Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2009
OVG NRW (anspruch auf rechtliches gehör, persönliche anhörung, rechtliches gehör, verwaltungsgericht, erheblicher grund, gespräch, termin, verhandlung, zeitpunkt, deutsch)
Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 770/08
Datum:
30.10.2009
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 770/08
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 11 K 1696/07
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro
festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des
erstinstanzlichen Urteils i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Es vermag die Annahme des
Verwaltungsgerichts, der Aufnahmeantrag der Klägerin vom 27. November 2006 könne
nur unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG Erfolg haben, die im Fall der Klägerin
aber nicht gegeben seien, nicht zu erschüttern.
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Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe außer Acht gelassen, dass hier ein
selbständiger, neuer Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheids gestellt worden sei,
greift nicht durch. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin könne den von
ihr geltend gemachten Anspruch nur im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens
verfolgen, entspricht der – den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus einer Vielzahl
von gleichartigen Verfahren bekannten – Rechtsprechung der beiden für das
Vertriebenenrecht zuständigen Senate des beschließenden Gerichts.
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Vgl. etwa: OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Juni 1999 – 2 A 4289/97 –, vom
23. Oktober 2006 – 2 A 3201/05 –, vom 14. November 2006 – 12 A 2833/06
–, vom 26. Juni 2007 – 2 A 1280/06 –, vom 5. Juli 2007 – 2 A 1794/06 –,
vom 31. August 2007 – 2 A 2177/05 –, vom 28. Januar 2008 – 2 A 2413/06
–, m.w.N., vom 30. Mai 2008 – 2 A 563/07 –, vom 5. Juni 2008 – 2 A 2112/06
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– und vom 22. September 2008 – 12 A 2008/07 –.
Etwas anderes ergibt sich insofern auch nicht unter Berücksichtigung des Vortrags der
Klägerin, die Rechtslage habe sich zu ihren Gunsten nach der Entscheidung über ihren
Aufnahmeantrag im Jahr 1998 geändert. Denn eine nachträgliche Änderung der
Rechtslage zugunsten des Betroffenen stellt einen Wiederaufgreifensgrund i. S. v. § 51
Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dieser Wiederaufgreifensgrund sei nicht
gegeben, weil nicht ersichtlich sei, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt ein
einfaches Gespräch auf Deutsch habe führen können, wird durch das
Zulassungsvorbringen nicht in Zweifel gezogen. Dass die Sprachkenntnisse der
Klägerin, wie in der Zulassungsbegründung ausgeführt wird, bereits im Zeitpunkt der
Entscheidung über ihren am 24. August 1994 gestellten Aufnahmeantrag vorhanden
waren, ist auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin in Bezug genommenen
Klagebegründung vom 16. Oktober 2007 nicht hinreichend dargelegt. Die pauschale
Behauptung, die Klägerin sei – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – in
der Lage gewesen, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, genügt dem
Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht. Es fehlt an einer
Auseinandersetzung mit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Auswertung des
Sprachtestprotokolls.
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Der Vortrag, es sei damals geprüft worden, ob sie in der Lage sei, ein fließendes
Gespräch in der deutschen Sprache zu führen, kann auch die damit sinngemäß geltend
gemachte Unverwertbarkeit des Sprachtestprotokolls nicht begründen. Selbst wenn sich
der rechtliche Maßstab für die Bewertung der Sprachkenntnisse ändert, entfällt dadurch
nicht die grundsätzliche Eignung der Feststellungen des Sprachtests als
Bewertungsgrundlage. Diese Annahme entspricht auch der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sowie des beschließenden Gerichts,
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vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. September 2007
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– 5 B 6/07 –;
1277/06 –, vom 31. Mai 2007
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– 2 A 4570/06 –, vom 15. September 2006 – 12 A 1868/05 – und vom 23.
Oktober 2006 – 12 E 868/06 –,
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die ihren Entscheidungen nach "neuer" Rechtslage regelmäßig Bewertungen aus unter
der "alten" Rechtslage zustande gekommenen Sprachtests zugrunde legen, soweit
diese hierfür geeignet sind. Das Verwaltungsgericht war aus diesem Grund nicht
gehindert, bei seiner Entscheidung die Protokollierung des Sprachtests der Klägerin
heranzuziehen. Eine Ungeeignetheit dieses Protokolls legt die Klägerin nicht dar.
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Die Zulassungsbegründung zeigt auch nicht auf, dass die Rechtssache besondere
tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist.
Mit der pauschalen Behauptung, die tatsächliche Feststellung der Sprachkenntnisse der
Klägerin sei noch nicht erfolgt, sind besondere tatsächliche Schwierigkeiten der
Rechtssache ebenso wenig dargelegt wie mit dem Vortrag zu einer fehlenden
Aussagekraft des von der Klägerin selbst vorgelegten Ergebnisses ihres am 30. Juni
2007 absolvierten Sprachtests beim H. -J. in N. . Besondere rechtliche
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Schwierigkeiten der Rechtssache werden lediglich erwogen, aber nicht begründet.
Die Rechtssache hat zudem keine grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO. Die von der Klägerin als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage, "ob
aufgrund der neuen Rechtslage aufgrund der Gesetzesänderung vom September 2001
ein Wiederaufgreifen möglich ist", stellt sich in dieser Abstraktheit im vorliegenden
Verfahren, in dem das Verwaltungsgericht aufgrund des individuellen deutschen
Sprachvermögens der Klägerin eine Änderung der Rechtslage zu ihren Gunsten
verneint hat, nicht. Die weiteren Ausführungen dazu, dass die Klägerin im Zeitpunkt der
Durchführung des Sprachtests zu einem einfachen Gespräch auf Deutsch in der Lage
gewesen sei, begründen eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der Rechtssache gerade nicht. Das Vorbringen im Schriftsatz vom 13. Juni
2008 zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache kann wegen Versäumung
der am 1. April 2008 abgelaufenen Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO
nicht berücksichtigt werden.
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Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers i. S. v. § 124 Abs.
2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.
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Die im Hinblick darauf, dass die Klägerin im Termin der mündlichen Verhandlung –
nach ihren Angaben wegen einer (im Rahmen einer telefonischen Anfrage ohne
förmliche Antragstellung der Klägerin) erfolgten Verweigerung der Erteilung eines
Visums durch die Deutsche Botschaft in N. – nicht anwesend war, erhobene Rüge
der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) greift nicht durch. Das
Verwaltungsgericht hat den mit der Begründung, die Klägerin könne nicht zum Termin
erscheinen, sinngemäß gestellten Antrag auf Verlegung des Termins im Schreiben ihrer
Prozessbevollmächtigten vom 7. Januar 2008 zu Recht abgelehnt. Gemäß § 173 VwGO
i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben
oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Wird eine Partei – wie hier – durch
einen Rechtsanwalt vertreten, so ist ihre Anwesenheit im Termin zur mündlichen
Verhandlung grundsätzlich nicht erforderlich, weil ihre Rechte in dem erforderlichen
Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können; das
bloße Anwesenheitsinteresse eines Klägers ist durch seinen Anspruch auf rechtliches
Gehör nicht geschützt.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. August 1998 – 7 B 127.98 –, Juris, m. w. N.
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Abweichendes gilt allerdings dann, wenn die persönliche Anwesenheit des Beteiligten
im Einzelfall notwendig ist. Das ist der Fall, wenn dem Beteiligten nach den Umständen
des Einzelfalles ohne Terminsverlegung die Möglichkeit genommen wird, sich
sachgemäß und erschöpfend zu äußern.
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Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. November 1997 – 1 B 203/07 –, Juris, und
vom 4. Februar 2002 – 1 B 313/01 –, Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 31.
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Dass dies hier der Fall gewesen ist, hat die anwaltlich vertretene Klägerin nicht
hinreichend dargelegt. Die Zulassungsbegründung enthält keinen substantiierten
Vortrag dazu, dass und aus welchen Gründen sie über bessere als die bei dem Test
gezeigten Deutschkenntnisse verfügt haben sollte, so dass ihre persönliche Anhörung
dazu in der mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen sein könnte. Sie hat lediglich
pauschal behauptet, dass sie im Zeitpunkt der Durchführung des Sprachtests in der
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Lage gewesen sei, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Dafür, dass für einen
Beweisantritt durch Stellung eines Beweisantrags die persönliche Anwesenheit der
Klägerin erforderlich gewesen wäre, wie in der Zulassungsbegründung geltend gemacht
wird, ist nichts ersichtlich. Dass es – worauf in der Zulassungsbegründung hingewiesen
wird – nicht um die Überprüfung der deutschen Sprachkenntnisse der
Prozessbevollmächtigten ging, hätte diese nicht an der Stellung eines Beweisantrags
(sowie eventuell eines Vertagungsantrags zwecks Anhörung der Klägerin nach ihrer
Einreise) gehindert. Außerdem ist schon nicht in einer den Anforderungen des § 173
VwGO i. V. m. § 227 ZPO genügenden Weise ein erheblicher Grund für die
Terminsverlegung dargelegt worden. Insbesondere ist dem Verwaltungsgericht nicht
mitgeteilt worden, dass die Klägerin ohne ihr Verschulden am Erscheinen im Termin
gehindert gewesen sein könnte.
Der Vortrag, die Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung habe mangels
Visumsausstellung nicht erfolgen können, begründet auch keine sinngemäß geltend
gemachten Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO). Eine
Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO liegt nur vor, wenn sich dem
Verwaltungsgericht nach dem seinerzeitigen Verfahrensstand eine weitere
Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 1998 – 8 B 253.97 –, Buchholz
401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 14; VGH Mannheim, Beschluss vom 25.
Februar 1997 – 5 S 352/97 –, NVwZ 1998, 865; OVG NRW, Beschluss vom
29. Januar 2008 – 12 A 2942/07 –, m. w. N.
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Davon kann aber mit Blick auf das verwertbare Sprachtestprotokoll und darauf, dass es
nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts mangels vorliegender Wie-
deraufgreifensgründe auf die gegenwärtigen Deutschkenntnisse der Klägerin letztlich
nicht ankam, nicht ausgegangen werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und – hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung – nach §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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