Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19.07.2006
OVG NRW: unbestimmter rechtsbegriff, stadt, bezirk, erlass, anfechtungsklage, sport, ausstattung, entscheidungszuständigkeit, beurteilungsspielraum, anknüpfung
Oberverwaltungsgericht NRW, 15 B 1214/06
Datum:
19.07.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 B 1214/06
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Arnsberg, 12 L 494/06
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5000, -- Euro
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Antrag der Antragstellerin,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu
verpflichten, die sofortige Schließung des L. bis zu rechtskräftigen Entscheidung in dem
Hauptsacheverfahren 12 K 870/06 auszusetzen,
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hilfsweise,
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den Antragsgegner zu verpflichten, den Oberbürgermeister als
Aufsichtsratsvorsitzenden anzuweisen, dafür zu sorgen, dass die I. GmbH bis zur
rechtskräftigen Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren 12 K 870/06 keine baulichen
oder sonstigen Maßnahmen an dem L. vornehmen lässt,
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ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zulässig,
aber nicht begründet.
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Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3
VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Im Hinblick auf die Funktion der einstweiligen
Anordnung, durch vorläufige Regelungen zu gewährleisten, dass effektiver
Rechtsschutz nicht durch zwischenzeitliche Entwicklungen vereitelt wird, sondern auch
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durch eine später ergehende Hauptsacheentscheidung noch sichergestellt werden
kann, handelt es sich bei dem Anordnungsanspruch nicht um den Anspruch auf Erlass
der einstweiligen Anordnung selbst, sondern um den materiellen Anspruch, den der
Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend macht.
Vgl. Puttler, in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 77.
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Die von der Klägerin im Hauptsacheverfahren verfolgten Ansprüche bestehen nicht, so
dass auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist.
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Für den im Klageverfahren mit dem Hauptantrag geltend gemachten Anspruch,
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den Beschluss des Rates der Stadt I. vom 02.03.2006 hinsichtlich der Ziffer 4 -
Schließung und Verwertung des L. - aufzuheben und den Rat der Stadt I. anzuweisen,
erneut im Sinne des Beschlusses der Bezirksvertretung vom 08.02.2006 zu
entscheiden,
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ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Mit dem genannten Beschluss vom
08.02.2006 hat die Antragstellerin das Bäderkonzept 2006 der Stadt I. abgelehnt und
nähere Vorgaben für die Beschlussfassung des Antragsgegners gemacht. Insbesondere
hat sie den Umbau des L1. -Schwimmbades in I. -I1. zu einem Ganzjahresbad, den
Erhalt der Freibäder I2. und I3. sowie die Berücksichtigung der Arbeit einer neu
einzurichtenden Bäderkommission bei der Standortfestlegung für die Bäder in I4.
gefordert. Ein Anspruch darauf, dass der Antragsgegner in diesem Sinne entscheidet,
steht der Antragstellerin nicht zu. Er folgt insbesondere nicht aus § 37 Abs. 5 Satz 1 GO,
wonach die Bezirksvertretung zu allen wichtigen Angelegenheiten, die den Stadtbezirk
berühren, zu hören ist. Es liegt auf der Hand, dass mit diesem Anhörungsrecht nicht der
Anspruch verbunden werden kann, dass der Gemeinderat einer im Rahmen der
Anhörung abgegebenen Stellungnahme der Bezirksvertretung inhaltlich folgt.
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Geht man davon aus, in dem oben genannten Klageantrag sei - als Minus - das im
ersten Halbsatz formulierte Aufhebungsbegehren enthalten, so bestünde der geltend
gemachte Anspruch auf Aufhebung des Ratsbeschlusses nicht. Nach der
Verwaltungsgerichtsordnung kommt kassatorische Wirkung allein dem Urteil zu (vgl. §
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) , das auf eine erfolgreiche Anfechtungsklage gemäß § 42
VwGO ergeht. Die hier erhobene Klage ist aber keine Anfechtungsklage, denn der
Ratsbeschluss ist kein Verwaltungsakt i.S.v. §§ 42, 113 VwGO.
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Der mit dem hilfsweise gestellten Klageantrag,
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den Oberbürgermeister gemäß § 119 GO anzuweisen, den Schließungs- und
Verwertungsbeschluss des Antragsgegners vom 02.03.2006 in bezug auf das L. zu
beanstanden,
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verfolgte Anspruch besteht ebenfalls nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob der
Ratsbeschluss rechtmäßig oder - wie die Antragstellerin meint - rechtswidrig ist. Sollte
der Ratsbeschluss rechtswidrig sein, so hätte der Bürgermeister zwar nach § 54 Abs. 2
VwGO die Pflicht, den Ratsbeschluss zu beanstanden. Dritte, also insbesondere Bürger,
aber auch Bezirksvertretungen, haben aber keine Klagebefugnis für eine Klage auf
Einschreiten des Bürgermeisters oder der Aufsichtsbehörde.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 - m.w.N.
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Zur Vermeidung unnötiger weiter Verfahren bzw. Klageänderungen im Klageverfahren
12 K 870/06 weist der Senat im Hinblick auf die von den Beteiligten vertretenen
Rechtspositionen auf Folgendes hin:
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Der strittige Ratsbeschluss vom 02.03.2006 verletzt die Antragstellerin nicht in
Entscheidungszuständigkeiten der Bezirksvertretung nach § 37 Abs. 1 GO oder - wie die
Antragstellerin meint - § 10 Abs. 2 lit. b der Hauptsatzung der Stadt I. vom 12. Mai 2000
(HS). Ebenso wenig ist derzeit erkennbar, dass die Klägerin in ihrem Anhörungsrecht
gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 GO verletzt wäre. Von daher kann offen bleiben, ob aus
derartigen Rechtsverletzungen ein Anordnungsanspruch abgeleitet werden könnte.
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Gemäß § 37 Abs. 1 GO entscheiden die Bezirksvertretungen unter Beachtung der
Belange der gesamten Stadt und im Rahmen der vom Rat erlassenen allgemeinen
Richtlinien in allen Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht wesentlich über den
Stadtbezirk hinausgeht, insbesondere in den in § 37 Abs. 1 GO enumerativ aufgeführten
Angelegenheiten. Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 GO sind die näheren Einzelheiten in der
Hauptsatzung zu regeln, auf die folglich der Blick zunächst zu lenken ist. Insoweit
bestimmt § 10 Abs. 2 lit. b HS, dass die Bezirksvertretungen zuständig sind
insbesondere für die Ausbauplanung zum Neu-, Um- und Ausbau sowie Unterhaltung
und Ausstattung der öffentlichen Einrichtungen. § 10 Abs. 2 lit. b HS betrifft damit gerade
nicht die Entscheidung über die Errichtung bzw. Aufhebung öffentlicher Einrichtungen,
die durch den Ratsbeschluss vom 2. März 2006 getroffen worden ist. Ebenso wenig
ergibt sich die Zuständigkeit der Antragstellerin aus § 10 Abs. 1 Satz 1 HS. Nach dieser
inhaltlich mit § 37 Abs. 1 Satz GO übereinstimmenden Regelung entscheiden die
Bezirksvertretungen in allen Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht wesentlich über
den Stadtbezirk hinausgeht. Eine solche Angelegenheit liegt hier nicht vor, denn der
Ratsbeschluss vom 2. März 2006 hat bezirksübergreifende, gesamtstädtische
Bedeutung. Schließlich betrifft der vorliegende Fall auch keine der in § 37 Abs. 1 Satz 1
GO enumerativ aufgeführten Angelegenheiten, die in die Entscheidungszuständigkeit
der Bezirksvertretung fallen.
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Gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 GO sind die Bezirksvertretungen zu allen wichtigen
Angelegenheiten, die den Stadtbezirk berühren, zu hören. Nach Satz 2 der genannten
Vorschrift ist der Bezirksvertretung insbesondere vor der Beschlussfassung des Rates
über Planungs- und Investitionsvorhaben im Bezirk und über Bebauungspläne für den
Bezirk Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Wichtigkeit einer Angelegenheit
ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der rechtsanwendenden Gemeinde keinen
Beurteilungsspielraum eröffnet, sondern umfassender gerichtlicher Nachprüfung
unterliegt.
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Vgl. Rehn/Cronauge, GO NRW, § 37 Anm. 2.
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In § 10 Abs. 5 lit. a bis v HS werden die § 37 Abs. 5 GO unterfallenden Angelegenheiten
konkretisiert. Im vorliegenden Zusammenhang ist § 10 Abs. 5 lit. l von Bedeutung,
wonach zu den vorgenannten Angelegenheiten insbesondere die Planung, Errichtung,
wesentliche Änderung und Aufhebung (einschließlich Raumprogramm) von öffentlichen
Einrichtungen zählt. Dementsprechend ist die Antragstellerin - dies ist zwischen den
Beteiligten unstreitig - rechtzeitig über die Möglichkeit der Aufhebung einer öffentlichen
Einrichtung, nämlich der Schließung des L. in I. -I4. , informiert worden. Hinsichtlich des
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Zeitpunkts der Schließung heißt es in der Beschlussvorlage vom 5. Januar 2006, zu der
die Antragstellerin angehört worden ist: "Die Anlagen, die nicht in einem zukünftigen
Bäderkonzept vorgesehen sind, sind nach (Hervorhebung durch den Senat)
Fertigstellung des zentralen Sport- und Freizeitbades am Standort J. zu schließen und
einer Nachnutzung zuzuführen." In dem Ratsbeschluss vom 2. März 2006 ist - auf einen
von der Beschlussvorlage vom 5. Januar 2006 abweichenden Beschlussvorschlag der
Fraktionen von CDU und SPD - entschieden worden, dass das L. ab sofort
(Hervorhebung durch den Senat) nicht mehr betrieben wird. Der im Ratsbeschluss vom
2. März 2006 verfügte Schließungszeitpunkt weicht damit von dem in der
Beschlussvorlage vom 5. Januar 2006 angedachten Schließungszeitpunkt ab, weil das
zentrale Sport- und Freizeitbad am Standort J. am 2. März 2006 noch nicht fertiggestellt
war. Nach derzeitigem Erkenntnisstand stand der Antragstellerin jedoch kein Anspruch
zu, vor der Beschlussfassung des Rates am 2. März 2006 über den Beschlussvorschlag
der Fraktionen von CDU und SPD und damit über die Möglichkeit der sofortigen
Betriebseinstellung des L. informiert zu werden. § 10 Abs. 5 lit. l HS ist nicht zu
entnehmen, dass die Bezirksvertretung auch über den genauen Zeitpunkt der
Aufhebung einer öffentlichen Einrichtung zu informieren wäre. Zur Beantwortung dieser
Frage ist auf die Generalklausel in § 37 Abs. 5 Satz 1 GO zurückzugreifen. Die in dieser
Norm geregelte Anknüpfung des Anhörungsrechts an die Wichtigkeit der Angelegenheit
trägt der Vielgestaltigkeit der denkbaren Lebenssachverhalte Rechnung, deren
Einordnung in das Raster etwa von Regelbeispielen nur in begrenztem Maße möglich
ist. Dementsprechend lässt sich die Frage, ob neben dem "Ob" der Aufhebung einer
öffentlichen Einrichtung auch das "Wann" eine wichtige, das Anhörungsrecht
auslösende Angelegenheit darstellt, nur unter Berücksichtigung der besonderen
Umstände des jeweiligen Einzelfalles, insbesondere der Verhältnisse im Bezirk,
beantworten. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren kommt insoweit den Darlegungen
der Antragstellerin besondere Bedeutung zu. Diesen ist nicht zu entnehmen, dass auch
dem Schließungszeitpunkt ein Gewicht zukam, das ihm den Charakter einer wichtigen,
eine vorherige Information der Bezirksvertretung erfordernden Angelegenheit verlieh.
Denn der im Beschwerdeverfahren angeführte Vortrag, an dem sich die Antragstellerin
durch den von ihr gerügten Anhörungsmangel gehindert sieht, bezieht sich gar nicht auf
die Frage des Schließungszeitpunkts des L. , sondern richtet sich gegen dessen
Schließung als solche. So heißt es in der Beschwerdebegründung, hätte die
Bezirksvertretung von der sofortigen Schließung des L. "rechtzeitig Kenntnis gehabt,
wäre sie sicherlich mit ihren Argumenten gegen die Schließung des L. beim Rat
vorstellig geworden". Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin bereits
auf Grund der ihr rechtzeitig zugeleiteten Beschlussvorlage vom 5. Januar 2006 damit
rechnen musste, dass der Antragsgegner in seiner Sitzung vom 2. März 2006 eine
verbindliche Entscheidung über die - wenn auch erst zu einem späteren Zeitpunkt
vorzunehmende - Schließung des L. treffen würde. Wie bereits das Verwaltungsgericht
in der Begründung des angegriffenen Beschlusses ausgeführt hat, oblag es deshalb der
Antragstellerin, sämtliche aus ihrer Sicht gegebenen Argumente gegen die Schließung
des L. bereits vor der Sitzung vom 2. März 2006 geltend zu machen. Sollten dem
zeitliche Gründe entgegengestanden haben, so wäre es Sache der Antragstellerin
gewesen, gegebenenfalls eine Verschiebung der Ratssitzung anzuregen.
Der am 17. September 2006 stattfindende Bürgerentscheid zum Bäderkonzept der Stadt
I. führt nicht zu einer Verbesserung der Rechtsposition der Antragstellerin im
vorliegenden Verfahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats besteht weder für
den Rat noch für andere Organe oder Behörden eine "Entscheidungssperre", wen
parallel ein denselben Sachverhalt betreffendes Verfahren zur Herbeiführung eines
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Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids betrieben wird.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2004
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- 15 B 522/04 -, NWVBl. 2004, 346 m.w.N.
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Dies gilt auch dann, wen der Termin für den Bürgerentscheid bereits bestimmt worden
ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf § 47 Abs. 1 i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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