegen die auf diese Weise Festgenommenen waren an der
Tagesordnung, Folter kam insbesondere bei LTTE-Verdacht vor. Viele der bei den
Großrazzien Festgenommenen, vorrangig junge Männer, verschwanden, ohne jemals
163
wieder aufzutauchen. Als weitere Elemente prägten das Verschwinden einzelner oder
mehrerer Personen Entführungen und Morde - auch losgelöst von Großrazzien und
sonstigen konkreten Anlässen - die Gefahrenlage. Es gab häufige Leichenfunde u.a. in
Flüssen und Gräben sowie an Straßenrändern. Die Zahl der Opfer erreichte unter
Berücksichtigung einer Dunkelziffer anhand der Auskünfte mehrere Tausend. Tötungen
mit Verbrennen der Opfer oder Vergraben unter Beteiligung von Angehörigen der Armee
waren seit Juni 1990 im Osten häufig, wobei sich in der Folgezeit noch eine Steigerung
ergab. Schließlich prägten die Gefahrenlage auch Maßnahmen des sog. Gegenterrors
wie insbesondere die Zerstörung ganzer Siedlungen unter Massakern an der
tamilischen Bevölkerung und Exzesse einzelner Einheiten der staatlichen Kräfte. In
besonderer Gefahr, längere Freiheitsentziehungen, Prügel sowie Folter erleiden zu
müssen oder im Wege des "Verschwindenlassens" umgebracht zu werden, standen
junge männliche Tamilen, die nach den von den Sicherheitskräften angelegten
vordergründigen Kriterien weithin im Verdacht standen, der LTTE oder dem sie
unterstützenden Umfeld anzugehören. Neben der nicht zuletzt durch die hohe Zahl der
verschwundenen Personen bestimmten Häufung waren vor allem die Intensität der
Übergriffe - wie schon bei vagen Verdachtsmomenten drohende Folter und die bei
zahlreichen Verschwundenen konkret zu besorgende Tötung -, ferner die Willkürlichkeit
und Unberechenbarkeit im Hinblick auf Zeit und Ort der Übergriffe und schließlich die
völlige Rechtsunsicherheit, wenn nicht sogar Rechtlosigkeit des einzelnen für die Lage
bestimmend. Die Aktionen der Sicherheitskräfte und die gezielten, dem srilankischen
Staat zuzurechnenden schweren Rechtsgutverletzungen waren darauf gerichtet, die am
Konflikt nicht unmittelbar beteiligten tamilischen Volkszugehörigen unter den Druck
brutaler Gewalt zu setzen. Ganze Bevölkerungskreise sollten durch gewaltsame
unberechenbare Maßnahmen unterdrückt, eingeschüchtert und gefügig gemacht
werden, ohne dass damit ein konkreter Schritt zur Wiederherstellung der staatlichen
Friedensordnung getan wurde. Diese Übergriffe knüpften teils an die bloße tamilische
Volkszugehörigkeit, im Übrigen an Geschlecht und Alter der Opfer an.
An dieser Lage hatte sich in der Folgezeit jedenfalls bis zu der Ende November 1994
erfolgten Ausreise des Klägers aus Sri Lanka nichts Grundlegendes geändert (vgl. u.a.
ai 22.08.1994 S. 3; KK 20.02.1995 S. 6f). In einer solchen Situation, die von noch
größerer Unsicherheit geprägt war als die Lage im Raum Colombo, zu verbleiben oder
sich gar - von Colombo aus - dorthin zu begeben, war dem Kläger nicht zuzumuten.
164
c) Angesichts des Fehlens hinreichender Sicherheit vor politischer Verfolgung in Sri
Lanka hat der Aufenthalt des Klägers in Colombo bis zum 26. November 1994 den für
die Bejahung einer Vorverfolgung notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der
erlittenen politischen Verfolgung einerseits und der Ausreise andererseits nicht
unterbrochen. Denn der Kläger hat alsbald, nämlich nur wenige Tage nach der vom 15.
bis 21. November 1994 in Colombo erfolgten Inhaftierung und den dabei erlittenen
körperlichen Misshandlungen, die vor dem Hintergrund der bereits im Militärlager
Karainagar von Oktober 1991 bis Ende Oktober 1993 erlittenen - und auch in der
Folgezeit bei ihm nachwirkenden - politischen Verfolgungsmaßnahmen gesehen
werden müssen, unter dem sich daraus ergebenden Druck der erlittenen Verfolgung Sri
Lanka verlassen.
165
Vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen u.a. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 -
BVerwG 9 C 72.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135, S. 56
166
Denn der Verfolgungsdruck bestand bis zu diesem Zeitpunkt fort. Die Ausreise stellt sich
167
somit bei objektiver Betrachtungsweise und ihrem äußeren Erscheinungsbild nach als
unter dem Druck der in der Heimatregion, jedenfalls aber der in Colombo erlittenen
Verfolgung durchgeführte Flucht dar. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger vor
seiner Ausreise auf Dauer angelegt mit der Situation in Colombo arrangierte und
hinreichende Bemühungen entfaltete, um dort Fuß zu fassen und sich auf Dauer in die
dortigen Lebensverhältnisse einzugliedern, sind nicht festzustellen. Der Kläger blieb
nach seiner Freilassung aus der Polizeihaft nach seinen glaubhaften Angaben nur so
lange in Colombo, wie dies zur Arrangierung der Ausreise unbedingt erforderlich war.
Unter diesen Umständen war der zeitliche und kausale Zusammenhang zwischen der
erlittenen politischen Verfolgung und der Ausreise noch nicht verbraucht.
3. Ist der Kläger mithin vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, kommt es für sein
Begehren auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG darauf an, ob er im Fall
seiner Rückkehr nach Sri Lanka derzeit und in der absehbaren Zukunft vor politischer
Verfolgung hinreichend sicher ist. Dies ist nach den zuvor dargestellten rechtlichen
Beurteilungsmaßstäben für alle Landesteile Sri Lankas, insbesondere für den Großraum
Colombo, zu verneinen, weil für den Kläger die reale Möglichkeit besteht, insbesondere
wegen seiner Volkszugehörigkeit und seines Alters sowie seiner regionalen Herkunft in
die Suche nach Angehörigen oder Unterstützern der LTTE einbezogen und so
asylerheblichen Maßnahmen ausgesetzt zu werden. Es besteht eine latente
Gefährdungslage, die der Bejahung hinreichender Sicherheit weiterhin entgegensteht.
Namentlich lässt sich die reale Möglichkeit nicht ausschließen, dass der Kläger im Falle
seiner Rückkehr - wie schon vor seiner Ausreise - wegen des Verdachts einer
Verbindung oder Zusammenarbeit mit der LTTE festgenommen und längerfristig
inhaftiert wird sowie dabei schwerwiegende Rechtsgutverletzungen erleidet, die als
Maßnahmen politischer Verfolgung zu qualifizieren sind. Es besteht mithin die reale
Möglichkeit, dass er in eine Situation gerät, die einer Bejahung hinreichender Sicherheit
entgegensteht (vgl. in Bezug auf junge männliche Tamilen OVG NRW, Urteile vom 15.
Januar 1999 - 21 A 4748/94.A - und vom 15. Oktober 1999 - 21 A 889/96.A ; OVG
Lüneburg Urteil vom 19. September 1996 - 12 L 2005/96 -). Soweit in anderer
obergerichtlicher Rechtsprechung -
168
vgl. u.a. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. März 1998 - A 16 S 60/97 -, OVG
Berlin, Urteil vom 15. Dezember 1997 - OVG 3 B 9.95 -, OVG Rheinland - Pfalz, Urteil
vom 8. Juli 1998 - 11 A 10.473/98.OVG -, BayVGH, Urteil vom 6. Juli 1998 - 20 B.
97.31531 -, Hess VGH, Urteile vom 10. November 1998 - 10 UE 3035/95 und 29. August
2000 - 10 UE 3556/96.A - sowie OVG des Saarlandes, Urteil vom 7. Mai 1996 - 1 R
213/96 -
169
selbst für junge männliche Tamilen, die aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehren,
im Großraum Colombo die hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung -
vorbehaltlich besonderer Umstände - bejaht wird, folgt das erkennende Gericht der darin
abweichenden Bewertung des im wesentlichen identischen Tatsachenmaterials bei
seiner Überzeugungsbildung nicht.
170
Vgl. dazu u.a. OVG NW, Urteile vom 15. Januar 1999 - 21 A 4748/94.A - und vom 15.
Oktober 1999 - 21 A 889/96.A -
171
a) Aus dem Ausland über den Flughafen Colombo zurückkehrende Tamilen müssen mit
einer eingehenden Identitätsprüfung rechnen, insbesondere wenn sie - wie bei
Abschiebungen häufig - lediglich mit einem von einer srilankischen Auslandsvertretung
172
ausgestellten Heimreisedokument (Emergency Certificate) ausgestattet sind. Dabei sind
vorübergehende Verhaftungen zur Klärung der Identität nach den Feststellungen des
Auswärtigen Amtes "nicht auszuschließen" (AA 11.07.2000 S. 1), mithin also real
möglich. In manchen Stellungnahmen wird die Lage dahin eingeschätzt, dass es seit
einiger Zeit - verglichen mit den Jahren zuvor - zu einer erheblichen Zunahme von
Inhaftierungen bei der Einreise gekommen ist, wobei besonders gerade solche
Rückkehrer betroffen sind, die mit so genannten "Emergency Certificates" einreisen,
weil besonders bei diesem Personenkreis davon ausgegangen wird, dass die Ausreise
illegal, d. h. mit gefälschten Papieren stattgefunden hat (KK 18.02.2000 S. 4). Auch wird
berichtet, dass seit dem 1. Januar 2000 von den weltweit etwa 3000 nach Sri Lanka
abgeschobenen Tamilen etwa 2000 in Untersuchungshaft genommen worden seien,
mehr als 100 davon kämen aus Deutschland (Busch 02.11.2000 S. 4). Vertreter
westlicher Botschaften sind häufig am Flughafen präsent. Sie beobachten das
Einreiseverfahren bei abgeschobenen Asylbewerbern und nehmen, wenn es im
Zusammenhang mit der Einreise zu Festnahmen kommt, mitunter auch als Beobachter
an entsprechenden Gerichtsverfahren teil (AA 28.04.2000 S. 24). Wenn die
Personenüberprüfung nicht innerhalb von Stunden oder eines Tages abgeschlossen
werden kann, erfolgt (innerhalb von 24 Stunden) eine Vorführung vor den örtlich
zuständigen Haftrichter in Negombo (Magistrate's Court), der darüber entscheidet, ob
ein weiteres Festhalten durch die Polizei zulässig ist, sei es zum ausschließlichen
Zweck der Personenüberprüfung (AA 28.04.2000 S. 23), sei es wegen eines Verstoßes
gegen Einreise- oder Ausreisevorschriften (Busch 02.11.2000 S. 4). Liegen in Fällen der
Personenüberprüfung bis dahin - wie in der Regel - keine Erkenntnisse gegen den
Betroffenen vor, wird das Überprüfungsverfahren eingestellt (AA 28.04.2000 S. 23). Das
deckt sich im Ergebnis mit Informationen, nach denen offenbar auch im Falle der
Anordnung von Untersuchungshaft sodann regelmäßig eine Freilassung gegen eine
Kaution, für die ein Verwandter durch Unterschrift garantieren muss und die erst bei
einem Verstoß gegen die gleichzeitig vom Gericht gemachten Auflagen fällig wird
(Busch 02.11.2000 S. 4). Es kann auch vorkommen, dass rückgeführte Personen
zunächst mehrere Tage festgehalten werden, wie es etwa am 15./16.3.2000 bei einer
"Sammelrückführung" von zwanzig Personen aus Deutschland geschah, als zwar
achtzehn der Betroffenen, die ohne Reisepass eingereist waren (AA 25.05.2000 S. 2),
nach einer Vorführung vor dem Haftrichter noch am Ankunftstag gegen Kaution auf
freien Fuß gesetzt wurden (AA 25.05.2000 S. 2), zwei Betroffene jedoch auf Antrag der
Kriminalpolizei bis zum 21. März 2000 in Untersuchungshaft genommen und erst dann
gegen Kaution freigelassen wurden (AA 28.04.2000 S. 23; 25.05.2000 S. 2); ein weiterer
Rückgeführter aus der Gruppe wurde erst später am 21. März 2000 in
Untersuchungshaft genommen und anschließend auf freien Fuß gesetzt (AA 28.04.2000
S. 23). Nach Angaben von amnesty international sollen die beiden vom 16. bis 21. März
2000 in Untersuchungshaft genommenen Rückkehrer aus Deutschland, deren
Verfahren vom Gericht Monate später endgültig eingestellt wurde (ai 18.07.2000 S. 1),
(körperlichen) Angriffen seitens des Gefängnispersonals bzw. anderer Insassen
ausgesetzt gewesen sein (AA 28.04.2000 S. 24); Dr. Wingler berichtet davon, die
beiden seien "nachweislich gefoltert worden" (Dr. Wingler --.05.2000 S. 4), ohne dafür
allerdings hinreichende Belege anzugeben; von einem dritten am 15./16. März 2000
Rückgeführten wurde hierzu angegeben, dass einem der zuvor Genannten im
Gefängnis von einem Polizisten ein Schlag versetzt worden sei (AA 28.04.2000 S. 24;
25.05.2000 S. 3). Ferner berichtet amnesty international, dass mehrere jüngere Männer
aus der Gruppe der achtzehn Rückgeführten, die ohne Reisepass waren, während ihrer
Befragung durch den CID (Criminal Investigation Department) am Flughafen
geschlagen worden seien (so auch KK 27.07.2000 S. 2 mit Anlage, Ziff. 17 und 18
sowie 10.09.2000 S. 2), wobei die Schläge in ihrer Intensität allerdings nicht das
Ausmaß von Folter erreicht hätten (ai 18.07.2000 S. 1).
Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes kommt es allein wegen eines
Verstoßes gegen die Ausweispflicht beim Richter (Magistrate's Court) in Negombo "in
der Praxis nicht" zur Verhängung von Haftstrafen (AA 28.04.2000 S. 23). Allerdings ist
es in der Vergangenheit jedenfalls in Einzelfällen dennoch vorgekommen, das aus
Deutschland abgeschobene Personen im Zusammenhang mit Ausweisdelikten
strafrechtlich verfolgt wurden; dies war etwa dann der Fall, wenn mit einem Emergency
Certificate nach Sri Lanka zurückgesandte Personen bei der Identitätsüberprüfung am
Flughafen durch die srilankischen Einreisebehörden bzw. die Kriminalpolizei (CID) ein
Geständnis in Bezug auf die im Zusammenhang mit der Ausreise erfolgte Fälschung
von Ausweispapieren ablegten oder wenn das in Deutschland gefundene gefälschte
Reisedokument den Begleitpapieren zur Abschiebung beigefügt wurde und so der
srilankischen Einwanderungsbehörde bzw. Kriminalpolizei zur Kenntnis gelangte;
strafrechtlich nicht verfolgt werden dagegen Bordkartentausch, illegaler Grenzübertritt
und andere illegale Praktiken, die außerhalb des srilankischen Staatsgebietes vielfach
mit "Schleppungen" einhergehen (AA 28.04.2000 S. 24).
173
Die Sondervorschriften zur Terrorismusbekämpfung werden bei Verhaftungen im
Zusammenhang mit der Einreise aus dem Ausland nach den Erkenntnissen des
Auswärtigen Amtes in aller Regel nicht angewandt (AA 28.04.2000 S. 23). Es gibt
jedoch auch Berichte, wonach aus dem Ausland abgeschobene Tamilen nach ihrer
Ankunft in Sri Lanka auf der Grundlage des "Prevention of Terrorism Act" (PTA) oder der
"Emergency Regulations" (ER) oder unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen
Ausreisevorschriften inhaftiert wurden und nach gerichtlicher Verurteilung Haftstrafen
verbüßen mussten (KK 18.02.2000 S. 5 f. mit Anlagen der Listen A bis 4); darunter
sollen sich auch Rückkehrer aus Deutschland befunden haben (KK 18.02.2000 S. 6).
174
Das Risiko, im Zusammenhang mit einem Strafverfahren oder bei der Strafvollstreckung
wegen Verstoßes gegen die Ein- oder Ausreisebestimmungen misshandelt oder
gefoltert zu werden, wird von den vorliegenden Erkenntnisquellen sehr unterschiedlich
eingeschätzt. Nach Sri Lanka einreisende Personen, denen von den Sicherheitskräften
Beziehungen zur LTTE unterstellt werden, haben jedoch nach der Einschätzung von
amnesty international "aller Wahrscheinlichkeit nach" bei der Ankunft in Colombo mit
der Verhaftung und längeren Inhaftierung zu rechnen (ai 01.03.1999 S. 2). Im Falle einer
solchen Inhaftierung besteht das Risiko körperlicher Misshandlungen und sogar von
Folter. In Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten wird
davon berichtet, dass Folter und körperliche Misshandlungen in Sri Lanka "nach wie vor
weit verbreitet" sind (ai --.06.1999 S. 1; Wingler --.05.2000 S. 1). Auch die in London
ansässige "Medical Foundation" schätzt die Lage abgelehnter Asylbewerber, die nach
Sri Lanka zurückkehren, dahin ein, dass diese mit einer Inhaftierungsdauer von mehr als
zwei Tagen rechnen müssten, falls sie bei ihrer Einreise oder danach von den
srilankischen Sicherheitskräften verdächtigt werden, die LTTE zu unterstützen; in der
Haft bestünde dann für sie das Risiko von körperlicher Misshandlung und Folter
(Medical Foundation --.06.2000, S. 44, 53). Dabei nimmt die Gefahr von Folter bei
längeren Inhaftierungen zu (vgl. u. a. ai 01.03.1999 S. 2; KK 04.01.1996 S. 56). Vor
allem bei Inhaftierungen wegen eines konkreten und individualisierten LTTE- Verdachts
muss mit Folter gerechnet werden (AA 28.04.2000 S. 18: "schwerwiegende Verstöße
kommen ... weiter vor"; ai --.06.1999 S. 8 f., 01.03.2000 S. 4; Wingler --.05.2000 S. 1 ff.;
UNHCR --.07.1998 S. 2).
175
Unter welchen Voraussetzungen eine aus dem Ausland nach Sri Lanka zurückkehrende
Person tamilischer Volkszugehörigkeit - begründet oder unbegründet - bei den dortigen
Sicherheitskräften konkret in den Verdacht der LTTE- Unterstützung gerät und deshalb
nicht nur kurzfristig für ein bis zwei Tage zur Identifizierung, sondern längerfristig mit der
Gefahr schwerer körperlicher Misshandlung und Folterung inhaftiert wird, lässt sich
aufgrund des vorliegenden Erkenntnismaterials nur schwer feststellen und nicht
generalisierend und fallübergreifend beantworten. Als - in jedem konkreten Einzelfall zu
würdigende - Risikofaktoren für das Erleiden von schwerer körperlicher Misshandlung
und Folter während der Inhaftierung gelten nach den vorliegenden Erkenntnissen für
Tamilinnen und Tamilen - neben fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen
Ausweispapieren - im allgemeinen folgende Kriterien: Lebensalter unter 35 bis 40
Jahren, geringe singhalesische Sprachkenntnisse, Geburtsort auf der Jaffna-Halbinsel.
Ankunft in Colombo erst kurz zurückliegend, Verwandtschaft mit LTTE-Angehörigen, in
Polizeiunterlagen festgehaltener Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft, Identifikation als
LTTE-Mitglieder durch Informationen der Sicherheitskräfte, Vorhandensein körperlicher
Wunden (Medical Foundation --.06.2000 S. 41 unter Berufung auf einen Länderbericht
des britischen Innenministeriums; ähnlich KK 18.02.2000 S. 2).
176
Die im Berufungsverfahren getroffenen Feststellungen zu den Gesamtumständen des
Falles des Klägers tragen die Schlussfolgerung, dass er zu diesem Personenkreis zu
rechnen ist. Der Kläger gehört zu den unter 35 - 40jährigen, auf der Jaffna-Halbinsel
geborenen Tamilen und spricht die singhalesische Sprache nicht. Es bestehen auch
hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass bereits vor seiner im Jahre 1994 erfolgten
Ausreise bei den srilankischen Streitkräften und der srilankischen Polizei ein gegen ihn
gerichteter und in Polizeiberichten oder sonstigen Unterlagen der dortigen
Sicherheitskräfte festgehaltener Verdacht einer LTTE-Mitgliedschaft oder -Unterstützung
existierte. Denn bereits vor seiner am 26. November 1994 erfolgten Ausreise aus Sri
Lanka wurde er - wie dargelegt - durch das srilankische Militär im Lager von Karainagar
für mehr als zwei Jahre sowie vom 15. bis 21. November 1994 in Colombo durch die
srilankische Polizei festgenommen und unter dem Vorwurf inhaftiert, der tamilischen
Tigerbewegung anzugehören, diese unterstützt zu haben und zu unterstützen.
177
Auf der Grundlage seines glaubhaften Vorbringens und den getroffenen Feststellungen
zur Situation in seinem Heimatland ist er jedenfalls nicht hinreichend davor sicher, dass
der vor seiner Ausreise ihm gegenüber erhobene Verdacht bei den srilankischen
Sicherheitskräften bis heute nicht ausgeräumt ist. Denn seine Freilassung erfolgte
damals aufgrund der Fürsprache Dritter, ohne dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe
entkräftet worden waren. Ist aber aufgrund der dargelegten Umstände davon
auszugehen, dass der Kläger seinerzeit mehrfach verhaftet und unter dem Verdacht von
LTTE-Unterstützungshandlungen inhaftiert wurde, so lässt sich die Gefahr nicht
leugnen, dass hierüber bei den srilankischen Sicherheitskräften noch Unterlagen
vorhanden sind, auf die gegebenenfalls zurückgegriffen werden kann. Damit besteht die
reale Möglichkeit, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Sri Lanka erneut mit
diesem Verdacht konfrontiert wird, was das Risiko einer Inhaftierung erhöht. Denn nach
dem "Prevention of Terrorism Act" und den "Emergency Regulations" ist jeder Einsatz
für die LTTE strafbar, auch so genannte untergeordnete Tätigkeiten. In einer jüngeren
gutachtlichen Stellungnahme wird davon berichtet, dass zahlreiche Fälle bekannt
geworden sind, in denen Tamilen verurteilt wurden, weil sie z. B. Essen an LTTE-
Kämpfer verteilt oder aber Informationen, über die sie verfügten, nicht an die
Sicherheitskräfte weitergeleitet hatten (KK 23.03.2000 S. 2).
178
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben
gegenwärtig weder über einen gültigen srilankischen Reisepass noch über eine gültige
Identity Card verfügt. Er muss mithin damit rechnen, mit dem Vorwurf eines Verstoßes
gegen die srilankischen Ausreise-, Einreise- und Passbestimmungen konfrontiert zu
werden, was nach den vorliegenden Erkenntnisquellen die Gefahr begründet,
intensiven Befragungen und Verhören unterworfen zu werden. Soweit dabei der
Verdacht eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des "Immigrants und Emigrants
Act" erhoben und erhärtet werden sollte, muss er - wie dargelegt - mit der Anordnung
von Untersuchungshaft rechnen, wobei eine sofortige Freilassung gegen Kaution kaum
in Betracht kommen dürfte, da der Kläger nach seinen Angaben über keine Verwandten
oder sonstige Angehörigen in Colombo verfügt, die eine entsprechende
Kautionserklärung abgeben können. Sollte im Verlaufe der Verhöre und Abklärungen
bei der Einreise oder danach von den srilankischen Stellen dann der vor seiner 1994
erfolgten Ausreise gegen ihn bestehende Verdacht einer LTTE-Unterstützung erneut
aufgegriffen werden, muss er mit einer längeren Inhaftierung rechnen, die nach den
verfügbaren aktuellen Erkenntnisquellen das erhöhte Risiko von körperlichen
Misshandlungen und auch Folter beinhaltet.
179
Die Übergriffe, vor denen der Kläger im Großraum Colombo wie auch in den sonstigen
südlichen und westlichen Landesteilen nicht hinreichend sicher ist, sind politische
Verfolgung. Längerfristige Inhaftierung und Folter, die gravierende Verletzungen der
bedeutenden Rechtsgüter Freiheit und körperliche Unversehrtheit darstellen, haben die
für eine Verfolgung erforderliche Intensität. Sie sind auch auf asylerhebliche Merkmale
gerichtet. Die Opfer sind gerade durch die tamilische Volkszugehörigkeit
hervorgehoben. Ferner legen die Sicherheitskräfte im Rahmen der Bekämpfung
terroristischer Aktivitäten der LTTE und auch für die in Rede stehenden Übergriffe im
Hinblick darauf, dass diese Organisation überwiegend junge tamilische Männer, aber
auch junge Frauen (vgl. dazu KK 04.06.1999 S. 2) für die Ausführung von Anschlägen
im Bereich Colombo einsetzt oder im unterstützenden Umfeld gewinnt und verwendet
und in den Gebieten im Norden und Osten, die sie kontrolliert oder in denen sie aktiv ist,
als Kämpfer oder Helfer rekrutiert, allgemein - neben der tamilischen Volkszugehörigkeit
- die Kriterien des (einsatzfähigen) Alters und der regionalen Herkunft an, sind also Alter
und regionale Herkunft mithin persönlichkeitsbestimmende Merkmale, die für den
Einzelnen unverfügbar sind, maßgebend.
180
Die Übergriffe sind auch nicht als Maßnahmen der präventiven oder repressiven
Bekämpfung des von der LTTE unter den oben dargestellten Umständen praktizierten
Terrorismus im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung aus
dem Bereich der asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen auszuklammern. Auch unter
Berücksichtigung der objektiven Schwierigkeiten der staatlichen Sicherheitskräfte in der
angespannten Sicherheitslage, den der LTTE- Mitgliedschaft bzw. der Täterschaft oder
der Unterstützung terroristischer Aktivitäten verdächtigen Personenkreis der Tamilen
anhand verläßlicher objektivierbarer Anhaltspunkte einzugrenzen, rechtfertigt es das
allgemeine Ziel der Terrorismusbekämpfung nicht, Angehörige dieses Personenkreises
über den zur Abklärung der Identität, des Grundes für den Aufenthalt in Colombo und
eventueller Verbindungen zur LTTE verhältnismäßigen Rahmen hinaus längerfristig zu
inhaftieren und menschenrechtswidrig zu misshandeln. Auf der Stufe dieser Übergriffe
schlägt die Zielrichtung des Vorgehens der srilankischen Sicherheitskräfte, soweit es
bei den Kontrollen und Verhaftungsmaßnahmen zur Abklärung von Identität und
Aufenthaltsgrund auf die Terrorismusabwehr gerichtet ist, dahin um, dass die Übergriffe
181
auf die tamilische Volkszugehörigkeit und die weiteren asylerheblichen Merkmale der
Betroffenen gerichtet sind.
Schließlich ist die Zurechnung der Übergriffe zum staatlichen Handeln nicht unter dem
Aspekt des exzesshaften Fehlverhaltens einzelner Amtsträger zu verneinen. Zwar kann
angesichts der geschaffenen gesetzlichen Verbote und Sicherheitsvorkehrungen nicht
verlässlich konstatiert werden, dass die Übergriffe gebilligt und gefördert würden. Eine
nachhaltige Verhinderung und durchgreifende Sanktionierung der Übergriffe sind aber
nicht festzustellen. Die Gegenmaßnahmen greifen nicht durchgängig. Es zeigt sich,
dass der srilankische Staat nicht in der Lage ist, die in Rede stehenden Übergriffe
effektiv in einem solchen Maße zu unterbinden, dass nur noch von nicht gänzlich
auszuschließenden Ausnahmefällen gesprochen werden könnte (ai --.06.1999 S. 4 ff
und 8 ff). Es begründet seine Verantwortlichkeit im asylrechtlichen Sinne, dass es trotz
manifester Mängel sowie öffentlicher Proteste und Kritik in Presse und Parlament und
von Menschenrechtsorganisationen (KK 12.01.1998 S. 6) über einen längeren Zeitraum
hin bei Armee und Polizeikräften noch zur Verwendung von Dienstkräften kommt, bei
deren Handeln für den staatlichen Belang der öffentlichen Sicherheit mit der realen
Möglichkeit asylerheblicher Übergriffe zu rechnen ist (vgl. u.a. ai --.06.1999 S. 8 ff. und
S. 25 ff.).
182
b) Für den Kläger besteht auch in den übrigen Landesteilen Sri Lankas keine
hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung.
183
Ein Aufsuchen der von den srilankischen Streitkräften zurückeroberten tamilischen
Siedlungsgebiete im Norden, namentlich auf der Halbinsel Jaffna, ist derzeit faktisch
nahezu unmöglich (KK 24.02.1997 S. 1, 08.12.1998 S. 10), da die einzige derzeitige
Verbindung für Zivilisten auf dem Seeweg mit einem unregelmäßig verkehrenden
Passagier-/Frachtschiff besteht, das die Jaffna-Halbinsel von Trincomalee aus mit
Geleitschutz der Marine anläuft. Die Benutzung des Seeweges ab Trincomalee setzt
zuvor ein Durchqueren des von der Regierung kontrollierten Staatsgebiets bis zum
Osten voraus, wobei Kontrollen der Sicherheitskräfte und daran anschließende
Inhaftierungen mit den zum Raum Colombo erörterten Folgen nicht hinreichend sicher
auszuschließen sind. Für die Schiffspassage ist zudem eine Genehmigung der
Sicherheitskräfte erforderlich, deren Erteilung an Rückkehrer aus dem Ausland wegen
besonderer Anspruchsvoraussetzungen unwahrscheinlich (KK 24.02.1997 S. 1,
08.12.1998 S. 8 f.) oder jedenfalls sehr schwierig ist und eine strikte
Sicherheitsüberprüfung voraussetzt, für die das oben Gesagte gilt. Eine
Verkehrsverbindung auf dem Landweg existiert wegen des militärischen Konflikts im
Norden nicht (AA 28.04.2000 S. 16). Der Landweg einschließlich des Elephanten-
Passes ist aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Wanni-Region
(Wingler 30.01.1998 S. 14, 31.05.1998 S. 16 ff., 30.09.1998 S. 19; AA 06.04.1998 -
Lagebericht - S. 12), die um die Straßenverbindung von Vavuniya nach Kilinochchi
geführt werden, und angesichts der zwischenzeitlichen Eroberung des
Elephantenpasses durch die LTTE nicht passierbar (KK 24.02.1997 S. 1, 08.12.1998 S.
8 f.; AA 28.04.2000 S. 16), allenfalls unter Inkaufnahme lebensgefährlicher und deshalb
unzumutbarer Umstände. Zwar besteht eine Luftverbindung durch Flugzeuge der
srilankischen Luftwaffe; vor der Buchung ist jedoch eine spezielle Genehmigung des
Verteidigungsministeriums einzuholen (AA 28.04.2000 S. 16). Angesichts dessen, dass
bei einer Reise zur Jaffna-Halbinsel intensive Sicherheitsüberprüfungen stattfinden,
sind die zum Aufenthalt in Colombo angeführten Gefährdungen auch insoweit nicht
hinreichend sicher auszuschließen.
184
Ein staatliches Programm zur Rückführung von aus dem Ausland zurückgekehrten
Tamilen in die nördlichen Siedlungsgebiete besteht nicht (Wingler 30.09.1998 S. 7).
Andere Regionen der Nordprovinz wären ebenfalls nur mit großen Schwierigkeiten und
Restriktionen der Sicherheitskräfte erreichbar. Vor diesem Hintergrund ist auch eine
Reise in die von der LTTE kontrollierten Gebiete in der umkämpften Wanni-Region, in
der politische Verfolgung in Gestalt der zum Süden und Westen des Landes erörterten
Maßnahmen des srilankischen Staates gegenwärtig nicht zu besorgen ist, unzumutbar.
Auch hierfür wären Kontrollen im Übergangsbereich zwischen den nördlichen und
südlichen Landesteilen bei Vavuniya mit strengen Sicherheitsüberprüfungen zu
passieren (AA 06.04.1998 - Lagebericht - S. 7, 04.11.1998), bei denen
Rechtsgutverletzungen bis hin zu Folter nicht ausgeschlossen werden können (Wingler
30.09.1998 S. 3; ai 23.02.2000 S. 1f; ai --.06.1999 S.23; Medical Foundation --.06.2000
S.23 ff). Hier könnte - was jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen
ist - ein Tamile oder eine Tamilin durch die Tatsache, in "LTTE-Gebiet" gelangen zu
wollen, Verdacht mit der Folge asylerheblicher Übergriffe hervorrufen.
185
Schließlich wäre der Kläger auch im Osten Sri Lankas vor politischer Verfolgung nicht
hinreichend sicher. Hier ist die gegenwärtige Situation (vgl. dazu Senatsurteile vom 13.
November 1998 - 21 A 4412/96.A - , 28. Juli 1999 - 21 A 4359/96.A - und 17. Dezember
1999 - 21 A 4263/96.A -) im Kern geprägt durch Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen
tamilische Zivilisten als Akte der Vergeltung für Übergriffe und Anschläge der LTTE mit
Tötungen und in einigen Fällen von Verschwinden. Es kommt zu Anschlägen und
Angriffen der LTTE mit in Einzelfällen hoher Zahl an Opfern vor allem unter der
singhalesischen Bevölkerung und den Sicherheitskräften und in deren Folge zu
Festnahmen bei Kontrollen und Verhaftungsaktionen, die in diesem Landesteil ebenfalls
- wenn auch in geringerem Ausmaß als in den südlichen und westlichen Landesteilen -
durchgeführt werden. Auch hier ist aber angesichts der unterschiedlichen
Bevölkerungsstruktur, der wesentlich größeren Präsenz von LTTE- Kadern und der sehr
angespannten Sicherheitslage nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass
junge männliche Tamilen im Anschluss an Verhaftungen in Anknüpfung an
asylerhebliche Merkmale der Gefahr von Rechtsgutverletzungen in einem solchen Maß
ausgesetzt sind, dass aus den zur Situation im Süden und Westen des Landes
ausgeführten Gründen die hinreichende Sicherheit vor politischer Verfolgung nicht
bejaht werden kann. Hierbei ist auch für den Osten zu berücksichtigen, dass die
Größenordnung den Umständen gemäß und wegen der mangelnden präzisen
Erfassung und Zusammenfassung sowie Mangels fortdauernder Beobachtung der Fälle
nur wenig zuverlässig angegeben werden kann, mithin zum berichteten Vorkommen der
Übergriffe eine situationsbedingte Unsicherheit hinzutritt, die unter Berücksichtigung des
Kriteriums der Zumutbarkeit die reale Möglichkeit des Betroffenseins von politischer
Verfolgung und die begründete Furcht davor nicht ausgeschlossen erscheinen lässt.
186
c) Besondere individuelle Umstände, die eine so weitreichende Verminderung der
Gefährdung des Klägers ergeben könnten, dass diese als ganz entfernt liegende, nicht
mehr reale Möglichkeit unbeachtlich wäre, liegen nicht vor. Nach seinen Angaben in der
mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren kann nicht einmal zugrundegelegt
werden, dass er bei Rückkehr nach Sri Lanka in Colombo oder in sonstigen Bereichen
im Westen, Süden oder im zentralen Hochland im Falle einer Inhaftierung auf die Hilfe
von benachrichtigten Familienangehörigen oder Bekannten zurückgreifen könnte, die
etwa unter rechtzeitigem Einschalten eines Anwalts oder einer
Menschenrechtsorganisation sich für eine alsbaldige Freilassung einsetzen.
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d) Zwischen den Akten politischer Verfolgung, vor denen der Kläger bei einer Rückkehr
nach Sri Lanka nicht hinreichend sicher ist, und der Vorverfolgung besteht der innere
Zusammenhang, der es unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit dem humanitären
Charakter des Asyls bzw. des Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG
entsprechend rechtfertigt, den Nachweis drohender Verfolgung durch Anwendung des
herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu erleichtern. Der innere
Zusammenhang ist gegeben, wenn die Gefahr der Wiederholung einer gleichartigen
Verfolgung nicht auszuschließen ist. Hierfür sind etwa die fortbestehenden politischen
und staatsrechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat sowie die Gerichtetheit der
Verfolgungsmaßnahmen auf dieselben asylerheblichen Merkmale maßgebend, wobei
es nicht darauf ankommt, dass zukünftige Verfolgungsmaßnahmen unter anderen
Umständen und an anderen Orten erfolgen oder dass sie nach der Vorgehensweise der
Verfolger ein anderes äußeres Erscheinungsbild tragen.
188
Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Juli 1990 - 9 C 78.89 -, BVerwGE 85, 266 und 18. Februar
1997 - 9 C 9.96 -, DVBl 1997, 908 sowie Beschluss vom 11. März 1998 - 9 B 757.97 -.
189
Dieser innere Zusammenhang ist hier nicht zweifelhaft. Die unmittelbare Gefährdung,
vor der der Kläger aus seiner Heimatregion und dann aus Colombo seinerzeit geflohen
ist, resultierte aus dem - bis heute fortdauernden - Konflikt des srilankischen Staates mit
der separatistischen LTTE und den überschießenden Reaktionen der repressiven und
präventiven Bekämpfung des Terrorismus der LTTE und war insofern auf die
bezeichneten asylerheblichen Merkmale gerichtet ebenso wie die nach den
vorstehenden Gründen asylerheblichen Übergriffe, vor denen der Kläger bei einer
Rückkehr nicht hinreichend sicher wäre. Darauf, dass die asylerheblichen Übergriffe
heute teilweise ein anderes äußeres Erscheinungsbild als zum Zeitpunkt der Ausreise
des Klägers tragen, kommt es nicht an.
190
e) Insgesamt kann danach im Hinblick auf die Schwere der Rechtsgutverletzungen -
längerfristige Freiheitsentziehung und Verletzung der körperlichen Integrität durch
Misshandlungen und unter Umständen auch Folter -, die im Falle eines Zugriffs
eintreten können, bei zusammenfassender Betrachtung unter Einbeziehung des
Kriteriums der Zumutbarkeit des vorverfolgt ausgereisten Klägers die Rückkehr in sein
Heimatland nicht zugemutet werden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
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5. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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