Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.10.2001

OVG NRW: form, 1919, darlehen, sozialstaatsprinzip, sozialleistung, behandlung, wechsel, vorsorge, anpassung, unrichtigkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 3535/99
Datum:
23.10.2001
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 A 3535/99
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 22 K 6526/97
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Zulassungsverfahrens.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten
Zulassungsgründe nicht greifen. Der Senat vermag aus dem innerhalb der Frist des §
124a Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolgten Zulassungsvortrag weder auf ernstliche Zweifel an
der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch
auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu
schließen.
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Soweit sich der Kläger über die bloße - teilweise wiederholende - Aufstellung von
Thesen hinaus in der erforderlichen Weise mit den entscheidungserheblichen
Argumenten des Verwaltungsgerichts und den hier maßgeblichen Gründen der von
diesem angezogenen Entscheidung des Senats, des Bundesverwaltungsgerichts und
des Bundesverfassungsgerichts konkret auseinandersetzt sowie im Einzelnen
substantiiert ausführt, welche Erwägungen er für unzutreffend hält, aus welchen
Gesichtspunkten sich die Unrichtigkeit dieser Erwägungen ergibt und warum dies im
konkreten Falle entscheidungserheblich ist, vermögen seine Ausführungen die dem
angegriffenen Urteil zu Grunde liegende Gedankenführung nicht ausreichend zu
erschüttern.
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Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass sich die Ausführungen
des Bundesverwaltungsgerichts, dass die durch das 18. BAföG-Änderungsgesetz
bewirkte übergangslose Umstellung der Ausbildungsförderung auf ein verzinsliches
Bankdarlehen verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung für den
Fall eines vor Inkrafttreten des Gesetzes vollzogenen Fachrichtungswechsels nicht zu
beanstanden ist,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2000 - 5 C 24.99 -, BVerwGE 111, 101 = NVwZ 2000,
927 = DVBl 2000, 1688 = FamRZ 2001, 948 mit Hinweis auf Beschluss vom 15. Juni
1998 - 5 B 116.97 -, FamRZ 1998, 1207 = ZfS 1998, 312 = FEVS 49, 1 = NWVBl 1999,
17 = Buchholz 436.36 § 17 BAföG Nr. 18,
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auch auf die Fallgruppe des § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG F. 1996 iVm § 15 Abs. 3 Nr.
1 BAföG übertragen lassen. Soweit der - eine Verzögerung der Ausbildung bewirkende -
schwerwiegende Grund der Erkrankung einen in der Vergangenheit abgeschlossenen
Vorgang darstellt, verhält es sich nicht anders als bei einem "wichtigen Grund" im Sinne
von § 7 Abs. 3 BAföG, aus dem eine frühere Ausbildung abgebrochen bzw. die
Fachrichtung gewechselt worden ist. Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die
verfassungsrechtliche Beurteilung ist unter Rückwirkungsgesichtspunkten der noch
nicht abgeschlossene Vorgang des Studiums und seiner Finanzierung, nicht dagegen
der in der Ausbildung als Gesamtvorgang eingebettete Teilvorgang der
krankheitsbedingten Ausbildungsverzögerung, so dass der Gesetzgeber aus sachlichen
Gründen und ohne Verstoß gegen rechtstaatliche Vertrauensschutzgebote während des
laufenden Studiums dessen Förderungsbedingungen ändern konnte. Als ausreichender
sachlicher Grund ist insoweit die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers
anzusehen, für alle Ausbildungszeiten an Ausbildungsstätten des Tertiärbereichs
jenseits der notwendigen Zeit (Förderungshöchstdauer) für eine Erstausbildung
Förderungsbeträge grundsätzlich in Form von Bankdarlehen nach § 18c BAföG zu
erbringen und für dieses Mehr an Ausbildungsförderung eine Förderungsart mit höherer
Eigenbeteiligung vorzusehen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 1998 - 5 B 116.97 -, aaO. unter Bezugnahme auf
OVG NRW, Urteil vom 28. August 1997 - 16 A 1919/97 -, FamRZ 1997, 1400, jeweils
zur Fallgruppe des § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG.
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Insoweit greift die Erwägung Platz, dass es dem Gesetzgeber angesichts begrenzter
Haushaltsmittel frei steht, durch eine Änderung des Einsatzes der Mittel finanziellen
Spielraum zu schaffen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 1998 - 5 B 116.97 -, aaO. mit Hinweis auf BVerfG,
Beschluss vom 14. Oktober 1997 - 1 BvL 5/93 -, BVerfGE 96, 330 = NJW 1998, 973 =
FamRZ 1998, 413.
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Ob der Gesetzgeber die Situation in jeder Hinsicht zutreffend eingeschätzt und die
einzelnen Maßnahmen ausgewogen vorgenommen hat, entzieht sich dabei der
richterlicher Nachprüfung.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 1998 - 5 B 116.97 -, aaO. mit Hinweis auf BVerfG,
Beschluss vom 14. Oktober 1997 - 1 BvL 5/93 -, aaO.
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Mit dem Beklagten vermag der Senat auch nicht daraus verfassungsrechtlich relevante
Schlüsse zu ziehen, dass der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 6 des 20. BAföG-
Änderungsgesetzes vom 7. Mai 1999 (BGBl. I S. 850) u.a. auch die Fälle des § 15 Abs.
3 Nr. 1 BAföG wieder aus der Förderung (nur noch) durch verzinsliches Bankdarlehen
herausgenommen hat. Den Motiven des Gesetzgebers
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- vgl. BT-Drucks. 14/371 - Entwurf eines 20. Gesetzes zur Änderung des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes (20. BAföG-ÄndG) A. Zielsetzung Nr. 2 S. 1;
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Begründung A. Allgemeiner Teil Nr. 5 S. 9; zu Art. 1 zu Nr. 6 (§ 17) S. 14 -
sind lediglich bildungspolitische Erwägungen zu entnehmen nicht aber, dass
Einsparungen für die hier betroffene Fallgruppe gar nicht beabsichtigt oder von
vornherein nicht erzielbar waren.
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Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist auch nicht zu beanstanden, wenn
der Gesetzgeber hier mit dem "schwerwiegenden Grund" - wie etwa einer Erkrankung -
an einen Umstand anknüpft, der von dem Auszubildenden regelmäßig nicht willentlich
beeinflusst werden kann; im Gegenteil fehlt es insoweit gerade - anders als bei der
Fallgruppe der Gremientätigkeit nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG F. 1996 i.V.m. § 15
Abs. 3 Nr. 3 BAföG
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- vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 6. April 2000 - 1 BvL 18/99 und 1 BvL 19/99 -, NVwZ
2000, 910 = FamRZ 2000, 947 -
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oder bei der Fallgruppe der vor Inkrafttreten des 18. BAföG-ÄndG absolvierten
Auslandsausbildungen
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- vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. September 2001 - 16 A 4702/99 -
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an einem bewussten "Ins-Werk-Setzen" eventuell schützenswerten Vertrauens. Auch
wenn unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips ein anderer Ansatz möglich
wäre, ist es dem Gesetzgeber vor diesem Hintergrund nicht verwehrt gewesen, für die
nur noch eingeschränkte Förderung nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG im Wege des
verzinslichen Bankdarlehens im Ansatz ausschließlich auf einen objektiven Umstand,
nämlich die seinerzeit nicht oder nicht voll genutzte Inanspruchnahme eines
Studienplatzes für die betreffende Ausbildungsphase abzustellen. Dem betroffenen
Studierenden bleibt dennoch auf alle Fälle eine Ausbildungsförderung erhalten, die eine
Beendigung des Studiums ohne Verringerung des monatlich verfügbaren Geldbetrages
ermöglicht. Dies rechtfertigt es auch, wenn sich der Auszubildende anlässlich seiner
Erkrankung wegen der seinerzeit noch anderen Rechtslage nicht bewusst auf eine
eventuelle Änderung der Förderungsart einstellen konnte. Denn weder Art. 12 Abs. 1
GG noch dem in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten
Sozialstaatsprinzip lässt sich ein Rechtsanspruch auf Förderung einer
förderungsfähigen Ausbildung in Form verlorener Zuschüsse und zinsloser Darlehen
entnehmen. Der Sozialstaatsgrundsatz verpflichtet den Staat lediglich, die
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen.
Jenseits dieser Grundpflicht zur sozialstaatlichen Sicherung der Menschenwürde, die
durch die Förderung einer Ausbildung in der durch einen schwerwiegenden Grund
verursachten Verlängerungszeit in Form eines verzinslichen Bankdarlehens ersichtlich
nicht betroffen ist, steht es in der Entscheidung des Gesetzgebers, in welchem Umfang
soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger
Staatsaufgaben gewährt werden kann und soll; dabei steht ihm ein weiter
Gestaltungsspielraum zu.
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So zur Fallgruppe "Fachrichtungswechsel": OVG NRW, Urteil vom 28. August 1997 - 16
A 1919/97 -, aaO. mit Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1990 - 5 B
104.89 -, Buchholz 436.36 § 17 BAföG Nr. 13.
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Die Umstellung auf eine Förderung durch Bankdarlehen stellt insoweit nicht schon eine
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Preisgabe der Studienförderung als einer Sozialleistung dar.
So zur Fallgruppe "Fachrichtungswechsel": BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 1998 - 5 B
116.97 -, aaO.
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Auch dem als Programmvorschrift konzipierten § 1 SGB I, mit dem der Gesetzgeber das
Sozialstaatsprinzip konkretisierende übergreifende Aufgaben- und Zielvorstellungen für
die vom Sozialgesetzbuch erfassten Sozialleistungen vorgibt, ist angesichts des weiten
Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und der durch § 11 SGB I offen gehaltenen
Möglichkeit der Erbringung von Geldleistungen auch durch einen staatlicherseits
beauftragten Dritten nicht hinreichend erkennbar zu entnehmen, dass sich
Ausbildungsförderung in Form eines verzinslichen Bankdarlehens nicht mehr als eine
dem Staat zurechenbare Sozialleistung verstehen lässt.
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Vor dem Hintergrund der vom Verwaltungsgericht angezogenen Rechtsprechung des
Senats (Urteil vom 28. August 1997 - 16 A 1919/97 -, aaO.) rechtfertigt der Vortrag des
Klägers auch nicht die Annahme, durch die für das verzinsliche Bankdarlehen
geltenden Rückzahlungsregeln - namentlich die im Verhältnis zum staatlichen Darlehen
eingeschränkten Möglichkeiten der Stundung oder des Erlasses bzw. der Anpassung an
die Einkommens- und Familienverhältnisse - würde jedenfalls bereits in rechtsrelevanter
Weise über das Sozialverträgliche hinausgegangen und keine ausreichende Vorsorge
zumindest für solche Härten getroffen, die im Rahmen staatlicher Daseinsvorsorge vom
Normadressaten nicht mehr hinzunehmen seien. Allenfalls bei Erreichen dieser Grenze,
wozu auch bei wohlwollender Beurteilung eine hier lediglich einsemestrige Förderung
durch verzinsliches Bankdarlehen als solche sicherlich nicht ausreicht, sähe der Senat
aber die Anwendung der in der Rechtsprechung über den Wechsel zwischen
verschiedenen Arten der staatlichen Hilfeleistung entwickelten Grundsätze, wie sie auch
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 1997 - 1 BvL 5/93 -,
aaO., zu entnehmen sind, ernsthaft zur Diskussion gestellt.
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Auch eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich dem
Zulassungsvortrag nicht entnehmen. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, eine
privilegierte Behandlung derjenigen, die nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG wegen einer
Schwangerschaft über die Förderungshöchstdauer hinaus gefördert werden, finde eine
Rechtfertigung in der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zum Schutz und
zur Förderung von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG, ist der Kläger schon nicht
hinreichend substantiiert entgegengetreten.
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Untauglich sind die Angriffe des Klägers gegen die Argumentation, mit der das
Verwaltungsgericht die unterschiedliche Behandlung der Fallgruppe des § 17 Abs. 3
Satz 1 Nr. 3 BAföG F. 1996 iVm § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG im Verhältnis zu der des § 17
Abs. 3 Satz 2 iVm § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG rechtfertigt. Es ist sehr wohl
sachgerecht und deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber dem
Gesichtspunkt, über welche Ausbildungsdauer den Auszubildenden eventuell die
speziellen Belastungen durch ein Bankdarlehen treffen, größere Bedeutung
beigemessen hat als dem zu erzielenden Effekt der Einsparung von öffentlichen Mitteln.
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Kein Moment der sachwidrigen Ungleichbehandlung liegt schließlich darin, dass der
Gesetzgeber im 20. BAföG- Änderungsgesetz für die hier betroffene Fallgruppe wieder
zu dem alten Rechtszustand vor dem 18. BAföG-Änderungsgesetz zurückgekehrt ist.
Dem Gesetzgeber steht es frei, seine Zielsetzung auch kurzfristig unter Wahrung des
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verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes im übrigen zu ändern.
Eine Zulassung der Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache erfolgen. Eine Rechtssache hat im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Rechtsmittelverfahren
klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Frage des
materiellen oder formellen Rechts aufwirft, die über ihre Bedeutung für den konkreten
Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung oder
die Weiterentwicklung des Rechts hat.
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Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 1997 - 11 B 1136/97 -, NVwZ 1998, 306
m.w.N.
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Für eine ausreichende Darlegung im Sinne von § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO fehlt es
jedoch bereits an der Herausarbeitung von klärungsbedürftigen Rechtsfragen. Der
Kläger hat zwar zahlreiche rechtliche Bedenken aufgezeigt, sie aber nicht in
hinreichend konkrete und substantiierte Rechtsfragen gekleidet. Vor dem Hintergrund,
dass es sich bei der Problematik des vorliegenden Falles wegen der erneuten
Rechtsänderung durch das 20. BAföG-Änderungsgesetz um ausgelaufenes Recht
handelt, führt der Zulassungsvortrag auch nicht in genügender Weise aus, inwieweit
dennoch im allgemeinen Interesse noch eine Klärungsbedürftigkeit gegeben ist.
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Vgl. die ständige Rechtsprechung des BVerwG zur entsprechenden
Zulassungsregelung für die Revision, etwa Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B
35.95 -, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziffer 1 VwGO Nr. 9 m.w.N.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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