Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 04.07.2002
OVG NRW: kosovo, genfer flüchtlingskonvention, politische verfolgung, erlass, gewalt, ausreise, asylbewerber, abschiebung, bedrohung, duldung
Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 891/02.A
Datum:
04.07.2002
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 A 891/02.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Münster, 6 K 2442/99.A
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen
Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt.
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Zur Darlegung der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung, § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG,
reicht ein bloßer Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur
Frage der quasistaatlichen Verfolgung (Zulassungsantrag Nr. I.) nicht aus.
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Der vom Kläger im Übrigen - unter Nr. II. des Zulassungsantrages als Divergenzrüge
gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG bezeichnet - als klärungsbedürftig aufgeworfene
Frage, "ob gemessen an der Definition (des Bundesverfassungsgerichts) von staatlicher
und auch quasistaatlicher Gewalt und gemessen an der daraus sich ergebenden
staatlichen und quasistaatlichen Verfolgungsmächtigkeit das Kosovo, weil der
jugoslawische Staat dort seine Macht nicht ausübt, noch als inländische
Fluchtalternative" angesehen werden kann, kommt eine grundsätzliche Bedeutung nicht
zu. Der Kläger bezeichnet keinen Zusammenhang, in dem sich in seinem Verfahren die
Frage nach der Qualifizierung des Kosovo als inländische Fluchtalternative (also bei
Annahme von politischer Verfolgung im übrigen Jugoslawien) stellen würde. Zudem
beruhen seine Ausführungen auf der spekulativen, im Widerspruch zur Resolution 1244
(1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - der Grundlage für die Ausübung
staatsähnlicher Gewalt durch UNMIK und KFOR - stehenden Annahme, dass
Jugoslawien endgültig die Gebietsherrschaft über das Kosovo verloren hat. Im Übrigen
hat der Senat bereits entschieden, dass eine inländische Fluchtalternative im Sinne der
Genfer Flüchtlingskonvention auch dann besteht, wenn der Flüchtling dort Schutz durch
von den Staatsorganen des Heimatstaates verschiedene Institutionen in Anspruch
nehmen kann.
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Beschluss vom 6. August 2001 - 14 A 2439/00.A -, AuAS 2001, 236 und 2002, 39.
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Ob das hier der Fall ist, ist auch keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Denn der
Senat hat mit Urteil vom 5. Mai 2000 - 14 A 3334/94.A - und seither in ständiger
Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des ebenfalls für
Asylsuchende aus dem Kosovo zuständigen 13. Senats des Gerichts
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vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 2000 - 13 A 307/00.A - und 2. Mai 2001 - 13 A 4889/99.A -
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entschieden, dass nicht nur albanische Volkszugehörige, sondern auch die
Angehörigen anderer Bevölkerungsgruppen gegenwärtig und auf absehbare Zeit bei
der Rückkehr in das Kosovo vor individueller und gruppengerichteter politischer
Verfolgung hinreichend sicher sind und keine Nachteile oder Gefahren befürchten
müssen, die durch früher erlittene oder in anderen Landesteilen zu befürchtende
politische Verfolgung bedingt wären.
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Der Senat hat zudem hinsichtlich des Abschiebungsschutzes gemäß § 53 Abs. 6 AuslG
in seiner bisherigen Rechtsprechung festgestellt, dass die generelle Sicherheits- und
Versorgungslage im Kosovo keinen individuellen Abschiebungsschutz erforderlich
macht.
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Ferner hat er in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die besonderen
Gefährdungen, denen Angehörige ethnischer Minderheitengruppen ausgesetzt sind, es
nicht gebieten, in verfassungskonformer erweiternder Auslegung des Gesetzes diesen
Bevölkerungsgruppen individuellen Abschiebungsschutz zu gewähren, weil durch den
aufgrund ministerieller Erlasse bestehenden Abschiebungsstop für die ethnischen
Minderheiten im Kosovo eine Situation besteht, die einer generellen Regelung nach §
54 AuslG entspricht.
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Vgl. Nr. 2 des Erlasses des Innenministeriums NRW vom 13. Dezember 2000 - I B 3/44
386 - B2/I 14 - Kosovo iVm Ziff. 4 des Beschlusses der ständigen Konferenz der
Innenminister und - senatoren der Länder (IMK) vom 23./24. November 2000 (TOP 8).
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Diese Erlasslage hat der Senat bislang weiterhin als gegeben angesehen.
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Vgl. Nr. II des Erlasses des Innenministeriums NRW vom 8. März 2001, Nr. III 2 des
Erlasses vom 21. Juni 2001 - I B 3/44.386-B 2/I 14-Kosovo - und inzwischen Nr. 1 des
Erlasses vom 28. November 2001 - 14/44.386-I 14-Kosovo/44.342 - .
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Damit war nach seiner Auffassung zugleich etwaigen sich aus Art. 3 EMRK ergebenden
Abschiebungsschutzbedürfnissen wegen der Bedrohung von ethnischen oder religiösen
Minderheiten durch Angehörige der albanischen und religiösen Bevölkerungsmehrheit
im Kosovo Rechnung getragen.
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Vgl. dazu Senatsbeschluss vom 28. November 2000 - 14 A 4183/00.A - und im Übrigen
zu dem Ganzen BVerwG, Beschluss vom 12. April 2001 - 1 B 21.01 -.
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Der Senat hat sich auch insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
ebenfalls für Asylsuchende aus dem Kosovo zuständigen 13. Senats des Gerichts
befunden.
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Vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 2000 - 13 A 307/00.A - und 2. Mai 2001 - 13 A 4889/99.A -.
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Eine entscheidungserhebliche Änderung der Verhältnisse ist zwischenzeitlich nicht
eingetreten. Zwar hat die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der
Länder mit Beschluss vom 6. Juni 2002 u.a. festgestellt, dass ein dauerhaftes
Bleiberecht für die ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo ausgeschlossen sei und
dass die Voraussetzungen für erste zwangsweise Rückführungen noch im Laufe dieses
Jahres gegeben seien, aber zugleich auch, dass diese aufgrund der Erklärungen der
Internationalen Zivilverwaltung UNMIK zur Zeit weiterhin nicht möglich seien.
Dementsprechend hat das Innenministerium des Landes Nordrhein- Westfalen den
Ausländerbehörden mitgeteilt, dass der Zeitpunkt des Beginns der Rückführungen, das
einzuhaltende Verfahren, die zeitliche Staffelung von Rückführungen und weitere
Aspekte mit UNMIK noch näher zu erörtern seien. In demselben Erlass ist geregelt, dass
aufgrund des bis zum Abschluss dieser Verhandlungen weiter bestehenden
Abschiebungshindernisses den ausreisepflichtigen Angehörigen ethnischer
Minderheiten und gemischt-ethnischer Familien, die ihre freiwillige Ausreise
verweigerten, die Duldung zunächst um drei Monate - und damit um den Zeitraum wie in
§ 41 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - verlängert werden kann. Über die weiteren Einzelheiten
(frühester Zeitpunkt von Rückführungen und die hierbei nach dem Ergebnis der
Gespräche mit UNMIK einzuhaltenden Modalitäten) wird in der zweiten Jahreshälfte ein
gesonderter Erlass ergehen.
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Vgl. Nr. II des Erlasses des Innenministeriums NRW vom 14. Juni 2002 - 14.3/44.386 - I
14 - Kosovo -.
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Die Auffassung des Senats, dass es daneben keines individuellen
Abschiebungsschutzes bedürfe, wird durch das Vorbringen des Klägers im
Zulassungsantrag nicht erfolgreich in Zweifel gezogen. Lediglich ergänzend weist der
Senat darauf hin, dass entgegen den Ausführungen des Klägers im
Zulassungsverfahren das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Frage der Gewährung von
Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG gerade nicht das Rechtschutzbedürfnis
verneint, sondern - wie der Senat in ständiger Praxis - darauf abgestellt hat, dass der
Asylbewerber anderweitig vor Abschiebung geschützt und daher zusätzlicher Schutz in
- verfassungskonformer - Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG weder geboten noch
zulässig ist.
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Der Zulassungsgrund der Divergenz, § 78 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG, ist nicht dargelegt.
Zwar zitiert der Kläger Passagen aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 10. August 2000 - 2 BvR 1358/98 - (gemeint wohl: 2 BvR 1353/98). Der Kläger zeigt
jedoch nicht auf, dass das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen
inhaltlich bestimmten, das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit
dem es einem in dem genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
aufgestelten Rechtssatz widersprochen hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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