Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.02.2004

OVG NRW: gesetzliche vermutung, wiedereinsetzung in den vorigen stand, aufenthaltserlaubnis, visum, ausreise, abschiebung, familie, verfügung, duldung, lebensgemeinschaft

Oberverwaltungsgericht NRW, 19 B 1077/02
Datum:
24.02.2004
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
19. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 B 1077/02
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 8 L 330/02
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde und die Beschwerde werden
verworfen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.000 EUR
festgesetzt.
Gründe:
1
Der mit Schriftsatz der früheren Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 4. Juni
2002 nach seinem klaren Wortlaut und auch nach der auf Zulassungsgründe
bezogenen Begründung nur gestellte Antrag auf Zulassung der Beschwerde wird als
unzulässig verworfen, weil gemäß § 146 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO in der Fassung der
am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung durch das Gesetz zur Bereinigung des
Rechtsmittelrechts vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987, gegen Beschlüsse des
Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80 a und 123
VwGO) allein das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Eine Umdeutung des
unstatthaften Antrags auf Zulassung der Beschwerde in das zulässige Rechtsmittel der
Beschwerde kommt zumindest bei anwaltlich vertretenen Rechtsmittelführern - wie hier -
nicht in Betracht.
2
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1998 - 4 B 30.98 -, NVwZ 1998, 1297.
3
Die mit Schriftsatz des jetzigen Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 13.
Februar 2003 - nicht nur klarstellend, sondern erstmalig - eingelegte Beschwerde gegen
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2002 ist unzulässig, weil sie nach
der Zustellung des mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen
angefochtenen Beschlusses am 21. Mai 2002 nicht innerhalb der Beschwerdefrist von
zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung, § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO,
eingelegt worden ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60
4
Abs. 1 VwGO, also dafür, dass die Antragsteller ohne Verschulden verhindert waren, die
Beschwerdefrist einzuhalten, sind nicht geltend gemacht oder sonst ersichtlich; es
spricht nichts dafür, dass die früheren Prozessbevollmächtigten anstelle des
fristgerechten Antrags auf Zulassung der Beschwerde nicht innerhalb der Frist die
Beschwerde einlegen konnten. Ein Verschulden der früheren Prozessbevollmächtigten
müssen sich die Antragsteller gemäß § 173 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
Die Beschwerde kann aber - ihre Zulässigkeit unterstellt - auch in der Sache keinen
Erfolg haben.
5
Entgegen der Annahme der Antragsteller, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu
§ 69 AuslG seien verfehlt, hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint, dass eine
Abschiebung des Antragstellers zu 1. im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG deshalb aus
rechtlichen Gründen unmöglich ist, weil sein Aufenthalt auf Grund des Antrags vom 11.
Januar 2002 nach § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG als geduldet oder nach § 69 Abs. 3 Satz 1
als erlaubt gelte. Der Antragsteller zu 1. ist am 3. Juli 2001 mit einem für die Zeit vom 1.
bis 30. Juli 2001 gültigen Besuchsvisum (Schengen-Visum) in das Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland eingereist und sein bei der Ausländerbehörde in Frankfurt
am Main gestellter Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung vom 25. Juli
2001 ist mit seit dem 19. November 2001 bestandskräftiger Verfügung vom 12. Oktober
2001 unter Androhung der Abschiebung abgelehnt worden; nach Eheschließung mit der
Antragstellerin zu 2., einer deutschen Staatsangehörigen, am 13. Dezember 2001 hat er
unter dem 11. Januar 2002 erneut einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
gestellt. Eine Fiktionswirkung wegen der erneuten Antragstellung ist ungeachtet
sonstiger Ausschlussgründe schon nach § 69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 69 Abs. 3 Satz 3
AuslG deshalb nicht eingetreten, weil der Antragsteller zu 1. auf Grund eines sonstigen
Verwaltungsakts, nämlich der Verfügung der Ausländerbehörde in Frankfurt am Main
vom 12. Oktober 2001, ausreisepflichtig und noch nicht ausgereist ist.
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Der Einwand der Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der
Antragsteller zu 1. einen gebundenen Rechtsanspruch auf Erteilung einer
ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis habe, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sei
nach seiner Einreise möglich, so dass seine Ausreise nicht verlangt werden könne, geht
fehl. Allein das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - hier nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 17 Abs. 1
AuslG wegen der am 13. Dezember 2001 erfolgten Eheschließung - begründet
grundsätzlich noch keinen Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der
Abschiebung im Sinne von § 55 Abs. 2 AuslG. Zudem steht entgegen der Ansicht der
Antragsteller der Erteilung der zum Zweck der Führung der ehelichen
Lebensgemeinschaft (§ 17 Abs. 1 AuslG) beantragten Aufenthaltserlaubnis vor der
Ausreise des Antragstellers zu 1. (jedenfalls) der besondere Versagungsgrund des § 8
Abs. 1 Nr. 2 AuslG entgegen, wonach die Aufenthaltsgenehmigung auch bei Vorliegen
der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz versagt wird, wenn der
Ausländer mit einem Visum eingereist ist, das auf Grund seiner Angaben im
Visumsantrag ohne erforderliche Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde erteilt
worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der nach § 3 Abs. 1 AuslG, § 1
DVAuslG uneingeschränkt visumspflichtige Antragsteller zu 1. ist am 3. Juli 2001 mit
einem von der Botschaft Ankara der Bundesrepublik Deutschland am 19. Juni 2001
erteilten, vom 1. bis 30. Juli 2001 gültigen Besuchsvisum eingereist. Auf Grund der
Beschränkung des Visums auf einen Besuchsaufenthalt für maximal 30 Tage ist davon
auszugehen, dass der Antragsteller zu 1. bei der Beantragung des Visums
7
entsprechende Angaben gemacht hat, zumal er unwidersprochen gelassen hat, dass
nach den Ausführungen in der Verfügung der Ausländerbehörde in Frankfurt am Main
vom 12. Oktober 2001 "Schengen-Visa" durch die Auslandsvertretungen nach den
entsprechenden Angaben der Antragsteller erteilt werden sollen. Anhaltspunkte dafür,
dass der Antragsteller zu 1. im Visumsantrag weitergehende Angaben zu Dauer und
Zweck seines beabsichtigten Aufenthalts in Deutschland gemacht hat, sind nicht
angeführt worden und nicht ersichtlich. Auf Grund der Angaben im Visumsantrag ist das
Visum vom 19. Juni 2001 ohne die vorherige Zustimmung der zuständigen
Ausländerbehörde erteilt worden, die nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG erforderlich ist,
wenn der Ausländer sich länger als 3 Monate im Bundesgebiet aufhalten will. Der
Antragsteller zu 1. bedurfte aber einer nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG vor der Einreise
einzuholenden Aufenthaltsgenehmigung in der Form des Sichtvermerks (Visum), für die
nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG die vorherige Zustimmung der zuständigen
Ausländerbehörde erforderlich war, weil er sich entgegen seinen Angaben im
Visumsverfahren von vornherein länger als 3 Monate im Bundesgebiet aufhalten wollte.
Er hat damit, wie nach dem Zweck des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, die Erteilung einer
Aufenthaltsgenehmigung an einen Ausländer zu verhindern, der sich den Aufenthalt
durch Täuschung über seine wahren Absichten erschleichen will, für die Anwendung
der Vorschrift zu verlangen ist,
vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1996 - 1 C 41.93 -, NVwZ 1997, 189 (190),
8
unzutreffende Angaben über Zweck bzw. Dauer des beabsichtigten Aufenthalts im
Bundesgebiet gemacht. Hierfür spricht die gesetzliche Vermutung nach § 71 Abs. 2 Satz
2 AuslG, dass schon im Zeitpunkt der Einreise das Visum zustimmungspflichtig war.
Diese gesetzliche Vermutung haben die Antragsteller nicht mit der in der Begründung
vom 4. Juni 2002 angesprochenen, im erstinstanzlichen Verfahren im Einzelnen
vorgetragenen Behauptung und ihrer hierzu abgegebenen eidesstattlichen
Versicherung vom 18. April 2002 widerlegt, sie hätten sich erst nach der Einreise des
Antragstellers zu 1. entschlossen zu heiraten, vorher sei eine Heirat überhaupt nicht
geplant gewesen, zumal sie nicht gewusst hätten, dass es für sie möglich sei, in
Deutschland zu heiraten. Die gesetzliche Vermutung nach § 71 Abs. 2 Satz 2 AuslG ist
nur dann widerlegt, wenn der Ausländer einen nach der Einreise eingetretenen
Sinneswandel zu Dauer bzw. Zweck des Aufenthalts unter Darlegung plausibler
Umstände glaubhaft macht. Dafür reicht die bloße, nicht durch objektiv fassbare und
überprüfbare äußere - besondere - Umstände gestützte Behauptung eines
Sinneswandels nicht aus.
9
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. November 2001 - 18 B 242/01 -, NWVBl 2002, 183
(184) und 14. Dezember 1993 - 18 B 628/93 -, InfAuslR 1994, 138 (138 f.); VGH Bad.-
Württ., Beschluss vom 18. Februar 1992 - 13 S 2608/91 -, InfAuslR 1992, 352 (354),
jeweils m.w.N.
10
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Antragsteller auch in ihrer
eidesstattlichen Versicherung vom 18. April 2002 nicht. Sie haben keine besonderen
objektiv fassbaren und plausiblen Umstände angeführt, die ihre Behauptung, sie hätten
sich erst nach der Einreise des Antragstellers zu 1. entschlossen zu heiraten, stützen
könnten. Lebensfremd und damit unplausibel ist die Behauptung, sie hätten von der
Möglichkeit, in Deutschland die Ehe zu schließen, nicht gewusst, weshalb sich die
Antragstellerin zu 2. zunächst unverbindlich beim Standesamt B. -F. hierzu erkundigt
habe. Denn dass eine deutsche Staatsangehörige vor einem deutschen Standesamt
11
einen Ausländer ehelichen kann, ist als allgemein - und damit auch zumindest bei der
Antragstellerin zu 2. - bekannt vorauszusetzen; besondere Anhaltspunkte dafür, dass
dies bei der Antragstellerin zu 2. nicht der Fall war, sind nicht aufgezeigt worden, zumal
sie nach ihrem Vorbringen den Antragsteller zu 1. vor der Einreise am 3. Juli 2001 seit
längerem kannte und von ihm besucht worden war. Zudem haben die Antragsteller nicht
dargelegt, wann genau sich die Antragstellerin zu 2. angeblich beim Standesamt nach
der Möglichkeit der Eheschließung erkundigte. Insbesondere ist nichts dafür angeführt
worden, das dies vor dem 25. Juli 2001 geschehen sein soll. Zu diesem Zeitpunkt war
der Heiratsentschluss bereits gefasst; hiervon ist deshalb auszugehen, weil der
Antragsteller zu 1., wie in der erstinstanzlichen Antragsschrift vorgetragen, unter dem 25.
Juli 2001 - und damit bereits etwa 3 Wochen nach der Einreise - bei der
Ausländerbehörde in Frankfurt am Main die "Verlängerung des Visums zwecks
Eheschließung mit der Antragstellerin zu 2." beantragte. Dieser Umstand verstärkt die
gesetzliche Vermutung, dass das Visum zustimmungspflichtig war, weil der
Antragsteller zu 1. von vornherein einen Daueraufenthalt anstrebte. Die sonstigen
Angaben in der eidesstattlichen Versicherung vermögen Gegenteiliges nicht glaubhaft
zu machen. Soweit sie den Eindruck erwecken sollen, dass Klärung und Vorbereitung
der Eheschließung etwa ab November 2001 erfolgt seien und erst in diesem
Zusammenhang der Entschluss zur Eheschließung gereift sei, widersprechen sie dem
Zweck des Antrags vom 25. Juli 2001, sind sie also gänzlich unplausibel. Unzutreffend
ist schließlich die Behauptung der Antragsteller, im Zusammenhang mit der
beabsichtigten Eheschließung hätten sie das Visum durch Rechtsanwalt X. am 16.
November 2001 verlängern lassen. Es kann ausgeschlossen werden, dass die
Ausländerbehörde nach Erlass der Verfügung vom 12. Oktober 2001 das Visum des
Antragstellers noch verlängert hat. Im Übrigen ist das Visum auch zuvor nicht bis zum
16. November 2001 verlängert worden; vielmehr hat die Ausländerbehörde in Frankfurt
am Main am 17. August 2001 durch Eintrag im Pass des Antragstellers zu 1. auf dessen
Antrag vom 25. Juli 2001 mit Gültigkeit bis zum 16. November 2001 lediglich
bescheinigt, dass dessen Aufenthalt gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG vorläufig als
geduldet gelte.
Insofern trifft auch der im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Einwand der
Antragsteller nicht zu, wegen der Verlängerung des Visums greife der Versagungsgrund
nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht ein. Auch aus der Bescheinigung der Duldungsfiktion
vom 17. August 2001 kann nicht hergeleitet werden, dass damit die Rechtsfolge des §
69 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AuslG ausgeschlossen und abschließend festgestellt worden ist,
dass der Antragsteller zu 1. nicht unerlaubt, also nicht ohne das erforderliche Visum im
Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in das Bundesgebiet eingereist sei. Die
Bescheinigung der Duldungsfiktion hat nämlich keine konstitutive rechtliche, sondern
nur tatsächliche Bedeutung.
12
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 1994 - 18 B 4561/92 -.
13
Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist der besondere Versagungsgrund des § 8
Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht durch die auf Ansprüche aus § 23 Abs. 1 AuslG nach Abs. 3
entsprechend anwendbare Vorschrift des § 17 Abs. 5 AuslG ausgeschlossen, wonach
die Aufenthaltserlaubnis auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs
nach diesem Gesetz versagt werden kann, wenn u. a. ein Ausweisungsgrund vorliegt.
Entgegen der Auffassung des
14
OVG M.-V., Beschluss vom 20. September 1996 - 2 M 11/96 -, NVwZ-RR 1997, 256, und
15
des VG Gera, Gerichtsbescheid vom 20. November 1997 - 4 K 1179/97 GE -, InfAuslR
1998, 107,
normiert § 17 Abs. 5 AuslG keine generelle, auch § 8 AuslG erfassende Beschränkung
der Versagungsgründe. Weder nach Wortlaut, systematischer Stellung im Gesetz noch
nach Sinn und Zweck kommt der speziell auf Familiennachzugsfälle bezogenen
Vorschrift eine derart weit reichende, die allgemeinen Versagungsgründe des § 8 AuslG
verdrängende Wirkung dahin zu, dass eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und
Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft (§ 17 Abs. 1 AuslG) nur bei Vorliegen
eines Ausweisungsgrundes nach Ermessen versagt werden dürfte. Im Gegenteil gilt § 8
AuslG nach Wortlaut und systematischer Stellung für alle Arten der
Aufenthaltsgenehmigung; die besonderen Versagungsgründe des § 8 Abs. 1 AuslG
finden danach auch auf Ansprüche ausländischer Ehegatten von Deutschen
Anwendung. § 17 Abs. 5 AuslG trifft nur eine die gesetzlichen Versagungsgründe
ergänzende Regelung. Der Schutz von Ehe und Familie aus Art. 6 GG verlangt auch in
den hier interessierenden Fällen des Verstoßes gegen die Visumspflicht die
angesprochene weit reichende Auslegung des § 17 Abs. 5 AuslG nicht. Die Versagung
der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG und damit die Verweisung auf
die Einholung des erforderlichen Visums vom Heimatstaat aus ist, wie noch ausgeführt
wird, mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6
GG grundsätzlich vereinbar. Zudem kann nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG, § 9 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 DVAuslG die Aufenthaltserlaubnis unter den dort geregelten
Voraussetzungen nach der Einreise ohne Verweisung auf das Sichtvermerksverfahren
erteilt werden. Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 6. Januar 2003 - 13 ME 28/03 -, NVwZ-
Beilage I 6/2003, 43 (44); Thür. OVG, Beschluss vom 5. November 1998 - 3 ZEO 954/98
-, im Ergebnis auch Sächs. OVG, Beschluss vom 24. September 2001 - 3 BS 115/01 -
und OVG Berlin, Beschluss vom 13. Februar 1996 - 7 S 5.95 -; ferner
Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländer- recht,§ 17 AuslG, Rdnr. 62.
16
Der Einwand, der Antragsteller zu 1. habe einen auf eine Duldung führenden
gebundenen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, dringt danach
nicht durch. Auch ist für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens - hier des
mit Antrag vom 11. Januar 2002 eingeleiteten Verfahrens - die Erteilung einer Duldung
zur Durchsetzung des geltend gemachten Genehmigungsanspruchs im Interesse der
Vermeidung einer Umgehung des gesetzlichen Ausschlusses der Fiktionswirkung
prinzipiell ausgeschlossen, wenn - wie hier - ein vorläufiges Bleiberecht auf Grund der
Duldungs- oder Erlaubnisfiktion des § 69 AuslG nicht eingetreten ist. Etwas anderes gilt
jedoch zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), wenn
nur mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung sichergestellt werden kann, dass eine
ausländerrechtliche Regelung ihrem Sinn und Zweck nach dem begünstigten
Personenkreis zugute kommt.
17
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Januar 2004 - 19 B 1394/02 -, 26. November 2001,
a.a.O. und 20. April 1999 - 18 B 1338/97 -, InfAuslR 1999, 449 (450); ferner VGH Bad.-
Württ., Beschluss vom 10. März 2000 - 13 S 1026/99 -, InfAuslR 2000, 378 (379 f.).
18
Als ausländerrechtliche Regelungen, die hier eine dem Antragsteller zu 1. günstige,
vom Bundesgebiet aus vor einer Ausreise durchsetzbare und durch eine Abschiebung
vereitelte Rechtsposition im Hinblick auf die Erteilung der beantragten
Aufenthaltserlaubnis begründen könnten, kommen § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG und
§ 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in Betracht. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG kann ein
19
Ausländer die Aufenthaltserlaubnis zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck
nach der Einreise einholen, wenn er sich rechtmäßig, geduldet oder gestattet nach § 55
Abs. 1 AsylVfG im Bundesgebiet aufhält und nach seiner Einreise u. a. durch
Eheschließung im Bundesgebiet einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis erworden hat. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kann die
Aufenthaltsgenehmigung abweichend von § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erteilt werden, wenn
die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung nach
diesem Gesetz offensichtlich erfüllt sind. Zur Sicherung der Rechte in Bezug auf die
Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis vor Verlassen des Bundesgebiets bedarf
es im vorliegenden Fall nicht des Erlasses einer einstweiligen Anordnung; die
genannten Vorschriften kommen nämlich dem Antragsteller zu 1. nicht zugute, weil die
Voraussetzungen nicht vorliegen oder im vorliegenden Verfahren nicht geltend gemacht
werden können.
Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DVAuslG liegen
im Zeitpunkt dieser Beschlussfassung,
20
vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2001,
a.a.O.,
21
nicht vor, weil sich der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller zu 1., was hier allein
in Betracht kommen könnte, nicht geduldet im Bundesgebiet aufhält. Der Antragsgegner
hat ihm eine Duldung nicht erteilt; das zeitweilige Nichtdurchsetzen der Ausreisepflicht
ist, wovon nach Aktenlage auszugehen ist, aus Anlass des vorliegenden
Rechtsschutzverfahrens erfolgt und endet prinzipiell mit dessen Abschluss in Folge
dieser Entscheidung des Senats. Sein Aufenthalt ist auch nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 2
DVAuslG als geduldet zu behandeln, weil sowohl die Ausreisepflicht jedenfalls in Folge
der Verfügung vom 12. Oktober 2001 (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AuslG) als auch darin
enthaltene Abschiebungsandrohung vollziehbar sind.
22
Zu § 9 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kann dahin stehen, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs
auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG offensichtlich
erfüllt sind. Auf diese Anspruchsnorm kann sich der Antragsteller zu 1. nach § 71 Abs. 2
Satz 1 AuslG im Rahmen von Rechtsbehelfen vor der Ausreise und daher nach Sinn
und Zweck der Vorschrift auch im vorliegenden Rechtsschutzverfahren nach § 123
VwGO,
23
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2001, a.a.O., S. 185; Schl.-H. OVG,
Beschluss vom 12. März 1992 - 4 M 25/92 -, InfAuslR 1992, 125 (126); Renner,
Ausländerrecht, 7. A., § 71 AuslG, Rdnr. 8,
24
nicht berufen. Gemäß § 71 Abs. 2 Satz 1 AuslG können gegen die Versagung der
Aufenthaltsgenehmigung u. a. nach § 8 AuslG vor der Ausreise des Ausländers
Rechtsbehelfe nur darauf gestützt werden, dass der Versagungsgrund nicht vorliegt. Die
Vorschrift dient der effektiven Durchsetzung der Visumspflicht als dem gesetzlichen
Instrument der Zuwanderungskontrolle, die im Wesentlichen darauf beruht, die
materiellen Fragen des Aufenthaltsrechts vor der Einreise des Ausländers zu prüfen und
zu entscheiden, ferner der rechtlichen Gleichbehandlung aller visumspflichtigen
Ausländer und der Straffung und Beschleunigung der Widerspruchs- und
Gerichtsverfahren durch Konzentration der Prüfung auf die allein
entscheidungserhebliche Frage nach dem Vorliegen des Versagungsgrundes. In Fällen
25
der vorliegenden Art schließt der Verstoß gegen die Visumspflicht durch Täuschung der
Einreisebehörde über Aufenthaltszweck und -dauer auch bei offensichtlichem Vorliegen
der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen im Rechtsbehelfsverfahren vor der
Ausreise den Einwand des Ausländers aus, er könne die Erteilung der
Aufenthaltsgenehmigung nach der Einreise abweichend von dem gesetzlichen
Versagungsgrund beanspruchen. Die darin liegende Erschwerung des Rechtsschutzes
ist aus den vorgenannten Gründen sachlich gerechtfertigt und mit Art. 3 Abs. 1, Art. 19
Abs. 4 GG vereinbar. Dem Schutz von Ehe und Familie gegenüber der Durchsetzung
der Ausreisepflicht zur Durchführung des Visumsverfahrens kann, soweit erforderlich,
durch Gewährung von Abschiebungsschutz in Form einer Duldung nach § 55 Abs. 2
AuslG Rechnung getragen werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2001, a.a.O., S. 185 f., m.w.N.; VGH
Bad.-Württ., Beschluss vom 6. Juli 1992 - 1 S 881/92 -, InfAuslR 1993, 14 (15); ferner
Begründung zum Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des
Ausländerrechts, BT-Drs. 11/6321, S. 81.
26
Dem Antragsteller zu 1. steht aus den im Schriftsatz vom 4. Juni 2002 dargelegten
Gründen Abschiebungsschutz nach Art. 6 GG nicht zu. Diese ergeben nicht, dass seine
Abschiebung mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Art.
6 Abs. 1 und Abs. 2 GG) im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG rechtlich unmöglich sei.
27
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
28
vgl. nur Beschluss vom 22. Dezember 2003 - 2 BvR 2108/00 -, m. w. N.,
29
gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Dies gilt auch bei
Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft mit einer/einem deutschen
Staatsangehörigen. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltene
wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat Ehe und Familie zu fördern
hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende
Maßnahmen die ehelichen und familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die
sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser
Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung bringen. Dieser verfassungsrechtlichen
Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des
Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und
Gerichte bei der Entscheidung über den (weiteren) Aufenthalt des Ausländers seine
ehelichen und familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen
angemessen berücksichtigen. Bei der erforderlichen Abwägung aller im Einzelfall für
und gegen den weiteren Aufenthalt sprechenden Gesichtspunkte kommt es unter
Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter anderem darauf an, ob die
Folgen der Beendigung des Aufenthalts im Hinblick auf die schutzwürdigen ehelichen
und familiären Verhältnisse nicht hinnehmbar sind.
30
Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 21. Mai 2003 - 1 BvR 90/03 -, NJW 2003, 3547 (3547),
und 25. Oktober 1995 - 2 BvR 901/95 -, DVBl 1996, 195 (195); BVerwG, Urteil vom 27.
August 1996 - 1 C 8.94 -, BVerwGE 102, 12 (16 ff.); OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni
2000 - 19 B 1685/99 -, jeweils m. w. N.
31
Im vorliegenden Fall ist aus den im Schriftsatz vom 4. Juni 2002 dargelegten Gründen
die Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers zu 1. mit Art. 6 Abs. 1
32
und 2 GG nicht unvereinbar und damit seine Abschiebung nicht im Sinne des § 55 Abs.
2 AuslG rechtlich unmöglich.
Der Antragsteller zu 1. ist aus den vorstehenden Gründen ohne das erforderliche Visum
in das Bundesgebiet eingereist. Der Grundrechtsschutz aus Art. 6 GG verpflichtet
grundsätzlich nicht - ebenso wenig wie Art. 8 EMRK - dazu, sichtvermerkspflichtige
Ausländer von den gesetzlich vorgeschriebenen, verfassungsrechtlich unbedenklichen
Erfordernissen für Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet freizustellen, und hindert
daher grundsätzlich nicht, ohne das erforderliche Visum eingereiste Ausländer im Wege
der Durchsetzung der Ausreisepflicht darauf zu verweisen, zur Herstellung der
ehelichen oder der familiären Lebensgemeinschaft in Deutschland vom Heimatstaat aus
ein Visum zu beantragen.
33
Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 1. Juli 2002 - 2 BvR 843/02 - und 7. November 1984 -
2 BvR 1299/84 -, NVwZ 1985, 260; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 -,
InfAuslR 1998, 213 (217) und Beschlüsse vom 18. Dezember 1995 - 1 B 152.95 -,
InfAuslR 1996, 137 und 31. August 1984 - 1 B 99.84 -, BverwGE 70, 54 (56).
34
Dem Antragsteller zu 1. ist danach auch in Abwägung mit dem Grundrechtsschutz aus
Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG grundsätzlich zumutbar, auszureisen und den gesetzlichen
Vorschriften entsprechend vom Ausland aus das erforderliche Visum für eine
Wiedereinreise in das Bundesgebiet einzuholen. Für eine Ausnahme davon bestehen
unter Berücksichtigung der Darlegungen im Schriftsatz vom 4. Juni 2002 schon deshalb
keine hinreichenden Anhaltspunkte, weil die Antragsteller, wie ausgeführt, bereits vor
der Einreise des Antragstellers zu 1. die Absicht hatten zu heiraten. Der Antragsteller zu
1. hätte deshalb ohne Weiteres auf diesen Gesichtspunkt im damaligen
Sichtvermerksverfahren hinweisen können.
35
Allerdings kann im Einzelfall ein der Abschiebung entgegen stehendes rechtliches
Hindernis vorliegen, wenn auf Grund besonderer Umstände schon eine kurzfristige
Trennung der Eheleute unverhältnismäßig wäre. Anhaltspunkte dafür, dass solche
besonderen Umstände vorliegen, haben die Antragsteller zwar durch die mit
Schriftsätzen vom 22. Juli und 22. August 2002 sowie vom 22. Januar und 3. Juli 2003
vorgelegten Bescheinigungen von Ärzten u. a. für Psychiatrie vorgetragen, wonach - so
die Bescheinigungen vom 21. Januar und 30. Juni 2003 - die Antragstellerin zu 2. unter
einer schweren psychischen Erkrankung leidet, der ständigen Anwesenheit des
Antragstellers zu 1. bedarf und bei einer auch nur vorübergehenden Trennung in die
große Gefahr einer plötzlichen akuten depressiven Krise und einer akuten Suizidalität
geraten würde. Diese fachärztlichen Aussagen werden durch das Ergebnis der
amtsärztlichen Untersuchung gemäß der Stellungnahme vom 26. November 2002 nicht
erschüttert. Die Antragsteller sind aber, wenn sie wegen der nach Ablauf der
Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgetragenen Erkrankung der
Antragstellerin zu 2. gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, auf einen
Abänderungsantrag an das Verwaltungsgericht verwiesen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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