Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.07.2004
OVG NRW (uvg, verwaltungsgericht, zugang, stadt, zweifel, postfach, unterhaltsleistung, kenntnisnahme, leistung, richtigkeit)
Oberverwaltungsgericht NRW, 16 A 646/02
Datum:
22.07.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
16. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 A 646/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 21 K 576/00
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Zulassungsverfahrens.
Gründe:
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Der auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der
Richtigkeit des angefochtenen Urteils) gestützte Zulassungsantrag des Beklagten bleibt
ohne Erfolg.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht zu Recht
von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen ist. Das Verwaltungsgericht hat insoweit
ausgeführt, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers könne auf der Grundlage seiner
Schilderungen und der im Termin vorgelegten Handakte geglaubt werden, dass er am
22.September 1999 einen Widerspruchsschriftsatz in das Fach der Beklagten beim
Amtsgericht Mönchengladbach- Rheydt eingelegt habe. Damit gelte der Zugang des
Widerspruchsschreibens bei der Beklagten als - rechtzeitig - bewirkt. Wenn die Beklagte
bei dem Amtsgericht ein solches Postfach einrichten lasse und auf diese Weise
Schriftstücke von Verfahrensbevollmächtigten in ständiger Verwaltungsübung
entgegennehme, müsse sie sich das Einlegen eines Schriftsatzes in dieses Postfach
ebenso als Zugang entgegenhalten lassen, als sei das betreffende Schreiben in den
Hausbriefkasten eingeworfen worden. Daraus folge, dass die Beklagte das Risiko für
den nachträglichen Verlust eines in das Gerichtsfach gelegten Schreibens trage. Mit
dem Einlegen in das Gerichtsfach sei das Widerspruchsschreiben in den
ausschließlichen Machtbereich der Beklagten gelangt. Die damit gegebene Möglichkeit
der Kenntnisnahme genüge für die Widerspruchseinlegung, auf eine tatsächliche
Kenntnisnahme komme es nicht an.
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Dieser Sichtweise ist die Beklagte mit ihrem Zulassungsantrag nicht überzeugend
entgegengetreten. Es fehlt schon an einem eindeutigen, in sich geschlossenen
Sachvortrag. In ihrem Rechtsmittelschriftsatz vom 6. Februar 2002 trägt sie vor, ein
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solches "Gerichtsfach" existiere weder beim Amtsgericht Mönchengladbach noch beim
Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt. Der Schriftverkehr mit der Stadt
Mönchengladbach könne ausschließlich über die angegebenen Verwaltungsgebäude
bzw. über die allgemeine Postanschrift der Stadtverwaltung abgewickelt werden. Das
sei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund seiner Vorkorrespondenz mit
dem Jugendamt der Beklagten und der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen
Bescheides auch bekannt. Demgegenüber wird mit weiterem Schriftsatz vom 12. Juni
2002 "nach entsprechenden Ermittlungen" eingeräumt, dass es unter anderem beim
Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt doch ein Gerichtsfach gebe. Dieses sei aber
ausschließlich für den internen Briefverkehr zwischen den Amtsgerichten und der Stadt
vorgesehen. Es bestehe kein öffentlicher Zugang zu dem Fach und es diene damit
Rechtsanwälten oder anderen Personen außerhalb der Gerichtsbehörde nicht als
Briefkasten. Das sei laut Auskunft der Gerichte erfahrenen Rechtsanwälten wie dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers auch bekannt. Außerdem werde das Fach nur
etwa einmal in der Woche geleert und der Inhalt werde dann als Sammelpost der Stadt
zugeleitet. Schließlich verstieße die vom Kläger behauptete Nutzung gegen
Bestimmungen des Postgesetzes sowie gegen eine Weisung des Präsidenten des
Oberlandesgerichts vom 7. Oktober 1960.
Diese Darlegungen stehen - soweit es überhaupt um das Bestehen eines
Gerichtsfaches beim Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt geht - im Widerspruch zum
vorherigen Vorbringen der Beklagten und lassen darüber hinaus nicht hinreichend
deutlich erkennen, ob das vorhandene Fach gerichtsfremden Personen schon rein
tatsächlich nicht zur Verfügung steht, wofür das Leugnen eines "öffentlichen Zugangs"
spricht, oder ob lediglich von Seiten des Amtsgerichts die tatsächlich mögliche Nutzung
etwa durch Rechtsanwälte nicht gewünscht wird. Vor allem bleibt offen, ob trotz der von
der Beklagten behaupteten gerichtsseitigen Vorbehalte oder Zweckbestimmungen die
vom Prozessbevollmächtigten des Klägers behauptete und auch vom
Verwaltungsgericht angenommene "ständige Verwaltungsübung" bestand, ob also
Rechtsanwälte tatsächlich das Postfach nutzen konnten und die Beklagte anstandslos
solchermaßen übermittelte anwaltliche Schreiben annahm und gegebenenfalls
fristwahrend berücksichtigte. Im Übrigen hätte die vom Beklagten behauptete
wöchentliche Übermittlung der ins Gerichtsfach gelegten Sendungen und eine
eventuelle Kenntnis des Prozessbevollmächtigten des Klägers von dieser Praxis nichts
daran geändert, dass er von einem rechtzeitigen Zugang des Widerspruchsschreibens
bei der Beklagten ausgehen konnte.
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Die Darlegungen der Beklagten rufen auch im Hinblick auf die materielle
Anspruchsberechtigung des Klägers keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des
angefochtenen Urteils hervor. Dass allein der eigenmächtige Zugriff der Kindesmutter
auf das gemeinsame Konto der Eheleute unmittelbar nach deren Trennung nicht im
Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und Abs. 4 UVG als Unterhaltsleistung des Kindesvaters
angesehen werden kann, wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.
Entgegen ihrer Auffassung können aber auch weder das Schreiben des
Prozessbevollmächtigten des Kindesvaters an die Beklagte vom 4. November 1998
noch dessen nachfolgendes Abstandnehmen von der Rückforderung der Hälfte des
abgehobenen Geldes zur Bejahung des Versagungstatbestandes des § 1 Abs. 4 UVG
führen.
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Auch aus dem anwaltlichen Schreiben vom 4. November 1998 kann die Beklagte nichts
für sich herleiten. Zunächst könnte aus einer diesem Schreiben zu entnehmenden
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Leistungsbestimmung als Unterhalt nicht für den gesamten streitbefangenen Zeitraum,
der schon mit dem 1. September 1998 einsetzt, eine "Vorausleistung" iSv § 1 Abs. 4
UVG entnommen werden. Aber auch für die Zeit ab dem 4. November 1998 lässt sich
keine solche Leistungsbestimmung feststellen. Soweit die Beklagte der Auffassung des
Verwaltungsgerichts entgegentritt, die Bestimmung der Leistung als Kindesunterhalt
habe nicht - statt gegenüber dem Unterhaltsgläubiger, also dem Kläger, vertreten durch
seine Mutter - auch gegenüber der Beklagten wirksam erfolgen können, vermag das
nicht zu überzeugen. Es fehlt insbesondere an einer überzeugenden Darlegung, woraus
sich die Befugnis der Beklagten zur rechtswirksamen Entgegennahme derartiger
bürgerlich-rechtlicher Willenserklärungen anstelle des Unterhaltsgläubigers, also des
Klägers bzw. seiner gesetzlichen Vertreterin, hätte ergeben sollen. Eine solche Befugnis
kann insbesondere nicht daraus abgeleitet werden, dass zwischen den getrennten
Eheleuten kein Kontakt mehr bestanden habe; denn sie haben in der fraglichen Zeit
jedenfalls über ihre Anwälte miteinander korrespondiert. Abgesehen davon hält der
Senat auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts für zutreffend, wonach sich der
Erklärung des Kindesvaters vom 4. November 1998 hinreichend eindeutig nur die
Ablehnung einer laufenden Unterhaltsleistung an seinen Sohn entnehmen ließ.
Schließlich kann eine Unterhaltsleistung iSv § 1 Abs. 4 UVG auch nicht darin gesehen
werden, dass der Vater des Klägers, der zunächst auf die Rückzahlung der Hälfte des
von seiner Ehefrau abgehobenen Geldes gedrängt hatte, späterhin keine weiteren
Bemühungen um die Rückerlangung dieses Anteils mehr unternahm. Es fehlt schon an
der zeitlichen Fixierung eines etwaigen Rückzahlungsverzichts; diese wäre aber
erforderlich, um zumindest hinsichtlich eines Teils des streitbefangenen Zeitraums von
einer Vorausleistung iSv § 1 Abs. 4 UVG sprechen zu können. Außerdem fehlt es an
Anhaltspunkten dafür, dass der Vater des Klägers den etwaigen
Rückerstattungsverzicht als Kindesunterhaltsleistung verstanden wissen wollte. Denn
es kommen auch andere Zweckbestimmungen für diese "Leistung" in Betracht, etwa
eine Verrechnung im Rahmen der nachehelichen Vermögensaufteilung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 188 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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