Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.05.2006

OVG NRW: getrennt leben, aufschiebende wirkung, lebensgemeinschaft, aufenthaltserlaubnis, trennung, wohnung, vollziehung, ehepartner, rücknahme, beweislast

Oberverwaltungsgericht NRW, 18 B 2187/05
Datum:
24.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
18. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 B 2187/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 7 L 256/05
Schlagworte:
eheliche Lebensgemeinschaft Aufenthaltserlaubnis Rücknahme
Aufhebung gemeinsame Wohnung Trennung Trennungswille
Normen:
VwVfG NRW § 48; BGB § 1353 Abs. 1; BGB § 1566 Abs. 1; BGB § 1567
Abs. 1; AufenthG § 27 Abs. 1; AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:
Von einer Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft kann bei einer
Beibehaltung der gemeinsamen Wohnung grundsätzlich nur
ausgegangen werden, wenn sich der Trennungswille zumindest eines
der Ehegatten nach außen auch für den anderen Ehegatten erkennbar
manifestiert hat.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der
Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 7 K 4002/05
gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 13. Dezember
2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung
E. vom 4. August 2005 wird wieder hergestellt bzw. angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert wird für die Beschwerdeinstanz auf 2.500, EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg.
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Der Aussetzungsantrag ist begründet. Das Interesse des Antragstellers, von der
Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 13.
Dezember 2004 vorerst verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse an der
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sofortigen Vollziehung. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Verfügung lässt sich
nach Lage der vom Antragsgegner seiner Entscheidung zu Grunde gelegten und dem
Gericht übersandten Akten nicht feststellen.
Der Antragsgegner hat die Rücknahme der dem Antragsteller am 23. Oktober 2002
erteilten Aufenthaltserlaubnisse zutreffend auf § 48 VwVfG NRW gestützt, dessen
Anwendbarkeit nunmehr durch die Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG klargestellt
ist. Zweifelhaft ist indessen, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 48
Abs. 1 VwVfG NRW vorliegen. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die
Erteilungen der nun zurückgenommenen Aufenthaltserlaubnis damals von Rechts
wegen ausgeschlossen gewesen wäre. Dies ist nicht, wie es die Prüfung in einem
Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich erfordert, offensichtlich der Fall.
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Der Antragsgegner, dem – was vorliegend von maßgebender Bedeutung ist - insoweit
grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast obliegt,
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- vgl. Senatsbeschlüsse vom 28. Februar 2000 18 B 814/99 , AuAS 2000,
111 = InfAuslR 2000, 290 = FamRZ 2000, 882 – und vom 12. August 2005 –
18 B 316/05 -
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und ihm folgend das Verwaltungsgericht legen ihren Entscheidungen zu Grunde, dass
die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum
Ehegattennachzug zum Entscheidungszeitpunkt nicht gegeben waren, weil zwischen
dem Antragsteller und seiner Ehefrau nicht die gesetzlich geforderte familiäre
Lebensgemeinschaft bestanden hat (vgl. §§ 23 Abs. 1 und 2, 17 Abs. 1 AuslG, nunmehr
§ 27 Abs. 1 AufenthG). Insoweit bestehen zwar aus den vom Antragsgegner und dem
Verwaltungsgericht aufgezeigten Gründen beachtenswerte Zweifel daran, ob zwischen
dem Antragsteller und seiner früheren Ehefrau bei Erteilung der mit der angefochtenen
Ordnungsverfügung zurückgenommenen Aufenthaltserlaubnis eine familiäre
Lebensgemeinschaft im vorgenannten Sinne bestanden hat. Dem ist jedoch der
Antragsteller mit ebenfalls beachtenswerten Gründen entgegen getreten. Nach seiner
detaillierten - wenn auch nicht ganz widerspruchsfreien - Darstellung wurde die eheliche
Lebensgemeinschaft zwischen ihm und seiner früheren Ehefrau nicht wie diese
behauptet und ebenfalls umfangreich darlegt – endgültig schon im Januar 2002
aufgehoben, sondern erst im Januar 2004, als jene das Schloss zu der bis dahin
zumindest immer wieder, möglicherweise auch weit überwiegend gemeinsam
bewohnten Wohnung auswechseln ließ. Hinzu kommt, dass die Eheleute in der Zeit bis
Januar 2004 noch zahlreiche andere Gemeinsamkeiten hatten. So haben sie Verwandte
und Freunde besucht und jene auch zu Besuch empfangen. Zusammen nahmen sie an
Hochzeitsfeiern teil. Auch Arztbesuch erfolgten gemeinsam. Damit ist nicht nur
entscheidungserheblich, welchem Sachvortrag zu folgen ist, sondern auch wie sich das
wohl unstreitige Zusammenleben der Eheleute in der Zeit von Januar 2002 bis Januar
2004 ausländerrechtlich darstellt. Dazu ist auf folgendes hinzuweisen:
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Eine ehelichen Lebensgemeinschaft ist erst aufgehoben, wenn die Ehepartner nach
außen erkennbar den gemeinsamen Lebensmittelpunkt dauerhaft aufgegeben haben.
Dies ist regelmäßig bei einer Trennung im Sinne des § 1566 Abs. 1 BGB der Fall, nach
dem unwiderleglich das Scheitern der Ehe vermutet wird, wenn die Eheleute seit einem
Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der
Antragsgegner der Scheidung zustimmt. Zwar kommt es ausländerrechtlich nicht
notwendigerweise auf die für das Scheidungsrecht geltenden bürgerlich-rechtlichen
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Voraussetzungen an. Es reicht aber auch nicht aus, wenn die Ehe nicht harmonisch
verläuft.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 1992 - 1 B 48.92 -, InfAuslR 1992,
305.
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Dementsprechend gilt grundsätzlich eine Trennung bereits vor Ablauf der Jahresfrist
des § 1566 Abs. 1 BGB als vollzogen, wenn die Ehepartner die gemeinsame Wohnung
ohne unabweislichen Grund aufgegeben haben und in getrennten Wohnungen leben.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. März 1989 1 B 21.89 , InfAuslR 1989, 155.
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Eine dauerhafte Trennung der Ehegatten kann allerdings wie § 1567 Abs. 1 Satz 2
BGB verdeutlicht auch dann vorliegen, wenn das Paar zwar noch zusammen wohnt,
aber die für die Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft notwendigen
persönlichen Beziehungen erkennbar endgültig und ohne Aussicht auf Versöhnung
beendet hat. Davon kann jedoch nur ausgegangen werden, wenn sich der
Trennungswille zumindest eines der Ehegatten nach außen auch für den anderen
Ehegatten erkennbar manifestiert. Denn die Ehe ist prinzipiell auf Dauer angelegt. Die
ihr zugrunde liegende eheliche Lebensgemeinschaft (vgl. § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB)
kann deshalb nur durch einen entsprechenden entgegengesetzten Willen aufgehoben
werden. Auf das bloße Fehlen ehelicher Gesinnung kommt es für die Feststellung des
Getrenntlebens nicht an. Von dem Ehegatten, der sich auf die Trennung beruft, muss
gefordert werden, dass er die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft in dem nach den
gegebenen Umständen weitest möglichen Umfang herbeiführt.
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Vgl. zu allem Senatsbeschluss vom 28. Februar 2000 – 18 B 814/99 – mit
weiteren Nachweisen, a.a.O.
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Nach dem Vorstehenden ist eine Manifestation des Trennungswillens zum Zeitpunkt der
dem Antragsteller zuletzt erteilten und nunmehr durch die angefochtene
Ordnungsverfügung zurückgenommenen Aufenthaltserlaubnis vom 23. Oktober 2002
auf der Grundlage des gegenwärtigen Sachstandes nicht mit der hinreichenden
Sicherheit festzustellen. Welchem Sachvortrag zu folgen ist und ob die oben
aufgezeigten Gemeinsamkeiten von einem ausländerrechtlich beachtenswerten Willen
zur Führung einer familiären Lebensgemeinschaft getragen waren, oder ob, wie die
früherer Ehefrau des Antragstellers vorgibt, sie von diesem hierzu gezwungen worden
war, lässt sich mangels sonstiger Erkenntnisse (es erfolgten zum Beispiel keine
örtlichen Überprüfungen) zur Zeit nicht feststellen.
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Nach allem erweist sich, insbesondere unter Berücksichtigung der den Antragsgegner –
wie ausgeführt – obliegenden Darlegungs- und Beweislast, die angefochtene
Ordnungsverfügung jedenfalls nicht als offensichtlich rechtmäßig. Der Sachverhalt ist
weiterhin aufklärungsbedürftig. Der Senat hält indessen das vorliegende Verfahren für
eine abschließende Klärung des wenig übersichtlichen Sachverhalts für ungeeignet.
Wie er bereits in früheren gleich gelagerten Verfahren entschieden hat,
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- vgl. etwa Senatsbeschluss vom 12. August 2005 18 B 316/05 -
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würde damit der in einem lediglich auf die Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes
gerichteten Verfahren angemessene Prüfungsrahmen überschritten. Eine Klärung muss
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deshalb dem Verfahren zur Hauptsache vorbehalten bleiben. Bis dahin überwiegt das
Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Verbleib in Deutschland. Dem stehen
nach Aktenlage angesichts seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland keine
erkennbaren nennenswerten öffentlichen Interessen entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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