Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 28.01.2008
OVG NRW: gebühr, kostendeckung, vorteilsausgleich, verwaltungskosten, nummer, verjährungsfrist, zahl, angemessenheit, anschluss, steuer
Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 2206/07
Datum:
28.01.2008
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
9 A 2206/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 27 K 1556/05
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 500.000,- EUR
festgesetzt.
Gründe:
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die Beklagte hat keinen Zulassungsgrund
nach § 124 Abs. 2 VwGO im Sinne von § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
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1. Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich nicht die geltend gemachten
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils
(Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Annahme des
Verwaltungsgerichts, die streitige Gebühr verletze das in § 3 Satz 1 VwKostG
konkretisierte Äquivalenzprinzip, weil sie sich (noch immer) vollständig von den
tatsächlichen Kosten des Verwaltungsaufwands, die die Gebühr um das 1000fache
übersteige, entfernt habe, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Sie wird nicht durch den
Einwand der Beklagten in Frage gestellt, nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts komme es nicht allein auf das Verhältnis zwischen den
Kosten des Verwaltungsaufwands und der Gebühr an; vielmehr bedürfe es einer
wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung aller verfolgten Gebührenzwecke, hier
des Lenkungszwecks und des Vorteilsausgleichs, um zu beurteilen, ob sich eine
Gebühr zu den Kosten des Verwaltungsaufwands als „sachgemäß" erweise.
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Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem vom Beklagten angeführten
Beschluss vom 6. Februar 1979 bereits im Ausgangspunkt angeführt, gerade der Zweck
der Kostendeckung mache die Gebühr aus und unterscheide sie von der Steuer. Das
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bedeute zwar nicht, dass die Gebühren die Kosten der Leistung nicht überschreiten
dürften. Der Gebührengesetzgeber dürfe „über die Kostendeckung hinausreichende
Zwecke" mit einer Gebührenregelung anstreben. Allgemeine Grenzen ergäben sich aus
dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Bei der Beurteilung der Frage, ob die mit einer Gebührenregelung
verfolgten Zwecke außer Verhältnis zu einer Gebühr stünden, seien alle mit der
Regelung verfolgten, verfassungsrechtlich zulässigen Zwecke als Abwägungsfaktoren
in die Verhältnismäßigkeitsbetrachtung einzubeziehen. Aus dem allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG folge, dass Gebühren nicht völlig unabhängig
von den Kosten der gebührenpflichtigen Leistung festgesetzt werden dürften, und dass
sich die Verknüpfung zwischen den Kosten der Leistung und den dafür auferlegten
Gebühren nicht in einer Weise gestalte, die, bezogen auf den Zweck der gänzlichen
oder teilweisen Kostendeckung, sich unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt als
sachgemäß erweise.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 1979 - 2 BvL 5/76 -, BVerfGE 50, 217.
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Aus dieser Rechtsprechung lässt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht
ableiten, dass ein verfassungsrechtlich zulässiger Lenkungszweck und ein mit einer
Gebührenregelung bezweckter Vorteilsausgleich eine Gebühr auch dann noch als
„sachgemäß" zu rechtfertigen vermögen, wenn diese um das Tausendfache über den
durch die gebührenpflichtige Amtshandlung verursachten Kosten liegt. Vielmehr bringt
das Bundesverfassungsgericht in der angeführten Entscheidung deutlich zum Ausdruck,
dass eine Gebühr „nicht völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen
Staatsleistung festgesetzt" werden darf. Damit ist zugleich klar, dass sich eine solche
von den Kosten der Leistung völlig unabhängige Gebühr bezogen auf den Zweck der
Kostendeckung unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt als sachgemäß erweisen
kann, selbst wenn man alle mit der Gebührenregelung verfolgten Zwecke in die
Verhältnismäßigkeitsbetrachtung einbezieht. In sachlicher Übereinstimmung hiermit und
im Anschluss an diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen
von § 3 Satz 1 VwKostG i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 4 TKG angenommen, bei der
Bemessung der Gebühr dürfe der mit ihr verfolgte Zweck der Kostendeckung - ggf.
neben etwaigen weitergehenden Gebührenzwecken - zumindest nicht gänzlich aus dem
Auge verloren werden. Dass sich der Kostendeckungszweck auf die Höhe der Gebühr
auswirken müsse, sei schon wegen eines „Mindestmaßes an Sachgerechtigkeit und
innerer Regelungskonsistenz" geboten. Ferner folge dies daraus, dass die Höhe der
Gebühr „wegen der Begrenzungs- und Schutzfunktion der grundgesetzlichen
Finanzverfassung [...] wesentlich von der besonderen Finanzierungsverantwortlichkeit
bestimmt [werde], die der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung des konkreten
Gebührentatbestands eingefordert" habe. Für die Beurteilung der Frage, ob sich eine
Gebühr unzulässigerweise völlig von den Kosten des Verwaltungsaufwands gelöst
habe, sei eine wertende Beurteilung des Verhältnisses zwischen den Kosten und der
Gebühr erforderlich.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2003 - 6 C 5.02 -, NVwZ 2003, 1385.
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Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die streitige Gebühr bei der nach dieser
Rechtsprechung gebotenen wertenden Beurteilung nicht mehr in einem angemessenen
Verhältnis zu den Kosten der Verwaltungsleistung steht, weil sie diese um das
1000fache übersteigt und sich damit völlig von den Kosten des Verwaltungsaufwands
gelöst hat. Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Gebühr um gleichfalls das
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1000fache unter dem wirtschaftlichen Wert der Nummernzuweisung liegt und eine daran
gemessen vergleichsweise niedrige Gebühr nur eingeschränkt Lenkungszwecken
dienen kann. Da zwischen den Kosten des Verwaltungsaufwands und dem
wirtschaftlichen Wert der Leistung eine derart extreme Diskrepanz liegt, lassen sich der
angestrebte Vorteilsausgleich und der beabsichtigte Lenkungszweck bei der
Gebührenregelung nur begrenzt zur Geltung bringen, nämlich insoweit, als der die
Gebühr kennzeichnende Finanzierungszweck zumindest nicht gänzlich aus dem Auge
verloren wird. Die weitergehenden Gebührenzwecke lassen sich nach der angeführten
Rechtsprechung lediglich in Ergänzung zu dem die Gebühr ausmachenden Zweck der
Kostendeckung verfolgen. Nicht zu rechtfertigen ist es hingegen, wegen des geringen
Werts einer Verwaltungsleistung die Finanzierungsfunktion gegenüber anderen
Gebührenzwecken praktisch völlig zurücktreten zu lassen.
2. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich nicht die behaupteten besonderen
tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (Zulassungsgrund
nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) entnehmen.
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a) Eine Besonderheit der Rechtssache mag in tatsächlicher Hinsicht darin liegen, dass
die Kosten des Verwaltungsaufwands für die Zuteilung von Mobilfunknummern zu dem
wirtschaftlichen Wert der Leistung in einem extremen Verhältnis stehen und die Kosten
des Verwaltungsaufwands von der Zahl zugeteilter Nummern unabhängig sind. Aus
dieser möglichen Besonderheit ergeben sich jedoch keine überdurchschnittlichen
Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht. Auch unter Berücksichtigung
dieses Zusammenhangs wirft die Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht in
seinem Urteil vom 30. April 2003 - 6 C 5.02 - herangezogenen Maßstäbe auf die
lediglich geringfügig abgeschwächte neue rückwirkende Gebührenregelung keine
besonderen Schwierigkeiten auf. Vielmehr lässt sich ohne Weiteres im
Zulassungsverfahren beurteilen, dass sich auch eine Gebühr der in Rede stehenden
Art, die (nur) um das 1000fache über den Kosten der Verwaltungsleistung liegt, noch
immer völlig von diesen Kosten gelöst hat. Der Umstand, dass sich im Hinblick darauf
bei der Zuteilung von Mobilfunkrufnummern andere Gebührenzwecke nicht oder nur
eingeschränkt erreichen lassen, ist eine notwendige Folge des extremen Verhältnisses
zwischen den geringen Verwaltungskosten und dem vergleichsweise hohen Wert der
zugeteilten Nummer. Die Beklagte erkennt dies selbst als Folge einer konsequenten
Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Rechtliche
Schwierigkeiten, die im Zulassungsverfahren nicht zu bewältigen wären, werden damit
nicht bezeichnet.
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b) Ferner lässt die Frage, inwieweit der wirtschaftliche Wert einer gebührenpflichtigen
Leistung und sonstige Gebührenzwecke die Angemessenheit des Verhältnisses
zwischen den Kosten der Leistung und der Gebühr beeinflussen können, keine
entscheidungserheblichen besonderen rechtlichen Schwierigkeiten erkennen. Es ist in
der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des
Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass prinzipiell alle mit einer Gebührenregelung
verfolgten verfassungsrechtlich zulässigen Zwecke bei der Beurteilung der Frage
einzubeziehen sind, ob sich eine Gebühr sachlich rechtfertigen lässt. Ebenso ist jedoch
geklärt, dass sich eine Gebühr, selbst wenn sie weitergehende Gebührenzwecke
verfolgt, nicht völlig von den Kosten des Verwaltungsaufwands lösen darf. Insoweit
besteht entgegen der Einschätzung der Beklagten kein sachlicher Unterschied in der
Rechtsprechung beider Gerichte. Dass sich eine die Kosten des Verwaltungsaufwands
um das 1000fache übersteigende Gebühr, um die es hier geht, völlig von diesen Kosten
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gelöst hat und deshalb auch durch weitere Gebührenzwecke nicht mehr zu rechtfertigen
ist, lässt sich auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ohne besondere
Schwierigkeiten bereits im Zulassungsverfahren beurteilen. Dies ist oben unter 1. näher
ausgeführt worden.
c) Soweit die Beklagte besondere Schwierigkeiten in der Anwendung des § 20 Abs. 1
Satz 1 VwKostG geltend macht, weist sie selbst darauf hin, dass sich die in diesem
Zusammenhang aufgeworfenen Verjährungsfragen nur bei Annahme einer
angemessenen Gebühr entscheidungserheblich stellen würden. Sie lässt jedoch nicht
erkennen, dass dies bei Durchführung eines Berufungsverfahrens der Fall sein würde.
Denn nach den obigen Ausführungen lässt sich schon im Zulassungsverfahren
hinreichend verlässlich abschätzen, dass die Gebühr nicht angemessen ist.
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3. Die Berufung ist ferner nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
zuzulassen.
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a) Die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
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ob die Gebührenhöhe zu den Kosten des Verwaltungsaufwands in einem
unangemessenen Verhältnis steht, wenn das Verhältnis der Gebühr zu den Kosten des
Verwaltungsaufwands 1.000:1 beträgt, die Gebühr zum wirtschaftlichen Wert der Sache
die gleiche Relation aufweist und die Kosten des Verwaltungsaufwands unabhängig
von dem Umfang der gewährten Leistung und dem daraus folgenden wirtschaftlichen
Wert sind,
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bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Die einschlägigen rechtlichen
Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind im Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 2003 - 6 C 5.02 - grundsätzlich geklärt
worden. Die Anwendung der dort entwickelten Grundsätze auf eine Gebühr, die die
Kosten des Verwaltungsaufwands (nur) um das 1000fache übersteigt, erfordert eine
wertende Beurteilung im Einzelfall. Eine darüber hinausreichende allgemeine Frage
wird hierdurch nicht aufgeworfen, weil die vom Äquivalenzprinzip gezogene Obergrenze
für die Gebührenbemessung nicht abschließend festgelegt werden kann.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2003 - 6 C 5.02 -, a.a.O.
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b) Die weiter aufgeworfene Frage,
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ob andere, mit der Gebührenerhebung verfolgte Zwecke das Verhältnis der Kosten des
Verwaltungsaufwands zu der Höhe der Gebühr beeinflussen bzw. rechtfertigen können,
so dass sich das Verhältnis als sachgemäß erweist oder ob das Verhältnis durch die
mathematische Relation der Kosten zu der Gebührenhöhe beschränkt ist,
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ist bereits grundsätzlich in dem Sinne geklärt, dass andere Gebührenzwecke das
Verhältnis der Kosten des Verwaltungsaufwands zur Höhe der Gebühr rechtfertigen
können, solange sich die Gebühr nicht völlig von den Kosten des Verwaltungsaufwands
löst. Dies entspricht - wie dargelegt - der in der Sache übereinstimmenden
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts.
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c) Soweit die Beklagte schließlich als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet,
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ob die vierjährige Verjährungsfrist des § 20 Abs. 1 VwKostG anwendbar ist, wenn
fristgemäß ein Gebührenbescheid erlassen, die Forderung erfüllt und der Bescheid
später aufgehoben wurde,
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fehlt es bereits an der Darlegung, dass sich diese Frage entscheidungserheblich in
einem Berufungsverfahren stellen würde, nachdem sie vom Verwaltungsgericht als nicht
entscheidungserheblich angesehen worden ist.
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4. Die Berufung ist schließlich nicht wegen Abweichung von zwei Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts zuzulassen (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 4
VwGO).
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Indem das Verwaltungsgericht angenommen hat, auch ein etwaiger Lenkungszweck
könne für sich genommen nicht rechtfertigen, dass sich die Gebühr vollständig von dem
zugrunde liegenden Verwaltungsaufwand löse, ist es nicht von einem in den
Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 1998 - 1 BvR 178/97 -, NJW
1998, 2128 (2130), und vom 6. Februar 1979 - 2 BvL 5/76 -, a.a.O., aufgestellten
Rechtssatz abgewichen, wonach das Verhältnis zwischen Verwaltungsaufwand und
Kosten auch im Hinblick auf andere Gebührenzwecke sachgerecht sein könne. Hieraus
ergibt sich gerade nicht, dass andere Gebührenzwecke eine Gebühr auch dann noch
sachlich rechtfertigen können, wenn diese sich von dem zugrunde liegenden
Verwaltungsaufwand völlig gelöst hat. Vielmehr steht der Ansatz des
Verwaltungsgerichts in Einklang mit der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, das ebenfalls ausgeführt hat, Gebühren dürften nicht
völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festgesetzt
werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 52 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3
Satz 3 GKG).
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