Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.02.2005
OVG NRW: aufschüttung, grenzbereich, grundstück, zustand, aufenthalt, wohnhaus, familie, terrasse, behörde, rückbau
Oberverwaltungsgericht NRW, 7 A 1408/04
Datum:
22.02.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 A 1408/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 4 K 129/03
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 4.000,-- EUR
festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Aus den von der Klägerin dargelegten
Gründen ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder ein dem Verwaltungsgericht unterlaufener
entscheidungserheblicher Verfahrensmangel (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5
VwGO).
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Das Zulassungsvorbringen gibt nichts dafür her, dass das Verwaltungsgericht die
strittige Geländeaufschüttung nebst Abstützung durch Pflanzringe zu Unrecht wegen
Verstoßes gegen § 6 Abs. 10 Satz 1 BauO NRW als formell illegal angesehen hat.
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Nach der genannten Vorschrift ist eine Abstandfläche auch von solchen baulichen
Anlagen und anderen Anlagen und Einrichtungen einzuhalten, von denen Wirkungen
wie von Gebäuden ausgehen. Dies unterliegt hinsichtlich der Aufschüttung auf dem
Grundstück der Klägerin, die durch die in den Gerichtsakten und den
Verwaltungsvorgängen des Beklagten befindlichen Lichtbilder anschaulich
wiedergegeben wird, keinem Zweifel.
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Die Klägerin irrt, wenn sie meint, für das Vorliegen einer "gebäudegleichen" Wirkung
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komme es allein auf die von ihr angeführten Gefahren im bauordnungsrechtlichen Sinn
an. Die durch die Abstandvorschriften geregelten Einschränkungen der
Grundstücksnutzung im Grenzbereich dienen auch dem gegenseitigen Wohnfrieden,
weil der jeweilige Nachbar bei Einhaltung dieser Einschränkungen weniger "präsent"
erscheint. Eine Anhebung des Geländeniveaus im unmittelbaren Grenzbereich zieht
unvermeidlich für das Nachbargrundstück nachteilige Folgen nach sich. Ohne
Schutzmaßnahmen sind die Lebensäußerungen auf dem Grundstück, auf dem das
Gelände angehoben wird, von dem Nachbargrundstück aus in stärkerem Maße
wahrnehmbar.
Vgl. bereits: OVG NRW, Urteil vom 27. November 1989 - 11 A 195/88 -, BRS 50 Nr. 185.
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Demgemäß kommt beispielsweise im Grenzbereich angelegten Terrassen bereits dann
eine abstandrechtlich relevante gebäudegleiche Wirkung zu, wenn sie höher als 1 m
über der natürlichen Geländeoberfläche liegen.
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Vgl. neben der vom Verwaltungsgericht angeführten Rechtsprechung und einschlägigen
Kommentierung auch: OVG NRW, Beschluss vom 8. November 2001 - 7 B 1192/01 -.
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Nichts anderes gilt auch für solche im Gartenbereich angelegten Aufschüttungen, die -
gleichsam als Verlängerung einer gepflasterten Terrasse - den erhöhten Aufenthalt von
Personen auch im unmittelbaren Grenzbereich ermöglichen. Dies gilt erst recht, wenn
der Niveauunterschied wie im vorliegenden Fall rd. 2 m beträgt, so dass die Nutzer des
erhöhten Geländes sich - vom tiefer gelegenen Nachbargrundstück aus gesehen -
gleichsam über den Köpfen der Nachbarn bewegen.
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Der Einwand der Klägerin, sie und ihre Familie hielten sich "regelmäßig" auf der
Terrasse - und damit nicht unmittelbar im Grenzbereich - auf, ist unerheblich. Auf
individuelle persönliche Verhaltensweisen der konkreten Grundstücksnutzer kommt es
nicht an. Entscheidend ist allein, dass man sich auf dem Grundstück der Klägerin auf
dem erhöhten Niveau bis unmittelbar an die Grenze bewegen kann. Ebenso wenig
kommt es darauf an, wie die Nachbarn der Klägerin ihr tiefer gelegenes Grundstück in
dessen aktuellem Zustand regelmäßig nutzen. Schon der Umstand, dass bei einem
Aufenthalt nahe der Grenze zum Grundstück der Klägerin der Blick auf die nahezu
senkrecht aufsteigende Abstützung fällt, über der zudem Personen in voller Größe in
das Blickfeld treten können, führt zur Unzulässigkeit der hier vorgenommenen
Aufschüttung im Grenzbereich. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass das nördlich
des Grundstücks der Klägerin gelegene Flurstück 350, das derzeit nur in seinem
westlichen Bereich mit einem Wohnhaus bebaut ist, auch in seinem östlichen Bereich -
vergleichbar den weiter nördlich gelegenen Flurstücken 548 und 549 - mit einem
weiteren Wohnhaus bebaut werden kann, wie aus dem bei den Verwaltungsvorgängen
des Beklagten befindlichen Auszug des hier einschlägigen Bebauungsplans ablesbar
ist. Wenn sich die Familie der Nachbarn in einer solchen Situation die künftigen
Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks nicht im Wortsinn verbauen lassen wollen, ist
die Ablehnung einer Zustimmung zu den massiven Geländeveränderungen nicht etwa
"unkooperativ", sondern in jeder Hinsicht verständlich; von einer "Prinzipienreiterei", wie
die Klägerin erstinstanzlich vorgetragen hat, kann keine Rede sein.
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Fehl geht auch das an § 6 Abs. 11 BauO NRW anknüpfende Zulassungsvorbringen. Es
verkennt bereits, dass Stützmauern im Sinne dieser Vorschrift nur solche sind, die einen
bereits vorhandenen Geländeversprung absichern sollen. Abstandrechtlich begünstigt
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sind nach dieser Vorschrift hingegen nicht solche Stützmauern, die - wie hier - eine auf
dem vorhandenen, von den Beteiligten seit längerem hingenommenen Gelände neu
angelegte großflächige Aufschüttung absichern sollen. Insoweit bilden Stützmauer und
Aufschüttung eine Einheit, die - wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat -
insgesamt den Anforderungen des § 6 Abs. 10 BauO NRW unterliegt.
Dass der Beklagte der Klägerin die vollständige Abtragung der Aufschüttung bis auf das
Ursprungsgelände, wie es sich aus dem der angefochtenen Ordnungsverfügung
beigefügten Lageplan ergibt, aufgegeben hat, macht die Ordnungsverfügung nicht
fehlerhaft. Die Aufschüttung nebst Absicherung stellt - wie dargelegt - eine einheitliche
bauliche Anlage dar. Ist diese - wie hier - materiell rechtswidrig, kann die Behörde
regelmäßig ihre gesamte Beseitigung verlangen; es ist Sache des Bauherren, ggf. einen
Rückbau auf einen seinen Vorstellungen entsprechenden Zustand, der allerdings
rechtmäßig sein muss, im Wege des Austauschmittels nach § 21 Satz 2 OBG -
fristgerecht - anzubieten.
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Vgl.: OVG NRW, Beschluss vom 18. März 1997
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- 10 A 853/93 -, BRS 59 Nr. 209.
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Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass der Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung zukommt. Ebenso wenig ist das Verwaltungsgericht etwa deshalb
verfahrensfehlerhaft vorgegangen, weil es die Eigentümerin des nördlichen
Nachbargrundstücks nicht beigeladen hat, denn die strittige Ordnungsverfügung ist
unabhängig von der Haltung der Nachbarn zu der strittigen Aufschüttung schon wegen
des objektiven Rechtsverstoßes gerechtfertigt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes stützt sich auf § 13 Abs. 1 GKG a.F..
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Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§
124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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