Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 25.06.1997
OVG NRW (treu und glauben, kläger, einbürgerung, verwaltungspraxis, verletzung, auflage, härte, vollstreckung, 1995, behörde)
Oberverwaltungsgericht NRW, 25 A 5224/95
Datum:
25.06.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
25. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
25 A 5224/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 10 K 3138/94
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 7.
Juni 1995 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 79.418,50 DM
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß nach § 130 a
VwGO. Denn er hält die Berufung mit dem sinngemäßen Antrag,
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das angefochtene Urteil zu ändern und festzustellen, daß die Vollstreckung aus der
notariellen Urkunde der Notare T. und Dr. C. vom 21. März 1990 - UR.Nr. 585/1990 F -
unzulässig ist, soweit der Kläger Zahlungen noch nicht erbracht hat,
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einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Auf
die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3
VwGO Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine abweichende
Beurteilung.
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Der Kläger kann der titulierten Forderung der Beklagten im vorliegenden
verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht entgegenhalten, daß diese ihn unter
Verletzung ihrer Auskunfts- und Beratungspflicht zur Abgabe des fraglichen
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Schuldanerkenntnisses veranlaßt habe.
Ein Folgenbeseitigungsanspruch kommt hier keinesfalls in Betracht. Zwar ist die
Behörde unter Umständen nach Treu und Glauben gehalten, Betroffene, soweit dies
rechtlich möglich ist, so zu stellen, wie sie stehen würden, wenn sie ordnungsgemäß
belehrt worden wären.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1966 - 5 C 2.65 -, BVerwGE 25, 183, 184; Kopp,
VwVfG, 6. Auflage 1996, § 25 RdNr. 12.
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Es ist jedoch rechtlich nicht möglich, die am 26. Juni 1990 vollzogene Einbürgerung des
Klägers nachträglich auf einen Zeitpunkt nach dem 30. Juni 1990 zu verschieben, um
ihn in den Genuß der seit dem 1. Juli 1990 geltenden Praxis der
Einbürgerungsbehörden zu bringen, wonach in Fällen der vorliegenden Art die
Einbürgerung nicht mehr von der Rückzahlung des Stipendiums abhängig gemacht
wird. Eine rückwirkende Verschiebung des Einbürgerungszeitpunkts verbietet sich aus
Gründen der Rechtssicherheit. Gerade deshalb schreibt der Gesetzgeber in § 16 Abs. 1
Satz 1 RuStAG vom 22. Juli 1913, RGBl. 583, hier anwendbar in der Fassung des
Änderungsgesetzes vom 25. Juli 1986, BGBl. I 1142, vor, daß die Einbürgerung mit der
Aushändigung der Einbürgerungsurkunde wirksam wird, und trägt damit der besonderen
Bedeutung der Einbürgerung als förmlichen Akts der Aufnahme in das Staatsvolk
Rechnung.
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Vgl. Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 1991, § 16 RdNr. 1; Makarov/v.
Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, § 16 RdNr. 8 (November 1987).
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Die vielfältigen Folgen einer formgültigen Einbürgerung lassen es nicht zu, ihre
Wirksamkeit auf einen Zeitpunkt nach der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde zu
verlagern mit der Folge, daß der Betreffende für den fraglichen Zeitraum nachträglich
der deutschen Staatsangehörigkeit verlustig geht. Solches strebt auch der Kläger nicht
an.
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Mit seinem zweitinstanzlichen Vortrag macht er vielmehr geltend, der zuständige
Bedienstete der Beklagten habe durch eine falsche bzw. unvollständige Auskunft
schuldhaft seine Amtspflicht ihm, dem Kläger, gegenüber verletzt. Eine solche
Pflichtverletzung unterfällt typischerweise dem Regelungsbereich des Art. 34 GG i.V.m.
§ 839 BGB.
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Vgl. Kopp, aaO, RdNr. 12 f. m.w.N.
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Die Entscheidung über einen sich daraus ergebenden Anspruch ist den ordentlichen
Gerichten vorbehalten, wie sich aus Art. 34 Satz 3 GG ergibt und auch der einfache
Gesetzgeber in § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG klargestellt hat. Abweichendes gilt nur dann,
wenn der Amtshaftungsanspruch rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt oder
unbestritten ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, kann die rechtswegfremde
Forderung nicht berücksichtigt werden. Ob sie im Wege der Aufrechnung oder einer
sonstigen Einrede (§ 853 BGB, "dolo petit") geltend gemacht wird, spielt dabei keine
Rolle.
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Vgl. BVerwG, Beschluß vom 31. März 1993 - 7 B 5.93 -, DVBl. 1993, 885; Beschluß vom
23. Dezember 1996 - 5 B 212.95 -; Senatsbeschluß vom 4. September 1995 - 25 A
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818/90 -, S. 7; Senatsbeschluß vom 24. Februar 1997 - 25 A 635/96 -, S. 9 ff.; Kissel,
GVG, 2. Auflage 1994, § 17 RdNr. 36, 40; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann,
ZPO, 55. Auflage 1997, § 17 RdNr. 7.
Die Beklagte hat einen derartigen Schadensersatzanspruch nicht anerkannt. Wie sich
aus ihrer Berufungserwiderung vielmehr ergibt, tritt sie dem Vortrag des Klägers zur
Verletzung der Beratungs- und Auskunftspflicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
entgegen. Der Kläger muß sich daher darauf verweisen lassen, seinen Anspruch im
ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen.
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Dieses Ergebnis kann der Kläger nicht durch einen Verweis auf § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
BHO vom 19. August 1969, BGBl. I 1284, in der Fassung des Änderungsgesetzes vom
22. September 1994, BGBl. I 2605, vermeiden. Diese Bestimmung ist - wie die
Überschrift des Teils III der Bundeshaushaltsordnung zeigt - eine Vorschrift zur
Ausführung des Haushaltsplans. Sie entfaltet - ebenso wie im allgemeinen die übrigen
Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung - Bindungswirkung lediglich im Verhältnis
der Staatsorgane zueinander. § 59 BHO regelt hingegen nicht das Verhältnis des
Bundes zum rückzahlungspflichtigen Bürger.
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Vgl. BVerwG, Beschluß vom 22. August 1986 - 3 B 47.85 -, NVwZ 1987, 55; BSG, Urteil
vom 30. Januar 1991 - 9 A Rv 3/90 -, SozR 3 - 1300 § 50 SGB X Nr. 8; OVG NW, Urteil
vom 20. November 1990 - 16 A 1296/89 -; Urteil vom 5. Mai 1992 - 16 A 1434/90 -,
NWVBl. 1993, 64, 65; a.A. für den Bereich der Arbeitsförderung: BSG, Urteil vom 9.
Februar 1995 - 7 R Ar 87/93 -.
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Freilich ist anerkannt, daß sich aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG
ein Rechtsanspruch auf Gewährung einer Vergünstigung ergeben kann, wenn eine
solche aufgrund einer von der Behörde in ständiger Übung angewandten
Verwaltungsvorschrift zu gewähren ist. Die Auslegung von Verwaltungsvorschriften
richtet sich anders als die von Gesetzen nach den für die Auslegung von
Willenserklärungen herrschenden Grundsätzen; es ist daher auf den in der
Verwaltungspraxis zum Ausdruck kommenden tatsächlichen Willen des
Vorschriftengebers abzustellen.
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Vgl. OVG NW, Urteil vom 5. Mai 1992, aaO, 65 m.w.N.
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Um eine solche Verwaltungsvorschrift handelt es sich bei Nr. 3 der vorläufigen
Verwaltungsvorschriften zu § 59 BHO,
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abgedruckt bei Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht (März 1996), Abschnitt V,
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welche das Bundesverwaltungsamt in Fällen der vorliegenden Art seiner Entscheidung
über den Erlaß einer Rückforderung zugrundezulegen pflegt. Nach Nr. 3.4 Vorl.VV zu §
59 BHO ist eine - den Erlaß rechtfertigende - Härte insbesondere anzunehmen, wenn
sich der Anspruchsgegner in einer unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage befindet
und zu besorgen ist, daß die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer
Existenzgefährdung führen würde. Diese Formulierung ("insbesondere") spricht dafür,
daß nicht ausschließlich wirtschaftliche Gründe zur Bejahung einer besonderen Härte
im Sinne von § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BHO führen sollen. Der insoweit offene Wortlaut
läßt vielmehr Raum für die Berücksichtigung anderer atypisch gelagerter
Lebenssachverhalte. Daß eine entsprechende - das Bundesverwaltungsamt bindende -
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Verwaltungspraxis auch den Fall den Klägers erfaßt, ist indes auszuschließen.
Dies gilt zunächst im Hinblick darauf, daß der Kläger nur wenige Tage vor demjenigen
Stichtag eingebürgert worden ist, ab welchem die Einbürgerungsbehörden die
Einbürgerung nicht mehr von einer Rückzahlungsregelung abhängig machen. Insofern
handelt es sich um eine mit einer Stichtagsregelung typischerweise verbundene Härte,
die von einer den Schuldner begünstigenden Verwaltungspraxis des
Bundesverwaltungsamtes zu § 59 BHO gerade nicht erfaßt wird. Daß die mit der
Änderung der Verwaltungspraxis der Einbürgerungsbehörden verbundene
Ungleichbehandlung keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG beinhaltet, hat bereits das
Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts und des Senates zutreffend dargelegt. Dem ist auch der
Kläger zweitinstanzlich nicht mehr entgegengetreten.
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Soweit er hingegen im Zusammenhang mit dem Ferngespräch vom 5. Januar 1990 die
Verletzung der Beratungs- bzw. Auskunftspflicht geltend macht, kann er sich auf eine ihn
begünstigende Verwaltungspraxis des Bundesverwaltungsamtes von vornherein nicht
berufen. Denn entweder liegt eine Amtspflichtverletzung nicht vor; dann verbietet es
sich, in Verlauf und Inhalt des Gesprächs einen Umstand zu erblicken, der einen Erlaß
rechtfertigen könnte. Oder es liegt tatsächlich eine schuldhafte Amtspflichtverletzung
vor, die zum Schadensersatz verpflichtet; dann folgt die Befreiung des Klägers von der
streitigen Rückforderung der Beklagten aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB, ohne daß
insoweit Raum für einen nach Haushaltsrecht zu gewährenden Erlaß aus
Billigkeitsgründen ist. Insofern macht es keinen Unterschied, ob man eine
Anspruchsposition des Bürgers unmittelbar aus § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BHO herleitet
oder - wie es der Senat für zutreffend hält - aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit den
Verwaltungsvorschriften und der Verwaltungsübung. In jedem Fall beurteilen sich die
rechtlichen Folgen des vom Kläger im Zusammenhang mit der behaupteten
Pflichtverletzung zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts allein nach
Amtshaftungsrecht, welches im Streitfall zu prüfen den ordentlichen Gerichten
vorbehalten ist.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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