Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 15.04.2010

OVG NRW (anspruch auf rechtliches gehör, rechtliches gehör, verwaltungsgericht, hörensagen, kenntnis, kläger, erwägung, verletzung, botschaft, verfolgung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 A 729/10.A
Datum:
15.04.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 A 729/10.A
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten
Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) nicht
gegeben sind.
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Der Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG) liegt nicht vor.
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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hat eine
Rechtssache nur, wenn sie eine bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage
aufwirft, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im
Interesse der einheitlichen Auslegung und Anwendung oder der Fortentwicklung des
Rechts der Klärung bedarf, oder wenn sie eine tatsächliche Frage aufwirft, deren in der
Berufungsentscheidung zu erwartende Klärung verallgemeinerungsfähige
Auswirkungen hat. Verallgemeinerungsfähige Auswirkungen hat die Klärung einer
Tatsachenfrage, wenn sich diese Frage nicht nur in dem zu entscheidenden Fall,
sondern darüber hinaus auch noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in
nicht absehbarer Zukunft stellt.
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Der aufgeworfenen Frage,
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"Führt eine Demonstrationsteilnahme, bei der ein Asylbewerber mittels
Megaphon vor der Syrischen Botschaft in Erscheinung tritt und die von
Mitarbeitern der Syrischen Botschaft gefilmt wird, unter Berücksichtigung der
verschärften Vorgehensweise der syrischen Sicherheitskräfte seit
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Inkrafttreten des Deutsch-Syrischen Rücknahmeabkommens dazu, dass im
Falle der Rückkehr dieses Asylbewerbers mit einer asylrelevanten
Verfolgung zu rechnen ist?"
kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu, wenn sie bedeuten
soll, ob bei Demonstrationsteilnahme mit Megaphondurchsage seitens des
Asylbewerbers und Filmen durch Mitarbeiter der syrischen Botschaft immer eine
asylrelevante Verfolgungsgefahr besteht. Diese Frage lässt sich auch ohne
Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne Weiteres verneinen. Es kommt für die
asylrechtliche Relevanz exilpolitischer Betätigung immer nur auf die Sicht des
jeweiligen Verfolgerstaates an, so dass von diesem nicht erkannte oder nicht ernst
genommene Betätigungen asylrechtlich von vorneherein keine Bedeutung haben. Wie
das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt und auch gerichtsbekannt ist, finden ständig
derartige Demonstrationen statt, wobei sie oftmals gerade zum Zwecke der Schaffung
eines asylrechtlich relevanten Nachfluchtgrundes besucht werden. Auch dies ist den
syrischen Sicherheitsorganen bekannt. Daher führt die in der Frage aufgeworfene
exilpolitische Betätigung nicht automatisch zu einem relevanten Nachfluchtgrund,
sondern ist im Zusammenhang mit den Umständen des Einzelfalls zu würdigen, wie es
das Verwaltungsgericht auch getan hat. Die Relevanz der genannten exilpolitischen
Betätigung ist somit keiner allgemeinen Klärung zugänglich.
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Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) bezeichneten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG) in Form der
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 138 Nr. 3 VwGO) liegt ebenfalls
nicht vor.
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Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen
sich dabei jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der
Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon
auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen
auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Verstoß gegen den in
Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsatz des rechtlichen Gehörs
liegt nur dann vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass
tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis
genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht
allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer
Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen
nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er
nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich
unsubstanziiert war.
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Danach macht der Kläger hier schon im Ansatz keine Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör geltend. Er behauptet nicht, dass sein Vorbringen nicht zur Kenntnis
genommen und in Erwägung gezogen worden sei. Er wendet sich vielmehr allein -
zulassungsrechtlich unerheblich - gegen die Würdigung seines Vortrags durch das
Verwaltungsgericht.
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In Wirklichkeit rügt der Kläger, der Sachverhalt sei unvollständig aufgeklärt worden, es
sei also die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Ein derartiger Verstoß
gehört nicht zu den Verfahrensfehlern, die in § 138 VwGO genannt sind und auf die der
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Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG Bezug nimmt. Das gilt insbesondere
auch insoweit, als sich die gerichtliche Verpflichtung zur Aufklärung
verfassungsrechtlich unmittelbar aus dem Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 des
Grundgesetzes ergibt ("Ermittlungstiefe"). Ein Aufklärungsmangel kann auch nicht mit
einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) gleichgesetzt werden. Der
Grundsatz rechtlichen Gehörs begründet keinen Anspruch darauf, dass das Gericht
Tatsachen erst beschafft und von sich aus ermittelt.
Ein Gehörsverstoß kann auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen
Überraschungsentscheidung bestehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet
zwar keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder
die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche
und rechtliche Bewertung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Würdigung
ergibt. Das rechtliche Gehör wird erst dann verletzt, wenn das Gericht ohne vorherigen
Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer
Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.
Gleiches gilt, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen Gesichtspunkt abhebt,
mit dem ein sachkundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des
Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. In beiden Fällen liegt eine unzulässige
Überraschungsentscheidung vor.
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Nach diesem Maßstab stellt es keine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende
Überraschungsentscheidung dar, wenn das Verwaltungsgericht die niedrigschwellige
exilpolitische Betätigung des Klägers als asylrechtlich irrelevant einstuft. Das hat das
Verwaltungsgericht im Einzelnen begründet. Dagegen gibt es zulassungsrechtlich
nichts zu erinnern. Das ist auch nicht etwa deshalb anders, weil Deutschland
zwischenzeitlich ein Rückübernahmeabkommen mit Syrien geschlossen hat.
Rückführungen nach Syrien gab es schon seit Jahren auch vor Abschluss des
genannten Vertrages. Dabei gab es vereinzelt Fälle, in denen aus Deutschland
abgeschobene abgelehnte Asylbewerber bei der Einreise wegen politischer Aktivitäten
verhaftet wurden, ohne dass damit schon die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer
Verfolgung für alle unverfolgt ausgereisten Rückkehrer bestand. Daran hat sich auch
nach Abschluss des Abkommens nichts geändert, insbesondere gibt es keine
Anzeichen einer verschärften Vorgehensweise der syrischen Sicherheitskräfte, wie es
die oben genannte vermeintlich grundsätzliche Frage des Klägers unterstellt.
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Nach dem oben genannten Maßstab stellt es auch keine den Anspruch auf rechtliches
Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Verwaltungsgericht der
Aussage des Zeugen, der vom Hörensagen berichtete, dass syrische Sicherheitsorgane
nach dem Verbleib des Klägers im Zusammenhang mit seiner exilpolitischen Betätigung
geforscht haben sollen, keinen erheblichen Beweiswert für die Gefahr politischer
Verfolgung des Klägers bei Rückkehr beimisst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der
Zeuge vom Hörensagen zwar kein von vornherein untaugliches Beweismittel ist. Ihm
kommt aber nur ein eingeschränkter Beweiswert zu. Die Indizienkette baut sowohl
hinsichtlich der Richtigkeit der Aussage des Zeugen vom Hörensagen als auch
hinsichtlich der Frage, ob diese Indiztatsache den Schluss auf die Haupttatsache
zulässt, auf Wahrscheinlichkeitsurteilen auf. Da die bei einer derart gestuften
Indizienkette mehrfach zu treffenden Wahrscheinlichkeitsurteile aus logischen Gründen
eine abnehmende Gesamtwahrscheinlichkeit zur Folge haben, wird die Aussage eines
Zeugen vom Hörensagen deshalb einer Entscheidung regelmäßig nur dann zugrunde
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gelegt werden können, wenn es für das Vorliegen der entsprechenden Tatsache noch
andere Anhaltspunkte gibt.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Juli 2008 - 15 A 2803/06.A -, S. 12 des
amtlichen Umdrucks.
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Da hier angesichts der Unstimmigkeiten zwischen den Bekundungen des Klägers und
denen des Zeugen, die keineswegs nur unwesentliche Details, sondern die Umstände
und den Inhalt der Indiztatsache (Angaben der Schwester zu angeblichen
Nachforschungen der syrischen Sicherheitskräfte) betrafen, schon durchgreifende
Zweifel am Vorliegen der Indiztatsache bestanden, ist die Würdigung des
Verwaltungsgericht nicht nur nicht überraschend, sondern folgerichtig.
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Soweit der Kläger die Würdigung seines und des Zeugen Vortrags durch das
Verwaltungsgericht als willkürlich rügt, kann dahinstehen, inwieweit dies einen
Berufungszulassungsgrund darstellt über einen Verstoß gegen den Anspruch auf
rechtliches Gehör unter dem Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung hinaus.
Jedenfalls ergibt sich aus Vorstehendem, dass die Würdigung des Verwaltungsgerichts
auch nicht willkürlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die
Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar
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