Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.09.2009
OVG NRW (verwaltungsgericht, auflage, beitrag, mangel, wirksamkeit, unterlagen, beurteilung, bewertung, kommission, zulassung)
Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 987/09
Datum:
23.09.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 987/09
Leitsätze:
§ 28 Abs. 3 AMG ist im Nachzulassungsverfahren nicht anwendbar.
In der Regel kann das VG die im Rahmen des arzneimittelrechtlichen
Zulassungsverfahrens eingereichten Unterlagen und die dazu
gemachten Ausführungen der fachkundigen Beteiligten ohne
Hinzuziehung weiteren fachwissenschaftlichen Sachverstands
beurteilen. Insoweit unterscheidet sich diese Beurteilung nicht von
derjenigen, die die Bewertung eines Sachverständigengutachtens zum
Gegenstand hat.
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 17. März 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfah-rens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfah-ren auf 50.000,- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur
im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen
Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils
ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Nachzulassung des Arzneimittels
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"V. J. ". Für den arzneilich wirksamen Bestandteil "Fluidextrakt aus Digitalis-
purpurea-Blättern, DEV 1:2, Extraktionsmittel Ethanol 30 % (V/V)" sei bis zum Abschluss
des Mängelbeseitigungsverfahrens keine hinreichende Kombinationsbegründung
vorgelegt worden. Den vorgelegten Unterlagen lasse sich nicht hinreichend zuverlässig
entnehmen, dass der Wirkstoff einen Beitrag zur positiven Bewertung des streitigen
Arzneimittels leiste. Die Kommission E habe sich zwar für die Nachzulassung
ausgesprochen. Deren Stellungnahme vom 25. August 2004 sei jedoch nicht
aussagekräftig. Sie verhalte sich in erster Linie zu den möglichen Nebenwirkungen und
den fehlenden Therapiealternativen. Nicht ersichtlich sei hingegen, ob sich die
Kommission im Rahmen ihrer Beratung mit den rechtlichen Vorgaben an eine
ausreichende Kombinationsbegründung auseinandergesetzt habe. Der Mangel einer
ausreichenden Kombinationsbegründung könne auch nicht durch eine Auflage behoben
werden. Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 5a Satz 2 AMG seien nicht gegeben. Zum
einen liege ein gravierender Mangel vor, weil die Kombinationsbegründung erhebliche
Defizite aufweise. Zum anderen sei die Auflage ungeeignet, den Mangel zu beseitigen,
weil ungewiss sei, ob durch weitere – im Wege der Auflage anzuordnende – Studien ein
positiver Beitrag von Digitalis in der hier in Rede stehenden Darreichungsform und -
menge belegt werden könne. Auf der Grundlage von § 28 Abs. 3 AMG komme eine
Auflage ebenfalls nicht in Betracht. Die Vorschrift sei auf fiktiv zugelassene Arzneimittel
nicht anwendbar. Dies ergebe sich aus § 105 Abs. 5a Satz 2 AMG, der die
Auflagenbefugnis im Nachzulassungsverfahren abschließend regele.
Die dagegen erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der
angefochtenen Entscheidung nicht auf.
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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem
Nachzulassungsbegehren der Versagungsgrund des § 105 Abs. 4f Satz 1, Abs. 5 Satz 2
i. V. m. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a AMG entgegenstehe. Die Klägerin hat den Beitrag des
fraglichen Digitalis-Extrakts zur positiven Beurteilung des Arzneimittels bis zum Ablauf
der Mängelbeseitigungsfrist nicht ausreichend begründet. Nach den eingehenden wie
überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat das fristgerecht vorgelegte
bibliographische Erkenntnismaterial im Sinne von § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG keine
den Ergebnissen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG in etwa gleichgewichtige
Aussagekraft. Die Klägerin ist dem nicht substantiiert entgegengetreten. Sie beschränkt
sich auf allgemeine Ausführungen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit des Präparats
und verweist pauschal auf die im Nachzulassungsverfahren eingereichten Gutachten
sowie die "schon lange bekannten pharmakologischen Wirkungen" des Digitalis-
Extrakts. Belastbare Daten, denen in Bezug auf die erforderliche
Kombinationsbegründung des Wirkstoffs in der hier in Rede stehenden
Darreichungsform und -menge eine hinreichende Aussagekraft zukommen könnte,
benennt sie hingegen nicht. Das Ergebnis der tierexperimentellen Untersuchung mit
dem fraglichen Digitalis-Extrakt von Olszewski, die eine leicht negative Beeinflussung
eines provozierten Ödems gegenüber Placebo ergeben hat, wird ebenfalls nicht
thematisiert.
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Ebenso ausführlich und nachvollziehbar hat das Verwaltungsgericht das positive Votum
der Kommission E als nicht aussagekräftig bewertet. Tragfähige Anhaltspunkte dafür,
dass und warum Digitalis in der hier fraglichen Darreichungsform und -menge einen
Beitrag zur positiven Beurteilung des Arzneimittels liefern könnte, lassen sich den
Protokollen über die Kommissionssitzungen vom 16. Oktober 2002 und vom 25. August
2004 auch nach Auffassung des Senats nicht entnehmen.
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Der Mangel einer ausreichenden Kombinationsbegründung kann entgegen der
Auffassung der Klägerin auch nicht durch eine Auflage nach § 28 Abs. 3 AMG oder
§ 105 Abs. 5a Satz 2 AMG behoben werden.
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§ 28 Abs. 3 AMG ist im Nachzulassungsverfahren nicht anwendbar. Das folgt aus § 105
Abs. 5a Satz 2 AMG. Hiernach können Auflagen neben der Sicherstellung der in § 28
Abs. 2 AMG genannten Anforderungen auch die Gewährleistung von Anforderungen an
die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zum Inhalt haben, es sei denn, dass
wegen gravierender Mängel der pharmazeutischen Qualität, der Wirksamkeit oder der
Unbedenklichkeit Beanstandungen nach § 105 Abs. 5 AMG mitgeteilt werden müssen
oder die Verlängerung der Zulassung versagt werden muss. Damit hat der Gesetzgeber
für fiktiv zugelassene Arzneimittel hinsichtlich der Mängel, die die Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit (und damit auch die Kombinationsbegründung) betreffen, eine
eigenständige und abschließende Auflagenregelung getroffen, die der Anwendung von
§ 28 Abs. 3 AMG entgegensteht. Dieses Normverständnis kommt im Wortlaut von § 105
Abs. 5a Satz 2 AMG, der auf § 28 Abs. 2 AMG, nicht aber auf die (ohnehin auf das
Neuzulassungsverfahren zugeschnittene) Regelung in § 28 Abs. 3 AMG verweist,
hinreichend deutlich zum Ausdruck. Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen des
Gesetzgebers oder für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke sind nicht
ersichtlich.
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Vgl. zur Entstehungsgeschichte von § 105 Abs. 5a AMG BT-Drucks.
12/7554, S. 29, und 12/7572, S. 7.
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Eine Auflage nach § 105 Abs. 5a Satz 2 AMG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Dazu
hat das Verwaltungsgericht das Erforderliche ausgeführt. Hierauf wird Bezug
genommen.
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Ferner liegen auch die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler nicht vor,
so dass die Berufung insoweit weder nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch nach § 124
Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen ist.
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Die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags,
14
"ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, dass die für die
Kombinationsbegründung, sowohl von Digitalis als auch Calendula,
vorgelegten Unterlagen und dazu abgegebenen Begründungen
ausreichend sind",
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findet im Prozessrecht eine hinreichende Stütze. Die Beweiserhebung wäre in
entsprechender Anwendung von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO unzulässig gewesen. Das
Beweisthema ist – wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat – eine vom
Gericht zu entscheidende Rechtsfrage und damit einer Beweiserhebung nicht
zugänglich.
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Vgl. Sommer, in: Krekeler/Löffelmann, StPO, 2007, § 244 Rn. 70;
Höfling/Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 86 Rn. 97; BGH,
Urteil vom 13. Dezember 1967 – 2 StR 619/67 –, NJW 1968, 1293.
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Eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des
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Sachverhalts (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) wird auch im Übrigen nicht substantiiert
dargelegt. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, das Verwaltungsgericht
habe das zur Kombinationsbegründung vorgelegte Erkenntnismaterial ohne eigene
Sachkunde bewertet. In der Regel kann das Verwaltungsgericht die im Rahmen des
arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens eingereichten Unterlagen und die dazu
gemachten Ausführungen der fachkundigen Beteiligten ohne Hinzuziehung weiteren
fachwissenschaftlichen Sachverstands beurteilen. Insoweit unterscheidet sich diese
Beurteilung nicht von derjenigen, die die Bewertung eines Sachverständigengutachtens
zum Gegenstand hat.
Eingehend hierzu OVG NRW, Beschluss vom 24. Februar 2009 – 13 A
813/08 –, A&R 2009, 94, m. w. N.
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Dass sich dem Verwaltungsgericht hier ausnahmsweise die Einholung weiteren
fachwissenschaftlichen Sachverstands hätte aufdrängen müssen, hat die Klägerin nicht
schlüssig aufgezeigt.
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Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache ebenfalls nicht zu (§ 124 Abs. 2
Nr. 3 VwGO). Über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende,
verallgemeinerungsfähige Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die der
Rechtsfortbildung und/oder -vereinheitlichung dienlich und in der Berufung
klärungsbedürftig und klärungsfähig sind, werden nicht vorgebracht. Die von der
Klägerin als grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob § 28 Abs. 3 AMG auch im
Nachzulassungsverfahren anwendbar sei, lässt sich – wie dargelegt – ohne größere
Auslegungsaufwendungen unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Einer
höchstrichterlichen Rechtsfortbildung und/oder -vereinheitlichung bedarf es demnach
nicht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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